Bundesverfassungsgericht

Beschluß vom 20.5.1992 - 2 BvR 205/92

Leitsätze der Redaktion:

1.         Rücksichtslose Razzien und Durchsuchungen, bei denen es wiederholt zu willkürlichen Erschießungen sowie Folterungen, Vergewaltigungen und Brandstiftungen kommt, haben ausgrenzenden Charakter, so daß für die von ihnen gezielt Betroffenen eine ausweglose Lage nicht ohne weitere Begründung zu verneinen ist.

2.         Amtswalterexzesse sind nur dann dem Staat nicht zurechenbar, wenn es sich um vereinzelte Exzeßtaten von Amtswaltern handelt.

Sachverhalt: Die Beschwerdeführer, ein Ehepaar und drei minderjihrige Kinder, sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und jezidischen Glaubens. Ihr Asylgesuch wurde durch das Bundesamt für die Anerkennung auslindischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 21.6.1988 zurückgewiesen. Nachdem mit Beschluß der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27.11.1990 (2 BvR 2089/90) das die Klage gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes zurückweisende Urteil des Verwal tungsgerichts Oldenburg aufgehoben worden war, wurde die Klage der Beschwerdeführer mit Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 18.4.1991 - 5 A 28/91 OS Mi - erneut abgewiesen. Auf erneute Verfassungsbeschwerde hin wurde auch dieses Urteil wegen Verletzung des Grundrechts aus Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 aufgehoben. Die Sache wurde an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Der Beschluß des Niedersichsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16.12.1991 - 11 L 5896/91 - wurde für gegenstandslos erklärt. Dem Land Niedersachsen wurde auferlegt, den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zur Hälfte zu erstatten. Die Entscheidung erging erneut durch die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts in der Besetzung mit den Richtern Bockenförde, Winter und Sommer.

Aus den Gründen:

»A.       Die Verfassungsbeschwerden betreffen im wesentlichen die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine politische Verfolgung vorliegen kann, wenn staatliche Stellen (Militär- bzw. Sicherheitskräfte) auch auf Veranlassung von Dritten im Blick auf asylerhebliche Merkmale zu beeinträchtigenden Maßnahmen greifen.

I.

1.         Die Beschwerdeführer, ein Ehepaar und drei minderjährige Kinder, sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und jezidischen Glaubens. Sie reisten im Oktober 1986 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten Asyl. Sie begründeten dies nach dem Tatbestand des angegriffenen Urteils damit, sie seien in ihrer Heimat verfolgt worden, weil sie Kurden und Jeziden seien. Ihre Religion werde in der Türkei nicht anerkannt. Außerdem sei ihnen das Vieh gestohlen worden. Als der Beschwerdeführer zu 1) seinen Wehrdienst geleistet habe, sei er fast jeden Tag geschlagen. und schikaniert worden. Nach seiner Entlassung sei er in seiner Heimat öfter von Muslimen bedrängt und einmal so geschlagen worden, daß er habe operiert werden müssen. Anzeigen bei der Polizei seien erfolglos geblieben. Darüber hinaus sei ihr Heimatdorf öfter von Soldaten und Polizisten durchsucht worden, weil den Einwohnern vorgeworfen worden sei, Terroristen zu verstecken und auf andere Weise zu unterstützen. - Die Einwohner seien geschlagen, gefoltert und nach den Namen kurdischer Terroristen gefragt worden. Sie, die Beschwerdeführer, seien keine Mitglieder. der PKK, hätten diese aber mit Geld und Lebensmitteln unterstützt, was freilich den staatlichen Behörden unbekannt geblieben sei.

Mit ihrem Asylbegehren blieben die Beschwerdeführer ohne Erfolg:

a)         Ihre gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes vom 21.Juni 1988 gerichteten Klagen wurden vom Verwaltungsgericht - Einzelrichter - durch Urteil vom 15. November 1989 abgewiesen, und zwar im Schwerpunkt mit der Begründung, den Beschwerdeführern stehe jedenfalls eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluß der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. November 1990 (2 BvR 1089/90) dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Aufgrund mündlicher Verhandlung vom 18. April 1991 hat das Verwaltungsgericht - Einzelrichter - die Klagen erneut abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:

Die Beschwerdeführer hätten nicht glaubhaft gemacht, vor ihrer Ausreise politisch verfolgt worden zu sein. Ihr Vorbringen sei hinsichtlich der angeblichen politischen Betätigung des Beschwerdeführers zu 1) für die PKK wegen fehlender Substantiiertheit und Widersprüchlichkeit als unglaubwürdig zu betrachten. Die übrigen Angaben der Beschwerdeführer widersprächen den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen.

