Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 22. Maerz 1992-Az. 24 B 87. 30806

Bayrischer Verwaltungsgerichtshof

Beschluss vom 22. Maerz 1992

X gegen die Bundesrepublik Deutschland,

IM NAMEN DES VOLKES

In der Verwaltungsstreitsache

Bundesbeauftragter für Asylangelegenheiten, Kläger, in Zirndorf, vertreten durch den Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf,

wegen

Asylrechts;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 24. Juni 1987, erläßt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 24. Senat,

folgendes

Urteil:

I.          Unter Abänderung des Urteils des Bayer. Verwaltungsgerichts Ansbach vom 24. Juni 1987 wird der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 3. September 1986 aufgehoben.

II.          Die Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen je zur Hälfte; die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

III.         Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1945 in Karainagar geborene Beigeladene ist Tamile srilankischer Staatsangehörigkeit und hält sich seit Oktober 1984 im Bundesgebiet auf. Zur Begründung seines Asylantrags gab er beim Bundesamt und vor dem Verwaltungsgericht folgendes an: Er habe von 1972 bis 1977 in Colombo ein Geschäft für Speiseöle betrieben, dieses aber wegen der Unruhen aufgeben müssen. Er sei dann nach Jaffna zurückgekehrt und habe dort bis 1982 als Textil - und Werkzeughändler gearbeitet. Im Jahre 1978 sei seine Ehefrau mit den vier Kindern nach England ausgereist. In seiner Tätigkeit als Händler habe er häufiger Reisen nach Indien und Pakistan unternommen. Im September 1981 habe er sich auch einige Tage bei seiner Familie in England aufgehalten. von September 1982 bis März 1984 habe er dann als Kranführer in Saudi-Arabien gearbeitet. Er sei dann wieder nach Sri Lanka zurückgekehrt und habe dort seine Ehefrau getroffen. Anfang April 1984 seien beide auf dem Weg nach Jaffna am Elefantenpass von Soldaten kontrolliert und einige Stunden festgehalten worden; die aus seinem Paß ersichtlichen Reisen nach Indien seien den Soldaten verdächtig erschienen. Etwa einen Monat später habe er seine Frau nach Colombo begleitet, denn diese sei auf dem Luftwege zu den Kindern nach England zurückgekehrt. Einige Tage später sei er auf der Rückfahrt erneut am Elefantenpass kontrolliert und wiederum einige Stunden festgehalten worden. Diesmal sei er auch nach seinem Aufenthalt in Colombo befragt worden. Nach etwa einem Monat hätten dann Soldaten bei Verwandten in Jaffna, bei denen er gewohnt habe, nach ihm gesucht. Er habe dann bei einem Cousin und bei Freunden in Colombo und gelegentlich bei Verwandten in Jaffna gelebt und habe bei der britischen Botschaft im April 1984 ein Visum für Großbritannien beantragt. Weil die Botschaft ihn immer wieder hingehalten habe, sei er schließlich in die Bundesrepublik ausgereist. Politisch habe sich seit 1977 als Anhänger der TULF etwa durch die Unterstützung des Abgeordneten Yogeswaran im Wahlkampf und durch sonstige Propaganda-Arbeit betätigt, könne aber nicht genau sagen, was die Abkürzung TULF bedeute. Wegen seiner Parteiarbeit sei er nicht festgehalten oder verhaftet worden, möglicherweise hätten die Soldaten aber deshalb nach ihm gesucht. Im Bundesgebiet habe er im November 1985 an einer Tamilen-Demonstration teilgenommen.

Das Bundesamt erkannte den Beigeladenen am 3. September 1986 als Asylberechtigten an.

Die daraufhin vom Bundesbeauftragten erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 24. Juni 1987 ab. Der Beigeladene habe seine Heimat aus Furcht vor politischer Verfolgung verlassen und eine Zufluchtsmöglichkeit innerhalb Sri Lankas habe es für ihn nicht gegeben. Bei einer Rückkehr drohe ihm wiederum asylerhebliche Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.

