Quelle:

Eastern Europe and the Commonwealth of Independent States, 1997.

1. Verfassung

1.1. Staatsname

Russische Föderation - Russland (Rossijskaja Federacija - Rossija)

1.2. Staatssymbol und Staatswappen

Staatssymbol Staatswappen Staatssymbol bildet eine weiss-blau-rote Flagge. Auf dem Staatswappen ist der an das zaristische Russland erinnernde, zweiköpfige goldene Reichsadler mit Reichsinsignien auf weiss-grauem Hintergrund abgebildet. Quelle: Russian Government Internet Network Home Page, 1997.

1.3. Staatsform

Die Russische Föderation ist ein demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Herrschaftsform präsidialen Zuschnitts. Bei der Auflösung der UdSSR durch die 11 Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) am 21. Dezember 1991 in Alma Ata trat Russland die Rechtsnachfolge der UdSSR an.

2. Soziales und Kultur

2.1. Bevölkerung

In Russland leben 148,5 Mio. Einwohner auf einer Fläche von 17 Mio. km². Die Bevölkerung setzt sich aus 83% Russen und 140 weiteren Nationalitäten zusammen, darunter Tataren (3,8%), Ukrainer (3%), Tschuwaschen (1,2%), Baschkiren (0,9%), Weissrussen (0,8%) und Deutsche (0,6%). Die übrigen Nationalitäten zählen weniger als eine Million Menschen.

2.2. Sprache

Amtssprache ist russisch. Daneben existieren zahlreiche Minderheitensprachen.

2.3. Religion

Mehr als 40 unterschiedliche Konfessionen treffen in Russland aufeinander. Rund drei Viertel der Gläubigen sind orthodoxe Christen, 1% Katholiken, 2% Protestanten, 19% Moslems, überwiegend sunnitischer Ausrichtung (z.B. in Tatarstan und im Nord-Kaukasus), 2% Buddhisten (z.B. in Burjatien) und 1% gehört anderen Konfessionen an. Obwohl in den 70er und 80er Jahren viele Juden aus der ehemaligen Sowjetunion emigriert sind, gibt es vor allem in den grösseren Städten noch immer einen jüdischen Bevölkerungsteil von ca. 300‘000 Gläubigen. Anfang der 90er Jahre hat Russland eine „religiöse Renaissance" erlebt. Immer mehr Menschen suchen nach dem Zerfall des kommunistischen Systems in der Religion einen neuen inneren Halt. Beachtlich ist auch die schnelle Verbreitung verschiedener Sekten.

2.4. Schul- und Bildungswesen

Russland erbte von der ehemaligen Sowjetunion ein gut ausgebautes System der Bildungseinrichtungen, das in den letzten Jahren durch einige religiöse bzw. private Bildungseinrichtungen ergänzt wurde. Die neuen Privatschulen stehen bei der Bevölkerung zwar hoch im Kurs, verlangen aber ein hohes Schulgeld. Die Haupttypen des öffentlichen Schulwesens sind die Vorschuleinrichtungen, das allgemeinbildende Schulwesen, die Berufs- bzw. Fachschulen und die Hochschulen. Die rund 88‘000 kostenlosen staatlichen Vorschuleinrichtungen betreuen etwa 9,6 Mio. Kinder. Die Nachfrage nach Plätzen in staatlichen Kinderkrippen und Kindergärten kann längst nicht gedeckt werden. Die obligatorische und ebenfalls kostenlose allgemeine Schulbildung umfasst zwei Stufen: die Grundschule (natschalnaja schkola), die vier Jahre dauert, und die Einheitsschule (jedinnaja schkola), die je nach Region noch einmal sechs oder sieben Schuljahre dauert. Danach wird die Ausbildung entweder in der Industrie, an der Berufs- bzw. Fachschule oder an der Universität fortgesetzt. Sogenannte Spezialschulen (advanced schools oder spezschkoly) fördern begabte Schüler vom ersten Schuljahr an. Die obligatorische Schulpflicht dauert vom siebten bis 17. Lebensjahr. Das Schul- bzw. Studienjahr beginnt landesweit jeweils am 1. September. Lehrpläne und Lehrbücher wurden in den vergangenen Jahren gründlich neugestaltet und von ideologischem Ballast befreit, allerdings stösst die Umsetzung neuer theoretischer Konzepte in der Realität oft auf menschliche Grenzen. Problematisch ist aber insbesondere die finanzielle Situation an den Schulen sowie an den Universitäten und der daraus resultierende Mangel an Lehrkräften, Schulräumen und Unterrichtsmitteln.

2.5. Medizinische Infrastruktur

Das staatliche Gesundheitssystem leidet schon seit Jahrzehnten an fehlendem Geld und entsprechenden Mängeln in der medizinischen Infrastruktur: Gebäude und Apparate sind in einem schlechten Zustand. Rund 60% der Spitäler sind renovationsbedürftig, ein Viertel ist an kein Abwassersystem angeschlossen, ein Fünftel ist ohne Zentralheizung und rund die Hälfte haben weder Badezimmer noch Duschanlagen. Es herrscht ein Mangel an Medikamenten, qualifiziertem Personal, moderner Medizintechnik, Hygiene und Bettenkapazitäten. 1992 gab es in Russland auf je 10‘000 Einwohner 44,7 Ärzte und Zahnärzte sowie 130 Spitalbetten. Die Zahl der neugebauten staatlichen Krankenhäuser und Polikliniken ist rückläufig. Die medizinische Hilfe in staatlichen Einrichtungen ist zwar unentgeltlich, beschränkt sich aber nur auf das Notwendigste. Bei der Pflege und Versorgung im Krankenhaus springen die Angehörigen der Patienten meist mit ein. Frische Bettwäsche und besondere Medikamente erhält man heute nur noch durch Bestechung des Personals und spezielle Behandlungen sind sehr kostspielig geworden. In Moskaus Apotheken wird heute ein breites Sortiment an Medikamenten angeboten. Diese sind aber zum grössten Teil aus dem Ausland importiert und teuer. Bereits in den Provinzstädten dürfte dieses Angebot nicht mehr gewährleistet sein. Generell ist die medizinische Infrastruktur in den Provinzstädten mit derjenigen Moskaus nicht vergleichbar. Das Sozialprestige der Ärzte ist in Russland vergleichsweise niedrig und der Verdienst staatlicher Mediziner äusserst gering. In den letzten Jahren sind zahlreiche private Arzt- und Zahnarztpraxen, Polikliniken und Krankenhäuser aufgegangen, meist als Joint-venture-Unternehmen mit westlichen Partnern. Sie sind weit besser ausgestattet als staatliche Einrichtungen, fordern dafür aber auch ihren Preis und bleiben für die Bevölkerungsmehrheit unerschwinglich. Seit 1993 ist ein Gesetz in Kraft, das eine Krankenpflichtversicherung vorsieht. Sie besteht aus einer garantierten staatlichen Minimalversorgung, einer Pflichtversicherung und einer freiwilligen Zusatzversicherung. Das Versicherungswesen steckt allerdings noch in den Anfängen und leidet an den Zahlungsschwierigkeiten der Versicherungsteilnehmer sowie an der Ineffizienz der Versicherungsbürokratie. Zudem ist es regional sehr unterschiedlich entwickelt. Nur 10% der Bevölkerung können sich heute eine private Krankenversicherung leisten, dank der sie in Kliniken mit westlichem Standard behandelt werden können. Grössere Firmen haben für ihre Mitarbeiter ein internes Krankenversicherungssystem eingeführt.

