Verwaltungsgericht Leipzig, Beschluss vom 14. Januar 1995-A 6 K 30534/94

Verwaltungsgericht Leipzig, 14 Jan. 1995

Leitsatz (nicht amtlich):

Ein Asylantrag kann nicht allein mit der Vermutung abgelehnt werden, der Asylbewerber sei über einen sicheren Drittstaat eingereist; erforderlich ist vielmehr die namentliche Benennung dieses Staats.

Aus den Gründen:

I

Der Kl. ist eigenen Angaben zufolge libanesischer Staatsangehöriger. Er verließ am 8.4.1994 mit einem Schiff sein Heimatland und reiste am 28.4.1994 illegal in das Bundesgebiet ein. Am 4.5.1994 beantragte er die Anerkennung als Asylberechtigter. Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im folgenden: Bundesamt) trug er am 6.5.1994 im wesentlichen vor: Er sei weder Mitglied einer politischen Partei oder Organisation noch habe er sich in sonstiger Weise politisch betätigt. Er sei homosexuell und deswegen von der Hisbollah verfolgt worden, vor der er seit zwei Jahren auf der Flucht sei. Sie sei mächtigter als der libanesische Staat, weshalb er diesen nicht um Schutz gebeten habe. Vor den Behörden habe er wegen seiner geschlechtlichen Neigungen keinerlei Angst. Bei einer Rückkehr befürchte er, umgebracht zu werden.

Mit Bescheid vom 27.5.1994, mit Empfangsbekenntnis zugestellt am 2.6.1994, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und forderte ihn auf, innerhalb von einem Monat nach Bekanntgabe dieser Entscheidung die BR Deutschland zu verlassen. Andernfalls werde er nach dem Libanon oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, abgeschoben. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AusIG lägen nicht vor. Es bestünden keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AusiG. Zur Begründung verwies es im wesentlichen darauf, daß der Kl. sich wegen der Einreise über sichere Drittstaaten nicht auf Asyl berufen könne. Eine beachtliche Verfolgungsgefahr bestehe nicht. Am 6.6.1994 hat der Kl. Klage erhoben.

II.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG können auch Verfolgungsmaßnahmen Dritter eine politische Verfolgung im Sinne des Art. 16a GG sein, wenn diese Maßnahmen dem jeweiligen Staat zuzurechnen sind. Dabei kommt es darauf an, ob der Staat mit seinen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln Schutz gewährt (BVerfGE 80, 315 = EZAR 201 Nr. 20). Es begründet die Zurechnung, wenn der Staat zur Schutzgewährung entweder nicht bereit ist oder wenn er sich nicht in der Lage sieht, die ihm an sich verfügbaren Mittel im konkreten Fall gegenüber Verfolgungsmaßnahmen Dritter, insbesondere einer staatstragenden Partei, einzusetzen (BVerfG aaO). Sofern die Gewährung von Schutz die Kräfte des Staats übersteigt, endet seine asylrechtliche Verantwortlichkeit. Denn Art. 16a GG bietet keinen Schutz vor den Folgen anarchischer Zustände oder der Auflösung der Staatsgewalt (BVerfG aaO).

Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen sind für das Gericht keine Umstände ersichtlich, die nach dem Vortrag des Kl. eine politische Verfolgung im Libanon nahelegen.

Der Kl. ist nicht bereits deshalb vom Grundrecht auf Asyl ausgeschlossen, weil er über einen sicheren Dritistaat in das Bundesgebiet eingereist ist. Vorliegend konnte weder im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung, zu der der Kl. nicht erschienen ist, festgestellt werden, aus welchem Drittstaat der Kl. eingereist ist, nachdem das Schiff, mit dem er den Libanon verlassen hatte, in einem Hafen angelegt hatte. Es besteht nur eine diesbezügliche Vermutung der Bekl., daß der Kl. über einen sicheren Drittstaat eingereist sein soll. Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt hat der Kl. vorgetragen, daß er von einem ihm nicht bekannten Hafen aus mit einem Kleinbus ca. 28 Stunden bis Berlin gefahren sei. Er wisse nicht, ob während der Fahrt Grenzkontrollpunkte passiert worden seien. Demnach steht nur fest, daß der Kl. auf dem Landweg eingereist ist, nicht jedoch, ob er über einen sicheren Drittstaat eingereist ist und bejahendenfalls welchen oder welche Drittstaaten er vor der Einreise passierte. Hierbei kann dahinstehen, ob es für die Einreise »aus« einem sicheren Drittstaat ausreicht, daß der Asylsuchende »über« diesen in das Bundesgebiet eingereist ist, da auch der Ausländer, der über einen Drittstaat durchgereist ist, in diesen zuvor eingereist und und nach dem Verlassen auch wieder ausgereist sein muß. Anderes könnte nur für den Fall gelten, daß sich jemand im Transitraum eines Flughafens aufgehalten hat, ohne den Transitraum verlassen zu haben.

