Bayerische Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 6. November 1991-Az. 19 B 91.30243

IM NAMEN DES VOLKES

In der Verwaltungsstreitsache

X gegen Bundesrepublik Deutschland,

Beklagte, vertreten durch den Leiter des bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, 8502 Zirndorf, beteiligt: Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten, 8502 Zirndorf,

wegen

Asylrechts;

hier: Berufung des Beteiligten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. November 1990, erläßt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 19. Senat,

folgendes

Urteil:

I.          Das urteil des Bayer. Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. November 1990 wird abgeändert. Die Asylklage wird abgewiesen.

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, daß beim Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

II.          Der Kläger trägt die Kosten des Asylverfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.

III.         Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstrekkenden Betrages, sofern die Gegenseite nicht Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

IV.        Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1963 geborene Kläger, ein iranischer Staatsangeöriger, reiste mit einem am 8. Mai 1985 ausgestellten und bis zum 8. Mai 1985 gültigen iranischen Nationalpaß am 15. September 1986. über den Flughafen Teheran aus seinem Heimatland aus und am selben Tag in den Geltungsbereich des Asylverfahrensgesetezs ein. Hier beantragte er am 6. Oktober 1986 Asyl. Auf die dabei gegebene Begründung wird verwiesen. In einem am 25. November 1986 eingereichten handschriftlichen Schreiben und im Rahmen der Vorprüfung (25.8.1988) führte der Kläger seine Asylgründe sodann weiter aus und machte auch Angaben zu Nachfluchtaktivitäten im Geltungsbereich des Asylverfahrensgesetzes. Der Kläger legte bei der Vorprüfung hierfür verschiedene Nachweise vor.

Mit Bescheid vom 3. Oktober 1988 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers ab. Auf die Begründung wird verwiesen. Mit Bescheid vom 27. Oktober 1988 forderte das Landratsamt Straubing-Bogen den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlins einen Monat nach Unanfechtbarkeit des Asylbescheides zu verlassen. Für den Fall, daß er nicht fristgerecht aus wurde ihm die Abschiebung angedroht.

Auf Antrag des Aktionskomitees für verfolgte Christen, Körperschaft des öffentlichen Rechts, in Nidda/Hessen und mit Zustimmung des Sozial - und Jugendamtes der Stadt Heidelberg wurde der Kläger durch die Beklagte zu 2) mit Bescheid vom 1. Juni 1989 für die Dauer des Asylverfahrens dem Lande Baden Württemberg zugewiesen und sein Aufenthalt auf den Bereich der Ausländerbehörde der Stadt Heidelberg beschränkt. Die Verlegung erfolgte auf Wunsch des Klägers, da er Mitglied einer iranischen christlichen Kirchengemeinde in Heidelberg sei und ihm wegen der großen Entfernung zu seinem bisherigen Aufenthaltsort eine entsprechende Betreuung nicht gewährt werden könne.

Am 7. November 1988 ließ der Kläger beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage erheben und beantragen, den Bescheid der Beklagten zu 1) vom 3. Oktober 1988 und den Bescheid des Beklagten zu 2) vom 27. Oktober 1988 aufzuheben sowie die Beklagte zu 1) zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen.

Mit Schreiben vom 9. März 1990 ließ der Kläger die Klage begründen und ausführen, der bisherige Sachvortrag werde nicht aufrecht erhalten, er entspreche insoweit nicht der Wahrheit. Er habe den Iran am 15. September 1986 über den Flughafen Mehrabad verlassen. Der Grund für das Verlassen seines Heimatlandes habe darin gelegen, daß er mit der damaligen Situation in seiner Heimat nicht zufrieden gewesen sei. Eine Vorverfolgung sei daher beim Kläger nicht gegeben. Auch habe er sich nicht in einer latenten Gefährdungslage befunden. Zutreffend seien aber die vom Kläger geschilderten exil-politischen Betätigungen in der Bundesrepublik Deutschland.