3. Frau und Familie

In der schwierigen Zeit des wirtschaftlichen Umbruches und geistigen Wertewandels ist die Familie ein Zufluchtsort und Ruhepol. Gleichzeitig beginnen sich aber aufgrund von Verarmung, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und wachsender Orientierungslosigkeit die intakten Familienstrukturen allmählich aufzulösen. Darunter leiden vor allem die Kinder und Jugendlichen, die nicht selten von zuhause ausbrechen oder von den Eltern vor die Tür gesetzt werden. Pro Jahr laufen schätzungsweise 10‘000 Kinder von zuhause weg und rund 2‘000 begehen Selbstmord. Die Zahl der Strassenkinder wird in Moskau auf einige zehntausend geschätzt, im ganzen Land auf rund eine halbe Million. Zu Sowjetzeiten hat der Staat den Eltern die Kindererziehung weitgehend abgenommen, heute müssen die Familien wieder vermehrt selbst für die Kinderbetreuung aufkommen. Um der wachsenden Instabilität der Familien entgegenzuwirken, hat der Staat aber eine Reihe familienfördernder Massnahmen eingeführt, so beispielsweise Vergünstigungen bei der Benutzung von Verkehrsmitteln, kostenloses Schulessen, günstige Kredite etc. Seit dem 1. März 1996 ist auch ein neues Familiengesetzbuch in Kraft, das die Grundlagen der Ehe- und Familiengesetzgebung neu definiert und die Rechte des Kindes regelt. Geburten- und Sterberate halten sich heute die Waage. Finanzielle Engpässe, Wohnungsmangel und Zukunftsangst halten viele Ehepaare davon ab, Kinder zu bekommen; Ein-Kindfamilien sind heute üblich. Familienplanung ist ausschliesslich Frauensache und Abtreibung nach wie vor die gängigste Art der Geburtenkontrolle. Schätzungsweise 18% der russischen Bevölkerung haben Zugang zu Methoden und Mitteln der Geburtenkontrolle. Laut Verfassung stehen den Frauen die gleichen Rechte zu wie den Männern. In der Realität leben die Frauen jedoch nach wie vor in einer Männerwelt, wo traditionelle Rollenzuweisungen vorherrschen und die Frauen diskriminiert, untervertreten und auch der Gewalt ausgesetzt sind. 70% der landesweit Arbeitslosen sind Frauen, und trotz hoher Qualifikation sind sie vorwiegend in unqualifizierten sowie schlechtbezahlten Berufen tätig. In höheren Positionen sind kaum Frauen anzutreffen. Dasselbe gilt auch für die Politik, wo die Frauen nach wie vor untervertreten sind und kaum einflussreiche Positionen einnehmen. Bei den Parlamentswahlen 1996 hat die politische Bewegung „Frauen Russlands" 8% der Wahlstimmen erzielt. Diese Bewegung existiert seit 1993 und versucht, vermehrt Frauenanliegen auf politischer Ebene durchzusetzen. Immer stärker engagiert sich auch der Verband weiblicher Arbeitgeber und die Erfolge des Komitees der Soldatenmütter haben gar internationales Aufsehen erregt. Gewalt an Frauen ist ein ungelöstes Problem und die betroffenen Frauen können kaum auf den Schutz staatlicher Behörden zählen. 80% der gemeldeten Gewaltfälle geschehen im häuslichen Umfeld. In der Zwischenzeit gibt es allerdings Sorgentelefone für Frauen. In Moskau und St. Petersburg sind Kontaktstellen für Gewaltopfer in Ehe und Beruf eingerichtet worden, wenn auch noch keine Frauenhäuser.

4. Medien

Das neue Mediengesetz verbietet die Zensur und postuliert die Informationsfreiheit. Die Massenmedien sind jedoch nach wie vor Druckversuchen von Regierung, Parlament, verschiedenen politischen Gruppierungen und einflussreichen Wirtschaftsvertretern ausgesetzt. Insbesondere hat das finanzielle Engagement von Wirtschaftseliten im Medienmarkt merklich zugenommen. Journalisten, die sich dennoch kritisch über Regierungs- und Wirtschaftseliten geäussert oder über heikle Themen wie Korruption, Mafia und den Tschetschenienkrieg geschrieben haben, sind teilweise bedroht, misshandelt und im schlimmsten Fall ermordet worden, wie beispielsweise der bekannte Fernsehjournalist Wladislaw Listjew. Ausserhalb der grossen Medienzentren Moskau und St. Petersburg sind die Druckversuche lokaler Politiker stärker.

4.1. Nachrichtenagenturen

ITAR-TASS (früher TASS) ist die russische Nachrichtenagentur, RIA-Nowosti die russische Informationsagentur und Interfax sowie Postfactum arbeiten als unabhängige Presse- und Informationsdienste.

4.2. Zeitungen und Zeitschriften

Die Medienlandschaft Russlands ist in Bewegung geraten, und das Spektrum der gedruckten Medien hat sich trotz wirtschaftlicher Engpässe enorm vergrössert. Die zunächst immens gestiegenen Auflagen sind aber seit 1993 wieder zurückgegangen. 1995 waren landesweit 5‘101 Zeitungen und 2‘742 Zeitschriften registriert. Die wichtigsten Zeitungen sind:

- Argumenty i Fakty: Wochenzeitung, Auflage 5,5 Mio. (1992: 26 Mio.), herausgegeben von einem demokratisch orientierten Redaktionskollektiv, weist auch 1997 die besten Verkaufszahlen auf.

- Iswestija: Tageszeitung, Auflage 700‘000, ehemaliges Organ des Obersten Sowjets, heute unabhängig und demokratisch orientiert, technisch sehr gut ausgestattet und führend in den Bereichen Finanz- und Wirtschaftspolitik.

- Komsomolskaja Prawda: Tageszeitung, Auflage 1,3 Mio., früheres Organ des Kommunistischen Jugendverbandes, heute eine erfolgreiche und populäre Zeitung mit demokratischer Orientierung, nicht nur für Jugendliche.

- Moskowvskii Komsomolez: Tageszeitung, Auflage 1,32 Mio., früheres Organ des Moskauer Komitees des Komsomol, heute unabhängiges, sehr populäres Boulevard-Blatt.

- Nedelja: Wochenzeitung, Auflage 600‘000, Zeitung für breite Leserschichten mit einer grossen Themenvielfalt, besonders bei älteren Menschen beliebt.

- Prawda: Tageszeitung, Auflage 475‘000, kommunistisches Blatt, konnte seine alten Abonnenten bislang weitgehend halten.

- Rossijskaja Gaseta: Tageszeitung, Auflage 810‘000, Organ der Russischen Regierung (Amtsblatt).

- Sowjetskaja Rossija: Erscheint dreimal wöchentlich, Auflage 750‘000, Zeitung der Gegner Jelzins.

- Trud: Tageszeitung, Auflage 1,65 Mio., frühere Gewerkschaftszeitung, bietet heute eine Fülle von Kurzinformationen.

4.3. Radio

Die Haupteinrichtungen des Radio waren bisher in Moskau zentralisiert (Radio Moskau), doch gewinnt St. Petersburg als zweites Medienzentrum an Bedeutung. Die wichtigsten Radiosender sind:

- Majak: Zu empfangen auf dem ganzen Territorium der GUS.

- Radion Rossija: Zu empfangen auf dem Territorium Russlands.

- Ewropa plus: Kommerzielle Radiostation, zu empfangen auf dem Territorium Russlands.

- M-Radio: Kommerzielle Radiostation, zu empfangen in Moskau.

4.4. Fernsehen

Hoch im Kurs stehen vor allem die elektronischen Medien. Beim Fernsehen hat sich das Programmangebot ebenfalls erheblich verändert. Am 30. November 1994 wurde das Fernsehunternehmen „Öffentliches Russisches Fernsehen AG" (ORT) geschaffen, an dem der Staat 51% und private Investoren (wie Grossbanken) den Rest halten. Die Hauptfernsehprogramme unterstehen somit nach wie vor staatlicher Kontrolle: Dazu gehören das Erste Programm „Kanal Ostankino", das Zweite Programm „Kanal Rossija" und der Kultur- und Bildungskanal „Rossiiskije Uniwersitety". Diese regierungstreuen Kanäle sind die einzigen Sender mit einer Reichweite in fast alle Republiken der ehemaligen Sowjetunion. Daneben gibt es private Sender, wie der einflussreiche, von drei Banken finanzierte Sender „NTV" (Unabhängiges Fernsehen), „TV6 Moskwa" und „Nordkrone".

