Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Januar 1993 i.S. Dr. S. gegen Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
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Date:
29 January 1993
119 Ia 35
Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Januar 1993 i.S. Dr. S. gegen Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
[Facts]
A.-
Dr. S., polnische Staatsangehörige, kam 1982 als Flüchtling in die Schweiz und erhielt 1987 die Niederlassungsbewilligung. Am 22. Dezember 1987 erteilte ihr das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft gestützt auf die bestandene Fähigkeitsprüfung die Bewilligung (Befähigungsausweis) zur Ausübung der Advokatur im Kanton Basel-Landschaft. Am 19. Februar 1988 gewährte ihr auch das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt die Bewilligung zur Ausübung der Advokatur in diesem Kanton, und am 12. Dezember 1990 erhielt sie (nach Ergreifung eines kantonalen Rechtsmittels, ZBl 92/1991, S. 207 ff.) die entsprechende Bewilligung im Kanton Aargau. Am 25. Februar 1992 stellte Dr. S. das Gesuch um Erteilung der Bewilligung zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs im Kanton Zürich. Mit Beschluss vom 15. April 1992 wies das Obergericht des Kantons Zürich dieses Gesuch ab, mit der Begründung, Dr. S. könne als ausländische Staatsangehörige die Bewilligung zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes nicht erlangen. Zur Begründung verwies das Obergericht auf § 1 in Verbindung mit § 3 des Anwaltsgesetzes des Kantons Zürich vom 3. Juli 1938, wonach das Schweizerbürgerrecht Voraussetzung für die Ausübung des Anwaltsberufs ist, sowie auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts, welche das Erfordernis der schweizerischen Staatsangehörigkeit als mit der Verfassung vereinbar erachtet (BGE ff.). Mit Eingabe vom 26. Mai 1992 hat Dr. S. staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht erhoben. Das Bundesgericht heisst diese gut aus folgenden Erwägungen:[Consideration 1]
1. -Die Beschwerdeführerin macht vorab eine Verletzung der Freizügigkeitsgarantie von Art. 5 ÜbBest. BV geltend. Diese Bestimmung steht im Zusammenhang mit Art. 33 BV. Nach dessen Abs. 1 ist den Kantonen anheimgestellt, die Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten von einem Ausweise der Befähigung abhängig zu machen; gemäss Abs. 2 ist auf dem Wege der Bundesgesetzgebung dafür zu sorgen, dass derartige Ausweise für die ganze Eidgenossenschaft gültig erworben werden können. Solange eine solche bundesrechtliche Regelung fehlt, und so verhält es sich für den Anwaltsberuf bis heute, soll gemäss Art. 5 ÜbBest. BV der in einem Kanton erlangte Befähigungsausweis zur Berufsausübung in der ganzen Eidgenossenschaft berechtigen. Diese Freizügigkeitsgarantie erstreckt sich nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auf die beruflichen Fachkenntnisse, belässt den Kantonen aber die Kompetenz zu prüfen, ob die nach ihren Vorschriften erforderlichen weiteren Voraussetzungen für die Zulassung zum Anwaltsberuf erfüllt sind (BGE 80 I 151 E. 1, mit Hinweisen). Unzulässig ist es unter dem Gesichtspunkt von Art. 5 ÜbBest. BV nur, eine weitere theoretische oder praktische Prüfung zu verlangen, oder, was dem Sinn der Freizügigkeit direkt entgegenstehen würde, die Bewilligung für ausserkantonale Anwälte von Voraussetzungen abhängig zu machen, welche deren Berufsausübung in unzumutbarer Weise erschweren. So verhält es sich etwa dann, wenn dauerhafte örtliche Beziehungen zum Kantonsgebiet verlangt werden (BGE 80 I 151 E. 3 mit Hinweisen) oder die Erteilung der Bewilligung im Einzelfall mit der Verpflichtung verbunden wird, armenrechtliche Fälle zu übernehmen (BGE 67 I 335 ).
Vorliegend stellt das Obergericht nicht in Frage, dass die Beschwerdeführerin über den erforderlichen Fähigkeitsausweis verfügt. Die Erteilung der Bewilligung wird auch nicht von einer anderen Voraussetzung abhängig gemacht, welche die Freizügigkeit im dargestellten engeren Sinn tangiert. Das Obergericht hat die Bewilligung vielmehr deshalb verweigert, weil die Beschwerdeführerin nicht über das Schweizerbürgerrecht verfügt. Ob dies verfassungsrechtlich zulässig sei, misst sich an der Handels- und Gewerbefreiheit.