Anfang des Jahres 1989 habe sich der Kläger in einer psychisch außerordentlich angespannten und depressiven Situation befunden. Durch Zufall habe er zu dieser Zeit in der Sammelunterkunft in Bogen unter seinem Bett eine Bibel in persischer Sprache entdeckt und begonnen, darin zu lesen. Die dort niedergelegten Gedanken hätten ihn begeistert. Er habe daher begonnen, intensiver zu Gott zu beten und ihn zu bitten, ihm einen Weg aufzuzeigen. Einige Zeit später seien zwei Asylbewerber in die Sammelunterkunft nach Bogen gekommen, von denen der eine armenischer Christ, der andere ein vom Islam zum Christentum konvertierter Christ gewesen sei. Mit diesen habe der Kläger ausführliche Gespräche über die christliche Religion geführt und festgestellt, daß sich seine psychische Situation immer mehr bessere. Einer dieser iranischen Christen sei dann nach Heidelberg verteilt worden, wo er sich einer iranisch-christlichen Gemeinde angeschlossen und immer wieder besuchsweise zum Kläger zurückgekommen sei um ihm von Videokassetten, die er in Heidelberg gesehen habe, zu erzählen. Die Videokassetten hätten über wunderbare Krankenheilungen berichtet. Daraufhin habe der Kläger seine Umverteilung nach Heidelberg beantragt. In Heidelberg habe sich der Kläger der Freien Christengemeinde Frankfurt/Main, Sektion Heidelberg, angeschlossen. Die Gemeinde sei damals von dem iranischen Pastor Betsayyad, geleitet worden. Am 7. Oktober 1989 sei der Kläger in Speyer getauft worden (Taufbescheinigung wurde vorgelegt). Seit seiner Taufe predige der Kläger etwa ein bis zweimal im Monat vor der Gemeinde in Heidelberg und sei, maßgeblich am Verfassen des Gemeindebriefes beteiligt. Auch beteilige er sich an Büchertischen, bei denen christliche Bücher verteilt würden. Im Dezember 1989 sei der Kläger auch im "Heiligen Geist getauft" worden.

Wegen der Konversion des Klägers vom Islam zum Christentum müsse er bei einer Rückkehr in den Iran mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Verfolgung rechnen. Im Iran habe der Kläger noch keinerlei Beziehung zum Christentum gehabt. Es wäre mit Sinn und Zweck der Asylverbürgung des Grundgesetzes aber man nicht vereinbar, wenn man den Umstand der Konversion lediglich als subjektiven Nachfluchtgrund im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungegericht ansehen wollte. Es handle sich bei dem Religionsübertritt um eine den gesamten Menschen prägende Entscheidung. In einem weiteren Schreiben wird vom Kläger ausgeführt, er gehöre einer persischen Gemeinde mit Namen "Weg und Wahrheit" an. Sie hätten jede Woche am Mittwoch und am Sonntag Gottesdienst. Sie hätten einen Gemeindebrief, der monatlich gedruckt werde, und Freitags gäbe es einen Büchertisch, an dem Blätter verteilt würden. Zuvor habe er mit der nationalen Widerstandsgruppe des Irans in Deutschland zusammengearbeitet, habe aber jetzt diese Zusammenarbeit aufgegeben.

Vorgelegt wurden noch ein Bescheinigung des Aktionskomitees für verfolgte Christen, Körperschaft des öffentlichen Rechts, vom 17. Mai 1990 sowie eine solche von ISA (Internationale Studentenarbeit) und eine des Heidelberg Christian Servicemen's Center.

Die Beklagten beantragten jeweils, die gegen sie gerichtete Klage abzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht wurde der Kläger nochmals gehört. Hierauf wird Bezug genommen.

Mit Urteil vom 20. November 1990 entschied das Verwaltungsgericht nach Klageantrag.

Zur Begründung ist im einzelnen ausgeführt:

Nach den eingeführten Gutachten und Stellungnahmen sei davon auszugehen, daß der fundamentalistische iranische Staat eine Person, von der er annehme, daß sie vom Islam zu einer anderen Religionsgemeinschaft übergewechselt sei, unnachgiebig verfolge bzw. Verfolgungen durch fanatisierte mohamedanische Gläubige nicht nur dulde sondern auch intensiv unterstütze. Hierbei müsse mit der Tötung des Betroffenen gerechnet werden. Der Islam kenne ein Verbot für Mosleme, zu einem anderen Glauben überzutreten. Der Abfall vor Glauben sei nach der Sharia und der schiitischen Rechtslehre mit dem Tode zu bestrafen. Hierauf habe Khomeini in seinem Buch Tahriralvashela, nachdem sich die iranischen Gerichte hauptsächlich richteten, hingewiesen. Daß Einzelgälle solcher Todesurteile dem Auswärtigen Amt nicht bekannt geworden seien, dürfte seinen Grund weniger darin haben, daß in der Praxis anders verfahren werde, als darin, daß angesichts der rigorosen Einstellung des schiitischen Staates, solche Konversionen im Iran so gut wie nicht vorkämen bzw. Konvertiten nicht in den Iran zurückkehren und von den Ausländerbehörden der Zufluchtsstaaten auch nicht abgeschoben würden. Wie der Iran gegen religiöse Abweichler vorgehe, zeige das Beispiel der Verfolgung der Baha‘ is. Insoweit sei auch interessant, daß nach der Auskunft des Lageberichts "Iran" des Auswärtigen Amtes 25. März 1987 die Ablehnung der Baha' is im Iran ihren Grund in ihrer abweichenden Glaubenshaltung hätten, nach offizieller Leseart sie aber wegen ihres Glaubens nicht verfolgt würden, vielmehr die Anklage auf Spionage zugunsten Israels laute. In diesem Zusammenhang passe auch, daß die Vermutung bestehe, daß unter dem Deckmantel des Vorwurfs eines Rauschgiftdeliketes politische Gegner beseitigt würden.

Der Kläger müßte als Konvertit bei einer Rückkehr in den Iran wegen dieses Übertritts mit dem Tode, zumindest aber mit ganz erheblichen Verfolgungsmaßnahmen rechnen. Daran ändere auch nichts, daß Christen als solchen, da Angehörige einer Buchreligion, im Iran nicht verfolgt würden. Denn die hier in Frage stehende Verfolgung richte sich nicht gegen den Christen als solchen, sondern gegen den Apostaten.

An dieser Einschätzung ändere auch nichts die Mitteilung, des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 21.9.l990), daß nach der Botschaft Teheran "vorliegenden Informationen" vom Islam abgefallene und zum Christentum übergetretene Iraner keine Nachteile zu befürchten hätten. Angesichts der religiösen Ausrichtung und bekannten Unduldsamkeit der islamischen Republik Iran und der Tendenz, möglichst umfassend die Sharia und die islamische Rechtslehre zur Grundlage des Staates zu machen und der diesen zu entnehmenden klaren Aussagen, begegne die Auskunft des Auswärtigen Amtes erheblichen Bedenken.

Die politische Verfolgung aufgrund des Religionsübertritts des Klägers, den er erst nach Verlassen seines Heimatlandes im Geltungsbereich des Asylverfahrensgesetzes aus freien Stücken vorgenommen habe, stelle einen subjektiven NachfLuchtgrund im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dar. Die Beziehung des Klägers zur "Persischen freien Christengemeinde" - Weg und Wahrheit - in Heidelberg beinhalte auch keine Fortführung einer bereits im Heimatland vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung (siehe Bundeverfassungsgericht 74, 51/66 und Beschluß der 1. Kammer des 2. Senats vom 17.5.1988, 2 BvR 442, 88), denn auch nach den eigenen Angaben habe der Kläger im Iran noch keinerlei Beziehungen zum Christentum gehabt. Trotzdem handle es sich nach Auffassung der Kammer um einen asylerheblichen subjektiven Nachfluchtgrund im Sinne der genannten verfassungsrechtlichen Rechtsprechung. Insoweit könne das Verwaltungsgericht die unter Berufung auf die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertretene gegenteilige Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG 19 C 56.88 vom 31.1.1989) und des Bayer. Verwaltungsgerichtshofes (19 CZ 90.30155 vom 22.2.1990) nicht teilen. Es sei der Auffassung, daß die in diesen Entscheidungen vertretene Ansicht, bei einem solchen Religionswechsel handle es sich um einen asylunerheblichen subjektiven Nachfluchtgrund, nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hergeleitet werden könne.