5. Wirtschaft

5.1. Volkswirtschaft

Russland verfügt heute über rund 60% des Wirtschaftspotentials der früheren Sowjetunion. Es besitzt ein gut ausgebildetes Arbeitskräftepotential von 73 Mio. Menschen und beträchtliche natürliche Ressourcen wie metallische Erze, Erdöl, Erdgas und Kohle. Der Rohstoffsektor ist der wichtigste Devisenbringer. 1994 entfielen 45% der Ausfuhren auf Erdöl und Gas, 20% auf Metalle und andere Rohstoffe (u.a. Gold, Diamanten). 1994 wurden 30% des Bruttoinlandprodukts in der Industrieproduktion erwirtschaftet, 6,8% in der Landwirtschaft, 16,6% im Handel und 27,6% im Dienstleistungssektor. 9,1% wurden in der Baubranche verdient und 9,5% im Transport- und Kommunikationswesen. Im Vergleich zu früheren Jahren bedeutet dies einen deutlichen Anstieg des Dienstleistungssektors und einen Rückgang des Industriesektors. Russland steht immer noch vor der schwierigen Aufgabe, den Übergang von einer zentral geplanten Staatswirtschaft zu einer freien Marktwirtschaft zu bewältigen. In einer ersten Phase der Wirtschaftsreformen wurden am 1. Januar 1992 die Preise freigegeben und am 1. Oktober 1992 die Massenprivatisierung der Unternehmen eingeleitet. Die Folgen des schwierigen Systemumbaus sind eine allgemeine Destabilisierung der Wirtschaft. Es kam zu Produktionseinbrüchen, hohe Haushaltsdefizite entstanden und die Inflation schnellte in die Höhe. Dies bewirkte eine drastische Senkung der Realeinkommen, während gleichzeitig auch die staatlich subventionierten Lebensmittelpreise um das Vierfache stiegen. Es fand eine allgemeine Verarmung der Bevölkerung statt, die noch von keinem funktionierenden Sozialsystem aufgefangen werden kann. 1995 und 1996 hat sich die Regierung vor allem um eine Begrenzung des Geldmengenwachstums und die Eindämmung der Inflation bemüht. Dabei konnte sie durchaus Erfolge verbuchen: Die nach der Preisfreigabe von 1992 eingetretene Hochinflation von über 2‘500% konnte bis Ende 1995 auf 130% und 1996 auf 22% heruntergedrückt werden. Die Privatisierung hatte 1996 zumindest auf dem Papier 80% der Wirtschaft in Privatbesitz übergeführt. Im gleichen Zeitraum wurden rund 900‘000 kleinere Unternehmen gegründet, vorwiegend - aber nicht ausschliesslich - im Dienstleistungssektor. Dennoch arbeitet immer noch die Hälfte aller Angestellten in Betrieben mit Staatsbeteiligung, und Infrastruktur-Unternehmen sowie Rüstungsbetriebe befinden sich noch zum Grossteil in öffentlicher Hand oder werden von dieser kontrolliert. Nach wie vor subventioniert der Staat viele wirtschaftlich und technisch heruntergekommene Industriegiganten, die oft weder Löhne ausbezahlen noch Rohstoffe einkaufen können. Eine komplette Schliessung aller maroden Unternehmen hätte allerdings Massenarbeitslosigkeit zur Folge. Hunderte von russischen Städten sind oft nur von einem Industriebetrieb abhängig. 1996 war das sechste aufeinanderfolgende Jahr mit einem Schrumpfungsprozess in der Landwirtschaft und Industrieproduktion. Bereits 1995 war die Industrieproduktion um 3% zurückgegangen, 1996 um 5% und 1996 lag das Bruttoinlandprodukt mit -6% immer noch im Minusbereich (1994: -12,6%). Zum grössten Sorgenkind gehört die verarbeitende Industrie, schwierig ist aber auch die Situation der Betriebe in der Rüstungsindustrie, in denen vier Mio. Menschen arbeiten, in deren Zulieferbetrieben sind es weitere zwölf Mio. Überbürokratisierung, Rechtsunsicherheit und Korruption schaffen kein günstiges Investitionsklima und die schwache Inlandnachfrage bei gleichzeitig starker Importkonkurrenz verhindert weiterhin eine Produktionserhöhung im Industriesektor. Dieser negative Trend der Produktion wird allerdings durch die Güterherstellung der Schattenwirtschaft zumindest teilweise kompensiert. Der Anteil der Schattenwirtschaft am Bruttoinlandprodukt liegt gemäss offiziellen Angaben bei rund 20%, dürfte aber in Realität höher liegen. Die Landwirtschaft ist ebenfalls ein Sorgenkind der russischen Wirtschaft. Die Erträge bei Getreide, Kartoffeln und Gemüse reichen aufgrund der hohen Verlustquote von 30-50% nicht zur Selbstversorgung aus. Auch nach der Agrarreform ist die überwiegende Mehrheit der Bauern in staatlichen Kolchosen und Sowchosen tätig. Mangelnde Eigeninitiative, Transportprobleme, unzureichende technische Hilfsmittel etc. stehen einer erfolgreichen Liberalisierung und effizienten Produktionsstruktur entgegen. Für die überwiegende Bevölkerungsmehrheit haben die Wirtschaftsreformen bisher mehr gekostet als eingebracht. Angesichts der hohen Inflationsrate schmolzen sowohl die Gehälter als auch die Ersparnisse dahin. 1995 sind die Einkommen um 12% zurückgegangen. Statistisch gesehen lebt ein Drittel der Bevölkerung unter der offiziellen Armutsgrenze - besonders davon betroffen sind die Rentner. Die 1996 gestiegene Summe ausstehender Lohn- und Rentenzahlungen haben für viele die Situation zusätzlich erschwert. Gegenwärtig findet eine Polarisierung der Bevölkerung in eine verarmte Bevölkerungsmehrheit bzw. in eine kleine Gruppe von Reichen statt, bei der die Mittelklasse fehlt. Augelöst durch die Finanzkrise in Südostasien und den gleichzeitigen globalen Verfall der Erdöl- und Erdgaspreise (wichtigster Exportartikel Russlands), ist Russland im Sommer 1998 in eine schwere Wirtschafts- und Finanzkrise geraten. Die Mängel im wirtschaftlichen Reformprozess konnten nicht mehr länger aufgefangen werden. Das bereits beträchtliche Staatsdefizit ist weiter in die Höhe geschnellt und die Aktienkurse sowie die Währung sind massiv unter Druck geraten. Am 21. August 1998 wurde der Rubelkurs völlig freigegeben. Durch den Währungszerfall ist mit einem Inflationsschub zu rechnen, wobei die damit verbundenen Preiserhöhungen ungebremst an die Konsumenten weitergegeben werden dürften.

5.2. Beschäftigungssituation

Die Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen liegt bei 9,5%, in Realität dürfte sie allerdings höher liegen und angesichts weiterer bevorstehender Privatisierungen nochmals ansteigen. Zudem ist aufgrund der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise mit einem weiteren Verlust von Arbeitsplätzen zu rechnen. Von der Arbeitslosigkeit am stärksten betroffen, sind bis anhin Frauen und Jugendliche. 1995 waren 64% der Arbeitslosen weiblich, rund ein Drittel unter 30 Jahre alt. Nebenbeschäftigungen - hauptsächlich in kleineren Privatunternehmen - sind verbreitet. Vielfach verdienen die Angestellten in diesen Jobs mehr als an ihrem Hauptarbeitsplatz, wo sie oft monatelang keine Entlöhnung erhalten. Die Höhe der Geldeinkommen unterscheidet sich von Region zu Region, wobei insbesondere in Moskau eine kleine Bevölkerungsschicht mit sehr hohen Einkommen entstanden ist. Ende 1994 betrug das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen dieser Gruppe zirka 4,5 Mio. Rubel, wobei dasjenige der restlichen 94% der Moskauer Bevölkerung etwa bei 225‘000 Rubel lag. Zum 1. Mai 1995 wurden der monatliche Mindestlohn auf 43‘700 Rubel und die monatliche Mindestrente auf 43‘739 Rubel festgesetzt. Der Arbeitslosenfonds wird allein durch Beiträge der Arbeitgeber finanziert, die einen bestimmten Prozentsatz der Lohnsumme abführen müssen. Die Renten werden aus einem 1990 eingerichteten Rentenfonds bezahlt, für Frauen ab 55, für Männer ab 60 Jahren. Der Zerfall der alten Systeme der sozialen Sicherheit ist faktisch unumkehrbar, der Aufbau eines neuen funktionierenden Systems allerdings ohne politische und wirtschaftliche Stabilität nur schwer möglich. Umstritten ist die Tendenz zur Dezentralisierung der Sozialausgaben.

5.3. Währung

Per 1. Januar 1998 hat die Regierung eine Umbewertung der Währung eingeführt, mit dem Ziel den Geldumlauf zu vereinfachen. Sie hat einen neuen Rubel eingesetzt, der neu dem Wert von ehemals 1‘000 Rubeln entspricht. Der alte Rubel sollte schrittweise aus dem Verkehr gezogen werden. Infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise im Sommer 1998 ist die Währung allerdings massiv unter Druck geraten. Am 17. August 1998 haben die Regierung und Notenbank eine Abwertung des Rubels angekündigt. Der Kurs sollte sich künftig innerhalb eines Korridors von 6 bis 9,50 Rubel je Dollar am Markt bilden. Bereits am 21. August 1998 ist der Rubelkurs völlig freigegeben worden. 100 Kopeken entsprechen einem russischen Rubel. Zur Zeit sind 16,1 Rubel 1 US$ bzw. 12,2 Rubel 1 CHF wert (8. Oktober 1998). 1995 lag dieser Wert - allerdings noch gemäss ‚altem Rubel‘ - bei 4‘559 Rubeln pro Dollar (nach neuem Rubel ca. 4,5 Rubel/Dollar), 1996 bei 4‘854 Rubeln pro Dollar (4,8 Rubel/Dollar) und 1997 bei 5‘875 Rubeln pro Dollar (5,8 Rubel/Dollar).

6. Mobilität

Für die Russische Föderation mit ihrer grossen räumlichen Ausdehnung ist ein funktionierendes Verkehrssystem von grosser Bedeutung. Die Regierung hat sich bereit erklärt, gemeinsam mit den anderen Ländern der GUS das einheitliche Verkehrssystem weitestgehend zu erhalten. Das Strassennetz ist bis 1995 auf 934‘000 km ausgebaut worden, wovon 725‘000 km geteert sind. Rund 445‘000 km sind nicht öffentlich benutzbare Zufahrtswege zu Industrie- und Landwirtschaftsbetrieben. Das Eisenbahnwesen ist der entscheidende Verkehrsträger Russlands. Das Schienennetz umfasst 160‘800 km und ist auf den Hauptstrecken elektrifiziert. 87‘200 km werden öffentlich genutzt. Moskau ist der Hauptknotenpunkt, von dem elf Hauptlinien ausgehen. Das Netz öffentlicher Verkehrsmittel ist in den Grossstädten allgemein sehr dicht. Busse gehören zu den meist genutzten Verkehrsmitteln in den Städten und in Moskau sowie in St. Petersburg gibt es ein gut ausgebautes U-Bahn-Netz. Die städtischen Vororte werden mit S-bahnartigen Vorortszügen, sogenannten „Elektritschki", bedient, die vor allem von Pendlern und Wochenendausflüglern benutzt werden. Die Binnenschiffahrt basiert auf einem System von Flüssen und Kanälen in einer Gesamtlänge von 106‘000 km. Dazu gehören Wolga, Dwina, Petschora, Don, Ob, Jennisej, Lena und Amur. Auch für den Personenverkehr ist die Binnenschiffahrt wichtig. Die Hochseeschiffahrt wird über die Häfen St. Petersburg, Kaliningrad, Archangelsk, Noworossisk, Wladiwostok, Petropawlowsk und Nachodka abgewickelt. Der Flugverkehr steckt in einer tiefen Krise, gekennzeichnet durch Treibstoffmangel und einem veralteten Flugzeugpark. Neben Air-Russia, dem Nachfolger der AEROFLOT, soll auch eine Reihe privater Luftfahrtunternehmen entstehen.

