1. Verfassung

1.1. Staatsname

Doulat-e Islami-ye Afghanistan = Islamischer Staat Afghanistan

1.2. Staatssymbol und Staatswappen

Flagge: grün - weiss - schwarz; Wappenteil mit geistlichen Texten auf weiss.

1.3. Staatsform

Seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes und der Machtübernahme durch die Mujahedin am 16. April 1992 ist Afghanistan eine islamische Republik. Das Land ist de facto in verschiedene Machtbereiche aufgeteilt. Die Legitimation der Übergangsregierung in Kabul ist umstritten, und es gibt zur Zeit keine regulären Staatsorgane (siehe Kapitel 7.2.). Das Land ist derzeit ohne gültige Verfassung. Seit Juli 1992 wird eine Interimsverfassung ausgearbeitet, welche die Verfassung von 1987 und die Verfassungsänderung vom Mai 1990 ersetzen soll.

2. Soziales und Kultur

2.1. Bevölkerung

Es fehlen gesicherte demographische Angaben. 1990 wurde die Einwohnerzahl Afghanistans (Fläche: ca. 648'000 km²) von der UNO auf 20,7 Mio. Einwohner geschätzt. Davon lebten 3,3 Mio. als Flüchtlinge in Pakistan, 1,3 Mio. im Iran und etwa 100'000 im übrigen Ausland. Die Einwohnerzahl der Hauptstadt Kabul ist von rund 1,8 Mio. (1990) auf ca. 600'000 (1993) gesunken. Heute ist lediglich noch von 200'000 Einwohnern die Rede. Demgegenüber ist Mazar-e Sharif, die wichtigste Stadt im Norden des Landes, in den letzten Jahren von 70'000 auf über 2 Millionen Einwohner angewachsen. Wichtigste Städte neben Kabul und Mazar-e Sharif sind Kandahar, Kunduz, Ghazni, Herat, Jalalabad, Maimana und Pul-e Khumri. Afghanistan ist ein Vielvölkerstaat. Bis 1979 bildeten die Paschtunen (auch Afghanen oder Pathanen genannt) die grösste ethnische Gruppe. Durch die Fluchtbewegung, die 1979 einsetzte und an der die Paschtunen überproportional beteiligt waren, verschob sich dieses Gewicht. Für 1987 wurde der Anteil der Paschtunen an der in Afghanistan verbliebenen Bevölkerung auf 22% geschätzt, gegenüber 34% Tadschiken, 14% Hazara, 14% Usbeken und 16% anderen Ethnien (Nuristani, Belutschen, Turkmenen, Kirgisen, Kasachen, Aimaq).

2.2. Sprache

Als Amts- und Schulsprachen wurden in den 50er Jahren Paschtu und Dari (die in Afghanistan gesprochene Version des Persischen, auch Tadschikisch genannt) erklärt. Dari, das vor allem von den Tadschiken, Farsiwan, Hazara und Aimaq gesprochen wird, dient auch als Lingua franca für Paschtunen, Usbeken und Turkmenen, die in ethnischen Mischgebieten leben. Daneben gibt es zahlreiche Sprachen der ethnischen Minderheiten (Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Nuristanisch, Pashai u.a.), die seit 1978 offiziell anerkannt sind.

2.3. Religion

98% der Bevölkerung sind Moslems. Davon gehören rund vier Fünftel den Sunniten und ein Fünftel den Schiiten (Zwölferschiiten und Ismailiten) an. Der sunnitische Islam der hanefitischen Schule wurde in der Verfassung von 1987 zur Staatsreligion erklärt. Daneben gibt es kleine Gruppen von Hindus, Sikhs und Juden. Christen werden offiziell nicht geduldet. Die Zahl der inoffiziell in Afghanistan lebenden Christen ist verschwindend klein.

2.4. Schul- und Bildungswesen

Das Recht zur Schulbildung wurde in der Verfassung von 1923 festgeschrieben. 1975 wurde die Schulpflicht für alle Kinder zwischen 7 und 12 Jahren eingeführt. Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs des staatlichen Schulsystems 1979/80 besuchten rund eine Million Schülerinnen und Schüler die über 5'000 Grund-, Mittel- und Oberschulen. Die Analphabetenquote soll zu diesem Zeitpunkt landesweit rund 90% betragen haben (80% beim männlichen und 97% beim weiblichen Geschlecht). In den von den Taliban kontrollierten Gebieten gilt zur Zeit ein Schulverbot für Mädchen: 1995 wurden 47'000 Mädchen vom Schulbesuch ausgesperrt und 135 Schulen geschlossen. Die Ausbildung an höheren Schulen konzentriert sich auf Kabul und die Provinzhauptstädte Herat, Jalalabad, Mazar-e Sharif und Kandahar.

