Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

19.06.2015

Geschäftszahl

E426/2015

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Bestätigung der Rückkehrentscheidung betr eine aserbaidschanische Staatsangehörige; verfassungswidrige Interessenabwägung

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis, insoweit damit die Rückkehrentscheidung der belangten Behörde bestätigt wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.

Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die am 10. Mai 1991 geborene Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Republik Aserbaidschan. Sie reiste am 18. November 2012 illegal nach Österreich ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 5. Mai 2013 heiratete die Beschwerdeführerin einen aserbaidschanischen Staatsangehörigen, dem inzwischen der Status eines Asylberechtigten in Österreich zuerkannt wurde. Am 22. August 2014 wurde die gemeinsame Tochter der Beschwerdeführerin und ihres Ehemanns geboren.

2. Mit Bescheid vom 24. September 2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ab. Der Status einer Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten wurde ihr nicht zuerkannt, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt. Gegen die Beschwerdeführerin wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Aserbaidschan zulässig sei.

3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Zur Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Fluchtgründe unglaubwürdig seien. Zudem stehe es der Beschwerdeführerin offen, gegen die von ihr behaupteten Verfolgungshandlungen staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Subsidiärer Schutz sei nicht zuzuerkennen gewesen, weil auf Grund des festgestellten Sachverhalts die Rückkehr der Beschwerdeführerin in den Herkunftsstaat keine Verletzung des Art2 oder 3 EMRK erwarten lasse.

Zur Rückkehrentscheidung traf das Bundesverwaltungsgericht (im Wesentlichen) folgende Ausführungen:

"[…]

Im Bundesgebiet halten sich der Gatte der [Beschwerdeführerin] und die gemeinsame Tochter auf, welche über den bereits beschriebenen Aufenthaltstitel verfügen.

Die [Beschwerdeführerin] möchte offensichtlich ihr künftiges Leben in Österreich gestalten und hält sich seit ca. 26 Monaten im Bundesgebiet auf. Sie reiste rechtswidrig und mit einem erschlichenen Visum in das Bundesgebiet ein. Sie lebt nicht von der Grundversorgung und ha[t] keinen Deutschkurs besucht.

Die [Beschwerdeführerin] verfügt nur über äußerst eingeschränkte Kenntnisse der deutschen Sprache. In ihrem unmittelbaren Lebensbereich verfügt sie über gewisse soziale Kontakte. Sie legte ein Empfehlungsschreiben einer Nachbarin vor.

Sie ist strafrechtlich unbescholten.

Die Ausweisung stellt somit einen Eingriff in das Recht auf das Privat- und Familienleben dar.

[…]

Die [Beschwerdeführerin] ist seit 26 Monaten in Österreich aufhältig. Sie reiste rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und konnte ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Antrag[s] auf internationalen Schutz vorübergehend legalisieren. Hätte sie diesen unbegründeten Asylantrag nicht gestellt, wären sie rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig bzw. wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.

- das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens [Privatlebens]

Die [Beschwerdeführerin] verfügt über die bereits beschriebenen familiären bzw. privaten Anknüpfungspunkte

- die Schutzwürdigkeit des Familienlebens [Privatlebens]

Die [Beschwerdeführerin] begründete ihr Privat- bzw. Familienleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert wurde. Auch war der Aufenthalt der [Beschwerdeführerin] zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privat- und Familienlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt.

Im gegenständlichen Fall ist besonders darauf hinzuweisen, dass die Antragstellung gezielt zur Umgehung zwingender fremden- und niederlassungsrechtlicher Normen gestellt wurde und es nicht Aufgabe des Asylrechts ist, einreisewilligen Personen, welche keine Verfolgung aus den in Art1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Gründe zu befürchten haben, aus einem dem Asylrecht fremden Motiv unter Umgehung der oa. Normen die Einreise und den dauernden Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen. Auch wenn davon auszugehen ist, dass dem Gatten der [Beschwerdeführerin] aufgrund der originären Asylgewährung eine Rückkehr nach Aserbaidschan gegenwärtig nicht zumutbar ist, muss festgehalten, dass der im Vorsatz beschriebene Umstand sowohl der [Beschwerdeführerin] als auch deren Gatten bei der Einreise und Eheschließung sichtlich bekannt war und vermindert daher die Schutzwürdigkeit des Familienleben erheblich.