6.1. Kommunikationsmittel

Das Post- und Fernmeldewesen verfügt über 48‘000 Post- und Telegrafenämter. Es gibt 24,4 Mio. Fernsprechanschlüsse, davon 20,9 Mio. in städtischen und nur 3,5 Mio. in ländlichen Gebieten. Total sind 15,4 Mio. in privaten Haushaltungen installiert. Gegenwärtig ist eine Teil-Privatisierung des Telefonunternehmens „Swjasinwest" geplant, in dem 86 regionale Telefongesellschaften zusammengeschlossen sind.

6.2. Reisepapiere

Am 1. Januar 1993 trat das neue russische Reisegesetz offiziell in Kraft. Gemäss den neuen gesetzlichen Bestimmungen hat jeder volljährige Russe das Recht auf einen Reisepass. Ausreisevisum und die Einladung einer Person oder Institution des Ziellandes sind nicht mehr notwendig, jedoch ein Einreisevisum des Ziellandes. Ausreiserestriktionen bestehen für Personen, gegen die ein Strafverfahren läuft und für Träger von Staatsgeheimnissen. Aufgrund administrativer Probleme erfolgte die Anwendung des neuen Gesetzes im Jahre 1993 erst graduell, 1994 schien sie allerdings zu funktionieren. 1996 ist ein neues Gesetz über das Ein- und Ausreiseverfahren in Kraft getreten. Darin wird neben dem Ein- und Ausreiseverfahren für Bürger der Russischen Föderation auch das Verfahren der Ein- und Ausreise sowie des Transits von Ausländern und Staatenlosen geregelt. Demnach kann Ausländern und Staatenlosen ein Einreisevisum unter anderem aus Gründen der staatlichen Sicherheit oder aufgrund mangelhafter Reisedokumente verweigert werden. Gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des neuen Reisegesetzes 1993 wurden die alten sowjetischen Reisepässe ungültig. Sie wurden zwar durch neue, allerdings ebenfalls sowjetische Reisepässe ersetzt, die neu auf Seite 2 unter der Rubrik „Nationalität" den Eintrag „Russe" enthalten. Die Bearbeitungsdauer für einen neuen Reisepass lag 1994 in der Regel etwa bei einem Monat. Obwohl die alten sowjetischen Reisepässe gesetzlich für ungültig erklärt worden sind, werden sie in der Praxis häufig dennoch akzeptiert. Ende 1996 hat Präsident Jelzin den Entwurf eines weiteren neuen Passes dekretiert, der zwar immer noch rot sein soll, doch anstelle der herkömmlichen Symbole von Hammer und Sichel neu den zweiköpfigen goldenen Adler aufweisen wird. Immer noch gültig ist der russische Inlandpass, der neben den Angaben zur Person und zu den leiblichen Kindern auch eine Rubrik für die Nationalität des Passinhabers enthält. Ferner enthalten diese Pässe Eintragungen der Standesämter über Eheschliessungen und -scheidungen, der An- und Abmeldung bei Wohnungswechsel oder Wechsel des Wohnortes. Die Inlandpässe haben demnach die Funktion einer persönlichen Identitätskarte.

7. Regierung

7.1. Staatsoberhaupt

Der Präsident wird für eine vierjährige Amtszeit direkt vom Volk gewählt und verfügt über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig macht. Er bestimmt die Hauptrichtlinien der Innen- und Aussenpolitik und ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Er ist befugt, in Form von Dekreten und Anordnungen Recht zu setzen, kann jeden Gesetzesentwurf des Parlaments blockieren und Gesetze, die von der Regierung erlassen worden sind, aufheben. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet und das Parlament wird von der Exekutive praktisch ignoriert. Der Präsident kann unter bestimmten Umständen den Ministerpräsidenten ohne Zustimmung des Parlaments ernennen, das Parlament auflösen und Neuwahlen anberaumen. Des weiteren hat der Präsident bei der personellen Zusammensetzung grossen Einfluss. Seine Amtsenthebung ist nur im Falle von Hochverrat oder der Begehung anderer schwerer Verbrechen möglich. Gegenwärtiger Präsident der Russischen Föderation ist Boris N. Jelzin, der am 3. Juli 1997 in einer Stichwahl mit 53,8% der Stimmen zum zweiten Mal gewählt worden ist. Jelzin ist ein ehemaliger hoher kommunistischer Funktionär, der allerdings 1990 aus dem Politbüro ausgeschlossen worden und aus der ehemaligen Kommunistischen Partei ausgetreten ist. Seit dem 12. Juni 1991 ist er der erste direkt gewählte Präsident der Russischen Föderation. Er hat die Kommunistische Partei verboten und massgeblich zur Auflösung der Sowjetunion beigetragen. Die weitere Entwicklung ist durch die Stärkung der Präsidialmacht geprägt, die sämtliche wichtigen Entscheidungen an sich gezogen hat. Mit seiner Reformpolitik ist Jelzin aber zunehmend auf den Widerstand im Parlament gestossen.

7.2. Landesregierung

Laut Verfassung wird die Exekutive Gewalt von der Regierung ausgeübt. Sie hat das Recht, Verordnungen und Anordnungen auf Grundlage der Verfassung und des Gesetzes zu erlassen und ist im Einzelnen für den Haushalt, eine einheitliche Finanz- und Währungspolitik, die Umsetzung der Aussen- und Sicherheitspolitik sowie für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung zuständig. Der Regierungschef wird durch den Präsidenten mit Zustimmung des Parlaments ernannt. Vom Dezember 1992 bis im März 1998 war Viktor Tschernomyrdin aus der eher konservativen Partei ‚Unser Haus Russland‘ Regierungschef. Sein Kabinett umfasste 30 Mitglieder, die teils den Konservativen, teils den Reformen zuzurechnen waren, wobei der Einfluss der verschiedenen Lager nach verschiedenen Regierungsumbildungen jeweils wechselte. Am 23. März 1998 hat Präsident Jelzin die gesamte Regierung entlassen. Nach langem Seilziehen mit dem Parlament hat am 24. April 1998 der bis dahin weitgehend unbekannte Nachwuchspolitiker und reformorientierte Energieminister, Sergej Kirijenko, das Amt des Ministerpräsidenten übernommen. Bereits nach fünf Monaten hat Präsident Jelzin am 24. August 1998 den Regierungschef wieder entlassen, nachdem dieser durch die zugespitzte Wirtschafts- und Finanzkrise stark unter Druck geraten ist. Zusammen mit Kirjenko hat der Präsident auch führende Reformer aus der Regierung entlassen. Nach erneut zähem Ringen zwischen Präsident Jelzin und dem Parlament ist schliesslich am 11. September 1998 der damalige Aussenminister Jewgenij Primakow als neuer Regierungschef bestätigt worden. Trotz Beteiligung von Reformern an der neuen Regierung sind die Schlüsselstellen im Kabinett vorwiegend mit ehemaligen Sowjetkadern besetzt worden.

8. Parlament

Das Parlament ist das Gesetzgebungs- und Vertretungsorgan und besteht aus zwei Kammern, dem Föderationsrat und der Staatsduma. Nebst dem Parlament sind aber viele andere Organe an der Gesetzgebung beteiligt. Der Föderationsrat (Oberhaus) setzt sich aus je einem Vertreter der Exekutive und Legislative jedes Mitgliedstaates der Russischen Föderation zusammen. Am 6. Dezember 1995 ist ein neues Gesetz über den Föderationsrat angenommen worden, das vorsieht, neu alle Regionenvertreter in direkter Volkswahl zu wählen. Vorher wurde nur ein Drittel aller Abgeordneten gewählt, die restlichen zwei Drittel wurden durch den Präsidenten und die Führung in den Regionen bestimmt. Der Föderationsrat ist u.a. zuständig für die Bestätigung von Dekreten über den Kriegs- und Ausnahmezustand, für die Zustimmung der wichtigsten Gesetzesvorlagen der Staatsduma, die Bestätigung von Gesetzesänderungen zwischen den Föderationssubjekten und für die Ernennung von Richtern der Obersten Gerichte. Die Staatsduma (Unterhaus) zählt 450 Abgeordnete und wird vom Volk in freier Wahl alle vier Jahre gewählt. 225 Abgeordnete werden in Listenwahl und 225 in Direktwahl bestellt. Für die Listenwahl gilt die 5%-Klausel. Die Duma ernennt u.a. den Vorsitzenden der Regierung und verkündet Amnestien. Föderale Gesetze werden in der Duma eingebracht und zur Behandlung an den Föderationsrat weitergeleitet. Sie kann der Regierung das Misstrauen aussprechen, wobei der Präsident den ersten Beschluss ablehnen kann. Sollte das Misstrauensvotum aber binnen drei Monaten wiederholt werden, kann der Präsident entweder die Regierung entlassen oder die Staatsduma auflösen. Die Staatsduma wurde am 17. Dezember 1995 neu gewählt. Von den 43 Parteien und Wahlblöcken, die sich an den Wahlen beteiligten, gelang es nur vier Parteien, die 5%-Hürde zu überschreiten. Die „Kommunistische Partei" ging als klare Siegerin hervor, an zweiter Stelle lag die „Liberaldemokratische Partei", gefolgt vom Wahlblock „Unser Haus Russland" und der Reformbewegung „Jabloko". Das Parlament setzt sich aus folgenden Parteien zusammen:

- Kommunistische Partei: Nachfolgepartei der alten Kommunistischen Partei, 157 Sitze.

