Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 2. Mai 1990-13 UE 1568/84

Hessischer Verwaltungsgerichtshof

BESCHLUSS

In dem Verwaltungsstreitverfahren

X gegen

1.         die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Rothenburger Straße 29, 8502 Zirndorf, -Beklagte zu 1)-

2.         das Land Hessen, vertreten durch den Landrat des Main - Kinzig-Kreises - Ausländerbehörde-, Eugen-Kaiser-Str. 9, 6450 Hanau, -Beklagten zu 2)-

beteiligt:

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten, Rothenburger Straße 29, 8502 Zirndorf,

-Berufungskläger-

wegen Asylrechts hat der 13. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes am 2. Mai 1990 durch

1.         Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Teufel

2.         Richter am Hess. VGH Thorn

3.         Richter am VG Gießen Spies (abgeordneter Richter)

beschlossen:

Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 16. Februar 1984-II/V E 7309/81-wird zurückgewiesen.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 4.000,--DM festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger ist im Jahr 1937 in Tripoli (Tripolis)/Libanon geboren und libanesischer Staatsangehöriger. Er erstrebt die Verpflichtung der Beklagten zu 1), ihn als Asylberechtigten anzuerkennen.

Mit einem Schreiben seines damaligen Bevollmächtigten und einem eigenen Schreiben vom 15. Januar 1981 beantragte der Kläger bei dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, als Asylberechtigter anerkannt zu werden. In diesen Schreiben, bei der Anhörung durch die Ausländerbehörde am 20. Januar 1981 und bei der Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 3. Juni 1981 gab der Kläger zur Begründung seines Asylantrags unter anderem an:

Im Januar 1976 hätten bewaffnete Einheiten der PLO sein Haus überfallen, seine Ehefrau, die deutsche Staatsangehörige gewesen sei, und seinen Sohn getötet und das Haus zerstört. Die hilflose Regierung des Libanon habe nichts gegen den Terror getan. Im Februar 1980 habe die syrische Geheimpolizei, die die Stadt Tripoli und das umgebende Gebiet beherrsche, ihn auf offener Straße ergriffen und gefangengenommen. Die anschließende Zeit bis zum 21. Oktober 1980 habe er in verschiedenen Kerkern und Lagern verbracht. Die Gefangennahme habe er darauf zurückgeführt, daß er sich zuvor geweigert habe, in Tripoli als Sprecher der in Syrien herrschenden Baath-Partei tätig zu sein. Weil er die Mitarbeit abgelehnt habe, sei er als politischer Gegner angesehen worden. Während seiner Gefangenschaft habe er die üblichen Foltermethoden erlebt. Schließlich habe die syrische Geheimpolizei seine Schwester und seinen Schwager davon unterrichtet, daß er sich in einem Militärgefängnis bei Damaskus befinde, weil er die syrische Armee beleidigt habe und "Angst in ihren Reihen" geschaffen habe. Seine Verwandten hätten dann mit der Zahlung von 96.000 libanesischen Pfund seine Freilassung erreicht. Nach seiner Freilassung habe er festgestellt, daß sein Telefon von den Syrern überwacht worden sei und syrische Agenten sein Haus beobachtet hätten. Daraufhin habe er sich erfolglos an die libanesische Staatsanwaltschaft und das libanesische UNO-Büro gewandt, um Schutz zu erhalten. Im November 1980 sei er zweimal von bewaffneten Leuten gefangengenommen, am selben Tag aber wieder freigelassen worden. Unterdessen sei seine Wohnung ausgeraubt worden. Im selben Monat habe er von der syrischen Geheimpolizei die Nachricht erhalten, daß er sich am 17. Dezember 1980 im Militärgericht in Damaskus einfinden solle, weil der "damalige Vorfall weiter untersucht werde". Daraufhin hätten ihm "friedliche Juristen" geraten, das Land zu verlassen. So sei er am 22. Dezember 1981 ausgereist und über Zypern und die DDR am 14. Januar 1981 in das Bundesgebiet eingereist.

