Verwaltungsgericht Wiesbaden, Urteil vom 25.11.1993 - IV/3 E 5053/90

Verwaltungsgericht Wiesbaden

Urteil vom 25.11.1993 - IV/3 E 5053/90

Leitsätze der Redaktion:

1.         Artikel 1 des Protokolls Nr. 6 zur Europäischen Menschenrechtskonvention enthält das Verbot, eine Person in einen Staat abzuschieben, in dem die Person mit der Verurteilung zur Todesstrafe oder Hinrichtung zu rechnen hat.

2.         Der Besitz von mehr als 30g Rauschgift wird im Iran mit dem Tode bestraft. Eine. Doppelbestrafung ist nicht auszuschließen.

Sachverhalt: Der Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Er wurde 1979 in Jugoslawien und 1987 in der Bundesrepublik Deutschland wegen illegalen Rauschgifthandels verurteilt. Sein Asylantrag blieb ohne Erfolg. Im gerichtlichen Verfahren beantragte er die Feststellung, daß die Voraussetzungen des § 53 AusIG vorliegen. Seine Klage hatte insoweit Erfolg.

Aus den Gründen:

»Die Klage ist zulässig. Maßgebliche Rechtsgrundlage ist insoweit das Asylverfahrensgesetz vom 26.6.1992 in der Fassung vom 30.6.1993 (BGBl. IS. 1062). Aus § 87 Abs. 2 AsylVfG folgt, daß in den dort in den Nummern 1-5 genannten Fällen für die Rechtsbe-helfe und das gerichtliche Verfahren das bisher geltende Recht Anwendung findet. Mittelbar läßt sich demgemäß dieser Vorschrift entnehmen, daß für Rechtsbehelfe und gerichtliche Verfahren, die tatbestandlich nicht die Voraussetzungen des § 87 Abs. 2 AsylVfG erfüllen, das neue Asylverfahrensgesetz Anwendung findet. Für die Feststellung des Vorfiegens der Voraussetzungen des § 53 AusIG schreibt das neue Asylverfahrensgesetz vor, daß das Bundesamt oder ein Gericht zu einem entsprechenden Ausspruch befugt ist (vgl. §§ 24 Abs. 2, 41 Abs. 1, 42 AsylVfG). Demgemäß hat das Gericht nunmehr selbst festzustellen, ob Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AusIG gegeben sind.

Die Klage ist auch begründet. In der Person des Klägers sind Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AusIG gegeben. Dem Kläger droht im Falle der Abschiebung in den Iran die Todesstrafe. Dies stellt ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 4 AusIG dar. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 ergibt, daß die Abschiebung unzulässig ist.

Die genannte Konvention in der Fassung vom 4.11.1950 enthält nicht das Verbot, eine Todesstrafe zu verhängen oder zu vollstrecken. Dies ergibt sich mittelbar aus Art. 2 der Konvention. Gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der Konvention darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden, abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist. Gemäß Art. 1 des Protokolles Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe vom 28.4.1983 (BGBl. II 1988 S. 663) hat unter anderem aber auch die Bundesrepublik Deutschland vereinbart, daß die Todesstrafe abgeschafft ist und niemand zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden darf. Gemäß Art. 6 des genannten Protokolles betrachten die Vertragsstaaten die Art. 1-5 dieses Protokolles als Zusatzartikel zur Konvention, so daß dieses Protokoll auch im Rahmen des § 53 Abs. 4 AusIG zu beachten ist. Nach Auffassung des Gerichtes enthält Art. 1 des genannten Protokolles auch das Verbot, eine Person in einen Staat abzuschieben, in dem die Person mit der Verurteilung zur Todesstrafe oder Hinrichtung zu rechnen hat. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR NJW 1990, 2183) enthält die Konvention vom 4.11.1950 grundsätzlich nur die Verpflichtung des Mitgliedstaates, in seinem Staatsgebiet die Rechte und Freiheiten gegenüber Menschen entsprechend der Konvention einzuhalten. Gleichwohl hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (a.a.O.) Art. 3 der Konvention vom 4.11.l950, (>Niemand darf der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.) auch auf Auslieferungsfolgen erstreckt, die außerhalb der Herrschaftsgewalt des Vertragsstaates eintreten. Zur Begründung führte der Gerichtshof insoweit aus, Art. 3 der Konvention bilde einen der grundlegendsten Werte der demokratischen Gesellschaften, die sich im Europarat zusammengeschlossen haben. Da die Konvention als ein Instrument zum Schutz des Individuums anzusehen sei, müßten ihre Vorschriften als Schutzgarantie praktisch wirksam und effektiv gestaltet, verstanden und angewandt werden. Das Recht jedes Menschen auf Leben stellt aber einen ebenso grundlegenden Wert dar, wie sich aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 der Konvention vom 4.11.1950 und Art. 1 des Protokolles vom 28.4.1983 ergibt. Demgemäß folgt aus der vertraglichen Verpflichtung, daß niemand zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden darf, auch das Verbot, daß niemand im Wege der Abschiebung entsprechenden Gefahren ausgesetzt werden darf.