Hiernach brauchten die Beschwerdeführer nicht allein deshalb mit Verfolgung zu rechnen, weil sie Kurden seien. Was die von staatlichen Stellen ausgehenden unmittelbaren Beeinträchtigungen kurdischer Volkszugehöriger und ganz besonders die politischen und militärischen Aktionen in den kurdischen Siedlungsgebieten angehe, bei denen es auch zu von Exzessen begleiteten Ausschreitungen gegenüber der kurdischen Zivilbevölkerung gekommen sei, so sei Ziel dieser Maßnahmen nicht, die kurdische Minderheit zu diskriminieren, niederzuhalten oder gar zu vernichten, sondern vielmehr, die Einheit des türkischen Staates zu wahren.

Auch wegen ihres jezidiscben Glaubens würden die Beschwerdeführer nicht verfolgt. Jeziden unterlägen in der Türkei weder einer Gruppenverfolgung noch einer Einzelverfolgung nach Gruppenmerkmalen. Freilich seien die Jeziden als Nicht-Muslime seit jeher verfolgt worden. Sie seien auch derzeit von Übergriffen durch Muslime in allen Lebensbereichen betroffen. Sie würden darüber hinaus von Muslimen bewußt rechtswidrig der Unterstützung kurdischer Separatisten beschuldigt. Die Verfolgung der Jeziden durch ihre muslimischen Landsleute aus wirtschaftlichen, politischen und religiösen Gründen und ihre Benachteiligung durch staatliche Stellen gehe aber nicht so weit, daß darin eine unmittelbar oder mittelbare politische Verfolgung durch den Staat zu erblicken sei.

Der Staat selbst verfolge die Jeziden nicht. Das gehe schon daraus hervor, daß in den letzten Jahrzehnten keine gezielten staatlichen Übergriffe gegen sie mehr bekannt geworden seien. Außerdem würde eine derartige Verfolgung dem in der Verfassung der Türkei niedergelegten Grundsatz der religiösen Neutralität des Staates widersprechen. Ob dieser Grundsatz immer eingehalten werde, könne zwar zweifelhaft sein. Ein Verstoß des Staates gegen das sich selbst auferlegte Neutralitätsgebot gehe aber jedenfalls nicht so weit, daß er die Angehörigen nicht-muslimischer Religionen offen oder versteckt über Benachteiligungen hinaus regelrecht verfolge. Daß Jeziden bei den Behörden diskriminiert würden und ihnen die erforderliche Hilfe verweigert werde, reiche für die Annahme einer unmittelbaren staatlichen Verfolgung mit Gefahr für Leib und Leben nicht aus. Eine Verfolgung im Zusammenhang mit dem Religionsunterricht in Schulen, der Ableistung des Wehrdienstes und der Eintragung von Merkmalen in Personalpapieren liege nicht vor.

Die Jeziden würden auch nicht mittelbar vom türkischen Staat verfolgt. Auch wenn sie einer Verfolgung durch ihre muslimischen Landsleute insbesondere dadurch unterlägen, daß ihnen Land geraubt und sie - zu Recht oder zu Unrecht - der separatistischen Betätigung beschuldigt würden, fehle es jedenfalls an flächendeckenden Massenverfolgungen, von der mehr oder weniger alle Jeziden betroffen seien. Selbst wenn man dies anders Sähe, führte dies zu keinem anderen Ergebnis. Die staatliche Ordnungsmacht mißbillige nämlich die Verfolgung der Jeziden und setze die ihr zur Abwehr zur Verfügung stehenden Mittel tatsächlich entschlossen ein, auch wenn es ihr gelegentlich nicht gelinge, alle Aktivitäten zu verhindern oder sofort zu unterdrücken.

