Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 7. April 1992-A 13 K 9912/91

Verwaltungsgericht Stuttgart

Im Namen des Volkes

Urteil

Inder Verwaltungsrechtssache

X gegen Bundesrepublik Deutschland,

vertreten durch den Bundesminister des Innern, dieser vertreten durch den Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge,

Rothenburger Str. 29, 8502 Zirhdorf,

-Beklagte-

beteiligt:

Bundesbeauftragter für Asylangelegenheiten, Rothenburger Straße 29, 8502 Zirndorf,

wegen

Anerkennung als Asylberechtigte

hat die 13. Kammer des Verwaltungerichts Stuttgart aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. April 1992 durch

die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht

Dr. Semler

die Richterin am Verwaltungsgericht

Dieckmann-Wittel

den Richter am Verwaltungsgericht

Nagel

die ehrenamtliche Richterin

Epple

den ehrenimitlichen Richter

Winter

am 7. April 1992 für Recht erkannt:

Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2.3.1989 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des beteiligten Bundesbeauftragten, der diese selbst trägt.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger, syrische Staatsangehörige christlicher Religionszugehörigkeit, reisten im Juli 1987 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten ihre Anerkennung als Asylberechtigte mit der Begründung, daß die für die ADO tätig gewesen seien und aufgrund dessen wiederholt von Sicherheitskräften verhaftet worden seien. Sie hätten auch auf einer schwarzen Liste der Moslem-Brüder gestanden.

Bei ihrer Anhörung im Rahmen der Vorprüfung beim Bundesamt. für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge brachten sie im wesentlichen vor, der Kläger Ziffer 1 gehöre seit 1975 und die Klägerin Ziffer 2 seit der 10. Schulklasse der Assyrischen demokratischen Organisation (ADO) an. Deren Zweck sei in erster Linie auf die Bewahrung der Einheit der Assyrer im Hinblick auf Sprache und Kultur gerichtet. Die in Syrien regierende Baath-Partei verbiete eine Tätigkeit für diese Organisation, die aus Zellen von jeweils ca. 10 Personen bestehe. Man habe sich etwa vierzehntägig getroffen, aber in regelmäßigen Abständen den Ort der Treffen gewechselt. Außerdem habe er, der Kläger Ziffer 1, Flugblätter und sonstige Informationen verteilt. Erstmals 1980, als er seinen Militärdienst abgeleistet habe, seien Leute des militärischen Sicherheitsdienstes gekommen und hätten ihn mitgermmen und gefoltert. Bei der Festnahme seien auch Bücher und Papiere über die Assyrer sichergestellt worden. Im November 1986 seien Mitglieder des syrischen Sicherheitsdienstes zu fünft in ihr Haus eingedrungen, nachdem man gerade eine Versammlung der ADO beendet habe. Das Haus sei durchsucht worden und es seien Papiere sichergestellt worden. Als die damals schwangere Klägerin Ziffer 2 versucht habe, den Kläger Ziffer 1 zu schützen, habe man sie geschlagen, wodurch sie das Kind verloren habe. Ihn habe man mitgenommen und in ein Sicherheitsbüro nach Kamischli gebracht. Dort sei er drei Tage gefoltert worden. Man habe ihm bei der Entlassung mit einer längeren Inhaftierung gedroht, wenn man ihn nochmals antreffen würde. Danach sei er ständig beobachtet worden. Außerdem sei er noch mehrmals zu Verhören vorgeladen worden.Im April 1987 seien dann schließlich, wiederum nach einer Versammlung in ihrer Wohnung, alle Mitglieder verhaftet worden. Sie beide seien verhaftet und mit verbundenen Augen zum einen nach Damaskus, zum anderen nach Kamischli gebracht worden. Er sei 10 Tage lang festgehalten und acht Tage lang in einer dunklen Zelle eingesperrt gewesen und gefoltert worden. Am 10. Tag habe er eine Sicherheitserklärung unterschreiben müssen, daß er an keinem derartigen Treffen mehr teilnehmen und nichts mehr für die Organisation tun werde, andernfalls er immer inhaftiert bliebe. Danach habe er sich zur Ausreise entschlossen. Auch die Klägerin Ziffer 2, die als Lehrerin an einer assyrischen Privatschule gearbeitet: habe, habe eine entsprechende Erklärung unterschreiben müssen, worauf sie aus der zwei Tage langen Haft, während der sie mißhandelt und beschimpft worden sei, entlassen worden sei.

Mit Bescheid vom 2.3.1989 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag der Kläger mit der Begründung ab, daß die ADO als eine ausschließlich auf kulturell religiöse Ziele ausgerichtete Organisation den syrischen Behörden seit langem bekannt und von diesen geduldet werde. Daraufhin forderte die Ausländerbehörde die Kläger zur Ausreise auf und drohte ihnen die Abschiebung an.