2.5. Medizinische Infrastruktur

Aktuelle Zahlen zur medizinischen Infrastruktur liegen nicht vor. Die meisten Angaben beziehen sich auf die 80er Jahre. 1984 entfiel schätzungsweise ein Arzt auf 10'000 Einwohner, wobei rund 80% der Ärzte in Kabul praktizierten. In den von den Freiheitskämpfern kontrollierten Gebieten (ca. 80-90% des Landes) waren 1984 lediglich 50 afghanische und ausländische Ärzte tätig; 1987 waren es ungefähr 150. Die Ausbildung an den Universitäten Kabul und Jalalabad, die einzigen grösseren Ausbildungsstätten für Medizin in Afghanistan, galt während des Krieges als unzureichend. Die meisten jungen Ärzte schlossen sich noch während ihrer Pflichtzeit als Klinikarzt den Mujahedin an. Kliniken wurden in verschiedenen Landesteilen auch von ausländischen Hilfsorganisationen (Médecins Sans Frontières, Médecins du Monde, Deutsches Afghanistan Komitee) errichtet. Die häufigsten Krankheiten waren in den 80er Jahren Tuberkulose, Malaria, Typhus, Cholera und Ruhr. Verbreitet war auch die Unterernährung und die Kindersterblichkeit: 1990 starben 292 von 1'000 Kindern unter fünf Jahren. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag 1990 bei 42,5 Jahren.

3. Frau und Familie

Einem vom UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) errechneten, geschlechtsbezogenen Entwicklungsindex zufolge haben Frauen in Afghanistan weltweit die geringsten Entwicklungschancen. Die Rechte der Frauen sind vor allem in den von den Taliban kontrollierten Regionen stark beeinträchtigt. Neben einem Arbeitsverbot für Frauen gilt in diesen Gebieten auch ein Schulverbot für Mädchen, und es ist den Frauen zum Teil untersagt, ihre Häuser zu verlassen. Dieses Verbot wird durch eine Verordnung des Obersten Gerichtshofes Afghanistans vom Dezember 1993 sanktioniert, welche den Frauen das Tragen eines Ganzkörperschleiers vorschreibt und das Verlassen des Hauses für Frauen als unerwünschtes Verhalten erklärt. Allerdings wurde das strikte Ausgangsverbot an gewissen Orten wieder gelockert, um den Frauen den Gang zum Basar und damit die Versorgung der Familie wieder zu ermöglichen. Ein liberaleres Klima herrscht im Machtbereich Dostums im Norden des Landes. Selbst wenn die Liberalität für Frauen auch hier sehr beschränkt ist, konnten sie sich unter Respektierung der islamischen Tradition und gegen den Widerstand der Geistlichkeit eine gewisse Bewegungsfreiheit erhalten. Vor allem in den Städten konnte sich die Verschleierungsverordnung nicht durchsetzen: Viele Frauen sind unverschleiert, müssen sich aber zumindest mit einem Kopftuch bedecken. Die Mädchenschulen sind weiterhin geöffnet, und an den Hochschulen studieren auch Frauen. Auch in öffentlichen Ämtern sind Frauen anzutreffen: In Shebergan, dem militärischen Hauptquartier Dostums, amtiert die einzige Richterin Afghanistans, die noch ihren Beruf ausüben darf. Das Schicksal der afghanischen Frauen in Kabul ist seit 1992 in erster Linie durch den Bürgerkriegsalltag geprägt. In diesem Zusammenhang wird von zahlreichen Menschenrechtsverletzungen wie Folterungen, Vergewaltigungen und Geiselnahmen berichtet, denen sie von seiten der rivalisierenden Mujahedin-Gruppierungen ausgesetzt sind. Deren Bemühungen, die Frauen ins Haus zu drängen, konnten bisher in Kabul nicht Fuss fassen. In den Strassen sind zahlreiche Frauen anzutreffen, zumeist in schwarzer Kleidung, aber weniger verschleiert als beispielsweise in Peshawar. An der Universität Kabul studieren seit deren Wiedereröffnung im April 1995 sowohl Frauen als auch Männer. Was die Beschäftigungssituation betrifft, ging die Zahl der weiblichen Arbeitskräfte in den letzten Jahren zurück.

