Verwaltungsgericht Wiesbaden, Urteil vom 24.June 1992-II E 5495/84
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Date:
24 June 1992
Verwaltungsgericht Wiesbaden
am 24.06.1992
URTEIL
IN NAMEN DES VOLKES!
In dem Verwaltungsstreitverfahren
X gegen Bundesrepublik Deutschland, endvertreten durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Rothenburger Str. 29, 8502 Zirndorf
- Az.: 458-00008-83 - E
Beklagte zu 1 Stadt Frankfurt am Main, vertreten durch den Oberbürgermeister - Ausländerbehörde - Mainzer Landstraße 323, 6000 Frankfurt am Main - Az.: 32.42-20.70 Ka -
Beklagte zu 2 wegen : Asylrecht
TATBESTAND
Der Kläger ist nepalesischer Staatsangehöriger und begehrt seine Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG.
Er verließ sein Heimatland am 01.11.1978. Das Datum seiner Einreise in das Bundesgebiet gab er zunächst mit Januar 1979 an. Später änderte er seinen Vortrag dahingehend, daß er bereits am 22.12.1978 in das Bundesgebiet eingereist sei.
Am 27.07.1983 beantragte der Kläger seine Anerkennung als Asylberechtigter.
Bei seiner Anhörung im Rahmen der Vorprüfung hat der Kläger folgendes vorgetragen:
Von 1960 bis 1964 habe er eine allgemein bildende Schule der UMN (United-Mission-to-Nepal), einer evangelischen Missionseinrichtung in Nepal, besucht. Anschließend habe er bis 1970 die Technikerschule der UMN besucht. 1970 sei er zum christlichen Glauben übergetreten und habe sich in Indien taufen lassen. Anschließend habe er für die UMN in Kathmandu und später in Tansen bei einem Krankenhausbau als Vermessungstechniker gearbeitet. Von 1977 an habe er für die Regierung gearbeitet. Er habe ein Ingenieurstudium aufnehmen wollen und eine Gelegenheit gesucht, nach Europa oder in die USA zu kommen. Schließlich habe er einen Dänen kennengelernt, der ihm geholfen habe, indem er ihn nach Dänemark eingeladen habe. Er habe danach einen Paß für eine Reise als Tourist nach Dänemark beantragt und auch erhalten. Mit diesem Paß habe er Nepal im November 1978 mit einem Bus über die nepale-sisch-indische Grenze verlassen. Er habe nicht fliegen können, da die Fluggesellschaft von ihm die Vorlage eines Rückflugscheins verlangt habe, er hierfür jedoch kein Geld gehabt habe. Nachdem er 1970 entgültig zum christlichen Glauben übergetreten sei, habe Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 30. 05. 1984 und den Bescheid des Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main vom 26. 10. 1984 aufzuheben und das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen.
Die Beklagte zu 1) beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen in ihrem angefochtenen Bescheid.
Die Beklagte zu 1) trägt ergänzend vor, daß sich in Nepal ein nicht unerheblicher Prozentsatz der Bevölkerung nicht zum Hinduismus, sondern zum Mahayana-Buddhismus und ein geringerer Prozentsatz zum Islam bekenne. Darüber hinaus befänden sich in Nepal eine nicht unbeträchtliche Zahl tibetischer Flüchtlinge, die der tibetischen Form des Buddhismus anhingen. Dies spreche bereits dagegen, daß in Nepal nur der Hinduismus anerkannt würde. Darüber hinaus sei der Hinduismus von seinem Wesen her eine ausgesprochen tolerante Religion. Fanatisches Eiferertum gegen Andersgläubige und damit verbundene mehr oder weniger gewaltsame Unterdrückung sei dieser Religion fremd. Die vom Kläger vorgetragenen Schwierigkeiten, auf die er in seiner traditionell geprägten Umwelt wegen seines christlichen Glaubens gestoßen sei, erreichten nicht das Maß einer asylrechtsrelevanten Beeinträchtigung der Religionsfreiheit.