Auf die gegen beide Bescheide erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht Stuttgart durch den Einzelrichter die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung der Ausländerbehörde auf und wies die Asylklage nach erneuter Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung mit Urteil vom 28.5.1990 zurück. In der Begründung heißt es, zwar seien die Angaben der Kläger über die beiden Verhaftungen in den Jahren 1986 und 1987 und über die damit verbundene Folter glaubwürdig. Die von den Klägern erlittenen Repressalien seien aber nicht als asylrechtlich relevante Verfolgung zu qualifizieren. Unter den von den Klägern beschriebenen Unterdrückungsmaßnahmen seien nicht nur die Angehörigen ethnischer und religiöser Gruppen betroffen, sondern jeder Bürger, insbesondere wenn er sich in irgend einer Weise verdächtigt gemacht habe. Nach den Auskünften des Auswärtigen Amtes sei die ADO eine unpolitische Vereinigung, deren Ziele allein auf kulturell-religiösem Gebiet lägen. Der syrische Staat dulde religiöse und ethnische Vereinigungen, soweit sich ihre Tätigkeit auf die Pflege von Sprache, Kultur und Brauchtum beschränke und sie nicht den Verdacht erweckten, unter dem Deckmantel kultureller Betätigung politische Opposition zu betreiben.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg blieb ohne Erfolg.

Auf ihre Verfassungsbeschwerde wurde das Verfahren, soweit es den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2.3.1989 betrifft, vom Bundesverfassungsgericht an das Verwaltungsgericht Stuttgart zurückverwiesen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, das Verwaltungsgericht sei zwar von gezielten staatlichen Maßnahmen ausgegangen, die auch von asylbegründender Intensität seien, habe aber mit der Bemerkung, jeder syrische Bürger, zumal derjenige, der sich in irgendeiner Weise verdächtigt gemacht habe, habe unter entsprechenden Maßnahmen zu leiden, offenbar verneinen wollen, daß die Maßnahmen die Kläger "wegen eines asylerheblichen Merkmals" treffen würden und hätten damit eine mangelnde Gerichtetheit der. Maßnahme angenommen. Das Verwaltungsgericht sei damit womöglich von einem Allgemeinschicksal, zumindest des "verdächtigen" Teils der syrischen Bevölkerung ausgegangen. Im vorliegenden Fall könne dahingestellt bleiben, ob es asylrelevant sei, wenn quasi jeder Bürger der beachtlichen Gefahr unterläge, ohne besonderen Anlaß verhaftet, verhört oder menschenrechtswidrig behandelt zu werden. Ausgehend von den vom Verwaltungsgericht festgestellten Tatsachen sei von einer auf asylerhebliche Merkmale bezogene Gerichtetheit der festgestellten Maßnahmen auszugehen. Die Festnahmen und Mißhandlungen hätten jeweils im Anschluß an Versammlungen der ADO stattgefunden. Dem Kläger Ziffer 1 sei nach der zweiten Verhaftung im April 1987 eine Sicherheitserklärung abgenötigt worden, derzufolge er sich nicht mehr treffen und nichts mehr für die Organisation tun werde, andernfalls er inhaftiert bleibe. Hieraus lasse sich auf eine auf asylerhebliche Merkmale bezogene Gerichtetheit der Maßnahme schließen. Mangels entsprechender Anhaltspunkte sei das Verwaltungegericht nicht davon ausgegangen, daß die Maßnahmen dem Schutz der Rechtsgüter anderer Bürger oder einer kriminellen Komponente gegolten hätten. Nicht von Bedeutung sei auch, daß die ADO sich nicht politisch verhalten dürfe und dies auch nicht tue. Dies nehme Maßnahmen, die kausal auf die Tätigkeit für die Organisation zurückzuführen seien, nicht den Charakter einer politischen Verfolgung. Deshalb dürften bei einem vom Verfolger gehegten Verdacht der Trägerschaft von asylerheblichen Merkmalen die zur weiteren Aufklärung dieses Verdachts eingesetzten Mittel nicht als asylrechtlich unbeachtlich qualifiziert werden. Bei den Klägern spreche alles dafür, daß die Maßnahmen von dieser Zielrichtung getragen und mithin asylrelevant seien.

Die Kläger beantragen, den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2.3.1989 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen, sowie hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, daß die Voraussetzungen des § 51 AusIG vorliegen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen

Der Beteiligte stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Gericht vorliegenden Behördenakten und auf die Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsqründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten entscheiden, da in der - ordnungsgemäßen - Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwG0).

Die Klage ist zulässig und - bereits - im Hauptantrag begründet. Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Die Kläger haben einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte.