Mit einem Bescheid vom 22. Juli 1981 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers mit folgender Begründung ab: Der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter. Im Libanon stünden rivalisierende Gruppen, Organisationen und ausländische Militärverbände einander gegenüber, so daß es dem Staat in den Kriegs- und Bürgerkriegswirren nicht möglich sei, Schutz im ausreichenden Maße zu gewähren. Diese Ausnahmesituation könne aber keinen Asylanspruch begründen. Außerdem sei die Zuflucht in einen anderen, außerhalb des Einflußbereichs des Verfolgers liegenden Landesteil zumutbar.

Daraufhin forderte die Ausländerbehörde den Kläger mit einem Bescheid vom 18. August 1981 auf, innerhalb eines Monats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides des Bundesamtes und dieses Bescheides das Bundesgebiet zu verlassen und drohte zugleich die Abschiebung an. - Beide Bescheide wurden dem Kläger am 19. August 1981 zugestellt.

Der Kläger erhob daraufhin am 18. September 1981 Klage.

Er beantragte, den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 22. Juli 1981 aufzuheben und das Bundesamt zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, den Bescheid des Landrats des Main-Kinzig-Kreises vom 18. August 1981 aufzuheben.

Die Beklagte zu 1) beantragte, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte zu 2) stellte keinen Antrag.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beteiligte sich in der ersten Instanz nicht an dem Verfahren.

Mit einem Urteil vom 16. Februar 1984 entschied das Verwaltungsgericht nach mündlicher Verhandlung, in welcher der Kläger weitere Angaben zu den Vorfällen vor seiner Ausreise aus dem Libanon machte, über die Klage.

Das Verwaltungsgericht hob den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes und den Bescheid der Ausländerbehörde auf und verpflichtete das Bundesamt, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen.

Zur Begründung führte das Gericht aus: Der Kläger sei vor seiner Ausreise aus dem Libanon in asylrechtlich erheblicher Weise verfolgt worden. An dieser Beurteilung ändere auch der Umstand nichts, daß die Verfolgungsmaßnahmen von staatlichen Organen Syriens und nicht des Libanon veranlaßt und durchgeführt worden seien. Denn der syrische Staat habe sich in den hier in Betracht kommenden Landesteilen Befugnisse des Staates Libanon angemaßt. Der Kläger könne auch nicht darauf verwiesen werden, in den übrigen Gebieten des Libanon, die nicht von Syrern besetzt seien, Schutz vor Verfolgung zu suchen. Bei den gegenwärtigen Verhältnissen im Libanon könne nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, daß dem Kläger auch in den übrigen Landesteilen des Libanon politische Verfolgungsmaßnahmen drohen könnten.

Das Verwaltungsgericht ließ die Berufung zu.

Gegen dieses Urteil, das ihm am 25. April 1984 zugestellt wurde, hat der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten am 25. Mai 1984 Berufung eingelegt. Er macht geltend: Die Anerkennung als Asylberechtigter im Bundesgebiet könne ein Ausländer nicht beanspruchen, dem zwar in Teilen seines bisherigen Aufenthaltslandes politische Verfolgung erstmalig oder wiederholt drohen könnte, der aber in anderen Teilen des Landes ohne Furcht vor politischer Verfolgung leben könne, für den damit eine sogenannte inländische Fluchtalternative bestehe. Diese Voraussetzungen lägen bei dem Kläger vor; denn er könne sich in Teilen des Landes aufhalten, die nicht von den Syrern kontrolliert würden. Dort brauche er auf absehbare Zeit mit asylrechtlich erheblichen Maßnahmen nicht zu rechnen, da es unwahrscheinlich sei, daß Syrien in absehbarer Zukunft den gesamten Libanon besetzen könnte. Auch nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Asylunerheblichkeit von Bürgerkriegsfolgen scheide hier ein Asylanspruch aus.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 16. Februar 1984, soweit es die Klage gegen die Beklagte zu 1) betrifft, aufzuheben und insoweit die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen,'

und begründet seinen Antrag ebenfalls.

Die Beklagte zu 1) hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt und sich auch nicht zur Sache geäußert.