Zur gemeinsamen Tochter ist anzuführen, dass diese zwar ein von ihrem Vater abgeleitetes Aufenthaltsrecht in Österreich besitzt, ihr jedoch kein [o]riginäres Asyl besitzt und sie sich daher sowohl in Österreich als auch in Aserbaidschan aufhalten kann. Die Eltern können -unter Einbeziehung des Kindeswohles wählen, in welchem Staat sie sich aufhalten soll.

Auch ist festzuhalten, dass weder die [Beschwerdeführerin], noch deren Gatte gezwungen ist, nach einer Ausreise die bestehenden Bindungen zur Gänze abbrechen zu müssen. So stünde es ihnen frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche, welche auch außerhalb von Aserbaidschan stattfinden könnten, aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: 'Die Ausweisung von Asylwerbern und Art8 MRK', ÖJZ2007/74 mwN). Ebenso stünde es der [Beschwerdeführerin] - so wie jedem anderen Fremden auch - sich um eine legale Wiedereinreise und einen legalen Aufenthalt zu bemühen.

Letztlich steht es der [Beschwerdeführerin] auch frei, so wie jeder andere Fremde auch, unter Einhaltung der fremden- und asylrechtlichen Bestimmungen die legale Einreise und den legalen Aufenthalt in das Bundesgebiet zu betreiben, zumal seitens der belangten Behörde kein Einreiseverbot gem. §53 FPG erlassen wurde.

Aufgrund der oa. Ausführungen geht auch der Einwand des nicht zulässigen Eingriffes in das Kindeswohl ins Leere. Auch wenn die Interessen der Tochter der [Beschwerdeführerin] durch die ho. Entscheidung berührt werden mögen, sind diese dennoch nicht dermaßen weitreichend, dass von einem unzulässigen Eingriff in das Kindeswohl gesprochen werden. Darüber hinaus befindet sich die Tochter im Kleinkindesalter bzw. im Alter einer erhöhten Anpassungsfähigkeit (vgl. Peter Chvosta: 'Die Ausweisung von Asylwerbern und Art8 MRK', ÖJZ2007/74 mwN).

- Grad der Integration

Die beschwerdeführende Partei ist - in Bezug auf ihr Lebensalter - erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig und war im Asylverfahren nicht in der Lage, ihren Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen und kam hervor, dass sie die deutsche Sprache nur äußerst eingeschränkt beherrscht.

Für ihren Lebensunterhalt kommt ihr Gatte auf. Kontakte, welche über die unmittelbare Nachbarschaft im Wohnbereich der [Beschwerdeführerin] hinausgehen, wurden weder behauptet, noch bescheinigt.

Im Lichte der oa. Ausführungen wird auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die - hier bei weitem nicht vorhandenen - Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

- Bindungen zum Herkunftsstaat

Die [Beschwerdeführerin] verbrachte den überwiegenden Teil ihres Lebens in Aserbaidschan, wurde dort sozialisiert, gehört der dortigen Mehrheits- und Titularethnie an, bekennt sich zum dortigen Mehrheitsglauben und spricht die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso ist davon auszugehen, dass in Aserbaidschan Bezugspersonen etwa im Sinne eines gewissen Freundes- bzw. Bekanntenkreises, sowie Angehörige der [Beschwerdeführerin] existieren, da aufgrund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden kann, dass die [Beschwerdeführerin] vor ihrer Ausreise in ihrem Herkunftsstaat in völliger sozialer Isolation gelebt hätte. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es der [Beschwerdeführerin] im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Gerade im städtischen Bereich ist dies insbesondere auch einer Frau möglich.

- strafrechtliche Unbescholtenheit

Die [Beschwerdeführerin] ist strafrechtlich unbescholten.

Die Feststellung, wonach die [Beschwerdeführerin] strafrechtlich unbescholten ist, relativiert sich einerseits aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer und stellt laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420).

[…]

- Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts

Die [Beschwerdeführerin] reiste mit einem Aufgrund der Vortäuschung falscher Tatsachen erhaltenen Visums in das Bundesgebiet ein.