Die Anerkennung als Asylberechtigter setzt gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG eine politische Verfolgung des Antragstellers voraus. Die politische Verfolgung i.S. des § 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist jede den Antragsteller wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung treffende Verfolgung (vgl. BVerwGE 62, 123 und 67,. 184). Eine derartige Verfolgung muß dem Asylbewerber bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drchen, wobei hinsichtlich der asylbegründenden Vorgänge außerhalb des Gastlandes wegen des insoweit vielfach bestehenden Beweisnotstands in der Regel Glaubhaftmachung.genügt (vgl. BVerwGE 55, 82).

Diese Voraussetzungen liegen bei den Klägern vor. Sie haben glaubhaft gemacht, vor ihrer Ausreise aus Syrien politischer glaubhaft gemacht, vor ihrer Ausreise aus Syrien politischer Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein und wären bei einer Rückkehr nach Syrien vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher (vgl. hierzu BverfG, Beschluß vom 10.7.1989, NVwZ 1990, 154).

Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Kläger folgt die Kammer der Einschätzung des Einzelrichters im Urteil vom 8.5.1990 wonach das Gericht die von den Klägern geschilderten Verhaftungen im Anschluß an Vergsammlungen und damit verbundene Mißhandlungen und Folterungen als glaubwürdig ansah und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die diesbezüglichen Ausführungen (Seite 12) des genannten Urteils.

Ausgehend von der rechtlichen Wertung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Verfahren sind die von den Klägern geschilderten staatlichen Maßnahmen auch als politische Verfolgung i.S. des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG zu qualifizieren. Danach ist ein Anknüpfen an asylerhebliche Merkmale bereits bei einem vom Verfolger gehegten Verdacht der Trägerschaft von asylerheblichen Merkmalen gegeben. Demnach sind staatliche Maßnahmen bereits dann asylerheblich, wenn sie zur weiteren Aufklärung eines Anfangsverdachts regimefeinälicher Betätigung dienen. Voraussetzung ist dagegen nicht, daß die staatlichen Behörden eine politische Gegnerschaft positiv annehmen oder eine politische Gegnerschaft tatsächlich gegeben ist.

Im vorliegenden Fall richten sich die staatlichen Maßnahmen zwar gegen Mitglieder eines vom syrischen Staat grundsätzlich geduldeten Kulturvereins; dem jedwede politische Betätigung verboten ist. Den Maßnahmen liegt aber der gleichwohl bestehende Verdacht zugrunde, daß unter dem Deckmantel religiöser oder kultureller Betätigung politische Aktivitäten betrieben werden, da nach dem als glaubhaft angesehenen Vorbringen der Kläger die gegen sie gerichteten Maßnahmen nicht dem Schutz der Rechtsgüter anderer Bürger oder einer kriminellen Komponente gegolten haben und auch keine Anhaltspunkte für sonstige Ausgangspunkte der erlittenen Rechtsbeeinträchtigungen ersichtlich sind, worauf bereits das Bundesverfassungsgericht hingewiesen hat.

Es ist auch davon auszugehen, daß die Gefährdung der Kläger fortbesteht, da auch nach den jüngsten Lageberichten des Auswärtigen Amtes die strenge Überwachung der Aktivitäten der ADO fortdauert. Eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen gegen die Kläger kann somit nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.

Die Kläger haben daher einen Anspruch auf ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

Nachdem bereits dem Hauptantrag stattgegeben wurde, brauchte über den Hilfsantrag nicht mehr entschieden zu werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und entsprechender Anwendung von § 162 Abs. 3 VwGO. Es besteht keine Veranlassung, die außergerichtlichen Kosten des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten für erstattungsfähig zu erklären.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 3 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AsylVfG nicht vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Berufung kann selbständig durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Verwaltungsgericht Stuttgart, Augustenstraße 5, Postfach 105052, 7000 Stuttgart 10, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Sie muß das angefochtene Urteil bezeichnen. Die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, müssen innerhalb der Beschwerdefrist dargelegt werden.

VRaVG Dr. Semler ist wegen

Urlaubs gehindert zu.unter-

schreiben

gez.

Dieckmann-Wittel

Dieckmann-Wittel

Nagel

Beschluß Von 7. April 1992

Der Streitwert wird gem. §§ 25 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG und § 5 ZPO in entsprechender Anwendung auf festgesetzt.

RechtsmitteIbelehrung

Gegen diesen Beschluß ist die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Schubertstraße 11, Postfach 103264, 6800 Mannheim, gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 100, -- DM Übersteigt. Sie ist beim Verwaltungsgericht Stuttgart, Augustenstraße 5, Postfach 105052, 7000 Stuttgart 10, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde ist nur innerhalb von 6 Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusse eingelegt werden (§ 25 Abs. 2 GKG).

VRaVG Dr. Semler ist wegen

Urlaubs gehindert zu unter-

schreiben

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Dieckmann-Wittel

Dieckmann-Wittel

Nagel

 

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