4. Medien

4.1. Nachrichtenagenturen

Die 1939 gegründete Nachrichtenagentur Bachtar untersteht dem Informationsministerium und veröffentlicht seit Oktober 1992 ein Nachrichtenbulletin auch in englischer Sprache.

4.2. Zeitungen und Zeitschriften

Die wichtigsten Tageszeitungen waren Ende der 80er Jahre die Parteizeitschrift Haqiqat-e Engelab-e Saur (Dari; Auflage: 50'000; seit 1980), Anis (Dari und Paschtu; Auflage: 25'000; seit 1927), Hewad (Dari und Paschtu; Auflage: 12'000; seit 1959) und Kabul Times (einzige englischsprachige Zeitschrift, vor April 1988 Kabul New Times genannt; Auflage: 5'000). Auflagestärkste Wochenzeitschrift war die Haqiqat-e Sarbaz (Dari und Paschtu; Auflage: 18'370; seit 1979). Daneben existieren verschiedene Regionalzeitungen.

4.3. Radio

Der staatliche Sender Radio Kabul wird seit April 1992 auch Radio Islamischer Staat Afghanistan genannt und steht unter der Kontrolle Rabbanis. Die lokalen Machthaber in den Gebieten ausserhalb der Kontrolle Rabbanis verfügen über eigene Sender, wie beispielsweise Hekmatyars Radio Botschaft der Freiheit.

4.4. Fernsehen

Das Fernsehen TV Afghanistan in Kabul untersteht der Kontrolle Rabbanis. Es sendet zwei Stunden am Tag und ist nur von den wenigen Personen, die über eigene Generatoren verfügen, in einem Radius von wenigen Kilometern zu empfangen. In der Regel besteht das Programm aus einer regierungstreuen einstündigen Nachrichtensendung und der Übertragung des Abendgebets. Lokale Machthaber wie Dostum und Hekmatyar verfügen über eigene Fernsehsender.

5. Wirtschaft

5.1. Volkswirtschaft

Afghanistan gehörte schon vor der sowjetischen Invasion im Jahre 1979 zu den ärmsten Ländern der Welt. Der Agrarsektor, der bis 1979 drei Viertel aller Exporte und zwei Drittel der Staatseinnahmen ausmachte und für die Mehrheit der Bevölkerung die Lebensgrundlage bildete, erlitt durch den Bürgerkrieg bleibende Schäden. Die reichen Bodenschätze, über die das Land verfügt (vor allem Kohle und Erdgas), werden kaum abgebaut. Der Export von Erdgas in die Sowjetunion wurde Ende der 80er Jahre eingestellt. Afghanistan gilt weltweit als grösster Mohnproduzent.

5.2. Beschäftigungssituation

Verbindliche Zahlen über die aktuelle Beschäftigungssituation sind nicht erhältlich. Traditionell arbeitet der überwiegende Teil der Bevölkerung im Landwirtschaftssektor. Es ist davon auszugehen, dass viele Männer (vor allem Jugendliche) als Krieger in den Dienst einer Partei oder Gruppierung eintreten, da der Monatssold von umgerechnet ca. CHF 20.-- für 1995 fast doppelt soviel wie das Einkommen eines Arbeiters beträgt. In den Landesteilen unter der Kontrolle der Taliban wurde für die Frauen ein Arbeitsverbot eingeführt.

5.3. Währung

Währungseinheit ist der Afghani (Af) = 100 Puls. Der offizielle Afghani-Kurs ist an den US-Dollar gebunden. Es gibt Noten von 10, 20, 50, 100, 500, 1000, 5'000 und 10'000 Af sowie Münzen im Wert von 2 und 5 Af sowie von 25, 50 und 100 Puls. In gewissen Provinzen (Kunar, Nangarhar, Paktia) ist auch die pakistanische Rupie (Kaldar) verbreitet.