b)         Die gegen die Nichtzulassung der Berufung gerichtete, auf sämtliche Zulassungsgründe des § 32 AsylVfG gestützte und vor allem mit Erwägungen zur Gruppenverfolgung und zur fehlenden inländischen Fluchtalternative begründete Nichtzulassungsbeschwerde war erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht beurteilte die Rügen als unbegründet. Die Sache habe keine grundsätzliche Bedeutung. Das Bundesverwaltungsgericht habe in mehreren Entscheidungen eine jezidische Kurden in der Türkei treffende Gruppenverfolgung mit der Begründung verneint, daß eine entsprechende Verfolgungsdichte nicht angenommen werden könne. Mit der Rüge, das Urteil berücksichtige nur unzureichend neuere gutachterliche Erkenntnisse zur Lage der jeziden, griffen die Beschwerdeführer in der Art einer Berufungsbegründung die rechtliche Bewertung des in das Verfahren eingeführten Tatsachenmaterials an. Die aufgeworfene Frage der inländischen Fluchtalternative stelle sich nicht, weil das Verwaltungsgericht bereits eine Verfolgung der Beschwerdeführer im ursprünglichen Siedlungsgebiet der Jeziden verneint habe. Auch Verfahrensmängel lägen nicht vor.

Der Beschluß ist am 14. Januar 1992 abgesandt und den Beschwerdeführern nach ihren Angaben am 16. Januar 1992 zugestellt worden.

2.         Mit ihren am 12. Februar 1992 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer im Schwerpunkt die Verletzung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG durch die beiden gerichtlichen Entscheidungen; hierfür begehren sie die Gewährung von Prozeßkostenhilfe.

Ihre Asylanträge, die in erster Linie auf die Gefahr der Verfolgung als Jeziden durch die muslimische Umgebung unter Hinweis auf eine bestehende Gruppenverfolgung der kurdischen Jeziden in der Türkei sowie auf die Unterdrückung aufgrund der Zugehörigkeit zum Kurdentum gegründet worden seien, seien in verfassungswidriger Weise abgelehnt worden. Bereits die Eintragungen in die entsprechenden Personalpapiere stellten sich als politische Verfolgungen dar. Darüber hinaus seien die Begehren trotz ausführlicher Schilderung des persönlichen Verfolgungsschicksals abgelehnt Worden, ohne die politisch, rassisch und religiös motivierte Gruppenverfolgung der kurdischen Jeziden in der Türkei hinreichend zu berücksichtigen. Die getroffenen Entscheidungen gingen nicht hinreichend auf gutachterliche Äußerungen ein, obgleich in ihnen Tatsachen und Beweismittel für die behauptete Gruppenverfolgung zusammengetragen worden seien; in ihnen sei nachgewiesen worden, daß eine inländische Fluchtalternative nicht in Betracht komme und eine Verfolgung der Jeziden im gesamten Staatsgebiet der Türkei erfolge. Dies sei nicht hinreichend und insbesondere nicht richtig gewürdigt worden. Das Verwaltungsgericht habe sich damit begnügt, Verfolgungsmerkmale zusammenzutragen, sie aber gleichwohl als nicht ausreichend für eine Gruppenverfolgung zu qualifizieren, ohne indessen genauer anzugeben, wann eine Gruppenverfolgung vorliegt und weshalb ihre Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Es sei nicht hinreichend, auf der einen Seite erhebliche Verfolgungsmerkmale zusammenzutragen und die seit Jahren bestehende Verfolgung der Jeziden festzustellen, auf der anderen Seite aber darzulegen, daß die Summe der Verfolgungsmaßnahmen zu einer politisch motivierten Verfolgung nicht hinreiche. Es wäre vielmehr erforderlich gewesen, sich mit den Fragen des Bestehens eines religiösen Existenzminimums und der Verfolgungsdichte im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auseinanderzusetzen. Überdies habe sich das Gericht nicht mit der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der auf ihr beruhenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Stade zur Gruppenverfolgung, insbesondere der Kurden, auseinandergesetzt; dies betreffe auch die Frage der inländischen Fluchtalternative für von regionaler Verfolgung betroffene Kurden. Diesem Gesichtspunkt hätte sich das Gericht auch im Hinblick auf die Verfolgung der Beschwerdeführer wegen ihres Jezidentums zuwenden müssen.

II.          Das Niedersächsische Justizministerium hat von einer Stellungnahme ebenso abgesehen wie das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten.

B.

