Verwaltungsgericht Minden, Urteil vom 3. Oktober.1988-10 K 10.630/87

Verwaltungsgericht Minden

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Verwaltungsrechtsstreit

des angolanischen Staatsangehörigen X

gegen den Oberkreisdirektor des Kreises Herford, Postfach 21 55, 4900 Herford,

Beklagten, wegen Anfechtung einer ausländerbehördlichen Verfügung nat die 10. Kammer aufgrund der mündlichen Verhandlung

vom3. Oktober 1988

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Haenicke als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Der Bescheid des Beklagten vom 16.4.1987 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der 1951 geborene Kläger war im August 1983 in das Bundesgebiet eingereist und hatte hier seine Anerkennung als Asylberechtigter beantragt. Er war mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) vom 27.12.1984 als Asylberechtigter anerkannt worden. Mit Urteil vom 17.12.1986/28.1.1987 – 10 k 10.133/85 - hob die kammer, der der im vorliegenden Verfahren entscheidende Einzelrichter angehört, den Bescheid des Bundesamtes auf. Die gegen das Urteil wegen Nichtzulassung der Berufung eingelegte Beschwerde des Klägers blieb erfolglos (OVG NW Beschluß vom 19.3.1987 - 19 B 20390/87-). Zur Begründung des Urteils der Kammer war im wesentlichen ausgeführt, das Vorbringen des Klägers, er habe wegen regimekritischer Äußerungen in Angola inhaftiert werden sollen und habe wegen der insoweit drohenden weiteren Konsequenzen sein Heimatland verlassen müssen, sei nicht glaubhaft; näher liege insoweit die Annahme, daß der Kläger, der 1983 zur Ableistung des Webrdienstes angestanden habe, sich mit Hilfe eines mit unrichtigem Geburtsdatum versehenen Passes der Ableistung des Wehrdienstes entzogen habe; es sei daher nicht glaubhaft, daß der Kläger bei Rückkehr nach Angola mit politischen Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen habe.

Mit Bescheid vom 16.4.1987 forderte der Beklagte den Kläger unter Androhung der Abschiebung in sein Heimatland auf, das Bundesgebiet bis zum 21.5.1987 zu verlassen. Zur Begründung des auf § 28 Abs. 1 AsylVfG gestützten Bescheides war u.a. angeführt, daß nach der negativen Entscheidung im Klageverfahren keine Gründe für einen weiteren Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet vorlägen; es seien insbesondere auch keine nach § 14 AuslG einer Abschiebung nach Angola entgegenstehenden Gründe ersichtlich.

Gegen den Bescheid hat der Kläger am 8.5.1987 Klage erhoben. Er trägt vor: Nach dem Urteil des OVG Münster vom 28.11.1986 - 19 A 10144/86 - werde eine Abschiebung der nicht anerkannten politischen Flüchtlinge angesichts der in Angola herrschenden Bürgerkriegssituation im Regelfall nicht stattfinden können. Der Beklagte sei in seinem Bescheid auf diese Problematik nicht eingegangen. Insoweit liege ein Ermessensdefizit vor.

Der Kläger beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 16.4.1987 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

En trägt vor: Wenn nicht anerkannte Asylbewerber bei Rückkehr nach Angola wegen der Bürgerkriegssituation mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hätten, wäre sicher durch den Innenmininister ein Abschiebestop verhängt worden. Dies sei für Angolaner bisher jedoch nicht geschehen. Vom Bürgerkriegsgeschehen sei die Hauptstadt Luanda, wo auch der Kläger zuletzt gelebt habe, nicht betroffen. Soweit der Kläger sich der Ableistung des Wehrdienstes evtl. entzogen habe, habe er auch nach den Ausführungen im Urteil der Kammer vom 17.12.1986/28.1.1985 lediglich damit zu rechnen, daß er zur Ableistung des Wehredienstes der Truppe zugeführt werde.