Entsprechend der zu Art. 3 der Konvention vom 4.11.1950 ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte besteht ein Abschiebungsverbot gemäß Art. 1 des Protokolles vom 28.4.1983 und Art. 2 Abs. 1 Satz 1 der Konvention vom 4.11.1950, wenn begründete Tatsachen dafür vorliegen, daß der betroffene Mensch nach seiner Abschiebung einem tatsächlichen Risiko der Verhängung oder Vornahme der Todesstrafe ausgesetzt wäre (EGMR a.a.O. S. 2185).

Aufgrund der vom Kläger begangenen Straftaten besteht die Gefahr, daß der Kläger im Falle der Abschiebung in den Iran mit der Verhängung der Todesstrafe zu rechnen hätte. Gemäß Art. 8 Abs. 6 des Betäubungsmittelgesetzes der Islamischen Republik Iran (vgl. Lagebericht Iran des Auswärtigen Amtes vom 15.3.1993) wird derjenige, der Heroin in seinem Besitz hat oder mit sich führt, bei einer Menge über 30g zur Todesstrafe und Beschlagnahmung des Vermögens mit Ausnahme der zur Deckung der normalen Lebenshaltungskosten der Familie des Verurteilten erforderlichen Mittel verurteilt. Ausweislich der Urteile des Bezirksgerichts Pirot vom 21.12.1979 und des Urteiles des Landgerichts Frankfurt vom 17.2.1987 hat der Kläger die nach dem iranischen Strafrecht maßgeblichen Strafbestimmungen jedenfalls erfüllt. Nach den jüngsten Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (a.a.O.) ist auch eine mögliche Doppelbestrafung nicht auszuschließen. Richter des Obersten Gerichts in Teheran vertreten insoweit keine einheitliche Meinung (teilweise wird eine Doppelbestrafung für möglich gehalten, teilweise abgelehnt), so daß eine für das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 4 AusIG ausreichende Gefahr der Verhängung einer Todesstrafe vorliegend gegeben ist. Im übrigen ist selbst nach den eigenen Angaben der iranischen Regierungsstellen die Hinrichtung von Drogenhändlern gang und gäbe. So sollen in dem Zeitraum vom 1. 1. bis 7.12.1991 651 Personen wegen Drogenhandels hingerichtet worden sein (AA a.a.O.; vgl. auch ai vom 20.8.1991).

Es ist auch davon auszugehen, daß den iranischen Stellen im Falle der Abschiebung des Klägers in den Iran zumindest seine strafgerichtliche Verurteilung vom 17.2.1987 voraussichtlich nicht verborgen bleiben würde. Jeder Rückkehrer in den Iran muß nach längerer Aufenthaltsdauer im Ausland mit einem Überprüfungsverfahren rechnen, in dessen Verlauf er detaillierte Angaben über seinen Aufenthalt im Ausland sowie dort ausgeübte Tätigkeiten machen muß (Auskunft von ai und das OVG Schleswig vom 25.2.1993). Im Falle des Klägers müßte sich den iranischen Stellen aufdrängen, daß sein zum jetzigen Zeitpunkt länger als acht Jahre dauernder Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nur auf besondere Umstände zurückgeführt werden kann. Insoweit kann als sicher unterstellt werden, daß die iranischen Stellen über die rechtlichen Voraussetzungen für den Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland genau unterrichtet sind. Da nach allgemeiner Ansicht die iranischen Behörden bei entsprechendem Anlaß auch nicht vor rechtsstaatswidrigen Vernehmungsmethoden zurückschrecken, spricht vieles dafür, daß der Kläger irn Falle seiner Abschiebung in den Iran seine Verurteilung durch das Landgericht Frankfurt nicht verheimlichen könnte, so daß die Gefahr der Verhängung der Todesstrafe durchaus gegeben ist.

Ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 2 AusIG dürfte vorliegend nicht gegeben sein, da nach dieser Vorschrift die Gefahr der Todesstrafe nur dann der Abschiebung entgegensteht, wenn der betroffene Ausländer wegen einer Straftat gesucht wird. Anhaltspunkte dafür, daß die zuständigen iranischen Stellen den Kläger bereits jetzt wegen einer Straftat suchen, sind jedoch nicht ersichtlich.

Im übrigen läßt das Gericht offen, ob wegen der Gefahr der Todesstrafe ein Abschiebungshindernis aus Art. 1 Abs. 1 GG ableitbar ist (Nach GK-AsylVfG Rdnr. 68 zu § 53 soll aus Art. 1 GG direkt ein Abschiebungsverbot ableitbar sein.). Zum einen setzte dies eine Auseinandersetzung damit voraus, ob Art. 1 Abs. 1 GG überhaupt als unmittelbar geltendes Recht anzusehen ist (vgl. insoweit Art. 1 Abs. 3 GG, wonach die nacbfolgenden Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht binden.). Zum anderen ist der Antrag des Klägers auch nur auf das Vorliegen von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 AusIG gerichtet (vgl. § 88 VwG0), so daß - da § 53 AusIG Art. 1 Abs. 1 GG nicht in Bezug nimmt-entsprechende Feststellungen über das Vorliegen etwaiger Abschiebungshindernisse gemäß Art. 1 Abs. 1 GG nur außerhalb des vorliegenden Klageverfahrens getroffen werden könnten.«

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