Den Beteiligten des Berufungsverfahrens ist eine Liste der dem Senat zur Verwertung vorliegenden Erkenntnisquellen für den Libanon übersandt worden. Zugleich sind sie auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach Art. 2 § 5 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (EntlG) hingewiesen worden. Ihnen wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Anlagen zu diesen Schriftsätzen, die Niederschrift des Verwaltungsgerichts über die mündliche Verhandlung, das angefochtene Urteil und den Inhalt der beigezogenen Akte des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.

II

Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch im übrigen zulässige Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist nicht begründet. Da der Senat einstimmig dieser Ansicht ist und eine mündliche Verhandlung einstimmig nicht für erforderlich hält, kann er die Berufung gemäß Art. 2 § 5 Abs. 1 EntlG durch Beschluß zurückweisen, nachdem die Beteiligten des Berufungsverfahrens Gelegenheit hatten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Das Verwalturigsgericht hat der zulässigen Asylverpflichtungsklage, die allein Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, zu Recht stattgegeben. Die Beklagte zu 1) ist nach der hier maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen.

Asylrechtlichen Schutz genießt jeder, der im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat dort aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt wäre oder in diesem Land politische Repressalien zu erwarten hätte (BVerfG, Beschluß v. 2. Juli 1980 -1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 357>). Eine Verfolgung ist politisch im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des Betroffenen abzielt. Für den politischen Charakter einer staatlichen Verfolgungsmaßnahme kommt mithin der den Eingriffen zugrundeliegenden staatlichen Motivation entscheidende Bedeutung zu. Demgegenüber kann aus der Schwere der durch die Maßnahme verursachten Rechtsgutbeeinträchtigung allein das Vorliegen einer politischen Verfolgung nicht hergeleitet werden (BVerwG, Urteil v. 17.,Mai 1983 - BVerwG 9 C 36.83 - , BVerwGE 67, 184 188>) Bei der Feststellung der politischen Verfolgungsmotivation sind in besonderem Maße Erfahrungen und typische Geschehensabläufe zu berücksichtigen. Überdies ist es regelmäßig geboten, auf objektive Kriterien zurückzugreifen, die einen Rückschluß auf die subjektive Verfolgungsmotivation des Staates erlauben. Derartige objektive Kriterien können in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen im Heimatstaat des Asylbewerbers oder etwa in der Art und der praktischen Handhabung der im Rahmen der Verfolgung zur Anwendung gelangenden Sanktionsnormen liegen (BVerwG, Urteil v. 17. Mai 1983 - BVerwG 9 C 874.82-, BVerwGE 67, 195, 198 bis 200).

Werden durch die staatliche Maßnahme nicht Leib, Leben oder die physische Freiheit des Betreffenden gefährdet, sondern andere Rechtsgüter beeinträchtigt, so sind diese Eingriffe nur dann asylrelevant, wenn sie nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, a.a.0.).

Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG setzt eine gegenwärtige Verfolgungsbetroffenheit voraus (BVerfG, a.a.O., Seiten 359, 360). Dem Asylbewerber muß deshalb politische Verfolgung bei verständiger Wür-digung aller Umstände seines Falles mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit drohen, so daß es ihm nicht zumutbar ist, in sein Heimatland zurückzukehren. Hierbei ist auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen, wobei es einer über einen absehbaren Zeitraum ausgerichteten Prognose der sich für den Asylbewerber im Heimatstaat ergebenden Verfolgungssituation bedarf BVerwG, Urteil v. 24. April 1979.- BVerwG 1 C 49.77 -, Buchholz 402.24, § 28 AuslG Nr. 13; Urteil v. 31. März 1981 - BVerwG 9 C 286.80 - EZAR 200 Nr. 3).

Ein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt für diejenigen Asylantragsteller, die schon in ihrer Heimat politisch verfolgt wurden, die insbesondere bereits Opfer politisch motivierter Repressalien waren oder jedenfalls gute Gründe hatten, solche Repressalien als konkret bevorstehend zu befürchten. Diese Personen sind schon dann als Asylberechtigte anzuerkennen, wenn an ihrer Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei Rückkehr in den Heimatstaat ernsthafte Zweifel verbleiben (BVerfG, a.a.O.; BVerwG,. Urteil v. 25. September 1984.- BVerwG 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169).