Die Beklagte zu 2) stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG setzt eine gegenwärtige Verfolgungsbetroffenheit voraus (BVerfG, Beschluß vom 02. 07. 1980, a.a.O., S. 359, 360). Dem Asylbewerber muß deshalb politische Verfolgung bei beständiger Würdigung aller Umstände seines Falles mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit drohen, so daß es ihm nicht zumutbar ist, in sein Heimatland zurückzukehren. Hierbei ist auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen, wobei es einer über einen absehbaren Zeitraum ausgerichteten Prognose der sich für den Asylbewerber ergebenden Verfolgungssituation bedarf (BVerwG, Urteil vom 24.04.1979 - BVerwG 1 C 49.77 -, Buchholz 402.24, § 28 AuslG Nr. 13; Urteil vom 31.03.1981 - BVerwG 9 C 286.80 -, EZAR 200 Nr. 3).
Ein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt für diejenigen Antragsteller die schon in ihrer Heimat politisch verfolgt wurden, die insbesondere bereits Opfer politisch motivierter Repressalien waren oder jedenfalls gute Gründe hatten, soche Repressalien als konkret bevorstehend zu befürchten. Diese Personen sind schon dann als Asylberechtigte anzuerkennen, wenn an ihrer Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei Rückkehr in den Heimatstaat ernsthafte Zweifel verbleiben (BVerfG, Beschluß vom 02.07.1980, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 25.09.1984 - BVerwG 9 C 17.84 -, BVerwGE 17, 169; Hess. VGH, Urteil vom 13.08.1990, a.a.O.).
Aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers im gesamten Asylverfahren ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, daß der Kläger die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Asylberechtigter erfüllt. Dabei ist von folgendem auszugehen:
Aufgrund des Eindrucks, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat und aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen ist das Gericht der Überzeugung, daß dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland asylrelevante Verfolgung droht.
Die Kammer ist davon überzeugt, daß der Kläger vor seiner Ausreise von seiner Familie wegen seines Übertritts zum christlichen Glauben angezeigt wurde und einer Festnahme nur dadurch entgehen Vor dem Hintergrund dieses traditionell geprägten Umfeldes erscheint es durchaus glaubhaft, daß die Familie des Klägers ihren bestehenden Einfluß dazu nutzte, ein Vorgehen staatlicher Stellen gegen den Kläger zu erreichen, der durch seinen Übertritt zum Christentum aus diesem Kastensystem herausgefallen ist.
In Anbetracht der bestehenden Vorverfolgung des Klägers ist ihm ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter zuzuerkennen, denn es kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, daß er im Falle der Rückkehr Opfer staatlicher Verfolgungsmaßnahmen aus politischen Gründen werden bzw. erneut in die konkrete Gefahr geraten könnte, derartigen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden.
Zwar hat sich im Anschluß an den politischen Umwälzungsprozeß im April 1990 die Lage in Nepal Insoweit verändert, als daß alle zum damaligen Zeitpunkt wegen Religionsvergehen Inhaftierten begnadigt und freigelassen worden sind, jedoch spricht der Anschein eher dafür, daß es sich hier um eine einmalige Amnestie handelt (Südasien-Institut der Universität Heidelberg an das VG Stuttgart vom 18.12.1991). Die nepalesische Verfassung von 1990 gestattet jedem, seine jeweilige Religion auszuüben. Es kann jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, daß die einflußreiche Brahmanenfamilie des Klägers im Falle einer Rückkehr erneut ihren Einfluß geltend macht, um eine Verfolgung des Klägers zu erreichen. Es ist daher nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, daß der Kläger bei seiner Rückkehr nach Nepal erneut wegen seines christlichen Glaubens mit politisch relevanter Verfolgung zu rechnen hat.
Da der Kläger als Asylberechtigter anzuerkennen ist, ist die Beklagte zu 1) auch verpflichtet festzustellen, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Die Klage ist auch insoweit begründet, als sie sich gegen den Bescheid der Beklagten zu 2) richtet (§ 28 AsylVfG).
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