6. Mobilität

6.1. Kommunikationsmittel

Der Bau von Autostrassen setzte in den 20er Jahren ein. Die ersten asphaltierten Strassen wurden Mitte der 50er Jahre gebaut. Der wichtigste Verkehrsweg, ein Strassensystem rund um das Hindukusch-Massiv, wurde in den 60er und 70er Jahren unter massiver Hilfe der UdSSR und USA fertiggestellt. Es verbindet die wichtigen Regionen und Städte des Landes (Herat, Kandahar, Ghazni, Kabul, Pul-e Khumri, Mazar-e Sharif, Shebergan) untereinander und das Land mit den Nachbarstaaten. Das ganze Strassennetz umfasste 1984 rund 20'000 km, davon sind etwa 7'000 km für Motorfahrzeuge benutzbar. Afghanistan verfügt über kein Eisenbahnnetz. Eine 1977 geplante Eisenbahnverbindung von Kabul über Kandahar und Herat zur iranischen Grenze wurde nicht gebaut. In Kabul wurde die Infrastruktur in den letzten Jahren weitgehend zerstört. Es gibt keine Elektrizität und kein Telefon. Satellitentelefone können sich nur die wenigsten leisten. Der Post- und Briefverkehr funktioniert nur unregelmässig, ebenso wie die Flüge der afghanischen Luftlinie Ariana von Kabul nach Dubai, Neu-Delhi und Peshawar.

6.2. Reisepapiere

Neben der Identitätskarte werden in Afghanistan gegenwärtig fünf verschiedene Pässe mit dem Aufdruck "Republic of Afghanistan" ausgestellt: der gewöhnliche Pass (Passport, blau), der Diplomatenpass (Diplomatic Passport, schwarz), der Servicepass (Service Passport, hellblau), der Studentenpass (Student's Passport, rot) und der Handelspass (Trade Passport, grün). Der früher gebräuchliche gewöhnliche graue Pass der "Democratic Republic of Afghanistan" ist ebenfalls noch im Umlauf. Afghanische Vertretungen im Ausland stellen gewöhnliche Pässe sowie Transitpässe im Sinne eines laissez-passer zur Rückreise nach Afghanistan (Transit Pass for returning to Afghanistan) aus. Einreisevisa, welche von den Auslandvertretungen ausgestellt wurden, werden von den Kontrollstellen in Afghanistan zum Teil nicht akzeptiert. Häufig verlieren auch Visa, die innerhalb Afghanistans ausgestellt wurden, ihre Gültigkeit, sobald sich ihr Inhaber ausserhalb des Machtbereichs der ausstellenden Behörde bewegt. So ist ein Visum, das von der Rabbani-Administration ausgestellt wurde, im Machtbereich Dostums in der Regel wertlos, und umgekehrt werden in Kabul die von Dostum erteilten Einreisevisa nicht anerkannt.

7. Regierung

7.1. Staatsoberhaupt

Nach dem Sturz Najibullahs wurde Sibghatullah Mujaddidi am 28. April 1992 als Übergangspräsident und Vorsitzender des Obersten Führungsrates eingesetzt. Vereinbarungsgemäss trat er die Führung am 28. Juni 1992 für die Dauer von vier Monaten an Burhanuddin Rabbani ab. Gemäss dem Abkommen von Peshawar vom 24. April 1992 sollte Ende Oktober 1992 eine repräsentative Wahlversammlung (Shura Hal-o-Aqd) die Wahl eines neuen Staatschefs vornehmen. Da die Shura-Mitglieder nicht fristgerecht bestimmt werden konnten, wurde Rabbanis Regierungsmandat um 45 Tage verlängert. Unter den Kandidaten für das Präsidentenamt befand sich auch Rabbani selbst, der am 30. Dezember 1992 von den rund 1'300 Delegierten der Shura für 18 Monate zum Staatsoberhaupt Afghanistans gewählt wurde. Seine Widersacher, allen voran Gulbuddin Hekmatyar, boykottierten die Wahl. Rabbani proklamierte seither mehrmals eine Verlängerung seiner Amtszeit und weigert sich bis heute, zurückzutreten. Seine Legitimation als Präsident Afghanistans ist umstritten.