Ein strenger Maßstab ist demgegenüber sowohl in materieller.Hinsicht als auch was die Darlegungslast und die.Beweisanforderungen anbelangt, dann anzulegen, wenn sich der Asylbewerber auf Verfolgungsgründe beruft, die er nach Verlassen des Heimatstaates aus eigenem Entschluß geschaffen hat (sogenannte selbstgeschaffene Nachfluchttatbestände). Diese subjektiven Nachfluchtgründe sind wegen des Fehlens des von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich vorausgesetzten kausalen Zusammenhanges zwischen Verfolgung und Flucht.überdies nur in eng begrenzten Ausnahmefällen überhaupt asylrechtlich relevant (BVerfG, Beschluß v. 26. November 1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51). Eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unerheblichkeit subjektiver Nachfluchtgründe ist dabei dann anzuerkennen, wenn sich der Ausländer bei Vornahme seines Verfolgung auslöenden Nachfluchtverhaltens in einer ausweglosen Lage befunden hat bzw. - bei exilpolitischer Betätigung - sich diese politische Betätigung als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellt (BVerwG, Urteil v. 30. August 1988 - BVerwG 9 C 80.87 -, BVerwGE 80, 131; BVerfG, Beschluß v. 26. November,1986, a.a.O., Seite 66).

Der Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht gehalten, von sich aus die in seine eigene Sphäre fallenden tatsächlichen Umstände substantiiert und in sich stimmig zu schildern sowie eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen, so daß sein Vortrag insgesamt geeignet ist, den Asylanspruch lückenlos zu tragen und insbesondere auch eine politische Motivation der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen. Bei der Daristellung der allgemeinen Umstände im Heimatland genügt, es dagegen, daß die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, Urteil v. 23. November 1982 - BVerWG 9 C 74.81 -, EZAR 630 Nr. 1). Ungeachtet dessen muß sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschaffen, hat dabei allerdings den sachtypischen Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Heimatland bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrages und der Beweise angemessen zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil v. 16. April 1985 - BVerwG 9 C 109.84 -, BVerwGE 71, 180 ff.).

Aufgrund der Angaben des Klägers im gesamten Asylverfahren ist der Senat zu der Auffassung gelangt, daß der Kläger die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG erfüllt. Dabei ist für die Zeit bis zur Ausreise des Klägers aus dem Libanon nach der Überzeugung des Senats von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Im Februar 1980 wurde der Kläger in seinem Wohnort Tripoli auf offener Straße von Männern der syrischen Geheimpolizei ergriffen und gefangengenommen. Anschließend befand er sich bis zum 21. Oktober 1980 an verschiedenen Orten im Gewahrsam syrischer Stellen, unter anderem auch in einem syrischen Militärgefängnis bei Damaskus. Dabei wurde der Kläger mehrfach verhört und auch geschlagen. Im Oktober 1980 wurde er freigelassen, nachdem sein Schwager einen größeren Geldbetrag gezahlt hatte. Als der Kläger im folgenden Monat von syrischen Geheimpolizisten die Nachricht erhalten hatte, daß er sich am 17. Dezember 1980 im Militärgericht in Damaskus einfinden sollte, weil der "damalige Vorfall weiter untersucht werde", verließ er seine Heimat, ohne sich dem Militärgericht zu stellen.

Dieser Sachverhalt ergibt sich aus dem in den entscheidenden Punkten übereinstimmenden Vorbringen des Klägers in der Begründung seines Asylantrags, bei der Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und bei seiner Anhörung,durch das Verwaltungsgericht. Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger in den dargestellten entscheidenden Punkten die Unwahrheit gesagt haben könnte, sind nicht erkennbar.

Auf der Grundlage dieses Sachverhalts ist davon auszugehen, daß der Kläger bereits im Libanon politisch verfolgt war. Diese Verfolgung bestand in der Gefangennahme durch die syrische Geheimpolizei und in der Haft für etwa acht Monate. Sie ist als politische Verfolgung im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG zu werten, obwohl sie nicht von dem libanesischen Staat ausging, sondern durch syrische Organe erfolgte und obwohl im Libanon in der fraglichen Zeit ein Bürgerkrieg herrschte, der auch gegenwärtig noch andauert.

