Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 19. Februar 1998-27 B 96.34202

Bayrischer Verwaltungsgerichtshof, 19 Feb. 1998

Leitsatz (nicht amtlich):

Der Asylbewerber muß seine Einreise auf dem Luft- oder Seeweg ohne Berührung eines sicheren Drittstaats darlegen und nachweisen, um in den Genuß eines Asylrechts gelangen zu können.

Aus den Gründen:

I.

Der am 11.12.1962 in Kirkuk geborene Beig. ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste nach seinen Angaben mit Hilfe eines iranischen Schleppers am 4.11.1995 auf dem Luftweg von Istanbul nach Düsseldorf in das Bundesgebiet ein und beantragte am 10.11.1995 Asyl. Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 16.11.1995 schilderte er neben seinem Verfolgungsschicksal Einzelheiten seiner Einreise mit einem gefälschten schwedischen Paß, legte jedoch keine Nachweise hierfür vor.

Mit Bescheid vom 8.2.1996 erkannte das Bundesamt den Beig. als Asylberechtigten an und bejahte auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AusIG. Nach dem vom Beig. geschilderten Sachverhalt und den vorliegenden Erkenntnissen würde er bei Rückkehr in sein Heimatland mit der. erforderlichen Wahrscheinlichkeit asylrechtlich relevanten Maßnahmen ausgesetzt werden.

Mit der am 26.2.1996 beim VG B. erhobenen Klage beantragte der KI., den Bescheid des Bundesamts vom 8.2.1996 aufzuheben, soweit dem Beig. das Asylrecht gewährt wurde. Die Asylanerkennung scheitere bereits daran, daß der Beig. die behauptete Einreise auf dem Luftweg nicht nachgewiesen habe. Mit Urteil vom 27.6.1996 wies das VG die Klage ab. Mit der vom Bay VGH mit Beschluß vom 8.10.1997 zugelassenen Berufung begehrt der Kl. sinngemäß, das Urteil des VG vom 27.6.1996 sowie Ziff. 1 des Bundesamtsbescheids vom 8.2.1996 aufzuheben.

II.

Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG in der seit 30.6.1993 verbindlichen Fassung des Gesetzes vom 28.6.1993 (BGBl. I 1002) kann sich nicht auf das Asylrecht des Art. 16a Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der EG oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der EG, auf welche die Voraussetzung des Satzes 1 der Vorschrift zutreffen, werden durch Gesetz bestimmt. Sie sind jetzt als sichere Drittstaaten in § 26a Abs. 2 AsylVfG und der dazu erarbeiteten Anl. I festgelegt. Danach ist Deutschland allseitig von sicheren Drittstaaten umgeben mit der Folge, daß eine Einreise auf dem Landweg immer ein Asylrecht ausschließt.

Wer über einen sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist, hat dort bereits Schutz vor Verfolgung gefunden oder hätte ihn finden können und bedarf deshalb nicht mehr des Schutzes des Asylrechts; Schutzbedürftigkeit ist als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal neben Politischer Verfolgung Voraussetzung für ein Asylrecht (vgl. dazu BVerwGE 89, 231 = EZAR 211 Nr. 3; BVerwGE 100, 23 = EZAR 208 Nr. 5; BVerwGE 101, 328 = EZAR 200 Nr. 32; BVerwG, DÖV 1997, 922 = EZAR 215 Nr. 14). Die Einreise ohne Kontakt zu einem sicheren Drittstaat, also auf dem Luftweg oder auf dem Seeweg über einen deutschen Flug- oder Seehafen, wird somit zum ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal des Art. 16a Abs. 1 GG, die als Vorgang außerhalb des Heimatstaats vom Asylbewerber nicht nur glaubhaft zu machen, sondern zu beweisen ist (vgl. BVerwGE 55, 82 = EZAR 201 Nr. 3; BVerwGE 79, 347 = EZAR 205 Nr. 9; BVerwG, EZAR 208 Nr. 5; BVerfG, NVwZ 1996, 700 = EZAR 208 Nr. 7; OVG RhPf, 20.8.1996 - 7 A 11994/96 -; OVG RhPf, AuAS 1998, 23; Bay VGH 22.4.1997 - 19 AA 96.32790 -; Bay VGH AuAS 1998, 22 = BayVBI. 1998, 119-, OVG SaAnh, 14.1.1997 - A 4 S 264/96 -; OVG SaAnh, 13.3.1997 - A 4 S 48.97 -).