7.2. Landesregierung

Das erste Regierungskabinett unter den Mujahedin setzte sich aus 36 führenden Widerstandskämpfern zusammen. Mit Ausnahme der Hezb-e Islami Hekmatyars, der die neue Regierung boykottierte, und der Hezb-e Wahdat waren alle wichtigen Parteien vertreten. Alle Ministerposten, ausser denjenigen Ahmed Shah Massuds als Verteidigungsminister und Ahmad Shah als Innenminister, hatten interimistischen Charakter. Das Kabinett war in der Folge von einem häufigen Mitgliederwechsel gekennzeichnet. Ein neues Regierungskabinett sollte gemäss dem Abkommen von Islamabad (7. März 1993) von Gulbuddin Hekmatyar, dem neu ernannten Ministerpräsidenten, gebildet werden. Am 19. Mai 1993 wurde eine Kabinettsliste verabschiedet, die sich weitgehend aus Mitgliedern der ersten Übergangsregierung zusammensetzte. Die Schlüsselministerien Verteidigung und Inneres sollten für zwei Monate von Kommissionen unter Rabbani und Hekmatyar präsidiert werden. Entgegen der Vereinbarung wurden die Posten des Verteidigungs- und Innenministers nach Ablauf dieser Frist nicht besetzt. De facto amtiert immer noch Ahmed Shah Massud als Verteidigungsminister. Premierminister und Vizepremier waren Anfang 1995 Arsala Rahmani und Qutbuddin Hilal, als Innenminister wurde Qara Beg Ezedyar eingesetzt. Die Legitimation der heutigen Regierung unter Rabbani ist umstritten, da ihr Mandat abgelaufen ist und die Rabbani-Administration über keine effektive Gebietsgewalt verfügt.

8. Parlament

Bis 1992 war die Grosse Versammlung (Loya Jirga) das höchste verfassunggebende Organ, das auch den Präsidenten ernannte. Sie setzte sich aus traditionellen Stammesführern und Vertretern der Nationalversammlung zusammen und tagte, im Gegensatz zu dieser, nur unregelmässig. Mit der Machtübernahme durch die Mujahedin endete die Funktion des Parlamentes.

9. Verwaltung

Die administrative Gliederung Afghanistans geht auf die grosse Gebietsreform von 1964 zurück, als das Land in 28 Provinzen (Welayat) gegliedert wurde. 1979 und 1988 kamen die Provinzen Paktika und Sar-i-Pul (südliche Bezirke der Provinzen Jauzjan und Balkh) hinzu. Der Gouverneur (Wali) als Chef der Provinzverwaltung untersteht theoretisch der Zentralregierung. Die Zentralverwaltung ist seit der Machtübernahme durch die Mujahedin allerdings praktisch funktionsuntüchtig.

10. Wahlen

Seit den 60er Jahren haben in Afghanistan keine freien Wahlen mehr stattgefunden. Allgemeine Wahlen waren gemäss dem Friedensabkommen von Islamabad für Oktober 1993 vorgesehen, wurden aber bis heute nicht durchgeführt.

11. Recht und Gerichtswesen

11.1. Recht

Nach der Machtübernahme durch die Mujahedin wurde im Mai 1992 landesweit das islamische Recht, die Scharia, eingeführt. Alle Gesetze und Beschlüsse, die im Widerspruch dazu standen, wurden abgeschafft. Zur Zeit gilt offiziell das Strafgesetzbuch von 1964, welches so weit Anwendung findet, als es nicht islamischem Recht entgegensteht. In der Praxis sind die vorhandenen Rechtsgrundlagen kaum von Bedeutung, da die Rechtsprechung und Rechtsverfolgung durch staatliche Organe zur Zeit nicht existent sind und ein landesweites, einheitliches Rechtssystem fehlt. Die Rechtsprechung ist in den einzelnen Regionen in erster Linie vom lokalen Stammrecht oder von den Rechtsvorstellungen lokaler Machthaber geprägt. So wird beispielsweise das Leben der grössten ethnischen Gruppe Afghanistans, der Paschtunen, in der Praxis vom Paschtunwali, dem paschtunischen Stammesgesetz bestimmt. In den von den Taliban kontrollierten Gebieten wird streng islamisches Recht nach fundamentalistischen Richtlinien angewendet. Über die Rechtsprechung und Justizverwaltung in anderen Gebieten liegen keine genauen Kenntnisse vor. Es muss aber davon ausgegangen werden, dass von rechtsstaatlichen Verfahren nach europäischen Massstäben generell nicht die Rede sein kann.

11.2. Ordentliche Gerichte

Aufgrund der oben erwähnten Zustände ist eine Einteilung in ordentliche Gerichte, Sondergerichte und Militärgerichte nicht möglich. Generell bestehen in den einzelnen Regionen und Machtbereichen nichtstaatliche islamische Gerichte, die den jeweiligen lokalen Machthabern unterstehen. Die islamischen Gerichte sind Standgerichte, vor denen die Angeklagten kein Recht auf Verteidigung haben. Mögliche Strafen sind Hinrichtungen, Auspeitschungen oder Amputationen. Die Zusammensetzung der Tribunale, die Anzahl der religiösen Richter und die angewandten Rechtsnormen sind nicht einheitlich geregelt.

