Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24.11.1992 - BVerwG 9 C 70.91
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Date:
24 November 1992
Bundesverwaltungsgericht
Urteil vom 24.11.1992 - BVerwG 9 C 70.91
Leitsatz des Gerichtes:
Zum politischen Charakter einer Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung (hier: nach der Resolution des irakischen »Revolutionären Führungsrates« Nr. 1370 vom 2. Januar 1984).
Sachverhalt: Der Kläger, ein irakischer Staatsbürger, begehrt in der Bundesrepublik Deutschland politisches Asyl. Er beruft sich unter anderem auf die ihm bei Rückkehr in den Irak drohende Todesstrafe wegen Wehrdienstentziehung. Der Antrag wurde vom Bundesamt abgelehnt. Die Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hob die erstinstanzliche Entscheidung auf und wies die Klage ab. Aufgrund der Revision verpflichtete das Bundesverwaltungsgericht das Bundesamt festzustellen, daß der Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AusIG erfüllt.
Aus den Gründen:
»Die Revision ist, soweit es um die begehrte Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter geht, unbegründet. Zwar hat das Berufungsgericht dadurch, daß es der dem Kläger drohenden Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung den politischen Charakter abgesprochen hat, Bundesrecht verletzt; die angefochtene Entscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwG0). Hingegen hat das Begehren auf Verpflichtung der Beklagten zu der Feststellung, daß der Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG erfüllt, Erfolg.
Der Kläger ist nicht als Verfolgter aus dem Irak ausgereist. Als er im Frühjahr 1982 den Irak verließ, um in Sarajevo ein Studium aufzunehmen, drohte ihm ausweislich der - das Bundesverwaltungsgericht nach § 137 Abs. 2 VwG0 bindenden - tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts seitens der irakischen Behörden weder politische Verfolgung noch hatte er solche bereits erlitten. Die Verweigerung eines Studienplatzes im Inland bei Ermöglichung eines Studiums im Ausland war keine Verfolgung, weil der damit zugefügte Nachteil aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen der erforderlichen Schwere ermangelt. Für die Frage, ob der Kläger als (Vor-) Verfolgter ausgereist ist, muß auf etwaige ihm im Irak drohende oder widerfahrende Übergriffe abgestellt werden, denn Ausreise im Sinne der Merkmale des asylrechtlichen Anspruchssystems war seine Ausreise aus dem Irak im Frühjahr 1982, nicht aber der Weggang aus dem ehemaligen Jugoslawien im Herbst 1985. Bereits durch das Verlassen des Iraks gelangte der Kläger aus der - zur politischen Verfolgung befähigenden - Gebietsgewalt seines Heimatstaates hinaus (vgl. dazu Urteil vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 41.91 - BVerwGE 89,171). Die Pressionen, die von den irakischen Auslandsbehörden auf den Kläger während seines Aufenthalts im ehemaligen Jugoslawien ausgeübt wurden, entsprangen nicht der Gebietsgewalt seines Heimatstaates. Soweit das ehemalige Jugoslawien an diesen Pressionen mitwirkte, steht dieses Verhalten nicht einem Handeln des Heimatstaates gleich. Der Senat hat eine solche Gleichstellung angenommen bei einem Staat, der als politische und ideologische Vormacht über einem nachgeordneten Satellitenstaat gegen dessen Bürger tätig wird; er hat diese Konstellation im Verhältnis der früheren Sowjetunion zu Äthiopien, als dieses Land unter kommunistischer Herrschaft stand, angenommen (vgl. urteil vom 4. Dezember 1990 - BVerwG 9 C 93.90 - BVerwGE 9 C 93.90 - BVerwGE 87,187). Zwischen dem ehemaligen Jugoslawien und dem Irak hat aber ein derartiges Verhältnis zu keiner Zeit bestanden. Als unverfolgt Ausgereister kann der Kläger mithin nur aufgrund eines Nachfluchttatbestandes asylberechtigt sein. Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, der Kläger habe dadurch, daß er nicht spätestens im August 1985 zur Leistung des Militärdienstes in den Irak zurückgekehrt sei, eine strafbare Wehrdienstentziehung begangen, und er habe deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die im Beschluß des irakischen Revolutionsrates Nr. 1370 vom 2. Januar 1984 vorgesehene Bestrafung mit dem Tode oder mit langjährigem Freiheitsentzug unter unmenschlichen Haftbedingungen zu erwarten. Die vom Verwaltungsgerichtshof getroffenen weiteren Feststellungen tatsächlicher Art ergeben bei zutreffender rechtlicher Würdigung ferner, daß die im Irak für Wehrdienstflucht angedrohte Strafe nicht, wie der Verwaltungsgeselbst angegeben hat, hat die Polizi die Angreifer vertrieben, das haus und die Umgebung in der Folgezeit gesichert und neuen Übergriffen erfolgreich vorgebeugt.