Der Beig. hat seine von ihm behauptete Einreise auf dem Luftweg über den Flughafen Düsseldorf nicht bewiesen. Er konnte keinerlei Flugunterlagen - weder Flugschein noch Bordkarte oder Gepäckschein - vorlegen.

Der vorliegende Fall bietet keinen Anlaß zu näherer Prüfung, zu wessen Lasten die Nichterweislichkeit einer Luftwegseinreise geht. Das verwaltungsgerichtliche Urteil kann nämlich schon deshalb keinen Bestand haben, weit es zu Unrecht (und ohne nähere Begründung) von einer Darlegungsfrist der Bekl. hinsichtlich der Luftwegseinreise des Flüchtlings ausgeht. Die Obliegenheiten zur Angabe des Reisewegs sowie zur Vorlage der Identitätspapiere und der Flugunterlagen gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nrn. 1, 4 und 5, Abs. 3 Nm. 3 und 4 AsylVfG und § 25 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG resultieren letztlich daraus, daß der Asylbewerber bei den in die eigene Sphäre fallenden Umständen - weil naturgemäß nur er sie offenbaren kann und dies ausschließlich in seinem Interesse liegt - in sich stimmige, glaubhafte und lückenlose Angaben zu machen hat (vgl. BVerwG, Buchholz 402.24 § 28 AusIG Nr. 44; BVerwG, EZAR 630 Nr. 13) und diese, soweit sie außerhalb des eigentlichen Verfolgungsgeschehens liegen, auch nachzuweisen hat (vgl. zur Angabe über die Staatsangehörigkeit BVerwG, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 125). Von der Wahrheit der Behauptungen des Ausländers über die in seine Sphäre fallenden Umstände muß das Gericht - bei Angabe über die Staatsangehörigkeit nicht anders als bei der behaupteten Einreise auf dem Luftweg - gemäß § 108 Abs. 1 VwGO die volle Ü berzeugungsgewißheit erlangen und darf demzufolge nur einen von ihm festgestellten, nicht einen lediglich für wahrscheinlich gehaltenen Sachverhalt unter Art. 16a Abs. 1 GG subsumieren (vgl. - grundsätzlich zur Überzeugungsbildung im Asylprozeß - BVerwG, NVwZ 1985, 685 und BVerwG, EZAR 630 Nr. 23). Auch wenn die Vorlage von Flugunterlagen für die Überzeugungsgewißheit des Tatsachengerichts über die Einreise ohne Kontakt zu einem sicheren Drittstaat nicht zwingend ist, kommt ihr doch als Beweisanzeichen zentrale Bedeutung zu. Welche Beweis- und Erkenntnismittel neben den persönlichen Angaben für die Überzeugungsbildung heranzuziehen und welche prozessual gebotenen Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung auszuschöpfen sind, ist der Überprüfung im Einzelfall vorbehalten. Ohne Einschränkung gilt, daß den Asylbewerher die Darlegungslast hinsichtlich der Einreise auf dem Luftweg trifft (vgl. hierzu auch HessVGH, NVwZ 1997, 569), und ferner, daß die Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung hinsichtlich der Einreise ebenso wie beweisvereitelndes und beweisvernichtendes Verhalten des Asylbewerbers vom Tatrichter im Rahmen des § 108 Abs. 1 VwGO zu würdigen ist und - je nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere wenn der Asylbewerber die Nichterfüllung seiner Obliegenheiten zu vertreten hat - auch negative Schlußfolgerungen hinsichtlich der Wahrheit der rechtserheblichen Tatsache erlaubt (vgl. BVerwGE 10, 270; OVG SaAnh, EZAR 208 Nr. 9; vgl. ferner Kloesel/Christ/Häußer, Rn. 9 zu § 26a AsylVfG; Kopp, 10. Aufl., Rn. 12 zu § 86 VwGO; Dawin, NVwZ 1995, 729).

Allein mit der pauschalen Angabe, er sei (am 4.11.1995) um 18 Uhr von Istanbul abgeflogen und gegen 21.15 Uhr bis 21.30 Uhr in Düsseldorf gelandet, ist der Beig. seiner Obliegenheit, vollständige und glaubhafte Angaben zur behaupteten Einreise auf dem Luftweg zu machen, nicht nachgekommen. Diese Angaben können ohne Schwierigkeiten, auch nachträglich, auf verschiedene Weise in Erfahrung gebracht werden. Obwohl sich der Beig. als berufsmäßiger Fußballer (und nebenher Taxifahrer) ausgibt und ihm, wie die gezielte Verwendung der Kopie seiner Identitätskarte zeigt, die Bedeutung der Einreisemodalitäten klar sein mußte, war er weder in der Lage, die von ihm benutzte Fluggesellschaft zu benennen noch eine nachvollziehbare Schilderung über das Passieren der Grenzkontrolle auf dem Flughafen Düsseldorf zu machen, noch dazu mit einem gefälschten Paß, von dem er nicht einmal wußte, wo, von wem und auf welchen Namen er ausgestellt war.