[Consideration 2]
2. -Nach der früheren bundesgerichtlichen Rechtsprechung konnte sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit nur berufen, wer Schweizerbürger ist (BGE 55 I 223 E. 1; 48 I 285 E. 1; 47 I 50 E. 1). Der Ausländer war damit vom persönlichen Schutzbereich des Grundrechts ausgenommen. In BGE hat das Bundesgericht diese Praxis dahin präzisiert, dass sich der Ausländer auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen könne, soweit er nicht gerade wegen seiner Ausländerqualität besonderen wirtschaftspolizeilichen Einschränkungen unterworfen sei. Der Ausländer konnte somit Grundrechtsträger sein, hingegen blieben ausländerspezifische Einschränkungen der privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit, auch und gerade auf Grundlage kantonaler Gesetzgebung, generell vom Schutz durch die Handels- und Gewerbefreiheit ausgenommen.
Dies erachtete das Bundesgericht in einem Urteil vom 12. Oktober 1990 als problematisch, weil damit der Geltungsbereich eines verfassungsmässigen Rechts nicht durch die Bundesverfassung selbst, sondern durch die jeweilige kantonale Gesetzgebung bestimmt würde. Das Bundesgericht konkretisierte daher den Schutzbereich der Handels- und Gewerbefreiheit im Lichte der Verfassung, wobei es auf Art. 69ter BV abstellte, wonach die Gesetzgebung über Ein- und Ausreise, Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer dem Bunde zusteht. Das Bundesgericht kam zum Schluss, diese Verfassungsbestimmung lasse mit ihrer demographischen und arbeitsmarktpolitischen Zielsetzung für einen grundrechtlichen Schutz privatwirtschaftlicher Erwerbstätigkeit bei Anwendung des Fremdenpolizeirechts keinen Raum. Es bestehe anderseits aber kein verfassungsrechtlicher Grund, dem Ausländer, der über eine Niederlassungsbewilligung verfügt und deshalb hinsichtlich seiner Erwerbstätigkeit keinerlei fremdenpolizeilichen Schranken unterliegt, die Berufung auf die Handels- und Gewerbefreiheit zu verweigern (BGE E. 2).
Die Beschwerdeführerin, die im Besitz der Niederlassungsbewilligung ist, kann damit geltend machen, die Nichterteilung der Berufsausübungsbewilligung im Kanton Zürich verstosse gegen die Handels- und Gewerbefreiheit. Ob es zulässig ist, sie als Ausländerin von der Ausübung des Anwaltsberufs auszuschliessen, ist Frage der materiellen Beurteilung. Zu prüfen ist, ob diese Einschränkung der Erwerbstätigkeit, welche sich nicht auf das Fremdenpolizeirecht des Bundes stützt, vor der Handels- und Gewerbefreiheit standhält, d.h. ob sie auf gesetzlicher Grundlage (im kantonalen Recht) beruht, im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist.
[Consideration 3]
3. -a) Die Erteilung des Fähigkeitszeugnisses auf Grund der zürcherischen Rechtsanwaltsprüfung bzw. der Berufsausübungsbewilligung gestützt auf einen ausserkantonalen Ausweis ist im Kanton Zürich an die Voraussetzung des Schweizerbürgerrechts geknüpft (§ 1 und § 3 Anwaltsgesetz). Die gesetzliche Grundlage für die Verweigerung der Bewilligung ist damit gegeben und wird von der Beschwerdeführerin auch nicht in Zweifel gezogen. Sie macht vielmehr geltend, für den Ausschluss von Ausländern vom Anwaltsberuf lasse sich kein überwiegendes öffentliches Interesse namhaft machen.
b)Dazu hat das Bundesgericht im zitierten Urteil vom 12. Oktober 1990, wo die Nichtzulassung eines deutschen Staatsangehörigen zur bernischen Fürsprecherprüfung angefochten war, Stellung genommen. Dabei musste die Ausweitung des Geltungsbereichs der Handels- und Gewerbefreiheit zur Folge haben, dass das Bürgerrechtserfordernis nicht mehr - wie zuvor noch unter dem Gesichtswinkel von Art. 4 BV (Urteil vom 24. Februar 1984, in ZBl 85/1984 S. 460) - mit dem Schutz der einheimischen Anwälte vor ausländischer Konkurrenz gerechtfertigt werden konnte. Die Handels- und Gewerbefreiheit verbietet den Kantonen gerade wirtschafts- und standespolitische Massnahmen, die der Abschirmung vor Konkurrenz dienen.
c)Dennoch hat das Bundesgericht ein überwiegendes öffentliches Interesse am Ausschluss ausländischer Staatsangehöriger vom Anwaltsberuf anerkannt. Es hat dabei auf die berufsnotwendige enge Vertrautheit des Anwalts mit den Verhältnissen des Landes hingewiesen, sodann darauf, dass der Anwalt als "Mitarbeiter der Rechtspflege" in enger Beziehung zum Staat stehe, weshalb es jedenfalls zurzeit herrschender Rechtsanschauung entspreche, dass der Anwalt mit diesem Staat durch das Bürgerrecht verbunden sein solle. Schliesslich hat das Bundesgericht einen Bezug des Anwaltsberufs zu den Rechten und Pflichten des Aktivbürgers hergestellt, indem es die Erwartung aussprach, dass sich der Anwalt einerseits an der Rechtsfortbildung beteilige und er anderseits im Interesse des Klienten dem Richter oder (im Verwaltungsverfahren) dem Beamten als gleichberechtigter Bürger gegenübertreten könne (BGE 116 Ia 241/42).