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung, welcher der Senat folgt, ist anerkannt, daß eine politische Verfolgung im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG auch dann vorliegen kann, wenn die Repressalien nicht von der Staatsgewalt, sondern von Dritten ausgehen und der Staat zur Schutzgewährung entweder nicht bereit ist oder wenn er sich nicht in der Lage sieht, die ihm an sich verfügbaren Mittel im konkreten Fall gegenüber Verfolgungsmaßnahmen bestimmter Dritter einzusetzen (vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - , BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1986 - BVerwGE 9 C 104.85 BverwGE 74, 41, 43).

In dem hier fraglichen Zeitraum im Jahr 1980 war der libanesische Staat entweder nicht zur Schutzgewährung bereit, oder er sah sich nicht in der Lage, die ihm an sich verfügbaren Mittel gegenüber Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Kräfte einzusetzen.

Davon ist der Senat aufgrund der Angaben des Klägers, des Berichts des Auswärtigen Amts an die Bundesminister des Innern und der Justiz vom 22. September 1986, der weiteren Lageberichte des Auswärtigen Amts über den Libanon vom 2. November 1988 und 25. April 1989 sowie der Auskunft von amnesty international an das Verwaltuagsgericht Ansbach vom 9. März 1989 überzeugt. So hat der Kläger glaubhaft angegeben, er habe sich nach seiner Entlassung aus dem syrischen Gewahrsam im Oktober 1980 vergeblich an den libanesischen Staatsanwalt um Hilfe gewandt. Dieser habe sich nicht einmal die Mühe gemacht, seine Klage notieren zu lassen. Dem entspricht es, wenn es in dem Bericht des Auswärtigen Amts an die Bundesminister des Innern und der Justiz vom 22. September 1986 heißt: Der libanesische Staat sei nicht in der Lage, seinen Bürgern Schutz gegenüber Maßnahmen der Besatzungsmächte zu gewähren. Der Li banon sei nach elfjährigem Bürgerkrieg in einzelne Regionen zerfallen. Dabei werde die Nordwestregion mit der Stadt Tripoli von den Syrern besetzt gehalten. - Diese Einschätzung wird in den weiteren genannten Lageberichten des Auswärtigen Amts wiederholt. Auch in der Auskunft von amnesty international an das Verwaltungsgericht Ansbäch vom 9. März 1989 heißt es, die syrischen Sicherheitskräfte beherrschten die Stadt Tripoli.

Ob die Verfolgung durch nicht dem Heimatstaat zugeordnete Stellen als politische Verfolgung zu werten ist, richtet sich nicht nach den Gründen für die staatliche Untätigkeit, sondern nach der Motivation der verfolgenden Organe (vgl. BVerwG, Beschluß vom 14. März 1984 - BVerwG 9 B 412.83 - Buchholz, Sammel-und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 402.25, Nr,. 20 zu § 1 AsylVfG). Hier kommt es folglich darauf an, aus welchen Gründen die syrischen Organe den Kläger im Februar 1980 ergriffen und ihn dann etwa acht Monate gefangen lelten.

Aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers ist der Senat davon überzeugt, daß die syrischen Stellen den Kläger als politischen Gegner ansahen und deshalb zu Repressalien griffen. So hat der Kläger glaubhaft angegeben, die in Syrien herrschende Baath-Par-tei sei mehrmals an ihn herangetreten und habe ihn aufgefordert, in Tripoli für sie als ihr Sprecher tätig zu sein. Dies habe er bgelehnt, weil er die Syrer als Besatzungsmacht angesehen habe. Danach sei er dann im Februar 1980 ergriffen und in Haft genomen worden.

Zwar hat der Kläger weiter angegeben, man habe ihn später beschuldigt, die syrische Armee beleidigt zu haben und Angst in ihren Reihen geschaffen zu haben. Auch ist dieser Vorwurf offenbar in dem syrischen Haftbefehl vom 29. März 1980 und dem Schreiben des syrischen militärischen Haftrichters vom 13. Mai 1980 enthalten, die der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgelegt hat. Doch ist aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen der Weigerung des Klägers, für die Baath-Partei tätig zu sein, und seiner Verhaftung und weiterhin aus dem Umstand, daß der Kläger auch nach der Entlassung durch den militärischen Haftrichter noch weitere fünf Monate gefangen gehalten wurde, zu schließen, daß für die Repressalien die Anhahme entscheidend war, der Kläger sei ein politischer Gegner.