Der Senat vermag auch keine Umstände zu erkennen, die es dem Beig. unmöglich oder unzumutbar gemacht hätten, seinen Obliegenheiten aus §§ 15, 25 AsylWG nachzukommen. Mit guten Gründen weist der Kl. darauf hin, daß nach der Landung von einer Zwangssituation des Asylbewerbers gegenüber dem Schlepper jedenfalls hinsichtlich der Flugunterlagen nicht mehr gesprochen werden könne.

Die Äußerung des Beig. im Zulassungsverfahren, der offensichtlich die (vermeintlichen) Vorteile der Vernichtung von Flugunterlagen klar erkannt hat, belegt dies eindrucksvoll. Kann der Senat demnach wegen der unsubstantiierten und unglaubhaften Angaben des Beig. zu den Umständen seiner Einreise und seines Verhaltens, das einen klaren Verstoß gegen die Obliegenheiten der §§ 15, 25 AsylWG erkennen läßt und einer Beweisvereitelung jedenfalls nahekommt, nicht die volle Überzeugung von der Einreise auf dem Luftweg gewinnen, geht dies zu Lasten des Beig.

Die Ausführungen des Bevollmächtigten des Beig. führen zu keinem anderen Ergebnis. Aus dem Urteil des BVerfG vom 14.5.1996 (BVerfGE 94, 49 = EZAR 208 Nr. 7) kann der Beig. nichts zu seinen Gunsten herleiten. Ob sich aus dieser Entscheidung - wie der Beig. meint - prozeßrechtliche Konsequenzen für den Fall der Nichterweislichkeit der Einreise aus einem sicheren Drittstaat oder der Luftwegseinreise ergeben, kann offenbleiben; denn um diese Frage geht es vorliegend nicht. Gegen die hier vertretene Meinung spricht insbesondere nicht, daß im Falle der Nichterweislichkeit der Einreise aus einem bestimmten sicheren Drittstaat nach Auffassung des BVerfG (aaO) die Rechtsfolge des Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG (Ausschluß des vorläufigen Rechtsschutzes beim Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen) nicht eintritt. Auch die weiteren Hinweise auf die Rechtsprechung des BVerfG, unter welchen prozessualen Voraussetzungen die Drittstaatenregelung eingreift, betreffen nicht die vorliegend zu entscheidende Rechtsfrage der Darlegung und des Beweises der Einreise ohne Kontakt zu einem sicheren Drittstaat. Dies gilt auch für den Einwand des Beig. gegen eine »formale Beweislastverteilung«, soweit er bei nicht festgestellter Einreise aus einem (bestimmten) sicheren Drittstaat die erhöhte Gefahr einer Verletzung des Refoulementverbots befürchtet. Festzuhalten bleibt, daß das BVerfG keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen erhoben hat, den persönlichen Geltungsbereich des in Art. 16a Abs. 1 GG nach wie vor gewährleisteten Asylgrundrechts dadurch zu beschränken, daß mit der Regelung des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG an den Reiseweg des Ausländers Folgerungen für dessen Schutzbedürftigkeit geknüpft werden. Daß das Asylrecht neben erlittener oder drohender politischer Verfolgung die Schutzbedürftigkeit des Ausländers (als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal) voraussetzt, ist seit langem in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. BVerwG, NVwZ 1987, 423 mwN der früheren Rspr.) und durch das BVerfG nunmehr nicht in Frage gestellt worden.

Hat nach alledem der Asylbewerber den in seine Sphäre fallenden Umstand der Einreise auf dem Luftweg darzulegen und zu beweisen, steht dem Beig. ein Asylrecht nicht zu. Es ist nicht erforderlich, daß dem Beig. eine Einreise auf dem Landweg über ein bestimmtes sicheres Drittland nachgewiesen wird (vgl. BVerfG, EZAR 208 Nr. 7; BVerwG, EZAR 208 Nr. 5).

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