11.3. Sondergerichte

Siehe 11.2.

11.4. Militärgerichte

Siehe 11.2.

12. Militär und Sicherheitsorgane

12.1. Militär

Mit dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes wurde auch die Regierungsarmee aufgelöst. Ein Teil der Generäle verliess das Land, die verbliebenen brachten die zerfallenden Armeestrukturen je nach ethnischer Zusammensetzung und politischer Einstellung in die an die Macht gelangten Mujahedin-Gruppierungen ein. Die einzige intakte Division der alten Armee blieb unter General Babajan im Norden Kabuls bestehen. Den bisherigen Übergangsregierungen in Kabul ist es bis heute nicht gelungen, eine neue nationale Armee zu errichten. Die Machthaber und Kommandanten in den einzelnen Machtbereichen verfügen jeweils über eigene Truppenverbände.

12.2. Polizei und Gendarmerie

Angesichts des Fehlens einer politisch wirksamen Zentralgewalt konnte bis heute keine staatliche Polizeiorganisation errichtet werden. Die Machthaber in den einzelnen Regionen verfügen in der Regel über eigene Ordnungskräfte.

12.3. Milizen

Siehe Kapitel 15.

12.4. Geheimdienste

Das frühere "Ministerium für Staatssicherheit" wurde nach 1992 von Rabbani umorganisiert und in "Direktorium für Nationale Sicherheit" umbenannt. Es ist mit dem Büro des Präsidenten verbunden. Die Machthaber in den einzelnen Regionen verfügen in der Regel über eigene Geheimdienste. Einige Mitglieder des ehemaligen Geheimdienstes KHAD sollen heute im Dienste der verschiedenen politischen Parteien und bewaffneten Gruppierungen stehen.(wichtig: Abschnittsende nicht löschen !)

13. Inhaftierung und Strafvollzug

Über die Situation der Inhaftierung und des Strafvollzugs ist seit der Machtübernahme durch die Mujahedin wenig bekannt, da internationale Organisationen nur sehr beschränkt Zugang zu Gefängnissen und Haftlagern erhalten und Informationen auf anderem Weg kaum erhältlich sind. Offizielle Gefängnisse soll es zumindest in Kabul, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Herat und vermutlich auch in Kandahar geben. Mit wenigen Ausnahmen sollen schlechte bis menschenverachtende Haftbedingungen vorherrschen. Alle bewaffneten Gruppen unterhalten zudem - teilweise geheime - Haftlager, in denen Personen aufgrund ihrer politischen Überzeugung oder ethnischen bzw. religiösen Zugehörigkeit festgehalten werden. Menschenrechtsverletzungen wie Folterungen oder Verhungernlassen sollen dort üblich sein.

14. Allgemeine Menschenrechtssituation

Nach seinem Amtsantritt im April 1992 verkündete der Übergangspräsident Mujaddidi eine Generalamnestie für alle Mitglieder der ehemaligen Regierung und der Streitkräfte. 6'000 Inhaftierte, davon 4'000 politische Gefangene, wurden daraufhin freigelassen. Die Amnestie hielt jedoch Mitglieder der verschiedenen Milizen und Mujahedin-Gruppen nicht davon ab, mit ehemaligen Regierungsfunktionären und Angehörigen des Geheimdienstes kurzen Prozess zu machen. Folterungen, Misshandlungen und extralegale Hinrichtungen wurden durchgeführt. Obwohl diese Racheakte von offizieller Seite verurteilt wurden, ist nicht auszuschliessen, dass sie im Auftrag gewisser Regierungsmitglieder verübt wurden. Unter der neuen Regierung wurden Massnahmen ergriffen, die eine Einschränkung der Meinungsäusserungs-, Religions- und Vereinigungsfreiheit zur Folge hatten. Im Juni 1992 wurden alle nicht islamischen Parteien verboten und anti-religiösen Bücher beschlagnahmt. Die Rechte, die die Frauen unter der kommunistischen Herrschaft besassen, wurden ihnen weitgehend genommen und der Gleichheitsgrundsatz, der in der früheren Verfassung verankert war, gestrichen. Die islamischen Gerichte wurden bevollmächtigt, Todesstrafen und Amputationen anzuordnen.