Zur Begründung seiner vom Verwaltungsgericht Zugelassenen Berufung trägt der Bundesbeauftragte vor, der Beigeladene habe sich teils in den singhalesisch, teils in den tamilisch besiedelten Gebieten aufgehalten. Eine auch ihn betreffende oder bedrohende Gruppenverfolgung der Tamilen lasse sich nicht feststellen. Die Übergriffe von Singhalesen in den Jahren 1977 und 1983 seien dem srilankischen Staat nicht zuzurechnen. Das Vorgehen der srilankischen Sicherheitskräfte gegen die tamilische Bevölkerungsgruppe im Norden und Nordosten der Insel stelle keine Gruppenverfolgung darf, denn diese Gebiete seien Schauplatz bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen wischen diesen und tamilischen Untergrundkämpferh. Das militärische vorgehen diene dem Zweck den territorialen Bestand des Staates zu wahren. Auch die Art des Einsatzes lasse keine asylrelevante Motivation erkennen. Eine dem Beigeladenen drohende Einzelverfolgung sei ebenfalls nicht feststellbar, zumal dieser in der Heimat politische Verfolgung nicht erlitten habe. Die von ihm geschilderten Vorfälle seien schon nicht ausreichend gewichtig. Auch für den Fall der Rückkehr gebe es keine Anhaltspunkte für ein politisch motiviertes Vorgehen der SicherheItskräfte gegen den Bei geladenen.

Der Bundesbeaufträgte beantragt, unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils den Bescheid des Bundesamtes vom 3. September 1986 aufzuheben.

Die Beklagte ist der Auffassung, das Urteil des Verwaltungsgerichts bedürfe obergerichtlicher Überprüfung im Sinne des Rechtsmittelführers; einen Antrag stellt sie nicht.

Der Beigeladene beantragt die Berufung zurückzu weisen.

Im Berufungsverfahren wurden 145 AuskÜnfte, Berichte und zusammenfassende Darstellungen zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 VwGO).

Entscheidungsqründe:

Die zulässige Berufung des Bundesbeauftragten hat Erfolg, denn der Beigeladene ist nicht nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG asylberechtigt. Er ist nach der nunmehr maßgeblichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 80, 315), den ihm in Sri Lanka widerfahrenen Maßnahmen und den Gefährdungen im Falle einer Rückkehr nicht politisch Verfolgter und hat deshalb keinen Anspruch auf Asyl.

In seiner Heimat hat der Beigeladene politische Verfolgung nicht erlitten und asylerhebliche Maßnahmen haben ihm auch nicht un mittelbar gedroht. Zu glauben ist ihm zwar, daß er wegen der Unruhen 1977 sein Geschäft in Colombo aufgab und in den Norden, des Landes zurückkehrte. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen vornehmlich im überwiegend singhalesisch besiedelten Süden und Südwesten hatten schon damals eine erste Fluchtbewegung von Tamilen nach dem Norden ausgelöst (vgl. Sachdarstellung in BVerfGE aaO und im Senatsurteil vom 15.5.1986) und es ist naheliegend, daß sich der Beigeladene wie andere Tamilen aus Sorge um seine Sicherheit in sein engeres Herkunftsgebiet, den tamilisch besiedelten Norden, zurückzog. Nicht geltend gemacht oder sonst ersichtlich ist aber, daß es schon damals zu Verfolgungs maßnahmen von staatlicher Seite oder mit Duldung der srilankischen Regierung gegenüber der tamilischen Minderheit gekommen wäre und der Beigeladene trägt auch nicht vor, selbst Opfer asylrelevanter Verfolgung geworden zu sein. Selbst wenn man aber in den Auswirkungen der Unruhen des Jahres 1977 auf den Beigeladenen eine asylerhebliche Gefährdung sehen wollte, wäre dies für den geltend gemachten Asylanspruch ohne Bedeutung, weil nichts dafür spricht, daß die Ereignisse des Jahres 1977 noch von Einfluss auf den Entschluß des Beigeladenen zum Verlassen Sri Lankas im Oktober 1984 gewesen sein könnten.

Der Senat ist im übrigen davon überzeugt, daß die vom Beigeladenen glaubhaft dargelegten Vorfälle während seines Aufenthalts in Sri Lanka von März bis Oktober 1984 und die inzwischen veränderten Verhältnisse im Lande maßgeblich für den Ausreiseent schluß waren.