[Consideration 4]
4. -Diese Argumentation kann nicht in vollem Umfang aufrechterhalten werden. Sie erfasst das öffentliche Interesse, das für das Bürgerrechtserfordernis namhaft gemacht werden kann, teilweise zu wenig präzis.
Mit dem Argument, der Anwalt stehe als "Mitarbeiter der Rechtspflege" in enger Beziehung zum Staat, wird eine Verbindung zum Grundsatz hergestellt, dass die Beschäftigung im öffentlichen Dienst und insbesondere die Ausübung hoheitlicher Befugnisse regelmässig den Staatsbürgern vorbehalten ist. Der Anwalt ist aber "Mitarbeiter der Rechtspflege" nur insofern, als er die Rechtsuchenden bei der Verfolgung ihrer subjektiven Rechtsschutzinteressen unterstützt und damit mittelbar zur Verwirklichung der Rechtsordnung beiträgt (BGE ). Staatliches Organ ist er gerade nicht; seine Funktion gebietet gegenteils Unabhängigkeit vom Staat (BGE ). Der Anwalt unterliegt als "Mitarbeiter der Rechtspflege" zwar bestimmten Berufspflichten. Diese können aber auch von einem Ausländer erfüllt werden.
Fragwürdig ist auch, inwiefern zwischen politischen Rechten und Anwaltstätigkeit ein Zusammenhang bestehen soll. Schon den Frauen ist ursprünglich der Zugang zum Anwaltsberuf mit der Begründung verweigert worden, ihnen fehle das Stimm- und Wahlrecht (BGE 13 S. 1 ff.); obgleich aber die politischen Rechte weiterhin den Männern vorbehalten blieben, entschied das Bundesgericht im Jahre 1929, es sei verfassungswidrig und mit der Handels- und Gewerbefreiheit unvereinbar, der Frau die Tätigkeit als Anwältin länger zu verwehren (BGE 49 I 14 ). Politische Rechte üben im übrigen auch Anwälte mit Schweizerbürgerrecht nicht in allen Kantonen aus, in denen sie über eine Berufsausübungsbewilligung verfügen.
[Consideration 5]
5. -Hingegen ist daran festzuhalten, dass es im öffentlichen Interesse liegt, sicherzustellen, dass der Anwalt mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen des Landes vertraut sei. Dieses Erfordernis ist nicht identisch mit jenem der umfassenden Rechtskenntnisse, welche mit dem Anwaltsexamen überprüft werden. Das Bürgerrechtserfordernis erfüllt insofern eine ergänzende Funktion. Allerdings ist zu beachten, dass ein Ausländer die Verhältnisse der Schweiz ebenso gut kennen und mit ihnen verbunden sein kann wie ein Schweizerbürger. Ist dies der Fall, so erschiene es unverhältnismässig, die Erteilung der Berufsausübungsbewilligung dennoch zu verweigern. Der Ausländer muss daher zum Nachweis zugelassen werden, dass er - gleichsam wie ein Schweizerbürger - mit den hiesigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen vertraut sei.
Die Beschwerdeführerin ist 1982 als Flüchtling in die Schweiz gekommen. Sie hat nach ihrem ersten juristischen Studium, das sie an der Universität Katowice in Polen mit dem Doktorat abgeschlossen hatte, zusätzlich an der Universität Basel studiert und dort das Lizentiat erworben, und sie übt seit fünf Jahren in den Kantonen Basel-Landschaft und Basel-Stadt die Tätigkeit als Advokatin aus. Das bringt zwangsläufig vertiefte Kenntnisse der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse mit sich. Aus den Akten ergibt sich ferner, dass die Beschwerdeführerin zahlreiche Zeitungsartikel verfasst und in der Schweiz veröffentlicht hat, in denen sie zu rechtspolitischen wie auch zu allgemeinpolitischen Fragen Stellung bezieht. Unter solchen Umständen am Bürgerrechtserfordernis festzuhalten, geht über die damit legitimerweise verfolgte Zielsetzung hinaus und ist unverhältnismässig. Die Verweigerung der Berufsausübungsbewilligung im Kanton Zürich ist aus diesem Grund mit der Handels- und Gewerbefreiheit unvereinbar.
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