Bundesverwaltungsgericht, 24 Nov 1992

Leitsätze (nicht amtlich):

1.         Die im Irak für Wehrdienstentziehung angedrohte Todesstrafe hat politischen Charakter und begründet ein Abschiebungshindernis nach § 51 Abs. 1 AuslG.

2.         Wer als irakischer Staatsangehöriger erst nach Verlassen seiner Heimat die Wehrdienstleistung verweigert, wird nicht als asylberechtigt anerkannt, es sei denn, er war schon in seiner Heimat durch die Ablehnung des Militärdienstes geprägt und hat diese Einstellung nach außen zu erkennen gebeben.

Aus den Gründen:

I.

Der im Jahre 1960 geboren KI., ein irakischer Staatsbürger, reiste im Dezember 1985 in die BR Deutschland ein und stellte alsbald einen Asylantrag. Er gab an, er habe nach Abschluß seiner Schulausbildung den Irak verlassen und in S. im ehemaligen Jugoslawien ein Studium begonnen, dieses jedoch nicht zu Ende führen könne, weil die irakischen Auslandsbehörden in Zusammenarbeit mit der jugoslawischen Polizei seine Rückreise in den Irak betrieben hätten, damit man ihn dort zum Militärdienst im irakisch-iranischen Krieg hätte heranziehen können. Er sei deshalb nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Griechenland nach Deutschland gekommen. Vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat der Kl. ergänzend vorgetragen, er habe in S. engen Kontakt zu Landsteuten gehabt, die Mitglieder der im Irak verbotenen Al-Dawa-Partei gewesen seien. Dadurch habe er sich bei der irakischen Auslandsvertretung mißliebig gemacht. Indem er nicht zur Wehrdienstleistung in den Irak zurückgekehrt sei, habe er eine strafbare Wehrdienstentziehung begangen.

Mit Bescheid vom 10.2.1988 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag ab. Im erst- und zweitinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat der Kl. vorgetragen: Weil er Angehöriger der schiitischen Minderheit gewesen und auch nicht in die Baath-Partei eingetreten sei, habe er in Distanz zum Regime Saddam Husseins gestanden. Diese politische Grundhaltung habe sich in S. aufgrund des Kontakts mit den Regimegegnern aus der AI-Dawa-Partei zu einer oppositionellen Einstellung fortentwickelt, die ihn zur Ablehnung des Militärdienstes veranlaßt und so die nunmehr bestehende Gefahr, als Regimegegner verfolgt zu werden, ausgelöst habe.

Die Klage hatte vor dem VG Erfolg. Der BayVGH hat jedoch mit Urteil vom 22.2.1991 die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II.

Die Revision ist, soweit es um die begehrte Verpflichtung der Bekl. zur Anerkennung des KI. als Asylberechtigter geht, unbegründet. Zwar hat das Berufungsgericht dadurch, daß es der dem KI. drohenden Bestrafung wegen Wehrdienstenziehung den politischen Charakter abgesprochen hat, Bundesrecht verletzt; die angefochtene Entscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwG0). Hingegen hat das Begehren auf Verpflichtung der Bekl. zu der Feststellung, daß der Kl. die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AusIG erfüllt, Erfolg.

Der Kl. ist nicht als Verfolgter aus dem Irak ausgereist. Als er im Frühjahr 1982 den Irak verließ, um in S. ein Studium aufzunehmen, drohte ihm ausweislich der - das BVerwG nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden - tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts seitens der irakischen Behörden weder politische, Verfolgung noch hatte er solche bereits erlitten. Die Verweigerung eines Studienplatzes im Inland bei Ermöglichung eines Studiums im Ausland war keine Verfolgung, weil der damit zugefügte Nachteil aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen der erforderlichen Schwere errnangelt. Für die Frage, ob der Kl. als (Vor-)Verfolgter ausgereist ist, muß auf etwaige ihm im Irak drohende oder widerfahrene Übergriffe abgestellt werden, denn Ausreise im Sinne der Merkmale des asylrechtlichen Anspruchssystems war seine Ausreise aus dem Irak im Frühjahr 1982, nicht aber der Weggang aus dem ehemaligen Jugoslawien im Herbst 1985. Bereits durch das Verlassen des Irak gelangte der Kl. aus der - zur politischen Verfolgung befähigenden - Gebietsgewalt seines Heimatstaats hinaus (vgl. dazu BVerwGE 89, 171 = EZAR 206 Nr. 5). Die Pressionen, die von den irakischen Auslandsbehörden auf den Kl. während seines Aufenthalts im ehemaligen Jugoslawien ausgeübt wurden, entsprangen nicht der Gebietsgewalt seines Heimatstaats. Soweit das ehemalige Jugoslawien an diesen Pressionen mitwirkte, steht dieses Verhalten nicht einem Handeln des Heimatstaats gleich. Der Senat hat eine solche Gleichstellung angenommen bei einem Staat, der als politische und ideologische Vormacht über einem nachgeordneten Satellitenstaat gegen dessen Bürger tätig wird; er hat diese Konstellation im Verhältnis der früheren Sowjetunion zu Äthiopien, als dieses Land unter kommunistischer Herrschaft stand, angenommen (vgl. BVerwGE 87, 187 = EZAR 221 Nr. 35). Zwischen dem ehemaligen Jugoslawien und dem Irak hat aber ein derartiges Verhältnis zu keiner Zeit bestanden.