Als der Beigeladene im April und im Mai 1984 jeweils auf dem Wege nach Jaffna war, wurde er beide Male am Elefantenpass von Soldaten kontrolliert, jeweils einige Stunden festgehalten und befragt. Selbst wenn es sich dabei um Willkürmaßnahmen wegen der tamilischen Volkszugehörigkeit oder der etwa bekanntgewordenen Aktivitäten des Beigeladenen für die TULF gehandelt haben sollte, wären die Eingriffe nach ihrer Art und Schwere nicht von asylerheblicher Intensität. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß sich in dem seit langem schwelenden Volksgruppenkonflikt insbesondere durch Anschläge tamilischer Separatisten, die von Indien aus versorgt wurden, eine Spannungslage (vgl. Auswärtiges Amt -AA- vom 3.7.1984 und BVerfGE aaO) ergeben hatte, die Kontrollen der fraglichen Art zur Abwehr des Terrorismus als gerechtfertigt erscheinen läßt. Unter diesen Verhältnissen konnten die aus dem Paß des Beigeladenen ersichtlichen Reisen nach Indien durchaus Anlaß geben zu einer eingehenderen Überprüfung. Weil sich auch aus sonstigen Umständen nichts für eine menschenrechtswidrige Behandlung des Beigeladenen ergibt, kann nicht angenommen werden, dieser habe politische Verfolgung erlitten.

Die späteren Nachforschungen der Soldaten bei Verwandten sind insofern schwieriger zu beurteilen, als auch der Beigeladene nicht angeben kann, welche Gefährdung sich für ihn daraus ergeben konnte. Bei dieser Suche nach dem Beigeladenen kann es sich etwa um eine völlig harmlose Routinekontrolle zur Überprüfung seiner Angaben gehandelt haben, andererseits könnte etwa die Absicht bestanden haben, ihn als Tamilen oder wegen seiner TULF - Aktivitäten zu inhaftieren und unter erheblichen Mißhandlungen zu einer Beteiligung am tamilischen Aufstand zu verhören. Eine genauere Einschätzung seiner Gefährdung war damals dem Beigeladenen selbst nicht möglich und wäre heute bloße Spekulation. Feststellen läßt sich unter Berücksichtigung der bereits genannten Erkenntnisse über die damaligen Verhältnisse lediglich, daß die in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten von einer völlig harmlosen Kontrolle bis zu gravierenden menschenrechtswidrigen Eingriffen in Leib, Leben und persönliche Freiheit reichen und - weil schwerwiegende Willkürmaßnahmen der Sicherheitskräfte gegen Tamilen allein wegen deren Volkszugehörigkeit vorkamen - auch eine asylrelevante Motivation der Maßnahmen in Frage kommt. In rechtlicher Hinsicht ist wegen einer "Vorverfolgung" des Asylsuchenden darauf abzustellen, ob diesem politische Verfolgung unmittelbar drohte. Eine derart unmittelbar drohende Verfolgung läßt sich aber bei bloßen Nachforschungen der Sicherheitskräfte ohne weitere Hinweise auf die Gefahr gravierender Maßnahmen nicht feststellen, zumal der 1945 geborene Beigeladene schon damals nicht mehr den jüngeren Tamilen zugerechnet werden konnte, die bei Razzien und Verhaftungsaktionen weit eher befürchten mußten, Opfer von Willkür und Brutalität der staatlichen Sicherheitskräfte zu werden (vgl. AA vom 3.7.1984). Weil der Beigeladene nicht mehr zum Kreis der gefährdeten jüngeren tamilischen Männer gehörte, entfällt auch eine unmittelbar drohende Einzelverfolgung wegen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Januar 1991 (2 BvR 902/15). Unter Würdigung aller Umstände ist zwar die Feststellung begründet, der Beigeladene wäre bei seiner Ergreifung durch die Sicherheitskräfte vor politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher gewesen; Verfolgungsmaßnahmen von asylerheblicher Intensität drohten ihm aber weder mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit noch unmittelbar. Weil auch sonst nichts für eine ihm bis zur Ausreise im Oktober 1984 widerfahrene oder unmittelbar drohende politische Verfolgung ersichtlich ist, kommt ihm bei der Beurteilung der gegenwärtigen Situation der für "Vorverfolgte" geltende, herabgestufte Prognösemaßstab nicht zugute.