Da der Kläger mit den Repressalien als einzelner wegen seiner abweichenden politischen Auffassung getroffen werden sollte, ist hier eine politische Verfolgung im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG anzunehmen, obwohl im Libanon damals ein Bürgerkrieg herrschte, der auch gegenwärtig noch andauert.

Daß auch unter Bürgerkriegsverhältnissen im Einzelfall eine politische Verfolgung vorliegen kann, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, welcher der Senat auch hier folgt, anerkannt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1989 - BVerwG 9 C 44.88 -, BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1989 a.a.O.). Dabei ist eine politische Verfolgung dann zu bejahen, wenn durch die Repressalien auch auf die politische Überzeugung des Betroffenen zugegriffen werden soll, wenn bereits diese Überzeugung als zu bekämpfende Gefahr angesehen wird. Ein solcher Sachverhalt Ist hier anzunehmen.

Dem Kläger war es nach der Entlassung aus dem syrischen Gewahrsam im Oktober 1980 auch nicht zuzumuten, einer Fortsetzung oder Wiederholung der Verfolgung dadurch zu entgehen, daß er in einen anderen Teil des'Libanon zog, anstatt das Land zu verlassen. Denn entgegen der Annahme in dem Bescheid des Bundesamts vom 22. Juli 1981 und in der Berufungsbegründung bestand damals (und besteht auch gegenwärtig) keine sogenannte inländische Fluchtalternative.

Aus den bereits genannten Lageberichten des Auswärtigen Amts, der ebenfalls genannten Auskunft von amnesty international an das Verwaltungsgericht Ansbach vom 9. März 1989 und der weiteren Auskunft von amnesty international an das Verwaltungsgericht Ansbach vom 16. Januar 1990 ergibt sich, daß Syrien bereits vor der Flucht des Klägers den überwiegenden Teil des Libanon kontrollierte und seither darum bemüht war, seinen Einflußbereich im Libanon zu erweitern. Der Kläger konnte deshalb, als er sich zur Flucht entschloß, nicht sicher sein, er werde in einem anderen Teil des Landes auf absehbare Zeit vor dem Zugriff syrischer Kräfte geschützt sein.

Nachdem der Kläger bereits im Jahre 1980 Opfer politisch motivierter Repressalien war, muß er befürchten, daß er, wenn er jetzt in seine Heimat zurückkehrt, wiederum aus politischen Gründen verfolgt wird. Dafür spricht, daß nach den genannten Erkenntnisquellen die syrischen Kräfte noch immer den überwiegenden Teil des Libanon kontrollieren und zu Repressalien gegen politisch Andersdenkende greifen, so daß an einer künftigen Sicherheit des Klägers vor politischer Verfolgung ernsthafte Zweifel verbleiben.

Auch gegenwärtig ist - insbesondere nach der neueren Auskunft von amnesty international an das VerwaltungsgerichtAnsbach vom 16. Januar 1990 - eine inländische Fluchtalternative zu verneinen.

Der Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter steht schließ-lich die Vorschrift des § 2 AsylVfG nicht entgegen. Denn der Tatbestand dieser Bestimmung ist nicht erfüllt. Der Kläger war seit seiner Flucht aus dem Libanon in keinem anderem Staat vor politische Verfolgung sicher. Während des Zwischenaufenthalts des Klägers auf Zypern, der etwa drei Wochen dauerte, war die Flucht noch nicht beendet. In der DDR hielt der Kläger sich nur wenige Stunden auf.

Da der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten mit seiner Berufung keinen Erfolg hat, hat er nach § 154 Abs. 2 VwG0 die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat mit seiner Entscheidung nicht von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes a.F. i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes n.F..

Die Streitwertfestsetzung ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 2 Satz 2 GKG).

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