Als unverfolgt Ausgereister kann der Kl. mithin nur aufgrund eines Nachfluchttatbestands asylberechtigt sein. Der VGH hat festgestellt, der Kl. habe dadurch, daß er nicht spätestens im August 1985 zur Leistung des Militärdienstes in den Irak zurückgekehrt sei, eine strafbare Wehrdienstentziehung begangen und er habe deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die im Beschluß des irakischen Revolutionsrats Nr. 1370 vom 2.1.1984 vorgesehene Bestrafung mit dem Tode oder mit langjährigem Freiheitsentzug unter unmenschlichen Haftbedingungen zu erwarten. Die vom VGH getroffenen weiteren Feststellungen tatsächlicher Art ergeben bei zutreffender rechtlicher Würdigung ferner, daß die im Irak für Wehrdienstflucht angedrohte Strafe nicht, wie der VGH angenommen hat, eine strafrechtliche Sanktion für kriminelles Unrecht ist, sondern eine an Persönlichkeitsmerkmale des Täters anknöpfende und damit politische Verfolgung darstellt. Ebenso wie sonstige Bestrafungen sind nämlich auch Bestrafungen wegen Wehrdienstentziehung oder Desertion dann politische Verfolgung, wenn sie verhängt werden, um die Opfer wegen eines asylerheblichen Persönlichkeitsmerkmals zu treffen. Bestrafungen in Anwendung einer die Wehrdienstentziehung mit Strafe bedrohenden Gesetzesvorschrift sind deshalb politisch, wenn bereits die Norm als solche ihrer objektiven Gerichtetheit nach an ein asylrelevantes Persönlichkeitsmerkmal anknüpft oder wenn die Anwendung einer Strafvorschrift, die für sich betrachtet asylrechtlich unerheblich ist, allgemein oder im Einzelfall zum Anlaß genommen wird, auf asylrechtlich bedeutsame persönliche Merkmale oder Eigenschaften zuzugreifen (BVerwGE 67, 195, 202 = EZAR 201 Nr. 5; BVerwGE 79, 143, 152 = EZAR 201 Nr. 13; BVerwGE 80, 136, 142 = -EZAR 201 Nr. 15). So verhält es sich hier.

Die gegenwärtig im Irak geltende Strafrechtsbestimmung, nach der Wehrdienstentziehung mit dem Tode bestraft wird, hat politischen Charakter. Die in ihr angedrohte Todesstrafe knüpft an ein bei dem Delinquenten angenommenes Persönlichkeitsmerkmal, nicht indessen an die begangene Tat an. Dies läßt sich anhand der Norm selbst erkennen. Darüber hinaus zeigen die öffentlichen Äußerungen der irakischen Staatsführung über die den Wehrdienstflüchtigen gebührende Behandlung, daß Strafverfahren gegen Deserteure und Wehrdienstflüchtige zum Anlaß genommen werden, auf asylrechtliche Merkmale dieser Personen zuzugreifen.

Aus den - weitgehende im Wege der Bezugnahme auf die zitierten Erkenntnisquellen getroffenen - Feststellungen des VGH ergibt sich, daß der Katalog der Delikte, für die nach der Resolution Nr. 1370 die Todesstrafe vorgesehen ist, ua auch die »Mitgliedschaft in der verräterischen Al-Dawa-Partei« enthält. Dadurch, daß die Wehrdienstentziehung in derselben Strafnorm erfaßt ist wie die als »verräterisches« Verhalten bewertete Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei und so dieser Mitgliedschaft nach Unwertgehalt und Strafwürdigkeit gleichgestellt wird, zeigt sich, daß auch die Strafandrohung für das Nichtantreten des Wehrdienstes der als »Verrat« gewerteten politischen Haltung und Überzeugung des Delinquenten gilt. Diese in der Resolution Nr. 1370 zum Ausdruck kommende Einschätzung der Wehrdienstflüchtigen als Personen, die einer verwerflichen politischen Überzeugung anhängen und deshalb keinerlei Nachsicht verdienen, herrscht auch bei der irakischen Staatsführung vor und bestimmt so die Behandlung der Wehrdienstflüchtigen durch die staatliche Gewalt im Irak überhaupt und damit auch durch Strafverfolgungsbehörden und Gerichte in anhängigen Strafverfahren. Wie das Berufungsgericht festgestellt hat, hat der irakische Staatspräsident in einer vom Fernsehen übertragenen Feier zwei Personen durch die Verleihung eines Ordens dafür geehrt, daß sie im Wege einer Art Selbstjustiz jeweils einen ihrer nächsten Angehörigen erschossen haben, weil diese von ihrem Truppenteil desertiert waren. In der öffentlichen Auszeichnung der beiden Mörder kommt, wie das Berufungsgericht dargelegt hat, die vom irakischen Staat betriebene allgemeine Ächtung der Deserteure zum Ausdruck. Diese werden nicht als Straftäter, deren Tat Strafe verdient, sondern als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen; als außerhalb der Rechts- und Moralordnung stehend werden sie für vogelfrei erklärt, ihre Tötung gilt als eine lobenswerte Tat (vgl. BVerwG, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 152).