- Liberaldemokratische Partei: Nationalistische Ausrichtung, 51 Sitze.

- Unser Haus Russland: Konservative, regierungstreue Ausrichtung, 55 Sitze.

- Jabloko: Demokratisch und reformorientiert, in der politischen Mitte angesiedelt, 45 Sitze.

- Frauen Russlands: Links der politischen Mitte bis sozialistisch ausgerichtet, Vertretung von Frauenanliegen, 3 Sitze.

- Kongress der Russischen Gemeinden: Konservativ-nationalistische Ausrichtung, 5 Sitze.

- Partei der Selbstverwaltung der Werktätigen: Liberale Ausrichtung, in der politischen Mitte angesiedelt, 1 Sitz.

- Demokratische Wahl Russlands: Radikal-liberale Ausrichtung, 9 Sitze.

- Agrarpartei: Kommunistisch orientiert, 20 Sitze.

- Vorwärts Russland: Liberaldemokratische Ausrichtung, 3 Sitze.

- Die Macht dem Volk: Linksorientiert, nationalistisch, 9 Sitze.

- Republikanische Partei: Demokratisch, unabhängige Ausrichtung, 2 Sitze.

- Sozialistische Partei Russlands: Linksorientiert, zentristisch, regierungsloyal, 3 Sitze.

- Gemeinsame Sache: Liberaldemokratische Ausrichtung, 1 Sitz.

Unabhängige: 77 Sitze. Andere: 9 Sitze.

9. Verwaltung

In der Verfassung ist die territoriale Gliederung der Russischen Föderation in 21 Autonome Republiken, sechs Provinzen (Kraj), 49 Regionen (Oblast), zwei Städte föderalen Ranges (Moskau und St. Petersburg), eine autonome (jüdische) Region und zehn autonome Bezirke (Okrug) festgelegt. Alle 89 Subjekte haben ihre eigene Gesetzgebung. Die Republiken werden als Staaten bezeichnet und besitzen eigene Verfassungen, Parlamente und Regierungen, während die anderen Subjekte der Föderation nur über Statuten verfügen. Letztere wählen zwar laut Verfassung ihre Verwaltungsorgane selbst, doch hat Präsident Jelzin im Oktober 1994 ein Dekret erlassen, das ihn berechtigt, Verwaltungschefs wie bis anhin selbst einzusetzen. Im März 1992 wurde ein Föderationsvertrag unterzeichnet, von dem sich Tschetschenien und Tatarstan fernhielten. Später wurde auch mit Tatarstan ein Abkommen unterschrieben. Am 11. Dezember 1994 ist mit dem Einmarsch russischer Truppen in Tschetschenien ein bewaffneter Konflikt zwischen Russland und der Republik Tschetschenien ausgebrochen, der erst mit dem Friedensabkommen vom 31. August 1996 bzw. dem Friedensvertrag vom 12. Mai 1997 beigelegt werden konnte, allerdings ohne den Status Tschetscheniens zu regeln.

Administrative Gliederung

Quelle:

Eastern Europe and the Commonwealth of Independent States, 1997.

10. Wahlen

Die Verfassung schreibt vor, dass Präsident und Staatsduma vom Volk in freier Wahl alle vier Jahre gewählt werden. Die letzte Dumawahl hat am
17. Dezember 1995 stattgefunden und die Präsidentschaftswahl am
16./17. Juni bzw. 3. Juli 1996. Gemäss Gesetzesbeschluss vom 6. Dezember 1995 werden alle Mitglieder des Föderationsrats neu in direkter Volkswahl gewählt und nicht mehr wie bis anhin zu zwei Dritteln durch den Präsidenten und die Führung in den Regionen bestimmt. Bisher haben noch keine Wahlen unter der neuen Gesetzesbestimmung stattgefunden.

11. Recht und Gerichtswesen

11.1. Recht

In das heutige russische Rechtssystem wurden vorübergehend Teile des in der ehemaligen Sowjetunion geltenden Rechts übernommen. In den letzten Jahren sind jedoch bedeutende Bemühungen unternommen worden, rechtsstaatliche Grundlagen zu schaffen und in diesem Zusammenhang ist eine Vielzahl neuer Gesetze beschlossen worden. Mit dem „Gesetz über den Status der Richter" versuchte man 1992, die Stellung der Richter zu stärken, mit dem „Gesetz über die Staatsanwaltschaft" 1992 die bis anhin geltende Allzuständigkeit der Staatsanwaltschaft abzuschwächen. 1993 wurden die gesetzlichen Grundlagen für das Geschworenengericht gelegt. Des weiteren wurden auch die Schiedsgerichte ausgebaut. Schliesslich ist am 1. Januar 1997 eine aktualisierte Fassung des „Gesetzes über das Gerichtssystem in der Russischen Föderation" in Kraft getreten, worin das Gerichtswesen und der Status der Richter geregelt sind. Ein Zivilgesetz, das die rechtliche Basis für die Marktwirtschaft und eine bürgerliche Gesellschaft bildet, ist am 1. Januar 1995 in Kraft getreten. Ab 1. Januar 1997 ist ebenfalls ein neues Strafrecht (Strafgesetz, Strafprozess- und Strafvollzugsordnung) rechtskräftig geworden, worin nicht mehr der Staatssicherheit erste Priorität zugewiesen wird, sondern den Rechten und Freiheiten des Einzelnen sowie dem Schutz des Eigentums.

11.2. Ordentliche Gerichte

Der Gerichtsaufbau gliedert sich in die ordentliche Gerichtsbarkeit, die Arbitragen- oder Schiedsgerichte und das Verfassungsgericht. Kameradschaftsgerichte existieren kaum noch. Alle Gerichte sind Föderationsgerichte. Die ordentliche Gerichtsbarkeit behandelt zivil-, straf- und verwaltungsrechtliche Strafsachen und gliedert sich in drei Hierarchieebenen: · Die unterste Ebene bilden die Volksgerichte der Bezirke, Städte und Stadtbezirke. Sie sind für gewöhnliche Strafsachen in erster Instanz zuständig (98% der Fälle). Die Urteile fällen Einzelrichter oder Schöffengerichte, bei schweren Straftaten Geschworenengerichte. · Die mittlere Ebene bilden die Gerichte der Föderationssubjekte und Oberste Gerichte der Föderationssubjekte. Sie verhandeln Fälle, in denen es um den Verrat von Staatsgeheimnissen geht sowie Fälle, in denen die Todesstrafe verhängt werden könnte. Darüber hinaus verhandeln sie bestimmte Zivilrechtsfälle. Die Urteile fällen entweder Einzelrichter oder drei Richter. Die Gerichte zweiter Instanz sind keine Berufungsinstanzen. · Höchstes Gericht ist das Oberste Gericht der Russischen Föderation. Es ist das höchste Gericht in zivil-, straf- und verwaltungsrechtlichen Strafsachen und behandelt besonders komplizierte Fälle oder Fälle von besonderem öffentlichen Interesse. Das Gericht kann Anfragen an das Verfassungsgericht richten und ist massgebliche Instanz für die Auslegung von Gesetzen. Es ist zugleich höchste Berufungsinstanz. Die Schiedsgerichte sind für Wirtschaftsstreitigkeiten sowie für Zivil- und Verwaltungsstreitigkeiten zuständig und ihrer Funktion nach mit einem Handelsgericht vergleichbar. Sie existieren auf drei Hierarchieebenen: die Schiedsgerichte der Bezirke und Städte, die Schiedsgerichte der Föderationssubjekte und das Oberste Schiedsgericht der Russischen Föderation. Das Verfassungsgericht kontrolliert die Verfassungsmässigkeit von Akten der Staatsorgane. Es entscheidet über die Verfassungsmässigkeit föderaler Gesetze und normativer Akte oberster Machtorgane sowie über Verfassungen, Statuten und Gesetze der Föderationssubjekte. Es klärt ferner Kompetenzstreitigkeiten zwischen föderalen Organen und der Staatsgewalt. Neben dem Verfassungsgericht der Russischen Föderation haben die 21 Republiken der Föderation ihre eigenen Verfassungsgerichte.

11.3. Sondergerichte

Über die Existenz von Sondergerichten ist nichts bekannt.