Geht man von der Prämisse des Bundesamts aus, wonach wegen der Dauer der Einreise auf dem Landweg nach Berlin nur eine Einreise über einen oder mehrere sichere Drittstaaten in Betracht kommen kann, gilt folgendes: Der verfassungsändemde Gesetzgeber hat in Art. 16a Abs. 2 GG zwar nicht eindeutig geregelt, ob der Ausschluß des Asylsuchenden vom Asylrecht wegen Einreise aus einem sicheren Drittstaat auch dann gilt, wenn der Staat nicht feststeht, aus dem der Asylbewerber eingereist ist. Für diesen Fall ist dennoch die Berufung auf das Grundrecht auf Asyl nicht von vornherein ausgeschlossen.

Diese Schlußfolgerung zieht das Gericht aus dem Sinn und Zweck der Drittstaatenregelung, wonach die Voraussetzungen für eine Rückführung des Ausländers in den Drittstaat vorliegen müssen. Es muß die Möglichkeit der Überstellung des Ausländers in den als verfolgungssicher bestimmten Drittstaat bestehen. Dem liegt die gesetzgeberische Konzeption zugrunde, daß der AsyIsuchende im Drittstaat zuvor um Schutz vor Verfolgung hätte nachsuchen können. Bei der Einreise über einen Drittstaat sieht das Gesetz im Grundsatz zwei Entscheidungsmöglichkeiten vor: Entweder ist der Asylantrag abzulehnen und die Abschiebung in den sicheren Drittstaat anzuordnen (§ 26a iVm § 34a AsylVfG), oder der Asylantrag gilt als »unbeachtlich«, und es ist eine entsprechende Abschiebungsandrohung in den Drittstaat zu erlassen (§ 29 iVm § 35 AsylVfG), wenn offensichtlich ist, daß der Ausländer in einem sonstigen Drittstaat vor Verfolgung sicher war, und die Rückführung in diesen Staat oder in einen anderen Staat, in dem er vor Verfolgung sicher ist, möglich ist. Etwas anderes gilt für den Fall, daß sich die Rückführung innerhalb von drei Monaten nicht als durchführbar erweist. Dann ist nach Unterrichtung des Bundesamts durch die Ausländerbehörde das Asylverfahren »fortzuführen« (Abs. 2 der Vorschrift).

Vorliegend konnte das Bundesamt, da der sichere Drittstaat ihm nicht bekannt war, seine Entscheidung über die Ablehnung des Asylantrags nicht allein auf die Einreise über den sicheren Drittstaat stützen. Es stand zum Entscheidungszeitpunkt nicht fest, ob die Entscheidung nach § 26a iVm § 34a AsylWG zu treffen gewesen wäre, weil der Kl. beispielsweise über einen Mitgliedstaat der EG eingereist ist oder ob eine Entscheidung nach § 29 Abs. 1 AsylVfG zu treffen war, weil der Kl. einen »sonstigen« Drittstaat passiert hatte (vgl. § 26a Abs. 2 AsylVfG). Dem Kl. kann deshalb nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, daß er durch seine Aufenthalte in Drittländern freiwillig auf anderweitige Sicherheit verzichtet haben könnte. Die Anwendbarkeit des § 27 AsylWG ist ausgeschlossen, weil gerade nicht feststeht, ob der Kl. über einen »sonstigen« Drittstaat eingereist war.

Zwar ist nach § 26a Abs. 1 AsylVfG der materielle Anspruch auf Asyl grundsätzlich nicht zu prüfen, da sich der Ausländer bei einer Einreise über einen sicheren Drittstaat nicht auf Art. 16a GG berufen können soll. Diese Folge ergibt sich daraus, daß scheinbar bereits durch Art. 16a Abs. 2 GG selbst der Ausschluß des Asylbewerbers vom Grundrecht auf Asyl verfügt wird, ohne zu berücksichtigen, ob der Drittstaat die Durchreise anerkennt oder den Flüchtling zurücknimmt. Danach ist also die Rückführbarkeit eines Asylbewerbers in den sicheren Drittstaat an sich nicht Voraussetzung für eine Anwendbarkeit des § 26a AsylVfG. Somit wäre in diesen Fällen der Asylantrag eines Ausländers in der Regel ohne materielle Prüfung, allein unter Hinweis auf die Einreise über den sicheren Drittstaat, abzulehnen. Gleichwohl ist bei fehlender Möglichkeit, den Ausländer in den Drittstaat zurückzuführen, weil dieser nicht bekannt ist, das Asylverfahren durchzuführen.