Verständlich und sogar naheliegend war der Fluchtentschluß des Beigeladenen dennoch: Schon einenicht auszuschließende Verfolgung gravierender Art war vernunftigerweise Grund genug, sich zu Freunden und Verwandten an verschiedenen orten zu begeben und die schließlich erfolgte Ausreise vorzubereiten. Überdies war die Befürchtung begründet, alsbald könnten sich Bürgerkriegsverhältnisse ergeben, die für Tamilen mit nochweit größeren Gefährdungen verbunden sein konnten. Spätestens seit der Jahreswende 1984/85 herrschte im Norden Sri Lankas dann tatsächlich Bürgerkrieg (vgl. etwa AA vom 8.1.1985), der auch unter der am Aufstand nicht beteiligten tamilischen Bevölkerung zahlreiche Opfer forderte.

Heute wäre der Beigeladene bei einer Rückkehr in seine Heimat insbesondere in seinem engeren Herkunftsgebiet erneut den Gefahren von Bürgerkriegsauseinandersetzungen ausgesetzt, politische Verfolgung droht ihm aber nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.

Aus den beigezogenen Erkenntnissen ergibt sich nichts für die Befürchtung, daß der Beigeladene schon im Zusammenhang mit der Überprüfung nach der Einreise etwa im Hinblick auf seinen früheren Lebensweg, wegen seines Auslandsaufenthafts, der AsylantragstelluIng oder etwa der Teilnahme an einer Demonstration im Bundesgebiet gsylrelevanten Maßnahmen ausgesetzt sein könnte. Die Überprüfung selbst geht ihrer Intensität nach über eine asylunerhebliche Beeinträchtigung nicht hinaus. Im übrigen ist eine Beurteilung der dem Beigeladenen bei einer Rückkehr in seine Heimat drohenden Verfolgungsgefahren nur moglich, wenn auch die Enstwicklungder Verhältnisse in den zurückliegenden Jahren berücksichtigt wird. Die mehrfachen grundlegenden Änderungen der Situation und die entsprechend unterschiedliche Gefährdung von Angehörigen der tamilischen Minderheit über einen längeren Zeitraum und selbst innerhalb des letzten Jahres machen deutlich, daß einerseits der Inhalt aller beigezogenen Erkenntnisse für die Einschätzung von Bedeutung sein kann, andererseits eine genauere Prognose bestehender und künftiger Verfolgungsgefahren nicht möglich ist.

Danach ist festzustellen, daß es von 1977 bis 1983 in jeweils etwa zweijährigen Abständen zu blutigen Unruhen zwischen Singhalesen und Tamilen gekommen ist und schließlich etwa seit Ende 1984 im Norden Sri Lankas Bürgerkri herrschte. Der Versuch einer Befriedung durch die Mitte 1987 ins Land gekommenen und Anfang 1990 wieder abgezogenen indischen Truppen ist gescheitert. In den überwiegend tamilisch besiedelten Gebieten im Norden und Osten der Insel gab es seit 1983 Zeiten relativer Ruhe, Spannungslagen, offene und Guerilla-Bürgerkriegsverhältnisse. Innerhalb dieses Bereichs lag die Gebietsgewalt - auch regional unterschiedlich - zeitweise bei den srilankischen oder den indischen Sicherheitskräften, dann wieder bei Organisationen des tamilischen Aufstands, insbesondere der Tiger-Bewegung.

Häufig war eine effektive Gebietsgewalt einer der in Betracht kommenden Parteien im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit nicht gegeben, weil im offenen Bürgerkrieg eine Ordnungsmacht nicht mehr bestand oder durch verbreitete Angriffe der Gegenseite in Frage gestellt war. Auch die am Aufstand gänzlich unbeteiligten Tamilen waren unter diesen häufig wechselnden Verhältnissen unterschiedlich gefährdet. Bei den Rassenunruhen im Juli 1983 kamen wohl mehr als 1.000 Tamilen in den Singhalesengebieten um. In der Folgezeit waren Tamilen im eigenen Siedlungsgebiet auch dann gefährdet, wenn keinerlei Anhaltspunkte für eine Unterstützung des Aufstands gegeben waren. Sie mußten mit Willkürmaßnahmen undisziplinierter srilankischer oder indischer Sicherheitskräfte rechnen; vor allem im Zusammenhang mit Terroranschlägen tamilischer Separatisten kam es zu willkürlichen Inhaftierungen von unterschiedlicher Dauer und oft zu erheblichen Mißhandlungen in der Haft, von denen insbesondere jüngere tamilische Männer betroffen waren. Schließlich verübten staatliche Sicherheitskräfte, wenn deren Gebietsgewalt durch Anschläge oder offene Angriffe der Separatisten in Frage gestellt oder aufgehoben war, wahllose Vergeltungsschläge gegen die tamilische Bevölkerung in Form von Brandstiftungen und durch Erschießen angeblich verdächtiger Tamilen. Über einen Zeitraum von Jahren ist zu beobachten, daß es von seiten der srilankischen Regierung nur vereinzelte Ansätze des Versuchs einer Ahndung von Übergriffen ihrer Sicherhei tskräfte auf Tamilen gab; der am Aufstand gänzlich unbeteiligte, wehrlose Tamile, der willkürlich ermordet worden war, galt im allgemeinen als bei der Bekämpfung des Aufstands getöteter tamilischer Terrorist. Im Süden Sri Lankas bestand seit etwa Ende 1983 eher eine Ruhelage, die wegen der Gefahr erneuter Pogrome als gespannt bezeichnet werden kann; bis heute war aber die dort lebende tamilische Minderheit von pogromartigen Übergriffen der singhalesischen Bevölkerung nicht mehr betroffen.