Eine der Klägerin vor ihrer Ausreise widerfahrene Verfolgung liegt schließlich auch nicht darin, daß sie damals unter der Geltung der im April 1984 eingeführten Sektionen 298 B und 298 C des Pakistanischen Strafgesetzbuches (PPC) und damit unter der Geltung Von Rechtsvorschriften hat leben müssen, die bestimmte Formen der Ausübung des Glaubens der Ahmadis mit Strafe bedrohen. Zwar läßt die Erklärung eines bestimmten Verhaltens als strafbar durch Schaffung eines entsprechenden Straftatbestandes durch den staatlichen Gesetzgeber eine jedermann treffende Pflicht zum Unterlassen des damit verbotenen Verhaltens entstehen; ist Gegenstand der auf diese Weise erzwungenen Unterlassung eine asylrechtlich geschützte Glaubensbetätigung, so stellt grundsätzlich bereits die Existenz der Strafnorm politische Verfolgung dar (vgl. etwa Urteil vom 25, Oktober 1988 - BVerwG 9 C 37.88 - BVerwGE 80, 321,= InfAusIR 1989,167). Dennoch rechtfertigt im vorliegenden Fall allein das InGeltung-Stehen der Sektionen 298 B und 298 C PPC bereits während des Aufenthalts der Klägerin in Pakistan nicht den Schluß, daß die Klägerin damals aufgrund der Existenz dieser strafbewehrten Verbotsnormen von religiöser Verfolgung betroffen war. Vielmehr läßt sich nach den weiteren tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ausschließen, daß die Existenz des Berufungsgerichts der Strafbestimmungen keine religiöse Verfolgung der Ahmadis dargestellt hat.
Grund hierfür ist allerdings nicht, daß den Ahmadis durch die Sektionen 298 B und 298 C PPC - wie der Beteiligte meint - nur der Verzicht auf solche Glaubensbetätigungen abverlangt wird, die nicht zu dem durch Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG geschützten internen Bereich der Religionsausübung gehören. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs verbieten die Sektionen 298 B und 298 C PPC den Ahmadis nämlich auch die Religionsausübung im internen Bereich. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Bereich definiert als den für die Gewährleistung des religiösen Existenzminimums und des Kerns der Religionsfreiheit unverzichtbaren internen Bereich der religiösen Gemeinschaft, nämlich die Religionsausübung im häuslich - privaten Bereich sowie das Gebet und den Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf (BVerfGE 76, 143 = InfAuslR 1988, 87). Daß die Strafvorschriften auch den internen Bereich erfassen, entnimmt der Verwaltungsgerichtshof vorrangig dem Fehlen jeglichen Hinweises sowohl im Text und im Regelungszusammenhang der Vorschriften als auch in den Darlegungen des Bundes-Shariat-Gerichts im Urteil vom 28. Oktober 1984 darauf, daß generell und auch bezüglich der Anwendbarkeit dieser Strafbestimmungen zwischen dem forum internum und dem ferum externum differenziert werden muß (in diesem Sinne auch Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 23. September 1991 - 2 BvR 1350/89, 2 BvR 1352/89 -). Gegen diese Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs zum Inhalt des ausländischen Rechts haben die Parteien keine Rügen erhoben. Deshalb ist auch der Frage nicht weiter nachzugehen, ob das Schweigen des pakistanischen Gesetzes und des Bundes-Shariat-Gerichts hierzu in der Tat in diesem Sinne zu verstehen ist oder sich nicht aus der Unanwendbarkeit der Kategorien >forum internum und forum externum auf die Religionsausübung eines Moslems erklärt.
Eine Verfolgung durch die bezeichneten Strafbestimmungen läßt sich den Feststellungen des Berufungsgerichts jedoch deshalb nicht entnehmen, weil das Berufungsgericht die Rechtspraxis in Pakistan nicht ausreichend berücksichtigt hat. Es läßt sich nicht ausschließen, daß die Sektionen 298 B und 298 C PPC keinen Verfolgungscharakter aufweisen, weil sie, mögen sie auch geltendes praktisches Recht sein, nicht eine Zwangs- und Nötigungswirkung entfalten, aufgrund derer sich die Ahmadis zum Verzicht auf asylrechtlich geschützte Glaubensbetätigungen veranlaßt sehen müssen. Zwar ist es - nach westlichem Verständnis - gerade Merkmal einer Strafnorm, das in ihrem Tatbestand beschriebene Verhalten zu einem jedermann grundsätzlich verbotenen Tun zu machen und auf diese Weise die Rechtsunterworfenen in ihrem Verhalten zu bestimmen. Das gilt aber nur für Staaten, deren rechtliche und soziale Ordnung vor allem anderen auf der vorbehaltlosen Verbindlichkeit und Maßgeblichkeit des Gesetzes gegründet ist, nicht hingegen für solche Staaten, in denen sich die Grenzen menschlicher Betätigungsfreiheit einerseits sowie Inhalt und Reichweite der Verpflichtungen des einzelnen gegenüber Staat und Gesellschaft andererseits gleichrangig oder sogar vorrangig aus sonstigen Äußerungen staatlicher oder religiöser Autoritäten ergeben. Handelt ein Staat bei Bewältigung eines Sachverhalts, der vom Gesetz in bestimmter Weise geregelt ist, nicht einmal im Prinzip gemäß der Gesetzesvorschrift, sondern folgt er sonstigen Anordnungen oder Vorgaben, so steht hinter der Gesetzesbestimmung ungeachtet ihrer formalen Geltung kein staatlicher Wille, in jedem Fall nach ihr zu verfahren und sie durchzusetzen. Verhält sich ein Staat über längere Zeit so, verliert die Norm weitgehend ihre verhaltensbestimmende Wirkung. Die Furcht, von der in der Norm vorgesehenen Strafe getroffen zu werden, schwindet bei den Rechtsunterworfenen, das in der Norm ausgesprochene Verbot wird nicht mehr als zwingend auferlegt angesehen, die Passivität des Staates, seine Hinnahme und Tolerierung des an sich Verbotenen, beraubt die Norm ihres verpflichtenden Charakters und damit ihrer als Zwang empfundenen Wirkung.
Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellung des Berufungsgerichts zur Praxis der pakistanischen Strafgerichte liegt die Annahme nicht fern, daß den Gesetzesbestimmungen der Sektionen 298 B und 298 C PPC - ungeachtet ihrer tatbestandsmäßigen Anwendbarkeit auf die Ausübung des Ahmadi-Glaubens im privaten Bereich - die Wirkung, den einzelnen Ahmadi von der Ausübung seines Glaubens auch im Privatbereich abzuhalten, gänzlich abgeht, weil der pakistanische Staat die interne Glaubensausübung der Ahmadis in aller Regel nicht bestraft, sondern toleriert. Zwar hat das Berufungsgericht ausgeführt, die genannten Strafbestimmungen seien tatsächlich auch in solchen Fällen angewandt worden, in denen es ausschließlich um religiöse Betätigung im Privatbereich gegangen sei. Wegen dieser Verurteilungen bezieht sich das Berufungsgericht auf sein Urteil vom 1. Februar 1990 - A 12 S 183/89 - In diesem Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof zum Beleg dafür, daß religiöse Betätigungen im internen Bereich bestraft werden, zum einen auf eine Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 14. Dezember 1989 Bezug genommen. Von den in dieser Auskunft ausgeführten Verurteilungen bezeichnet der Verwaltungsgerichtshof >jedenfalls eine als eine Bestrafung wegen Glaubensausübung im privaten Bereich (S. 16 des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 1. Februar 1990 - A 12 S 183/89 -). Zum anderen beruft sich der Verwaltungsgerichtshof auf zahlreiche.Vorfälle strafrechtlicher Maßnahmen, wie sie der Senat in seinem Urteil vom 13. Juli 1989 - A 12 S 181/89 - geschildert hat. Die im Urteil vom 13. Juli 1989 genannten Strafverfahren betrafen allerdings ganz überwiegend Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit, nur einige wenige der mehreren hundert Verfahren hatten eine eindeutig dem Privatbereich zugehörige Religionsausübung zum Gegenstand. Danach hat es trotz der seit nunmehr acht Jahren bestehenden Strafbarkeit der Ausübung des Glaubens der Ahmadis im Privatreich und trotz der in die Tausende gehenden Gottesdienste und sonstigen religiösen Zusammenkünfte im Privatbereich, welche die vier Millionen in Pakistan lebenden Ahmadis mit Wissen ihrer moslemischen Umwelt und unter den Augen der Polizei täglich veranstalten, nur einige wenige Bestrafungen wegen Religionsausübung im Privatbereich gegeben. Dann aber liegt die Annahme nahe, daß dies seinen Grund nicht etwa in Beweisschwierigkeiten der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte, sondern darin hat, daß die pakistanischen Strafgerichte die Sektionen 298 B und 298 C PPC in aller Regel nicht auf die Glaubensbetätigung der Ahmadis im forum internum anwenden. Dies würde bedeuten, daß nach der Rechtsanwendungspraxis der pakistanischen Gerichte die Religionsausübung der Ahmadis im privaten und im nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich vom pakistanischen Staat toleriert wird. Wäre es so, läge in der Existenz der Sekuonen 298 B und 298 C PPC ungeachtet ihrer tatbestandsmäßigen, Anwendbarkeit auch auf die Ausübung des Glaubens der Ahmadis im forum internum kein Verfolgungseingriff. Das Berufungsgericht hat dem Umstand, daß Bestrafungen wegen interner Glaubensbetätigung nach den Sektionen 298 B und 298 C PPC bisher nur in verschwindend geringer Zahl festzustellen sind, keine rechtliche Bedeutung beigelegt und infolgedessen auch nicht geprüft, worin diese geringe Zahl von Verurteilungen ihren Grund hat. Diese Prüfung hat es nunmehr nachzuholen. Kommt es dabei zu dem Ergebnis, daß die Sektionen 298 B und 298 C PPC in der Rechtsanwendungspraxis der Pakistanischen Strafgericgte bis zur Ausreise der Klägerin in aller Regel nicht als Grundlage für eine Bestrafung der Glaubensausübung der Ahmadis im Privatbereich herangezogen worden sind und stellt es weiter fest, daß diese Praxis auch heute noch vorherrscht, so ist die Klägerin nicht asylberechtigt und es steht ihr auch kein Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuskG zu.«
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