Dieses Ergebnis ergibt sich aus der Bestimmung des § 29 AsylVfG, der selbst in Abs. 2 von der Möglichkeit der »Fortführung« eines Asylverfahrens ausgeht, selbst wenn der Ausländer aus einem sonstigen Drittstaat eingereist ist. Es ginge aber fehl, das Bundesamt auf diese Möglichkeit auch dann zu verweisen, wenn bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung - und nicht erst gemäß Abs. 2 Satz 1 AsylVfG nach Ablauf von drei Monaten - feststeht, daß die Rückführung des Ausländers nicht möglich ist; gleiches muß auch dann gelten, wenn diese Tatsache bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt ist. Es liegt nicht im Sinne der mit der asylverfahrens- und ausländerrechtlichen Novellierung beabsichtigten Beschleunigung, eine Asylantrag trotz fehlender Rückführbarkeit des Asylbewerbers als »unbeachtlich« im Sinne des § 29 Abs. 1 AsylVfG abzulehnen, wenn die Zurückschiebung in den sonstigen Drittstaat rechtlich oder tatsächlich nicht möglich ist. Mithin gilt § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG für die oben genannten Fälle entsprechend, nach sinngemäßer Auslegung kann hierbei - wie aufgezeigt - die »Fortführung« des Asylverfahrens nur die Durchführung des Asylverfahrens im Sinne einer materiellen Überprüfung des Asylbegehrens meinen, da die Anwendung der Drittstaatenregelung die Überprüfung des Asylrechts gerade ausschließt.

Die gegenteilige Ansicht würde entweder dazu führen, daß der Asylbewerber mangels tatsächlicher Rückführbarkeit bzw. mangels Kenntnis des Drittstaates entweder weiter im Bundesgebiet verbleiben müßte, weil eine Abschiebungsandrohung in den sicheren oder sonstigen Drittstaat nicht erlassen werden könnte (vgl. §§ 34a, 35 AsylVfG), oder daß er im Drittstaat seinen möglichen Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens nicht mehr durchsetzen könnte, weil er bei einer dennoch erfolgten Abschiebung darauf verwiesen werden könnte, möglicherweise über ein weiteren »Viert - oder Fünftstaat« in den Drittstaat gelangt zu sein. Es ist indes nicht nachvollziehbar, warum für die Abschiebung der konkrete Drittstaat bekannt sein soll, diese Kenntnis aber nicht bereits für den Ausschlußtatbestand vorliegen muß (wie hier: OVG RhPf, U. v. 16.12.1994 - 13 S 11579/94 ).

Nach dem Zweck der Regelung kann von einer Prüfung der Verfolgungsgefahr nur dann abgesehen werden, wenn dem Flüchtlinge ein verfolgungsfreier Aufenthalt in einem anderen Staat ermöglich werden kann (so auch Kanein/Renner, AusIR, 6. Aufl., § 29 Rn. 9 unter Hinweis auf BT - Drs. 11/6321, S. 89). Nach Art. 16a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Aus einem sicheren Drittstaat Einreisende sollen nach Sinn und Zweck des Gesetzes hiervon nur dann ausgenommen sein, wenn im Drittstaat auch eine Uberprüfung ihres Asylbegehrens erfolgt, weil sie nur dann die Möglichkeit haben, staatlichen Schutzes vor ihrem Verfolgerstaat teilhaftig zu werden. Wenn aber der Drittstaat, über den der Asylsuchende eingereist ist, nicht feststeht, kann er dort auch nicht mehr um Schutz vor politischer Verfolgung nachsuchen.