Wegen der vorstehend skizzierten Entwicklung bedarf es besonderer Hinweise auf einzelne der zahlreichen beigezogenen Quellen schon deshalb nicht, weil die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskünfte, Gutachten, Berichte und zusammenfassenden Darstellungen insoweit im wesentlichen übereinstimmen und schon deshalb keine Zweifel an der Verläßlichkeit bestehen und von den Beteiligten auch nicht geltend gemacht werden. Die dennoch in mancher Hinsicht feststellbaren Detailabweichungen sind mit der unterschiedlichen Thematik der Berichte und Auskünfte, einem teilweise unterschiedlichen Erkenntnisstand und mehr oder minder zurückhaltenden Bewertungen zu erklären, für die hier zu beurteilende Asylberechtigung des Beigeladenen aber nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Einzuräumen ist auch, daß eine Beschreibung der jüngsten Entwicklung schon deshalb anders als vorstehend formuliert werden könnte, weil eine eingehendere Schilderung Fakten genauer beschreiben und bestimmte Einzelereignisse hervorheben könnte. Auch darauf kommt es bei einer bloßen Skizzierung der jüngsten Entwicklung, die sich im wesentlichen auf bereits zeitgeschichtlich gesicherte Fakten beschränkt, nicht an. Die Zusammenfassung der Verhältnisse in den vergangenen Jahren unter dem Aspekt der Gefährdung der tamilischen Minderheit durch staatliche oder staatlich geduldete Eingriffe dient lediglich dem Zweck, bei der auch hier erforderlichen Prognose zur Frageeiner asylerheblichen Verfolgung des Beigeladenen auf absehbare Zeit die Bandbreite der in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten aufzuzeigen.

Insoweit wird wegen der bisher häufig binnen kurzem grundlegend veränderten Situation deutlich, daß es für die asylrechtliche Beurteilung nicht ausreichend wäre, lediglich die gegenwärtige Lage und die sich daraus ergebende Gefährdung für den Beigeladenen zugrundezulegen. Angesichts der Bürgerkriegslage im Norden Sri Lankas wäre es ebenfalls verfehlt, allein darauf abzustellen, wie die Situation derzeit im engsten Herkunftsgebiet des Beigeladenen, in Karainagar oder auf der kleinen Insel Karaitivu zu beurteilen ist. Jedenfalls bezogen auf die Verhältnisse in Sri Lanka wäre es in zeitlicher wie in räumlicher Hinsicht unangebracht, die tatrichterliche Beurteilung auf das gegenwärtige oder das als unmittelbar bevorstehend erkennbare Geschehen in einem kleinräumig abgegrenzten Gebiet einzuengen. Herrscht nämlich auf dem Gebiet der Halbinsel Jaffna Bürgerkrieg in der Weise, daß unter Fortsetzung der bewaffneten Auseinandersetzungen gewisse Gebietsanteile durch Regierungstruppen, andere durch den tamilischert Widerstand kontrolliert werden (vgl. dazu AA vom 14.12.1990), dann ist ohne Bedeutung, durch wen die westlich vorgelagerte Insel Karaitivu oder gar der darauf gelegene Herkunftsort des Beigeladenen, Karainagar, derzeit beherrscht wird oder ob auch diese Insel gerade umkämpft ist.