11.4. Militärgerichte

Dem Verteidigungsministerium der Russischen Föderation untersteht die Hauptverwaltung zur Überwachung der Einhaltung der Gesetze in den Streitkräften. Dieser Hauptverwaltung obliegt die Militärgerichtsbarkeit. 1996 gab es bei den jeweiligen Truppeneinheiten insgesamt 160 Militärgerichte, an denen insgesamt 700 Militärrichter beschäftigt waren. Diese sind der Form nach Soldaten, schulden ihren militärischen Vorgesetzten aber keine Rechenschaft und sind dem Justizministerium unterstellt. Höchstes Militärgericht bildet ein Militärkollegium beim Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation. Die russische Militärstaatsanwaltschaft ist Teil der Generalstaatsanwaltschaft. Sie ist auch für Verfahren gegen Angehörige der ehemaligen sowjetischen Armee verantwortlich.

12. Militär und Sicherheitsorgane

Die Armee befindet sich heute in einer Krise. Die Lebensbedingungen der Soldaten sind miserabel: Schlechte Ausbildung, Mangel an militärischem Material, an Nahrungsmitteln und anderen Versorgungsgütern, Notunterkünfte, unzureichende Bekleidung - ein Notstand vor allem im Norden Russlands - führen zu Frustration, Disziplinlosigkeit und einer rapid wachsenden Zahl von Desertionen. Die Soldaten müssen oft monatelang auf die Ausbezahlung ihres Soldes warten und sind auf Einkünfte aus Nebenbeschäftigungen angewiesen. In allen militärischen Rängen gibt es mittlerweile offene Opposition gegen die politische Führung. Eine umfassende Armeereform ist bisher gescheitert, doch hat es in jüngster Zeit verschiedene Vorstösse gegeben. Im Mai 1996 hat Präsident Jelzin per Dekret die Umwandlung der russischen Streitkräfte in eine Berufsarmee angeordnet und im Juli 1997 die Reorganisation der aufgeblähten Militärbürokratie dekretiert. Zur besseren Kontrolle des Reformprozesses hat er das staatliche Militärinspektorat des Präsidenten geschaffen. In Russland ist in den letzten Jahren ein deutlicher Anstieg der Kriminalität zu beobachten und das organisierte Verbrechen hat ein nie zuvor gekanntes Ausmass erreicht. Am 14. Juni 1994 hat Präsident Jelzin ein Dekret zum Kampf gegen die organisierte Kriminalität erlassen, das den Sicherheitskräften und Strafverfolgungsbehörden weitreichende Sondervollmachten zugesteht.

12.1. Militär

Die Streitkräfte der Russischen Föderation sind aus den Streitkräften der ehemaligen Sowjetunion hervorgegangen und basieren auch heute noch weitgehend auf denjenigen Strukturen. Mit Dekret vom 18. März 1992 hat Präsident Jelzin die Schaffung der Streitkräfte der Russischen Föderation verfügt. 1995 betrug die Stärke der russischen Streitkräfte offiziell 1,9 Mio., nach Schätzungen zwischen 1,4 - 1,7 Mio., darunter rund 126‘000 Frauen. Sie sind in Landstreitkräfte, Luftstreitkräfte, Marine und Strategische Raketentruppen gegliedert. Dazu gibt es andere uniformierte Kräfte in verschiedenen Ministerien und staatlichen Organen, u.a. die Sicherheitstruppen des Innenministeriums und die Grenztruppen. Der Grundwehrdienst ist obligatorisch und dauert 24 Monate. Das wehrpflichtige Alter liegt zwischen 18 und 27 Jahren. Personen, die den Grundwehrdienst absolviert haben, können zum Reservedienst aufgeboten werden. Das Kader (Offiziere und Unteroffiziere) besteht aus Berufssoldaten. Die russische Verfassung garantiert das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Glaubensgründen, allerdings ist ein Ausführungsgesetz, das die Modalitäten des Ersatzdienstes regelt, bislang nicht verabschiedet worden. Das Umgehen von militärischen Übungen sowie der Wehrerfassung werden mit Freiheitsentzug oder Besserungsarbeiten (beides bis zu einem Jahr) oder mit Geldstrafen geahndet. Die Strafe erhöht sich im Wiederholungsfall. Eigenmächtiges Verlassen der Truppe oder Fahnenflucht werden mit Haft zwischen ein und zehn Jahren bestraft. Die Strafen erhöhen sich um zwei bis drei Jahre, wenn sie in Kriegszeiten begangen werden. Offizieren drohen höhere Strafen als Soldaten. Die Todesstrafe kann in Einzelfällen - in der Regel nur im Kriegszustand - verhängt werden. Ein erheblicher Teil der Wehrpflichtigen leistet der Einberufung keine Folge, in den vergangenen Jahren bis zu 30%. Die Zahl der Deserteure liegt laut offiziellen Angaben bei 5‘000 pro Jahr, dürfte aber in Realität höher sein.

12.2. Polizei und Gendarmerie

Das Polizeigesetz unterteilt die Polizei (Miliz) in die Kriminalabteilung und in die örtliche Schutzpolizei. Beide sind dem Innenministerium unterstellt. Die technische Ausrüstung der Polizei ist unzureichend und ihr professionelles Niveau niedrig. Das Gehalt eines Polizisten liegt am Rande des Existenzminimums.

12.3. Milizen

- MWD (Wnutrennie wojska): Truppen des Innenministeriums, rund 300‘000 Mann stark, zuständig für die innere Sicherheit und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.

- OMON oder „Schwarze Barette" (Otrjad milizii osobowo nasnatschenija): Spezialeinheit des Innenministeriums, rund 15‘000 Mann stark, zuständig für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, spezialisiert auf die Auflösung von Demonstrationen. Gemäss neusten Bestimmungen darf sie bei Demonstrationen aber nur in extremen Situationen und nur auf schriftlichen Befehl des Innenministers eingesetzt werden. OMON-Truppen waren auch im Krieg mit Tschetschenien sehr aktiv.

- Osnas: Truppen für Sonderaufgaben des Innenministeriums, direkt dem Präsidenten unterstellt.

- Speznas (Tschasti spezialnowo nasnatschenija): Einheiten für Spezialeinsätze, die unterschiedlichen Ministerien und Ämtern unterstellt sind.

12.4. Geheimdienste

Nach Auflösung der ehemaligen Sowjetunion wurde der Geheimdienst KGB (Komitee für Sicherheit) zwar reorganisiert und in MBR (Sicherheitsministerium der Russischen Föderation) umbenannt, funktionierte aber praktisch unverändert weiter. Im Zusammenhang mit dem Oktoberputsch gegen Präsident Jelzin 1993 wurde dieser durch den FSK (Föderaler Abwehrdienst) ersetzt. Anfang April 1995 wurde das Gesetz über die Geheimdienste angenommen und darin die Umbenennung des FSK in FSB mit erweiterten Befugnissen festgeschrieben. Derzeit gibt es sieben organisatorisch selbständige Geheim- und Sicherheitsdienste:

- FSB (Federalnaja Sluschba Besopasnosti): Föderaler Sicherheitsdienst, der mit weitgehenden Kompetenzen versehen ist. Er ist insbesondere für die innere Sicherheit der Streitkräfte, für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens sowie für die zivile Spionageabwehr und Gegenspionage zuständig. Der FSB besteht aus 13 Struktureinheiten und beschäftigt 75‘000 Mitarbeiter, darunter sehr viele ehemalige KGB-Mitarbeiter. Er untersteht direkt dem Präsidenten und unterliegt weder der Kontrolle der Regierung und des Parlamentes noch derjenigen des Generalstaatsanwaltes.

- FAPSI (Federalnoje agenstwo prawitelstwennoj swjasi i informazii): Föderaler technischer Aufklärungs- und Sicherheitsdienst. Er wurde im Dezember 1991 gegründet und besteht aus den ehemaligen achten und 16. KGB-Abteilungen. Dieser Dienst befasst sich mit Abwehr- und Aufklärungsaufgaben, kontrolliert den landesweiten Fernmeldeverkehr und versucht auch den ausländischen Fernmeldeverkehr zu erfassen. Er beschäftigt mehr als 120‘000 Mitarbeiter.

- FPS (Federalnaja pograniznaja sluschba): Föderaler Dienst für den Grenzschutz. Die rund 100‘000 Grenzwächter sind ebenfalls befugt, Auslandsaufklärung zu betreiben und unterstehen der direkten Kontrolle des Präsidenten.

- GUO (Glawnoje uprawlenije ochrany): Hauptverwaltung Schutz der Russischen Föderation. GUO schützt mit 40‘000 Mann die gesamte Föderationsverwaltung und die Zentralregierung der Russischen Föderation. Sie hat grossen Einfluss und geniesst einen hohen Grad an Unabhängigkeit. GUO ist direkt dem Präsidenten unterstellt.

- GRU (Glawnoje raswedywatelnoje uprawlenie ministerstwa oborony): Militärischer Nachrichten- und Abwehrdienst des Generalstabs des Verteidigungsministeriums. GRU hat einen grossen Teil der technisch-industriellen Spionage im Ausland übernommen.