Vielmehr würde eine gleichwohl durchgeführte Abschiebung in einen Drittstaat die Gefahr des »Refoulement« auslösen oder doch zumindest erhöhen. Der Gesetzgeber wollte indes gerade einen Zustand verhindern, in dem sich für einen Flüchtling aus formalen Gründen letztlich kein Staat verantwortlich fühlt (Kanein/Renner, aaO). § 26a Rn. 7 unter Hinweis auf BT - Drs. 12/4450, S. 15). Wenn Art. 16a Abs. 1 GG politisch Verfolgten Asylrecht gewährt, kann nach dem Sinnzusammenhang mit Absatz 2 dieser Bestimmung die Drittstaatenregelung nur dann Platz greifen, wenn der Drittstaat den Ausländer auch tatsächlich zurücknimmt. Nur für diesen Fall ist - wie nach Art. 16a Abs. 2 GG vorausgesetzt - sichergestellt, daß er sich nach dem Abschluß des Asylrechts in der BR Deutschland im Drittstaat auf die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten berufen kann.

Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, daß das Grundrecht auf Asyl ein positives Leistungsrecht sei, bei dem im Zweifel über den Einreiseweg den Kl. eine Darlegungslast träfe. Diesen Nachweis, über welchen sicheren Drittstaat der Asylsuchende eingereist ist, obliegt vielmehr der Bekl, Denn der Ausschluß des Asylrechts kann nicht mehr damit begründet werden, daß der Asylbewerber nach Rückkehr in den sicheren Drittstaat dort ein noch nicht gestelltes Schutzersuchen nachholen kann, da dieser Drittstaat gerade nicht feststeht. Der Zweck nach Art. 16a Abs. 2 GG, den AsyIsuchenden auf Schutz im sicheren Drittstaat zu verweisen und damit den Flüchtlingsstrom besser europaweit zu verteilen, kann dann nicht mehr eingehalten werden. Die Möglichkeit, im Aufnahmestaat Schutz vor politischer Verfolgung zu erhalten, erfordert einen Zugang zum Asylverfahren, da zum Schutzbereich des Asylgrundrechts nicht nur die Schutzgewährung gehört, sondern auch die tatsächliche Möglichkeit der Inanspruchnahme. Für den Fall, daß weder feststeht, ob der Kl. über einen Drittstaat eingereist ist, noch über welchen, obliegt dem Bundesamt die materiell - rechtliche Überprüfung des Asylbegehrens auch dann, wenn der Asylbewerber über einen sicheren Drittstaat eingereist sein sollte (so bereits: VG Leipzig, U. v. 21.6.1994 A 6 K 30371/94; ebenso OVG RhPf aaO; Marx, AylVfG, Kommentar, 5. Aufl., § 26a Rn. 13; abw. VG Leipzig, U. v. 30.8.1994 - A 7 K 30132/94 -).

Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, daß eine derartige Verteilung der »Darlegungslast« jene Asylbewerber begünstige, die ihren Reiseweg verschleierten. Denn wenn die Drittstaatenregelung zum Ausschluß des Asylbewerbers von der Inanspruchnahme dieses Grundrechtes führen soll, kann der Ausschlußtatbestand nicht seinerseits zum Maßstab für weitere Restriktionen genommen werden. Vielmehr ist das Recht auf Asyl nicht abgeschafft; es soll sich nur derjenige nicht mehr darauf berufen können, der zuvor bereits in einem Drittstaat Sicherheit gefunden hat oder zumindest hätte finden können. Es ist deshalb eine »grundrechtsfreundliche« Auslegung geboten, weil im Zweifel die Deutung sachgerechter ist, die einer Wertentscheidung der Verfassung besser entspricht (Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, 7. Aufl., Einf. Rn. 14 mwN; wie hier: OVG RhPf aaO).

Sieht man Art. 16a GG als partiell wegfallendes Individualgrundrecht, können die in Abs. 2 genannten Einschränkungen nur bei tatsächlich vorhandener Möglichkeit der

Schutzgewährung im Drittstaat Anwendung finden, weil andernfalls die Voraussetzungen für den Wegfall des Grundrechts fehlen, diese einschränkende Auslegung gilt gerade auch im Hinblick darauf, daß nach bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung Vorausset zungen und Umfang des Asylrechts wesentlich durch das oberste Verfassungsprinzip, der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, bestimmt sind (BVerfGE 54, 341, 356 f. = EZAR 200 Nr. 1; BVerfGE 56, 216, 235 = EZAR 221 NR. 4). Dieses setzt indes die Möglichkeit der Schutzgewährung in Deutschland voraus, wenn im Drittstaat dieser Schutz nicht (mehr). zu erlangen ist. Abs. 2 der Bestimmung gründet den Ausschluß des Asylsuchenden von der Schutzgewährung in Deutschland ersichtlich darauf, daß der Ausländer des Schutzes in Deutschland nicht mehr bedarf, weil er bereits in dem durch die Verfassung oder durch Gesetz bestimmten oder durch einen sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war. Wenn sich nach Art. 16a Abs. 2 GG der Asylsuchende nicht mehr auf das Grundrecht nach Abs. 1 der Bestimmung berufen können soll, dann liegt dem die Erwägung zugrunde, daß diesem die Eigenschaft als »Flüchtender« abgesprochen werden soll, weil die Zwangslage bereits in einem Drittstaat aufgehoben war oder hätte aufgehoben werden können. Damit ist aber gerade noch nichts darüber gesagt, ob die Eigenschaft als von politischer Verfolgung im Herkunfsstaat Betroffener im Nachhinein entfallen ist (wie hier: VG Frankfurt am Main, InfAusIR 1994, 336).