Ohnehin sind für die Prognose zur Gefährdung des Beigeladenen folgende Möglichkeiten, die sich unter Berücksichtigung der bisherigen Entwicklung auch innerhalb absehbarer Zeit wiederum ergeben können, in Betracht zu ziehen: Offener oder Guerilla-Bürgerkrieg zwischen den "Tamil Tigers" (LTTE) und staatlichen Kräften kann anhalten, der Regierung kann es gelingen, den Norden insgesamt im Sinne gefährdeter oder unangefochtener Gebietsgewalt unter ihre Kontrolle zu bringen und dieselbe Möglichkeit im Sinne der Ausübung staatsähnlicher Befugnisse einschließlich der Übernahme der Zivilverwaltung besteht auch für eine tamilische Separatistenorganisation, insbesondere die LTTE.

Die größte Gefährdung für den Beigeladenen in seinem engeren HerkunftSgebiet besteht unter Bürgerkriegsverhältnissen und dann, wenn staatliche Hoheitsgewalt durch gehäufte Überfälle und Terroranschläge tamilischer Separatisten in Frage gestellt ist. In vergleichbarer Situation waren schon früher auch diejenigen Tamilen, die am Aufstand gänzlich unbeteiligt und einer Unterstützung der gewalttätigen Separatisten auch nicht verdächtig waren, wahllosen Vergeltungsschlägen ausgesetzt; vor allem jüngere tamilische Männer wurden schon wegen ihres Alters, ihres Geschlechts und ihrer tamilischen Volkszugehörigkeit des Terrorismus verdächtigt, auch über längere Zeit inhaftiert und häufig erheblich mißhandelt oder würden sonst Opfer von Willkür und Brutalität der staatlichen Sicherheitskräfte (vgl. BVerfGE aaO, BayVGH aaO, AA vom 8.1.1985 und 3.7.1984). Heute ist die Lage ähnlich: Die Luftwaffe soll bei Angriffen in dem im Juni 1990 erneut begonnenen Bürgerkrieg zwar die unbeteiligte Bevölkerung schonen, tatsächlich gab es aber unterschiedslose Bombardierungen sowie Angriffe auf bloße Menschenansammlungen und auch im Zusammenhang mit Bodepkämpfen kommt es in Abhängigkeit von der Situation und dem jeweiligen Kommandeur der Streitkräfte zu von der Regierung geduldeten Übergriffen auf unbeteiiigte Tamilen. Auf tamilischer Seite wird der Krieg allein von der LTTE getragen, die große Mehrheit der Bevölkerung ist ungleich mehr Opfer als Beteiligte an den Auseinandersetzungen und versucht, sich den Kämpfen durch die Flucht zu entziehen (vgl. AA vom 14.12.19 90).

Soweit die srilankische Regierung aber im Bürgerkrieg versucht, durch militärische Aktionen die Gebietpgewalt zurückzugewinnen oder zu verteidigen, erscheinen staatliche Maßnahmen im allgemeinen nur dann als politische Verfolgung, wenn sie auf die physische Vernichtung von Personen abzielen, die keinen Widerstand mehr leisten oder an den Auseinandersetzungen unbeteiligt waren. Maßnahmen dieser Art sind in ähnlicher Weise und mit Duldung der Regierung schon vor Jahren wie auch jüngst vorgekommen und sind auch auf absehbare Zeit zu befürchten; nach dem bisherigen Ausmaß der Willkürmaßnahmen gegen Tamilen kann aber nicht angenommen werden, daß Tamilen derartiges mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Anderes mag zwar für jüngere männliche Tamilen gelten, bei denen wie früher eine beachtliche Wahrscheinlichkeit asylerheblicher Übergriffe srilankischer Sicherheitsorgane jedenfalls nicht von der Hand zu weisen ist (BverfG vom 5.3.1990 - 2 BvR 938/89 u.a.); der Beigeladene gehört aber nach seinem Alter nicht mehr zu diesem besonders gefährdeten Personenkreis und weist auch sonst keine Merkmale auf, die auf eine erhöhte Verfolungsgefahr hindeuten könnten. Die von ihm angegebenen TULF-Aktivitäten liegen viele Jahre zurück und es ist gänzlich unwahrscheinlich, daß sich daraus noch heute eine Gefahr für ihn ergeben könnte. Abgesehen davon handelte es sich ohnehin um eine untergeordnete schon damals kaum registrierte Unterstützung der TULF, denn der Beigeladene konnte vor dem Verwaltungsgericht auf Frage nicht einmal angeben, was die Abkürzung "TULF" genau bedeutet. Unter Würdigung der bisherigen Ereignisse läßt sich daher zusammenfassend feststellen, daß zwar auch der Beigeladene unter Bürgerkriegsverhältnissen davor nicht hinreichend sicher ist, mit Duldung der Regierung von Sicherheitskräften getötet zu werden, obwohl er am tamilischen Aufstand nie beteiligt war und auch keinerlei Anhaltspunkte für einen entsprechenden Verdacht bestehen; es gibt aber keine Hinweise darauf, daß ihm derartiges mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.