- SBP (Sluschba besopasnosti i administrazija presidenta RF): Sicherheitsdienst und Administration des Präsidenten der Russischen Föderation. SBP wurde 1993 als Leibwache des Präsidenten und Wachregiment für den Kreml gegründet. Die Truppenstärke liegt bei über 40‘000 Mann.

- SWR (Sluschba wneschnej raswedki): Auslandsaufklärungsdienst. Er ist direkt dem Präsidenten unterstellt. Detaillierte Informationen über dessen Aktivitäten liegen nicht vor.

13. Inhaftierung und Strafvollzug

In der Russischen Föderation gibt es verschiedene Strafinstitutionen: Untersuchungsgefängnisse, Gefängnisse und Straflager. Es gab auch wiederholt Berichte über sogenannte Strafbataillone (Haftanstalten des Verteidigungsministeriums). Wird eine Person einer Straftat verdächtigt, wird sie auf die Polizeistation gebracht, wo sie bis zu drei Stunden festgehalten werden darf. Daraufhin kann die verdächtigte Person in eine Art vorübergehende Haft genommen werden, der Untersuchungsbeamte muss jedoch innerhalb von 24 Stunden die Staatsanwaltschaft informieren und diese in weiteren 48 Stunden entscheiden, ob ein Strafverfahren eingeleitet wird oder nicht. In Ausnahmefällen sind Festnahmen bis zu 30 Tagen ohne Präsentation einer Anklage möglich. Vom Moment der Festnahme an hat die verdächtigte Person das Recht auf formelle Verteidigung. Bis zum Prozess befindet sich die angeklagte Person in Untersuchungshaft, wobei die Häftlinge in verschiedene Kategorien (Nichtvorbestrafte, Rückfällige, Minderjährige etc.) eingeteilt werden. Die Untersuchungshaft darf nicht mehr als zwei Monate dauern, sie kann jedoch auf insgesamt 18 Monate ausgedehnt werden. Es gibt die Möglichkeit einer vorzeitigen Haftentlassung gegen Kaution, doch wird selten davon Gebrauch gemacht. Die Gefängnisse sind unterteilt in Gefängnisse mit gewöhnlichem und solche mit strengem Regime. Entsprechende Unterteilungen werden auch bei den Lagern gemacht. Eine weitere Trennung erfolgt nach Alter und Geschlecht. Die Gefangenen sind verpflichtet zu arbeiten. Seit dem 1. Juli 1997 ist ein neues Strafvollzugsgesetz in Kraft, das ausser den Vollzug der Freiheitsstrafe auch den Vollzug aller anderen im Strafgesetzbuch vorgesehenen Sanktionen regeln soll (z.B. Geldstrafe, Pflicht-, Besserungsarbeit, Verbot bestimmte Tätigkeit auszuüben etc.).

14. Allgemeine Menschenrechtssituation

Russland bemüht sich, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften dem internationalen Menschenrechtsstandard anzupassen. Die Probleme liegen weniger in der Verabschiedung neuer Gesetze, als vielmehr in deren praktischer Umsetzung. Missständen wird Vorschub geleistet durch das geringe Rechtsempfinden der Bevölkerung, das Fehlen einer unabhängigen Justiz sowie durch begrenzte finanzielle Mittel des Staates. Ein besonderes Problem stellt die explodierende Kriminalität und hier insbesondere die zunehmende Macht der russischen Mafia dar, die von korrupten Beamten geschützt wird. Meinungsäusserungs-, Presse-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Religionsfreiheit sind im wesentlichen gewährleistet, wenn auch die Massenmedien teilweise Druckversuchen seitens der Regierung und des Parlaments ausgesetzt sind. Die Reisefreiheit und die freie Wahl des Wohnsitzes innerhalb Russlands sind dagegen nach wie vor eingeschränkt. Obwohl die
‚Propiska‘, die offizielle Zuzugserlaubnis für bestimmte Städte und Regionen, gesetzlich verboten und durch ein normales Anmeldeverfahren ersetzt worden ist, existiert sie bis heute weiter. Die Gerichtsbarkeit ist nach wie vor eine Schwachstelle im Menschenrechtsbereich, da Arbeitsfähigkeit und Unabhängigkeit der Gerichte nicht immer gewährleistet sind. Nach wie vor wird berichtet, dass die Justiz korrupt und politikabhängig sei. Vielerorts ist das Richterkollegium das alte geblieben und ein Austausch durch politisch unvorbelastete Richter hat kaum stattgefunden. Seit 1995 sind aber zahlreiche Neubesetzungen vorgenommen worden. Die Situation in russischen Strafvollzugsanstalten ist alarmierend. Die Haftanstalten sind überfüllt, die hygienischen Zustände miserabel und die Ernährung sowie die medizinische Versorgung sind unzureichend. Besonders kritisch sind die Verhältnisse in den Untersuchungsgefängnissen, wo Gefangene oft jahrelang auf ihren Prozess warten. 1996 sind rund 2‘000 Personen in Untersuchungshaft und über 7‘000 Personen im Strafvollzug ums Leben gekommen. Es gibt wiederholt Berichte über Folterungen und Misshandlungen. Im November 1996 äusserte sich der UN-Ausschuss gegen Folter besorgt über die Vorwürfe systematischer und weitverbreiteter Folterungen sowie Misshandlungen. Ermittelnde Polizisten foltern immer wieder und versuchen auf diesem Weg, Geständnisse zu erzwingen. Mitunter sind Misshandlungen aber auch Ausdruck von Menschenverachtung, besonders gegenüber Angehörigen kaukasischer Völker. Die Todesstrafe wird weiterhin angewendet, obwohl sich die russische Regierung nach der Aufnahme in den Europarat und dem Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention Ende Februar 1996 verpflichtet hat, bis zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe in drei Jahren ein Hinrichtungsmoratorium zu erlassen. Dessen ungeachtet sollen 1996 erneut 140 Todesurteile vollstreckt worden sein. Laut offiziellen Angaben werden derzeit keine Exekutionen mehr vollzogen. Im Kontext des Konflikts in Tschetschenien machten sich die russischen Regierungstruppen aber auch die tschetschenischen Widerstandskämpfer schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig. Zivilisten wurden wahllos getötet, Gefangene gefoltert und misshandelt und es wurden extralegale Hinrichtungen durchgeführt. Aus Protest gegen den Tschetschenienkrieg hatte der Vorsitzende der russischen Menschenrechtskommission im Januar 1996 sein Amt niedergelegt. Des weiteren wird Russland von Menschenrechtsorganisationen vorgeworfen, Flüchtlingen und Asylbewerbern keinen angemessenen Rechtsschutz zu gewähren.

15. Politische und religiöse Bewegungen

Im Jahre 1990 wurde in der ehemaligen Sowjetunion die Gründung unabhängiger politischer Parteien legalisiert. In der Folge entwickelte sich ein breites Parteienspektrum, das sich nach dem Zusammenbruch des Machtmonopols der früheren Kommunistischen Partei 1991 zusätzlich ausweitete. Anlässlich der Parlamentswahlen im Dezember 1995 wurden zahlreiche neue Parteien gegründet, von denen 43 zu den Wahlen zugelassen wurden. Im Juli 1996 waren insgesamt 86 Parteien mit landesweiter Vertretung offiziell registriert. Daneben gibt es zahlreiche regionale politische Organisationen. Die Parteien sind vielfach politische Basis einzelner Persönlichkeiten und haben ein lediglich begrenztes politisches Gewicht. Die wichtigsten Parteien (mit Vertretung im Parlament) sind:

- Kommunistische Partei (Kommunisticheskaya Partiya Rossiiskoi): Diese Partei wurde im März 1993 gegründet und ist die grösste Nachfolgepartei der früheren Kommunistischen Partei. Sie verlangt einen starken Einfluss des Staates auf die Wirtschaft und eine soziale Abfederung der Reformen. In der Führung ist eine ganze Anzahl ehemaliger führender Politiker vertreten, die Leitung obliegt Gennadi Sjuganow, der bei den Präsidentschaftswahlen im Sommer 1996 gegen Präsident Jelzin angetreten ist. Angesichts der Schwierigkeiten der Bevölkerung aufgrund der Härten der wirtschaftlichen Transformation sowie der explosionsartig ansteigenden Kriminalität hat die Partei grossen Zulauf gewonnen. Sie ist als eindeutige Siegerin aus den Parlamentswahlen hervorgegangen. Im August 1996 hat sie die Gründung einer neuen Partei initiiert, die Patriotische Volksunion (Narodno-Patrioticheskii Soyuz Rossii), mit dem Ziel, sämtliche Anti-Jelzin-Kräfte in einer Organisation zu vereinen. Leiter dieser neuen Organisation ist Gennadi Sjuganow.