I.          Die Verfassungsbeschwerden sind nur teilweise zulässig.

1.

a)         Im Hinblick auf den angegriffenen Beschluß des Oberverwaltungsgerichts enthalten die Verfassungsbeschwerden keine den Anforderungen des § 92 BVerfGG genügende Begründung. Der pauschale Vorwurf, der Beschluß sei verfassungswidrig, genügt nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, daß die Beschwerdeführer durch die Verneinung der Voraussetzungen einer Berufungszulassung (§ 32 AsylVfG) in ihrem Asylgrundrecht verletzt sein könnten (vgl. auch BVerfGE 83, 216 ‹227› = InfAuslR 1991, 200ff.).

b)         Soweit die Verfassungsbeschwerden die Gründe des Verwaltungsgerichts angreifen, die eine politische Verfolgung der Beschwerdeführer wegen ihres Kurdentums verneinen, ist dem Gebot der Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 BVerfGG; vgl. BVerfGE 81, 97 ‹102›; 83, 216 228 ff.> = InfAusIR a.a.O.) nicht genügt. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beschwerdeführer enthält ganz überwiegend Ausführungen und Rügen, die sich auf das Jezidentum der Beschwerdeführer beziehen. Soweit in ihr Bemerkungen zur behaupteten Verfolgung von Kurden allgemein enthalten sind, weisen diese nicht die Form einer zulässigen Rüge gegen die Nichtzulassung der Berufung (vgl. § 32 AsylVfG) auf. Demtentsprechend ist das Oberverwaltungsgericht auf diese Bemerkungen in seinem Beschluß nicht eingegangen. Es ist in den Verfassungsbeschwerden nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich, aus welchen beachtlichen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen die Beschwerdeführer gehindert gewesen sein könnten, die Argumente für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung wegen ihres Kurdentums, die nunmehr zur Begründung der Verfassungsbeschwerden vorgetragen werden, bereits in Form zulässiger Rügen dem Oberverwaltungsgericht zu unterbreiten. Damit konnte das Fachgericht einen als Verfassungsverstoß gerügten Mangel des erstinstanzlichen Urteils aus Gründen nicht nachprüfen, den die Beschwerdeführer zu vertreten haben (vgl. BVerfGE 16, 124 127> st. Rspr.). Nichts anderes gilt für die Rüge, die Eintragungen,in den Personalpapieren von Jeziden belegten deren staatliche Unterdrükkung.

c)         Soweit die Verfassungsbeschwerden - wie schon die Nichtzulassungsbeschwerde - Ausführungen zur inländischen Fluchtalternative enthalten, gehen diese an den Gründen der angegriffenen Entscheidungen vorbei, worauf bereits das Oberverwaltungsgericht abgehoben hat. Für die beiden Gerichte stellte sich diese Frage nicht, weil sie schon eine regionale Verfolgung verneint haben.

d)         Den Substantiierungserfordernissen des § 92 BVerfGG ist schließlich nicht genügt durch die Rüge, die angegriffenen Entscheidungen gingen nicht hinreichend auf vorliegende Sachverständigengutachten ein. Es ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, aufgrund pauschaler Bezugnahmen auf Gutachten und Stellungnahmen selbst Anhaltspunkte für die Versagung von Asyl auf verfassungsrechtlich unzureichender tatsächlicher Grundlage herauszufinden (vgl. auch BVerfGE 83, 216 228> = InfAusIR a.a.O.), zumal die Gutachten nach dem Vorbringen der Verfassungsbeschwerden auch (überwiegend) zur vorliegend irrelevanten Frage der inländischen Fluchtalternative erstellt wurden.

2.         Der Rüge, es verletze Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, auf der einen Seite erhebliche Verfolgungsmerkmale zusammenzutragen und die seit Jahren bestehende Verfolgung der Jeziden festzustellen, auf der anderen Seite darzulegen, daß die Summe der Verfolgungsmaßnahmen zu einer politisch motivierten Verfolgung im Sinne des grundgesetzlich garantierten Asylrechts nicht hinreiche, läßt sich eine dem Begründungsund Substantiierungsgebot des § 92 BVerfGG (vgl. BVerfGE 9, 109 115>; st. Rspr.) noch genügende Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts entnehmen. Sie läßt es als möglich erscheinen, daß dessen Urteil auf einem verfassungsrechtlich zu engen Verständnis namentlich der Gruppenverfolgung und deren tatsächlicher Voraussetzungen beruhen und damit die Anforderungen an den Tatbestand der politischen Verfolgung überspannt haben könnte (vgl. BVerfGE 83, 216 226> = InfAusIR a.a.O.).