Dieses Ergebnis wird ferner gestützt durch eine Auslegung des Willens des Gesetzgebers (im folgenden vgl. BTDrs. 12/4450, S. 14 ff.), der Ausländer, die aus einern sicheren Drittstaat in das Bundesgebiet einreisen, nur dann vom Grundrecht auf Asyl ausschließen wollte, sofern nicht aus besonderen Gründen das Asylverfahren in Deutschland durch zuführen ist (aaO. S. 14). Die Regelung des § 26a AsylVfG beruhe darauf, daß ein vor politischer Verfolgung Flüchtender in dem ersten Staat um Schutz suchen müsse, in dem ihm dies möglich sei. Außerdem müsse es dem Ausländer möglich sein, nach Rückkehr in den sicheren Drittstaat, über den er eingereist sei, ein dort eingeleitetes Verfahren auf Schutzgewährung zu Ende zu führen oder ein noch nicht gestelltes Schutzersuchen nachzuholen. Die Drittstaatenregelung erschöpfe' sich insgesamt nicht in den Feststellungen über den Reiseweg des Asylsuchenden, sondern sie habe auch die Rückkehr des Betroffenen in den schutzbietenden Drittstaat zum Ziel (aaO. S. 20).

Wenn aber die Rückkehr des Ausländers in den Drittstaat nicht möglich ist, geht der Gesetzgeber davon aus, daß ausnahmsweise ein besonderer Grund für die Durchführung des Asylverfahrens - und damit einer materiellen Überprüfung des Asylbegehrens vorliegt.

Für die hier vertretene Ansicht spricht ferner die jüngere verfassungsgerichtliche Recht sprechung: So hat die 1. Kammer des 2. Senats im Falle einer Irakerin, die aus dem sicheren Drittstaat Griechenland eingereist war, verpflichtet, im Wege der einstweiligen Anordnung die Einreise in das Bundesgebiet zu gestatten, weil die Astin. Jedenfalls ausreichende Gesichtspunkte dafür vorgetragen habe, daß sie politische Verfolgung bzw. menschenrechtswidrige Behandlung im Irak zu befürchten habe und daß ihr für den Fall der Zurückweisung im Hinblick auf die ausländerrechtlichen Bestimmungen in Griechenland kein wirksamer Schutz vor Weiterverschiebung bestehen würde, da sie nicht unmittelbar aus dem behaupteten Verfolgerstaat nach Griechenland eingereist ist. Es sei »verfassungsrechtlich nicht tragfähig«, wenn sich das VG »von vornherein« gehindert sehe, dem Vorbringen der Astin. nachzugehen und es inhaltlich zu würdigen. Die verfassungsgerichtliche Abwägung habe ergeben, daß der der Astin. durch die Einreiseverweigerung entstehende Nachteil schwerer wiege als der teilweise Ausschluß eines begrenzten Personenkreises von der Anwendung der Drittstaatenregelung (NVwZ - Beilage 2/1993, S. 11 = EZAR 208 Nr. 2).