- die Frage, ob das Privat- und Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren

Der volljährigen [Beschwerdeführerin] musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender ist. Ebenso indiziert die Einreise mit einem erschlichenen Visum den Umstand, dass der [Beschwerdeführerin] dieser Umstand bewusst war, da davon auszugehen ist, dass sie ansonsten die legale Niederlassung entsprechend den Bestimmungen des NAG gewählt hätte.

- mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer

Ein behördliches Verschulden, welche die zeitliche Komponente dermaßen in den Vordergrund treten lassen würde, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unzulässig sei, kann aus der Aktenlage nicht entnommen werden und wurde von den Verfahrensparteien auch nicht in nachvollziehbarer Weise vorgebracht (in Bezug auf ein gewisses Behördenverschulden in Bezug auf die Verfahrensdauer vgl. auch bei Vorliegen weitaus engeren Bindungen im Sinne des Art8 EMRK und einem ca. zehnjährigen Aufenthalt im Staat der Antragstellung das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr 21878/06).

[…]

Letztlich ist festzustellen, dass eine Gegenüberstellung der von de[r] [Beschwerdeführerin] in ihrem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnissen mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung zu keinem Überwiegen der privaten Interessen der [Beschwerdeführerin] am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes führen würde.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die [Beschwerdeführerin] erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.

Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag[s] unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip ['no one can profit from his own wrongdoing'], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).

Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige Integration der [Beschwerdeführerin] in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar. Die [Beschwerdeführerin] hält sich im Vergleich mit ihrem Lebensalter erst einen kurzen Zeitraum in Österreich und eine gesellschaftliche Integration im beachtlichen Ausmaß ist nicht erkennbar.

Verwandte der [Beschwerdeführerin] leben noch im Herkunftsstaat, wo die [Beschwerdeführerin] den Großteil des Lebens verbracht haben und sozialisiert wurden, und ist daher davon auszugehen, dass auf Grund dieser familiären und privaten Beziehungen im Herkunftsstaat im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zu Aserbaidschan eine - wenn überhaupt vorhanden - Integration in Österreich bei weitem überwiegen.

Insbesondere aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer der [Beschwerdeführerin] in Österreich sind zum Entscheidungszeitpunkt keine Aspekte einer außergewöhnlichen schützenswerten, dauernden Integration hervorgekommen, dass allein aus diesem Grunde die Rückkehrentscheidungen auf Dauer unzulässig zu erklären wären.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des §9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der [Beschwerdeführerin] im Bundesgebiet das persönliche Interesse der [Beschwerdeführerin] am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in den Beschwerden nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

[…] Die belangte Behörde ist des Weiteren auch nach Abwägung aller dargelegten persönlichen Umstände der [Beschwerdeführerin] zu Recht davon ausgegangen, dass der [Beschwerdeführerin] ein Aufenthaltstitel gemäß §55 AsylG 2005 von Amts wegen nicht zu erteilen ist. Es liegt im gegenständlichen Fall schon die Voraussetzung des §55 Abs1 Z1 AsylG (Aufrechterhaltung eines Privat- und Familienleben iSd Art8 EMRK) nicht vor, weshalb sich eine weitere Prüfung erübrigt."

4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK, eine Verletzung des Art3 EMRK und eine Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander geltend macht.

5. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Akten des verwaltungsbehördlichen und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vor, nahm aber von der Erstattung einer Äußerung Abstand.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

1. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende verwaltungsgerichtliche Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn es der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

2. Dem Bundesverwaltungsgericht ist bei der gemäß Art8 Abs2 EMRK gebotenen Abwägung ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen:

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht vom Vorliegen eines Familienlebens der Beschwerdeführerin mit ihrem rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältigen Ehemann und ihrer minderjährigen Tochter aus. Die Tochter der Beschwerdeführerin, die ihren Aufenthaltstitel nur vom Vater ableite, könne entweder mit der Beschwerdeführerin ausreisen oder beim Vater im Bundesgebiet verbleiben. Das Familienleben zum Ehemann und zur Tochter könne auch vom Herkunftsstaat "durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche, welche auch außerhalb von Aserbaidschan stattfinden könnten", aufrechterhalten werden. Die Beschwerdeführerin habe ihren Ehemann während des laufenden Asylverfahrens geheiratet und sei von ihm schwanger geworden, sie habe daher von ihrem unsicheren Aufenthaltsstatus ausgehen müssen. Die Beschwerdeführerin habe "missbräuchlich" einen Asylantrag gestellt, um einen vorläufigen Aufenthaltstitel zu erhalten. Es widerspreche dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens, wenn sich in einer solchen Konstellation eine Asylwerberin auf ihr - erst während des Asylverfahrens begonnenes - Familienleben berufen könne.