II.          Sind die Verfassungsbeschwerden hiernach zulässig, soweit sie mit der Rüge der Verletzung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG gegen die Verneinung der Asylberechtigung der Beschwerdeführer im Hinblick auf ihr Jezidentum im Urteil des Verwaltungsgerichts gerichtet sind, so sind sie in diesem Umfang auch im Sinne des § 93b Abs. 2 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts wird auf der Grundlage seiner eigenen tatsächlichen Feststellungen Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nicht gerecht (vgl. BVerfGE 76, 143 162> = InfAusIR 1988, 87).

1.         Das Verwaltungsgericht hat u. a. in seinen Urteilsgründen festgestellt (S. 16 des Urteilsumdrucks), daß Jeziden von muslimischen Nachbarn bewußt rechtswidrig der Unterstützung kurdischer Separatisten beschuldigt würden. Im Rahmen der Vorbeugung und Untersuchung separatistischer Gewaltakte würden Kurden, die sich zu ihrem Volk bekannten, schikanös behandelt. Mit der Bekämpfung des kurdischen Nationalismus seien Sicherheitskräfte befaßt, die sich aus besonders harten, regimetreuen und antikurdisch eingestellten Bediensteten zusammensetzten. Ihre Aufgabe sei es, in den ländlichen Gebieten rücksichtslos Razzien und Durchsuchungen vorzunehmen, bei denen es wiederholt zu willkürlichen Erschießungen sowie Folterungen, Vergewaltigungen und Brandstiftungen gekommen sei. Durch derartige Großrazzien solle außerdem die Bevölkerung eingeschüchtert werden. Dabei würden jezidische Viehhirten, die sich häufig in entlegenen Bergregionen aufhielten und ohnehin nur Kurdisch sprächen, besonders oft verdächtigt, zumal Jeziden in den letzten Jahren verstärkt aktiv im Kampf der kurdischen Freischärler teilgenommen hätten. Wegen der angespannten Sicherheitslage seien außerdem die nahe der irakischen Grenze lebenden Jeziden besonders bedroht. Von den Umsiedlungsmaßnahmen der türkischen Regierung im Grenzgebiet zum Irak würden besonders Jeziden hart betroffen, weil sie nicht nur ihre angestammte Heimat und ihre Existenzgrundlage, sondern darüber hinaus auch den Schutz der Dorfgemeinschaft vor muslimischen Übergriffen verlören.

Diese Feststellungen, die nach den Urteilsgründen auf.einem Gutachten aus dem Jahre 1988 beruhen, lassen sich mit den Angaben vereinbaren, die die Beschwerdeführer nach dem Tatbestand des Urteils zur Begründung ihres Asylgesuchs machten und deren Glaubwürdigkeit das Gericht weder ausdrücklich noch sinngemäß bezweifelt hat. Hiernach haben sie sich u. a. darauf berufen, das Heimatdorf sei oft von Soldaten und Polizisten durchsucht worden, weil den Einwohnern vorgeworfen worden sei, Terroristen zu verstecken und auf andere Weise zu unterstützen. Sie seien geschlagen, gefoltert und nach den Namen kurdischer Terroristen gefragt worden.

2.         Auf der Grundlage dieser tatsächlichen Feststellungen liegt die rechtliche Würdigung des Gerichts, der türkische Staat verfolge jeziden nicht unmittelbar, nicht mehr ohne weiteres innerhalb des den Fachgerichten belassenen Wertungsrahmens und ist geeignet, die Geltung des Asylgrundrechts in Frage zu stellen (vgl. BVerfGE 76, 143 162> = InfAusIR a.a.O.). Dies gilt vor allem für die Bemerkung, in den letzten Jahrzehnten seien keine gezielten staatlichen Übergriffe gegen jeziden mehr bekannt geworden. Vor dem Hintergrund der gerichtlichen Feststellungen, wonach gerade jeziden unter den Maßnahmen der Sicherheitskräfte im Zusammenhang mit der Separatismusbekämpfung zu leiden hätten, ist die für die Ablehnung des Asylanspruchs gegebene gerichtliche Begründung verfassungsrechtlich nicht tragfähig:

a)         Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine staatliche Maßnahme dann asylbegründend, wenn sie dem oder den Betroffenen gezielt Rechtsverletzungen zufügt (vgl. BVerfGE 80, 315 335>). Dabei beschränkt sich der asylrechtliche Schutz nicht auf die Rechtsgüter Leib und Leben, sondern erfaßt auch Einschränkungen der persönlichen Freiheit; die hierin eingeschlossenen Rechte der freien Religionsausübung und ungehinderten beruflichen und wirtschaftlichen Betätigung lösen einen Asylanspruch freilich nur aus, wenn deren Beeinträchtigungen nach ihrer Intensität und Schwere zugleich die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Herkunftsstaates allgemein hinzunehmen haben (vgl. BVerfGE 54, 341 (357) = InfAusIR 1980, 338; 76, 143 (158) = InfAuslR a.a.O.). An einer gezielten Zufügung von Rechtsbeeinträchtigungen fehlt es zwar bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Heimatstaat zu erleiden hat, wie Hunger, Naturkatastrophen, aber auch bei den allgemeinen Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen (vgl. BVerfGE 80, 315 335>). Um solche allgemeinen Zustände und Auswirkungen handelt es sich aber bei den gegen jeziden gerichteten Maßnahmen nach den gerichtlichen Feststellungen gerade nicht.

Die vom Gericht zugrundegelegten Maßnahmen treffen die Jeziden vielmehr auch und gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale. Dabei macht es vorliegend keinen rechtlich bedeutsamen Unterschied, ob überhaupt und inwieweit sich die Sicherheitskräfte auf der einen Seite von glaubensbedingten und auf der anderen Seite von sicherheitsbedingten Motiven leiten lassen. Trifft die Annahme des Gerichts zu, daß jeziden infolge bewußt rechtswidriger Anschuldigungen ihrer moslemischen Nachbarn in einem besonderen Verdacht der Nähe zum Separatismus stehen, so erfolgen die sie beeinträchtigenden Maßnahmen nach ihrer erkennbaren Gerichtetheit >wegen ihres Jezidentums (vgl. hierzu BVerfGE 80, 315 335>) = InfAusIR 1990, 21 ff.). Daß möglicherweise, wovon das Gericht offenbar ausgeht, auch andere Gruppen der Bevölkerung neben den jeziden mit ähnlichen Maßnahmen überzogen werden, ändert daran nichts.

b)         Die Feststellungen des Gerichts stützen auch nicht seine Annahme, daß die Maßnahmen die asylerhebliche Intensität nicht erreichen (vgl. BVerfGE 80, 315 335>). Rücksichtslose Razzien und Durchsuchungen, bei denen es wiederholt zu willkürlichen Erschießungen sowie Folterungen, Vergewaltigungen und Brandstiftungen kommt, haben ausgrenzenden Charakter, so daß für die von ihnen gezielt Betroffenen eine ausweglose Lage nicht ohne weitere Begründung zu verneinen ist.

c)         Soweit das Gericht die genannten Maßnahmen nicht dem Staat zurechnen will, weil eine Verfolgung dem in der türkischen Verfassung niedergelegten Grundsatz der religiösen Neutralität widerspreche, womit es die Handlungen der Sicherheitskräfte sinngemäß als Amtswalterexzesse einstuft, findet diese Auffassung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Stütze. Hiernach können zwar vereinzelte Exzeßtaten von Amtswahern dem Staat nicht zurechenbar sein (vgl. BVerfGE 80, 315 352>). Entsprechende Feststellungen, die auf bloße Einzelexzesse hindeuten könnten, hat jedoch das Verwaltungsgericht nicht getroffen. Daß im übrigen das Bemühen des Staates, den eigenen Bestand oder seine politische Identität zu verteidigen, den dadurch ausgelösten Maßnahmen nicht von vornherein die asylerhebliche Qualität nimmt, hat das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach entschieden (vgl. zuletzt BVerfGE 81, 142 (149 f.) = InfAusIR 1990, 122).