15. Politische und religiöse Bewegungen

Vor der Machtübernahme durch die Mujahedin im April 1992 kontrollierten verschiedene Kräfte das Land: das Regime von Najibullah mit der kommunistischen Regierungspartei Hezb-e Watan (Vaterlandspartei), die untereinander zerstrittenen sieben Exilparteien im pakistanischen Peshawar (die sogenannte Siebnerallianz oder Peshawar-Gruppe), verschiedene pro-iranische Schiiten-Gruppen, und schliesslich Dutzende unabhängiger Militärkommandanten im Inneren Afghanistans. Nach dem Sturz Najibullahs wurden alle nicht islamischen Parteien verboten. Die wichtigsten Gruppierungen lassen sich in fundamentalistische bzw. traditionalistische sunnitische Parteien, in schiitische Kräfte und usbekische Milizen aufteilen. Ende 1994 erschien mit den Taliban eine weitere Gruppierung im afghanischen Bürgerkrieg.

15.1. Sunniten

Fundamentalisten

Hezb-e Islami Afghanistan (Islamische Partei Afghanistan). Die Hezb-e Islami unter Gulbuddin Hekmatyar (Paschtune aus Iman Saheb, Provinz Kunduz) ist eine der radikalsten fundamentalistischen Gruppierungen Afghanistans. Hekmatyar ging Anfang 1994 eine Allianz mit seinem früheren Erzfeind Dostum ein. Die Hezb-e Islami ist heute im Koordinationsrat "Supreme Coordination Council of the Islamic Revolution of Afghanistan" vertreten, eine Anti-Rabbani-Allianz, der auch die Jabhah-e Nejat-e Melli Mujaddidis, die Hezb-e Wahdat Khalilis sowie die Kräfte Dostums angehören. Im März 1995 wurde Hekmatyar von den Taliban aus seinem Hauptquartier in Charasyab vertrieben und floh nach Sarobi, ca. 60 Kilometer östlich von Kabul. Hezb-e Islami Afghanistan Nr. 2. Die Hezb-e Islami Afghanistan Nr. 2 spaltete sich 1979 von der Hazb-e Islami Hekmatyars ab und steht unter der Führung des Geistlichen Yunis Khalis. Er vertritt den traditionalen Islam konservativer Prägung, fordert den Erhalt des überlieferten Gesellschaftssystems und hält Parlamentswahlen für unislamisch. Die Partei setzt sich überwiegend aus Paschtunen zusammen. Mit sieben Abgeordneten ist sie die stärkste Gruppe im 52köpfigen Rat von Nangarhar, dessen Vorsitzender Hadji Qadir ebenfalls zur Khales-Gruppe gehört. Jamiat-e Islami (Islamische Gemeinschaft bzw. Gesellschaft). Die Jamiat-e Islami, deren Parteichef der gegenwärtige Regierungschef Burhanuddin Rabbani ist, steht unter der militärischen Führung des Tadschiken Ahmed Shah Massud, bis Mai 1993 Verteidigungsminister Afghanistans. Im Gegensatz zu Hekmatyar streben Rabbani und Massud die Gründung einer islamischen Republik unter Mitwirkung aller Kräfte, inklusive der Feldkommandanten und Schiiten, an. Die Jamiat-e Islami hatte sich 1978 von der Hezb-e Islami Afghanistan abgespalten. Ittehad-e Islami Afghanistan (Partei der islamischen Einheit). Die Ittehad-e Islami Afghanistan unter dem Paschtunen Abdulrasul Sayyaf verfügt zwar über keine grosse Anhängerschaft, steht aber dank Verbindungen zu Saudiarabien finanziell gut da. Wie Gulbuddin Hekmatyar und Yunis Khalis lehnt auch Abdulrasul Sayyaf die politische Anerkennung von Minderheiten, zum Beispiel der Schiiten, strikte ab. Die Ittehad strebt einen islamischen Staat an, der auf den Grundlagen des saudi-arabischen Wahabbismus beruht. Sayyaf ist ein Verbündeter Rabbanis.