Trotz des somit politischen Charakters der dem Kl. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Bestrafung nach der Resolution Nr. 1370 ist der Kl. jedoch nicht asylberechtigt. Denn diese Verfolgungsgefahr ist durch die Wehrdienstentziehung ausgelöst worden, die der Kl. nach seiner Ausreise aus dem Irak durch sein Verbleiben im Ausland in der Zeit nach August 1985 begangen hat und die damit einen asylrechtlich unerheblichen selbstgeschaffenen Nachfluchttatbestand darstellt. »Subjektiv« bzw. »selbstgeschaffen« sind solche politische Verfolgung auslösenden Umstände, die der Asylbewerber selbst herbeigeführt hat. Dem gegenüber stehen als »objektive« Nachfluchttatbestände diejenigen Umstände, die eine Verfolgungssituation ohne eigenes (neues) Zutun des Betroffenen begründet haben. Da die Gefahr einer Bestrafung des Kl. nach der Resolution Nr. 1370 durch dessen bewußtes und gewolltes Verhalten, nämlich sein Verbleiben im ehemaligen Jugoslawien zum Zwecke der Wehrdienstentziehung hervorgerufen worden ist, wäre diese drohende politische Verfolgung asylrechtlich nur dann erheblich, wenn der Kl. bereits im ~ Irak in seiner politischen Überzeugung durch eine ablehnende Einstellung zum Militärdienst geprägt gewesen wäre und er diese Einstellung auch nach außen zu erkennen gegeben hätte (BVerfGE 74, 51 = EZAR 200 Nr. 18; BVerwGE 82, 171 = EZAR 200 Nr. 25; BVerwG, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 152).

An einer derartigen Überzeugungskontinuität in bezug auf eine persönlichkeitsprägende Verweigerungshaltung gegenüber dem Militärdienst fehlt es indessen beim Kl. Dem Berufungsurteil lassen sich keine Feststellungen dahin entnehmen, daß der Kl. bereits im Irak eine ablehnende Haltung gegenüber dem Militärdienst gezeigt oder sogar nach außen kundgetan hat. Der VGH hat vielmehr ausgeführt, die durch das Verbleiben des Kl. in Jugoslawien begangene Wehrdienstentziehung stehe in keiner Beziehung zu erkennbaren politischen Betätigungen des Kl. in der Heimat. Der vom Berufungsgericht festgestellte Verzicht des KI., der Baath-Partei beizutreten, mag politische Indifferenz oder auch Distanz zum gegenwärtigen irakischen Regime erkennen lassen; schlichtes Unterlassen eines Eintritts in die Staatspartei stellt aber nicht die Manifestation einer persönlichkeitsprägenden Verweigerungshaltung gegenüber der Leistung von Militärdienst dar.

Die Kontinuität einer persönlichkeitsprägenden ablehnenden Einstellung zum Militärdienst in der irakischen Armee ist hier auch nicht nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG-K vom 20.12.1989 - 2 BvR 749/89 - entbehrlich. Der Kläger war beim Verlassen des Irak 22 Jahre alt, mithin alt genug, um eine feste politische Überzeugung haben zu können. Auch waren die Gesamtumstände nicht so, daß sich aus sonstigen Gründen die Frage nach einer Veweigerungshaltung gegenüber dem Militärdienst nicht gestellt hätte (vgl. BVerfG-K, B.v. 20.12.1989 - 2 BvR 749/89 -). Der Kl. war, wie er bei seiner Anhörung vor dem VGH angegeben hat, nach der Beendigung seiner Schulausbildung bereits wehrdienstpflichtig und nur für die Dauer seines Studiums - widerruflich - vom Wehrdienst zurückgestellt. Er hätte also demnächst Wehrdienst leisten müssen. Außerdem mußte er damit rechnen, daß dieser Dienst keine Friedenswehrdienst, sondern Dienst im irakisch-iranischen Krieg sein würde. Angesichts dieser Bedeutung, die der zu erwartenden Einberufung für das weitere persönliche Schicksal des Kl. zukommen würde, hätte sich ihm die Frage nach seiner persönlichen Einstellung zum Dienst in der irakischen Armee bereits im Irak grundsätzlich und drängend stellen müssen.

Die dem Kl. drohende politische Verfolgung in Gestalt der Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung vermag somit einen Asylanspruch nicht zu begründen.

Die Revision hat jedoch Erfolg, soweit mit ihr die Gewährung von Abschiebungsschutz erstrebt wird. Da dem Kl. im Irak politische Verfolgung droht, erfüllt er die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AusIG. Dies festzustellen, war die Bekl. zu verpflichten.

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