d)         Wäre angesichts der besonderen Intensität der nach den gerichtlichen Feststellungen gegen jeziden getroffenen Maßnahmen bereits zu erwägen, ob selbst bei unterstellter Richtigkeit des gegen die Angehörigen dieser Glaubensgruppe gerichteten Verdachts einer Unterstützung terroristischer Unternehmungen ausnahmsweise Asyl nicht versagt werden dürfte (vgl. BVerfGE 80, 315 (339 ff.); 81,142 152> = InfAusIR jeweils a.a.O.), so enthalten die Urteilsgründe jedenfalls keine tragfähigen Feststellungen, die den Schluß zuließen, die Beschwerdeführer hätten sich terroristi scher Taten oder entsprechender Beihilfehandlungen schuldig gemacht und die Behörden hätten darauf entsprechend reagiert. Zwar hat der Beschwerdeführer zu 1) nach dem Urteilstatbestand vor dem Bundesamt geschildert, er und seine Frau hätten, obgleich sie keine Mitglieder der PKK gewesen seien, diese durch Geld und Lebensmittel unterstützt, was freilich den Behör den nicht bekannt geworden sei. Das Gericht hat aber hierauf in seinen Urteilsgründen nicht abgehoben, sondern die Angaben als >allgemein gehalten beurteilt. Es hat keine tatsächliche Feststellungen zu der Frage getroffen, ob und inwieweit die behaupteten Hilfen als asylausschließende Unterstützungshandlungen für Terroristen einzuschätzen sein könnten (vgl. hierzu Beschluß der erkennenden Kammer vom 25. April 1991 - 2 BvR 1437/90 -, InfAusIR 1991, S. 257 ff.). Die allgemeine Bemerkung des Gerichts, die zudem nicht näher belegt ist, Jeziden hätten in den letzten Jahren >verstärkt aktiv am Kampf der kurdischen Freischärler teilgenommen, ersetzt die fehlenden Feststellungen, nicht.

Schon im Hinblick darauf könnte den staatlichen Maßnahmen hier ihre Asylerlieblichkeit auch nicht etwa mit der Begründung abgesprochen werden, die staatlichen Kräfte seien aufgrund der Beschuldigung durch Muslime im guten Glauben gewesen, mit Jeziden allgemein und damit auch mit den Beschwerdeführern Terroristen zu bekämpfen.

3.         Konnte nach allem mit der vom Gericht gegebenen Begründung eine regionale politische Verfolgung der Beschwerdeführer nicht verneint werden, hätte ein Asylanspruch nur versagt werden dürfen, wenn die Beschwerdeführer als jezidische Kurden nunmehr vor politischer Verfolgung entweder in ihrer Heimatregion oder doch in einem anderen Teil ihres Herkunftslandes hinreichend sicher wären (vgl. BVerfGE 83, 216 238> in.w.N. = InfAusIR a.a.O.). Hierzu enthält das angegriffene Urteil aber keine tragfähigen Feststellungen.

III.         Da keine Umstände ersichtlich sind, die einen Rückschluß darauf zuließen, daß eine erneute, verfassungsgemäße Rechtsanwendung mit Sicherheit wiederum zum Nachteil der Beschwerdeführer ausfallen müßte (vgl. BVerfGE 35, 324 344>; 81, 142 155> = InfAusIR a.a.O), ist das angegriffene Urteil aufzuheben; die Sache ist an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (S 95 Abs. 2 BVerfGG). Damit ist der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts gegenstandslos.

Ob dem Urteil oder dem Beschluß noch andere verfassungsrechtlich beachtliche Mängel anhaften, bedarf keiner Prüfung. Es kann daher letztlich offenbleiben, ob die Begründung des Verwaltungsgerichts, mit der es auch eine mittelbar staatliche Verfolgung der Jeziden verneint hat, verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen genügt; Zweifel erwecken insoweit insbesondere die Darlegungen des Gerichts zum Erfordernis flächendeckender Massenverfolgung, denen Jeziden ausgesetzt sein müßten (S. 22 des Urteilsumdrucks; vgl. demgegenüber BVerfGE 83, 216 232> = InfAusIR a.a.O.), sowie zu der trotz mangelhafter Besetzung der Polizeidienststellen gewährleisteten Schutzbereitschaft und -fähigkeit des türkischen Staates (S. 24 des Urteilsumdrucks; vgl. zum Erfordernis der konkreten Belegbarkeit eines angemessenen staatlichen Schutzes: BVerfGE, a.a.O., S. 235 f.).

Den Beschwerdeführern sind ihre notwendigen Auslagen gemäß S 34a Abs. 2 BVerfGG zur Hälfte zu erstatten. Eine volle Auslagenerstattung wäre trotz des Erfolgs der Beschwerdeführer unbillig. Die den Verfassungsbeschwerden anhaftenden Zulässigkeitsmängel sind nach Umfang und Gewicht nicht von lediglich untergeordneter Bedeutung (vgl. BVerfGE 32, 1 39>). Soweit den Verfassungsbeschwerden stattgegeben und die Erstattung der notwendigen Auslagen angeordnet wurde, ist das Begehren auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe gegenstandslos geworden (vgl. BVerfGE 81, 347 362>). Im übrigen folgt aus der Unzulässigkeit der Rügen, daß insoweit auch Prozeßkostenhilfe nicht gewährt werden kann.«

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