Traditionalisten

Harakat-e-Ingelab-e Islami Afghanistan (Islamische Revolutionsbewegung Afghanistans). Die Harakat-e-Ingelab-e Islami Afghanistan, unter der Führung von Mohammad Nabi Mohammadi, ist eine Organisation der gehobenen paschtunischen Schichten, gemässigt fundamentalistisch ausgerichtet und westlich orientiert. Mohammadi ist seit August 1992 Vizepräsident Afghanistans. Jabhah-e Nejat-e Melli Afghanistan (Nationale Befreiungsfront Afghanistans). Die Jabhah-e Nejat-e Melli Afghanistan des paschtunischen liberalen Islam-Gelehrten Sibghatullah Mujaddidi ist eine Gruppe mit wenig Kämpfern, aber zahlreichen Anhängern. Nach dem Sturz Najibullahs war Mujaddidi zwei Monate lang Interimspräsident Afghanistans. Die Jabhah-e Nejat-e Melli ist heute in der Anti-Rabbani-Allianz "Supreme Coordination Council of the Islamic Revolution of Afghanistan" vertreten. Mahaz-e Melli-e Islami (Nationale Islamische Front Afghanistans). Die Mahaz-e Melli-e Islami wurde von Pir Sajed Ahmed Gailani gegründet. Sie wird von gebildeten Nationalisten, gemässigten Moslems sowie von Stammesangehörigen in den Provinzen Nangarhar, Paktia und Kandahar unterstützt und spricht sich für die Rückkehr von Ex-König Zahir Shah aus. Pir Sajed Ahmed Gailani ist geistliches Oberhaupt des Sufi-Qadiriyyah-Ordens und wird als Heiliger verehrt, was ihm vor allem politischen Einfluss verleiht. Der militärische Einfluss dieser Partei dagegen ist gering: Es gibt keine von ihr wirklich beherrschten Gebiete.

15.2. Schiiten

Hezb-e Wahdat (Islamische Einheitspartei Afghanistans). Die Iran-orientierte schiitische Hezb-e Wahdat ist die wichtigste Partei im Hazarajat und seit September 1994 in zwei rivalisierende Fraktionen gespalten. Die Fraktion unter Abdul Ali Mazari wird seit dessen Tod im März 1995 interimistisch von Karim Khalili angeführt. Die Khalili-Fraktion ist in der Anti-Rabbani-Allianz "Supreme Coordination Council of the Islamic Revolution of Afghanistan" vertreten. An der Spitze der abgespaltenen Wahdat-Fraktion steht Mohammad Akbari, der sich im September 1994 von Mazari absagte und auf die Seite Rabbanis schlug. Harakat-e Islami Afghanistan (Islamische Bewegung Afghanistans). Die schiitische Harakat-e Islami Afghanistan von Ayatollah Asef Mohseni hat ihren Rückhalt traditionellerweise in den Städten und ist mit Rabbani verbündet. Im Sommer 1994 kam es in Kabul zwischen der Harakat und der Hezb-e Wahdat zu heftigen innerschiitischen Kämpfen um die Kontrolle der Quartiere und Vororte im Südwesten der Hauptstadt.

15.3. Milizen

Djonbesh-e Melli (National-islamische Bewegung Afghanistans). Die Dachorganisation der politischen und militärischen Kräfte im Norden des Landes ist die Djonbesh-e Melli von General Abdul Rashid Dostum, Führungsfigur der fast drei Millionen Usbeken in den Provinzen des Nordens. Seine Milizen zählen mit Zehntausenden von Kämpfern (die Angaben variieren zwischen 15'000 und 160'000 Mann) zu den bestausgerüsteten Truppen Afghanistans. Dostum ging 1994 eine Allianz mit Hekmatyar ein und gehört der Anti-Rabbani-Allianz "Supreme Coordination Council of the Islamic Revolution of Afghanistan" an. Taliban-Milizen. Im Oktober 1994 ist mit den fundamentalistischen Taliban-Milizen eine neue militärische Kraft im afghanischen Bürgerkrieg auf den Plan getreten, die heute flächenmässig mehr als die Hälfte des Landes inklusive Herat und Kandahar kontrolliert. Die Taliban rekrutieren sich vorwiegend aus Studenten der religiösen Institutionen in Afghanistan und Pakistan, zu denen sich Angehörige der früheren afghanischen Streitkräfte, Mitglieder paschtunischer Stammesverbände sowie unzufriedene Kommandanten und Mitglieder verschiedener Mujahedin-Gruppen gesellen. Bisher gingen die Taliban keine festen militärischen Bündnisse mit anderen Gruppierungen ein.
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