- Unser Haus Russland (Nash Dom-Rossiya): Diese Partei wurde anlässlich der bevorstehenden Parlamentswahlen im Mai 1995 gegründet und ist rechts der politischen Mitte angesiedelt. Sie ist unmittelbares Resultat des gescheiterten Versuchs von Präsident Jelzin, im Frühjahr 1995 ein Zweiparteiensystem einzuführen. Die Partei wurde als „allrussische politische Bewegung" gegründet, geriet aber gleich als „Partei der Macht" oder „Partei der Nomenklatura" unter Kritik, da sie von fast allen Ministern getragen wurde. Sie sollte eine politische Basis schaffen zur Fortsetzung des vorsichtig marktwirtschaftlichen Reformkurses der Regierung und die Unterstützung für Präsident Jelzin ausweiten. Trotz grosser organisatorischer Ressourcen erzielte sie bei den Wahlen 1995 nur einen bescheidenen Stimmenanteil, doch vermochte sie Präsident Jelzin in seinem Wahlkampf massgebend zu unterstützen. Sie wird von Ministerpräsident Tschernomyrdin angeführt.

- Liberaldemokratische Partei (Liberalno-Demokraticheskaya Partiya Rossii): Die Partei wurde im März 1990 gegründet und ist ein Sammelbecken nationalistisch-chauvinistischer Kräfte unter Führung des rechtsextremen Wladimir Schirinowskij. Sie propagiert einen starken Staat nach aussen und nach innen, was sie mit dem Wiedererstarken der ehemaligen Sowjetunion unter Führung der Russischen Föderation sowie mit einer staatlich kontrollierten Wirtschaft und der Beibehaltung einer starken Armee und Rüstungswirtschaft verbindet. Sie ist auch eine Plattform für rassistische und judenfeindliche Strömungen. Bei den Parlamentswahlen 1993 hatte sie ein sehr gutes Resultat erzielt und war im Parlament zur zweitstärksten Partei avanciert. Aufgrund ihres umstrittenen Führers hat sie jedoch in der Zwischenzeit an Unterstützung eingebüsst und bei den Parlamentswahlen 1995 trotz gutem Abschneiden 13 Parlamentssitze verloren.

- Block Jawlinskij-Boldyrew-Lukin: Jabloko: Diese Partei wurde 1993 als Bündnis zwischen der Republikanischen und der Sozialdemokratischen Partei sowie der Christlich-Demokratischen Union gegründet und wird durch Jawlinskij (bekannter Ökonom), Boldyrew (Wissenschafter) sowie Lukin (ehemaliger Botschafter in den USA) angeführt. Sie ist marktwirtschaftlich orientiert, aber mit Vorbehalten gegen die Radikalreformer und hat im Parlament stets einen unabhängigen Kurs verfolgt. Bei den Parlamentswahlen 1995 hat die Partei das viertbeste Ergebnis erzielt und bei den Präsidentschaftswahlen 1996 hat Grigorij Jawlinskij mit dem viertbesten Wahlergebnis ebenfalls erfolgreich kandidiert.

- Agrarpartei (Agrarnaya Partiya Rossii): Die Agrarpartei wurde im Februar 1992 gegründet und vereinigt vor allem Leiter von Kolchosen und Sowchosen im Bestreben gegen weitere Privatisierungen von Grund und Boden. Die Partei steht den Kommunisten nahe und wird von Michail Lapschin angeführt.

- Russlands Demokratische Wahl (Demokraticheskiy Vybor Rossii): Diese Partei ist das Ergebnis eines Zusammenschlusses radikaler Befürworter marktwirtschaftlicher Reformen im November 1993 in das Bündnis „Russlands Wahl", unter der Führung von Jegor Gaidar, damals erster Vizeregierungschef und eigentlicher Reformarchitekt. Nach den Parlamentswahlen von 1993 wurde dieses Bündnis zur stärksten Gruppierung im Parlament, musste allerdings 1994 einen empfindlichen Rückschlag einstecken. Im Juni 1994 hat sich das Bündnis als eigenständige Partei formiert und dem Namen das Adjektiv „demokratisch" hinzugefügt. Zunächst verfolgte die Partei einen loyalen Kurs zu Jelzin, ging aber 1995 aus Protest gegen dessen Tschetschenienpolitik auf Distanz. Das Ergebnis der Parlamentswahlen 1995 ist für die Partei eher enttäuschend ausgefallen. Die Partei wird nach wie vor von Jegor Gaidar angeführt.

- Die Macht dem Volk (Vlast Narodu): Diese Partei wurde anlässlich der Parlamentswahlen im Dezember 1995 gegründet, als Vereinigung sämtlicher nationalistischer, jedoch antifaschistischer Organisationen. Die Partei verlangt die Rückkehr zur staatlichen Planwirtschaft und propagiert ein ungeteiltes Grossreich Russland. Damit vermochte sie die Unterstützung rechtsgerichteter Gruppierungen sowie einiger rückwärtsgewandter Kommunisten anzuziehen. Angeführt wird sie von Nikolai Ryschkow, einem ehemaligen sowjetischen Premierminister.

- Kongress der Russischen Gemeinden (Kongress Russkikh Obshchin): Diese Partei wurde Mitte 1995 gegründet. Sie verfolgt einen gemässigt nationalistischen Kurs und plädiert für die Einheit der russischen Nation, weshalb sie in Armeekreisen Unterstützung geniesst. Durch die Kandidatur des populären, ehemaligen Generals Alexander Lebed bei den Parlamentswahlen von 1995 hat sie einen grossen Aufschwung erfahren, aber dennoch ein enttäuschendes Wahlresultat erzielt. Lebed hat in der Zwischenzeit am 27. Dezember 1996 seine eigene Partei gegründet, die „Russische Republikanische Volkspartei". Nach den Wahlen ist der Parteiführer Yury Skokov durch den nationalistisch ausgerichteten Dmity Rogozin ersetzt worden.

- Frauen Russlands (Zhenshchiny Rossii): Als erste Frauenpartei Russlands vereinigt sie das Wahlbündnis mehrerer Frauenvereinigungen. Sie verfolgt einen eher links der politischen Mitte angesiedelten bis sozialistischen Kurs und setzt sich für sozialverträgliche Reformen ein. Wichtiges Ziel ist auch die Verbrechensbekämpfung. Die Partei wird durch Alewtina Fedulowa, ehemaliges Mitglied der sowjetischen Kommunistischen Partei, angeführt. Bei den Parlamentswahlen hat die Partei im Vergleich zu 1993 einen Rückschlag erlitten.

- Vorwärts Russland (Vpered Rossiya): Vorwärts Russland ist eigentlich der besser bekannte Wahlname der „Liberaldemokratischen Union", die Anfang 1994 von einer dissidenten Fraktion der heutigen Partei „Russlands Demokratische Wahl" gegründet wurde. Sie setzt sich für einen raschen Übergang zur Marktwirtschaft ein, ohne danach die traditionellen sozialen Werte berücksichtigen zu lassen. Den Tschetschenienkrieg der Regierung hat sie anders als die anderen in der politischen Mitte angesiedelten Parteien unterstützt. Sie wird von Boris Fedorow angeführt, dem früheren reformorientierten Finanzminister.

- Sozialistische Partei Russlands (Sotsialisticheskaya Partiya Rossii): Die Partei ist auf Initiative Iwan Rybkins im April 1996 gegründet worden, mit dem Ziel, ein auf seinen Namen lautendes Bündnis in einer Partei zusammenzufassen. Rybkin kandidierte 1993 für die Agrarpartei, war 1994/95 Parlamentsvorsitzender und ist heute Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates. Bis Oktober 1997 war er auch Tschetschenienbeauftragter Präsident Jelzins. In der Partei sind u.a. verschiedene Bauernorganisationen sowie die Vereinigte Industriepartei organisiert. Bei den Parlamentswahlen 1995 hat die Partei ein mässiges Ergebnis erzielt.

- Republikanische Partei Russlands (Respublikanskaya Partiya Rossiiskoi Federatsii): Diese Partei wurde 1990 durch ehemalige Mitglieder der Demokratischen Plattform innerhalb der damaligen Kommunistischen Partei gegründet. Sie war 1992 Bestandteil der Bewegung für Demokratische Reformen sowie der Bewegung Demokratische Wahl. Sie hat allerdings ihre Unabhängigkeit beibehalten und unter dem Trio Pamfilova-Gruov-Lysenko an den Parlamentswahlen 1995 teilgenommen. Dem Trio unterliegt auch die Parteiführung. Ella Pamfilova war ehemaliger sowjetischer Minister für soziale Sicherheit.

- Partei der Selbstverwaltung der Werktätigen (Partiya Narodnogo Samoupravleniya): Die Partei wurde im August 1994 durch deren heutigen Parteivorsitzenden Swyatoslaw Fedorow, einem renommierten Augenchirurg, gegründet. Fedorow war bekanntes Mitglied der Partei für Wirtschaftsfreiheit und später der Bewegung für Demokratische Reformen. Seine Partei unterstützt eine marktwirtschaftlich orientierte Wirschaftsreform und vertritt dabei insbesondere die Interessen kleinerer bis mittlerer Unternehmen. Bei den Parlamentswahlen hat sie die 5%-Hürde verpasst und bei den Präsidentschaftwahlen hat Fedorow das sechstbeste Resultat erzielt.

- Gemeinsame Sache (Obsheche Delo): Die Partei wurde 1995 als weitere Vertreterin eines liberaldemokratischen, reformorientierten Kurses gegründet. Die Partei wird von Irina Khakamada angeführt und hat bei den Parlamentswahlen ein bescheidenes Resultat erzielt.

 
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