In Spannungslagen unterhalb der Schwelle offenen oder Guerilla-Bürgerkriegs besteht zwar ebenfalls die Gefahr willkürlichen Vorgehens staatlicher Sicherheitskräfte gegen Tamilen. Wie die bisherige Entwicklung zeigt, waren von Maßnahmen wie längerer Inhaftierung und Mißhandlungen aber vor allem diejenigen betroffen, die sich einer Unterstützung des tamilischen Aufstands verdächtig gemacht hatten oder allein als jüngere tamilische Männer willkürlich einer Mitwirkung verdächtigt wurden. Es mag zwar sein, daß derartige Verfolgung von asylerheblicher Intensität auch gegenüber einem Tamilen von 45 Jahren nicht auszuschließen ist; die Wahrscheinlichkeit derartigen Vorgehens gegen den Beigeladenen ist - wie bisher - aber so gering, daß von einer ihm drohenden Verfolgung nicht gesprochen werden kann.

In Zeiten unängefochtener staatlicher Gebietshoheit besteht für den Beigeladenen wie für andere Tamilen die Gefahr von Diskriminierungen und Benachteiligungen, nichts spricht aber dafür, Eingriffe von asylrelevanter Intensität drohten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Wie die Entwicklung in Sri Lanka zeigt, führten gerade die systematischen Diskriminierungen der Tamilen zum Terrorismus der tamilischen Separatisten (vgl. BVerfGE aaO); solange die srilankische Regierung die Gebietsgewalt unangefochten innehatte, brauchten Tamilen aber nicht zu befürchten, Opfer staatlicher Maßnahmen von asylerheblicher Gewichtigkeit zu werden. Auch für die Zukunft deutet auf eine abweichende Entwicklung nichts hin.

Sofern eine tamilische Separatistenorggnisation - vor allem kommt hier die LTTE in Betracht - staatsähnliche Gebietsgewalt im Norden Sri Lankas innehat, können Tamilen durch unterschiedliche Willkürmaßnahmen etwa bei der Eintreibung von Steuern, durch Beschlagnahmen, Zwangsrekrutierungen oder durch Einschränkungen der Freizügigkeit betroffen sein (vgl. KellerKirchhoff vom 25.1.1991). Insoweit ist aber nicht zu erkennen, daß die Maßnahmen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale getroffen werden könnten. Gänzlich unwahrscheinlich ist auch, daß die "Tiger" Kenntnis von gewissen, lange zurückliegenden TULF-Aktivitäten des Beigeladenen haben könnten und diese noch heute zum Anlaß nehmen könnten, gegen diesen vorzugehen Insgesamt gesehen ergibt sich daher, daß dem peigeladenen in seinem engeren Herkunftsgebiet, im Norden Sri Lankas, politische Verfolgung unter Würdigung aller in Betracht kommenden Möglichkeiten in absehbarer Zeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Die dort dennoch insbesondere wegen der Bürgerkriegssituation bestehenden Gefahren für seine persönliche Freiheit, seine körperliche Unversehrtheit und sein Leben begründen keinen Asylanspruch, sind aber aufenthaltsrechtlich zu berücksichtigen.

Mangels asylerheblicher Verfolgungsgefahren ist auf die Berufung des Bundesbeauftragten das angegriffene Urteil abzuändern und der Anerkennungsbescheid des Bundesamtes aufzuheben. Die vorläufig vollstreckbare Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 und 3, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO, § 167 VwGO, § 708 Nr. 10 ZPO. Eine Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil dieser mit seinem Antrag selbst unterlegen ist. Angesichts der geringfügigen erstattungsfähigen Kosten des Klägers ist ein Ausspruch nach § 711 ZPO nicht veranlaßt.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

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