Wegen der weiteren Einzrelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des vorausgegangenen Verfahrens 10 K 10.133/85 sowie auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet, da sich der angefochtene Bescheid des Beklagten als rechtswidrig erweist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Als Rechtsgrundlage seiner Verfügung vom 16.7.1987 hat der Beklagte zu Recht § 28 AsylVfG angeführt.

Vgl. hierzu auch BverwG, Urteil vom 14.5.1986 – 1 C 23.85 -, DÖV 1986, S. 745; vgl. ferner hierzu und zum folgenden das (dem Beklagten vor der mündlichen Verhandlung zur Verfügung gestellte) Urteil der Kammer vom 16.12.1987 - 10 K 10.972/87 - (nicht rechtskräftig).

Hiernach ist die Ausländerbehörde nach erfolglosem Absechluß eines Asylverfahrens (sofern sie nicht bereits vorher tätig geworden ist) grundsätzlich gehalten, eine Verfügung nach § 28 AsylVfG zu erlassen. Dabei ist ihr - soweit keine wesentliche Änderung der Sach - und Rechtslage feststellbar ist - eine Überprüfung der gerichtlichen Feststellungen, daß der Aszlbewerber in seinem Heimatland keine politische Verfolgung zu befürchten habe, verwehrt. Bei ihrer Entscheidung hat sie jedoch zu prüfen, ob dem Asylbewerber der Aufenthalt im Bundesgebiet nicht gleichwohl aus sonstign Gründen ermöglicht wird (§ 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG). Als derartige sonstige Gründe kommen insbesondere Tatsachen in Betracht, die die Abschiebung eines Ausländers in einen bestimmten Staat - auch wenn ihm dort keine politische Verfolgung droht - hindern, z.B.weil er dort schwerwiegende Beeinträchtigungen menschenunwürndiger Art wie z.B. Folter zu erwarten hat. Vgl. Kloesel/Christ, Deutsches Ausländerrecht, 2. Aufl., Stand: April 1988, Anm. 2 zu § 14 Auslg, m.w.N.

Diese Verpflichtung ist auch in dem vom Kläger angeführten Urteil des OVG Münster vom 28.11.1986 - 19 A 10144/86 – an – gesprochen, wenn es darin heißt:

"Bei der insoweit zu treffenden ausländerrechtlichen Entscheidung wird angesichts des in Angola herrschenden Bürgerkriegs zu beachten sein, daß es mit dem Prinzip der Menschenwürde nicht vereinbar ist, wenn deutsche Behörden an der menschenrechtswidrigen Behandlung eines Betroffenen durch dessen zwangsweise Überstellung in ein Land mitwirken würden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist."

Jede Verfügung nach § 28 Abs. 1 AsylVfG enthält hiernach - soweit sie nicht ausdrücklich darauf eingeht - die stillschweigende Feststellung, daß derartige sonstige Gründe für eine Ermöglichung des Aufenthalts des Asylbewerbers im Bundesgebiet nicht vorliegen. Eine Verpflichtung der Ausländerbehörde, die Feststellung, daß keine sonstign Gründe vorliegen, ausdrücklich in ihre Entscheidung nach § 28 AsylVfG stets aufzunehmen, kann nicht angenommen werden. Wenn nichts dafür ersichtlich ist, daß derartige sonstigen (nicht politisch begründeten) Abschiebungshindernisse der Abschiebung eines erfolglosen Asylbewerbers entgegenstehen könnten, besteht kein Anlaß, dies in einer Verfügung nach § 28 AsylVfG noch festzustellen.

Vgl. das angeführte Urteil der Kammer vom 16.12.1987; in diesem Sinne wohl auch OVG Hamburg, Beschluß vom 21.10.1986 - Bs IV 491/86 -

Liegen hingegen Umstände vor, nach denen die Duldung eines erfolglosen Asylbewerbers aus sonstigen Gründen angezeigt sein könnte, dann muß die Ausländerbehörde diese Umstände auch in ihrer Verfügung nach § 28 AsylVfG selbst dann würdigen, wenn sie das Vorhandensein derertiger sonstiger Abschiebungshindernisse letztlich fehlerfrei verneint.