2.2. Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts wurde dem Ehemann der Beschwerdeführerin in Österreich die Flüchtlingseigenschaft in Bezug auf jenen Staat zuerkannt, in den die Beschwerdeführerin ausgewiesen werden soll. Eine Fortsetzung des Familienlebens in diesem Staat ist aus diesem Grund ausgeschlossen. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in der Entscheidung VfSlg 19.220/2010 festgehalten hat, ergibt sich aus diesem Umstand, dass der mit einer Ausweisung verbundene Eingriff in das Recht auf Familienleben als besonders intensiv zu betrachten ist.

Das Bundesverwaltungsgericht stellt bei seiner Interessenabwägung in den Vordergrund, dass die Beschwerdeführerin ihr Familienleben zu einem Zeitpunkt aufgenommen habe, als sie sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist dieser Umstand bei der nach Art8 Abs2 EMRK gebotenen Interessenabwägung zu berücksichtigen (vgl. etwa VfSlg 18.223/2007 mwN); er führt jedoch nicht dazu, dass eine aufenthaltsbeendende Maßnahme keinen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens darstellen würde (vgl. VfGH 25.2.2013, U2241/12; vgl. auch VfGH 1.7.2009, U992/08, wonach die Aufnahme des Familienlebens während des Asylverfahrens von jenen Fällen zu unterscheiden ist, in denen erst nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens das Familienleben im Bundesgebiet aufgenommen wird und deshalb eine geringere Schutzwürdigkeit besteht).

Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Abwägung zwar von einem Eingriff in das Recht auf Familienleben der Beschwerdeführerin aus, es stellt bei seiner Interessenabwägung zur Rechtfertigung dieses Eingriffs aber zentral auf den Umstand ab, dass die Beschwerdeführerin ihr Familienleben während des laufenden Asylverfahrens aufgenommen habe, wodurch das Interesse der Beschwerdeführerin an der Aufrechterhaltung dieses Familienlebens bloß minder zu gewichten sei. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der Folge das Interesse der Beschwerdeführerin an der Aufrechterhaltung des familiären Kontakts zu ihrem Ehemann wie auch zu ihrer minderjährigen Tochter dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens untergeordnet. Insofern das Bundesverwaltungsgericht dabei davon ausgeht, dass als Ort des weiteren Aufenthalts der minderjährigen Tochter der Beschwerdeführerin sowohl das Bundesgebiet als auch der Herkunftsstaat gewählt werden könne, berücksichtigt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass - auf Grund des unterschiedlichen Aufenthaltsstaats der Elternteile - in jedem Fall eine Verletzung des Rechts auf ein Familienleben zu erwarten wäre (vgl. VfGH 25.2.2013, U2241/12, wonach es lebensfremd ist, dass der Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrecht erhalten werden könne). Eine solche einseitige Gewichtung der öffentlichen Interessen gegenüber den Interessen der Beschwerdeführerin an einer Aufrechterhaltung ihres Familienlebens verletzt das Recht auf Achtung des Familienlebens gemäß Art8 EMRK.

2.3. Die Entscheidung ist daher insoweit aufzuheben, als mit ihr die im angefochtenen Bescheid getroffene Rückkehrentscheidung bestätigt wird.

3. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist. Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind. Soweit durch die angefochtene Entscheidung der Beschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten bzw. der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt wurde, wären die gerügten Rechtsverletzungen im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes, konkret des §3 Abs1 AsylG 2005 iVm Art1 Abschnitt A Z2 GFK sowie des §8 AsylG 2005. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung in jeder Hinsicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht, nicht anzustellen. Demgemäß wurde beschlossen, in diesem Umfang von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist durch die Bestätigung der Rückkehrentscheidung im angefochtenen Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden. Das angefochtene Erkenntnis wird daher insoweit aufgehoben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,- enthalten. Für die - im Übrigen auch nicht entrichtete - Eingabegebühr wurde Verfahrenshilfe gewährt.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:E426.2015

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