Das VG Frankfurt am Main hatte in seinem der verfassungsgerichtlichen Entscheidung entgegenstehenden Beschluß vom 7.9.1993 (NVwZ - Beilage 2/1 993, S. 15 f.) der Betrof fenen die Einreise verweigert, weil nach dem »eindeutigen Willen des Gesetzgebers« (vgl. § 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG) Ausländern, die aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des § 26a AsylVfG einreisten, die Einreise zu verweigern sei. Wenn aber unter Zugrundelegung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die inhaltliche Überprüfung eines Asylbegehrens »nicht von vornherein« was nur heißen kann: nicht allein unter Hinweis auf die Einreise über den sicheren Drittstaat ausgeschlossen ist, kann daraus nur gefolgert werden, daß weder Bundesamt noch Gericht gehindert sind, den geltendgemachten Asylanspruch nach Art. 16a Abs. 1 AsylVfG auch materiell dann zu würdigen, wenn die Rückübernahme des Ausländers durch den sicheren Drittstaat nicht gewährleistet ist. Denn nur für den Fall der Möglichkeit der Überprüfung eines Asylbegehrens in dem sicheren Drittstaat und der damit verbundenen auswärtigen Verfolgungssicherheit erscheint der Ausschluß vom Grundrecht auf Asyl nach Art. 16a Abs. 1 GG gerechtfertigt.

Diese Auslegung folgt auch der früheren Rechtsprechung zum anderweitigen Verfolgungsschutz, der nicht nur als ein lediglich in der Vergangenheit abgeschlossenes, sondern als ein in die Gegenwart und sogar in die Zukunft wirkendes Ereignis betrachtet wurde (vgl. zu § 2 AsylVfG aF BVerwGE 75, 181 = EZAR 205 Nr. 4); der Ausschluß von der Asylgewährung in Deutschland hatte somit ein gesichertesBleiberecht und die tatsächliche Aufenthaltsmöglichkeit für nicht nur vorühergehende Dauer zur Voraussetzung (vgl. Kanein, AusIR, 4. Aufl., § 2 AsylVIIG Rn. 7). Eine Berufung auf Asyl in Deutschland war nur dann ausgeschlossen, wenn der Ausländer bereits in dem Drittstaat Schutz gesucht und gefunden und ihn anschließend durch Weiterreise in das Bundesgebiet freiwillig wieder aufgegeben hatte (BVerwGE 75, 181, 186 = EZAR 205 Nr. 4; BVerwGE 77, 150, 153 = EZAR 205 Nr. 5). Dieses ließe sich vorliegend indes nicht feststellen, weil die (möglichen) Zwischenaufenthalte des Kl. in den Drittstaaten von vornherein zum Ziel gehabt haben dürften, den Kl. mit Hilfe von Schleusern nach Deutschland zu bringen; eine Inanspruchnahme und tatsächliche Gewährung von Schutz vor der behaupteten politischen Verfolgung in diesen Drittstaaten lag somit nicht vor.

Bei einer Einreise über einen sicheren Drittstaat ist das Bundesamt demzufolge nicht auf die Entscheidungsaltemativen beschränkt, entweder gemäß § 34a AsylVfG die Abschiebung in den Drittstaat anzuordnen und zugleich den Asylantrag gemäß § 26a AsylVfG abzulehnen oder den Asylantrag als unbeachtlich gemäß § 29 AsylVfG abzulehnen und eine entsprechende Abschiebungsandrohung zu erlassen. Die allein auf die vermutete Einreise über einen sicheren Drittstaat gestützte Ablehnung des Asylantrags des Kl. erfolgte im Ergebnis jedoch zu Recht.

Hierbei ist es rechtlich unerheblich, daß das Bundesamt in seiner Begründung den eigentlichen Asylantrag unter Berufung auf die Einreise des Kl. über den unbekannten sicheren Drittstaat nicht geprüft hat. Die an Inhalt und Umfang der Begründung zu treffenden Anforderungen sind dennoch als erfüllt anzusehen, da die die Entscheidung tragenden Feststellungen und Erwägungen des Bundesamts hinreichend erkennbar und nachvollziehbar sind (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Jedenfalls hat es § 51 Abs. 1 AusIG in vollem Umfange »durchgeprüft« und im Ergebnis ebenso zutreffend verneint. § 51 Abs. 1 AusIG unterscheidet sich lediglich dadurch von Art. 16a GG, als dessen Voraussetzungen auch dann erfüllt sind, wenn ein Asylanspruch beispielsweise wegen der Regelungen nach §§ 26a, 27 oder 28 AsylVfG - außer Betracht bleibt. Der Prüfungsurnfang geht insoweit also über die eigentliche Asylprüfung noch hinaus, so daß die formellen Anforderungen an die Begründung der asylverfahrensrechtlichen Entscheidung als erfüllt anzusehen sind.

Da es sich vorliegend um eine gebundene Entscheidung handelt, war die Kammer im übrigen befugt, die Entscheidung der Bekl. vollumfänglich zu überprüfen. Die Argumentation des Bundesamts trägt im Ergebnis die Ablehnung des Asylantrags.

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