Vgl. das angeführte Urteiloder Kammer vom 16.12.1987.

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall erweist sich die Verfügung des Beklagten vom 16.4.1987 als rechtswidrig. Zwar ist nicht zu beanstanden, daß die Bürgerkriegssituation nicht angesprochen wurde.

Vgl. hierzu das angeführte Urteil der Kammer vom 16.12.1987.

Denn nach den der Kammer vorliegenden Unterlangen haben sich jedenfalls für die in den größeren Städten, insbesondere in der Hauptstadt Luanda lebende Bevölkerung, zu der auch der Kläger nach seinem Asylvorbringen gehört hat, die allgemein für Leib und Leben gegebenen Gefahren durch den Bürgerkrieg nicht wesetlich erhöht. Die Verfügung des Beklagten ist jedoch rechtswidrig, weil darin der dem zum Asylverfahren des Klägers ergangenen Urteil der Kammer vom 17.12.1986/28.1.1987 zu entnehmende Umstand nicht näher gewürdigt worden ist, daß sich der - politisch nicht gefährdete - Kläger möglicherweise in Angola mit Hilfe einesemit einem unrichtigen Geburtsdatum versehenen Passes dem Wehrdienst esntzogn hat, obwohl er zum Wehrdienst anstand. Aufgrund dieses Um tandes läßt sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen, daß der Kläger bei Rückkehr nach Angola deswegen belangt wird; insbesondere ist nicht auszuschließen, daß der Kläger wegen einer etwa begangenen Wehrdienstentzienung nicht in einem Gerichtsverfahren abgeurteilt, sondern deswegen - gleichsam zur ersatzweisen Bestrafung - zur Teilnahme an besonders gefährlichen militärischen Einsätzen gezwungen wird.

Vgl. hierzu die Jahresberichte 1985 und 1986 von Amnesty international.

Aus der im Urteil der Kammer vom 17.12.1986/28.1.1987 getroffenen Feststellung, daß Wehrdienstpflichtige teilweise auch ohne besondere Adndung des Wehrdienstentzugs auf der Straße aurgegriffen und dem Wehrdienst zugeführt würden, kann nicht in überzeugender Weise geschlossen werden, daß in Angola Wehrpflichtige auch dann entsprechend glimpflich behandelt werden, wenn sie sich durch längeren Auslandsaufenthalt dem Wehrdienst entzogen haben, obwohl sfe bereits durch öffentlichen Hinweis in der Universität zur Ableistung des Wehrdienstes unter Angabe eines bestimmten Genstellungstermins aufgefordert waren (wie es bei dem Kläger - nach seinen glaubhaften Bekundungen im Asylverfahren, die durch Augaben eines Zeugen bestätigt wurden - der Fall war).

a der Beklagte auf diese Umstände in seiner Verfügung nicht näher eingegangen ist, war seine Verfügung aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Berufung war zuzulassen, da zu der Frage, inwieweit Verfügungen nach § 28 AsylVfG wegen fehlender Würdigung von sonstigen (nicht politisch begründetem) Abschiebungshindernissen rechtswidring sind, noch keine hinreichend gefestigeteobsergerichtliche Rechtsprechung vorliegt.

Vgl. GK-AsylVfG, Stand: August 1988, Rdnr. 91 zu § 28 AsylVfG m.w.N.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monsts nach Zustellung bei dem Verwaltungsgericht Minden schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Berufung eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entseheidet.

Haenicke

Beschluß

Der Streitwert wird auf 6.000, - - DM festgesetzt

(§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluß kann binnen sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde beim Verwaltungsgericht Minden einglegt werden, über die das Observerwaltungsgericht für das Land Nordrhein -Westfalen in Münster entscheidet, falls das beschließend Gericht ihr nicht abhilft.

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der wert des Beschwerdegegenstandes einhundert Deutsuch Harl übersteigt.

Haenicke

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