Nach der grundlegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. November 1986, 2 BvR 1058/85, die den Beitritt zu einer Emigrantenorganisation betreffe, sei grundsätzlich ein kausaler Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht für Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG erforderlich. Eine Erstreckung auf Nachfluchttatbestände könne somit nur insoweit in Frage kommen, als sie nach Sinn und Zweck der Asylverbürgung, wie sie dem NormierungswiIIen des Verfassungsgebers entspreche, gefordert werde. Bei sogenannten subjektiven Nachfluchttatbeständen sei größte Zurückhaltung geboten, ihre Anerkennung komme nur in Ausnahinefällen in Betracht.

Das Bundesverfassungsgericht spreche daher im Zusammenhang mit Exilaktivitäten von einer "risikolosen Verfolgungsprovokation". Bei einem ernsthaften Religionswechsel aber werde man schwerlich von einer risikolosen Verfolgungsprovokation sprechen können. Das Bundesverfassungsgericht habe daher in seiner Entscheidung auch nur für die exilpolitische Betätigung und für die Zugehörigkeit zu einer Emigrantenorganisation unter den dort näher genannten Umständen grundsätzlich die Asylrelevanz verneint.

Für andere Fallgruppen selbstgeschaffener Nachfluchtgründe (BVerfG a.a.O., Umdruck S. 16) habe das BVerfG ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die allgemeine Leitlinie einer näheren Präzisierung bedürfe. Die gegebene Leitlinie sei danach unter den Besonderheiten der jeweiligen Fallgruppe au beleuchten. In dieser Interpretation der Grundsatzentscheidung des BVerfG sehe sich das Gericht durch den Beschluß der 1. Kammer des 2. Senats des BVerfG vom 20. Dezember 1989 - 2 BvR 749 - 89 - bestätigt, wonach die genannte "Leitlinie" als nicht "notwendig abschließend" bezeichnet und damit für die Entwicklung weiterer Kriterien der Asylerheblichkeit exilpolitischer Tätigkeiten Raum gelassen werde. Dies müsse umsomehr für die noch weniger mit der in der Entscheidung vom 26. November 1986 entschiedenen Fallgruppe vergleichbare Situation bei einem Religionswechsel - oder vom Verfolgerland aus gesehen bei Apostasie - gelten. Aus dem Beschluß der 1. Kammer des 2. Senats vom 8. März 1989 - 2 BvR 1627.87 - ergebe sich nichts anderes, da nach seinem Inhalt nur zu der Fallgruppe exilpolitischer Tätigkeit/Beitritt zu einer Emigrantenorganisation Stellung genommen werde, ohne daß eine weitergehende Aussage gewollt gewesen sei.

Angesichts der Bedeutung, die der religiösen Selbstbestimmung in unserem Verfassungsrecht als fundamentalem Menschenrecht zukomme (Art. 4 GG; Maunz-Dürig, GG Art. 4 RandNr. 11) und des Umstandes, daß Verfolgung, die ihre Ursache in religiösen Gründen habe, zum klassischen Kernbestand der Asylverbürgung rechne (siehe BVerfG, Beschluß vom 1.7.1987, 2 BvR 478-78 und 2 BvR 962-86, siehe auch Art. 1 a Nr. 2 Genfer Konvention), erachte es das Verwaltungsgericht für verfassungsrechtlichtlich nicht zulässig, eine Verfolgung, die durch einen Religionswechsel ausgelöst werde, von vornherein dem Schutz des Art. 16 Abs. 2 Staz 2 GG zu entziehen. Das religiöse Existenzminimum gehöre zu dem unentziehbaren Kernbereich der Privatsphäre, den der religiöse Mensch zu seinem Leben und Bestehenkönnen als sittliche Person benötige (BverfG, Beschluß vom 10.11.1989 - 2 BvR 403-74 und 2 BvR 1501-74). Zu diesem Kernbereich rechne vor allem auch die freie, unbeeinflußte Wahl des religiösen Bekenntnisses. Im Falle eines Religionswechseis, wodurch es dem Betroffenen unmöglich werde, in sein Heimatland zurückkehren zu können, ohne mit der Intensität nach asylrechtlich erheblicher Verfolgung rechnen zu müssen, könne daher die Grenzlinie zwischen asylrechtlich relevanter Verfolgung im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG und insoweit nicht erheblicher Verfolgung bei sogenannten subjektiven Nachfluchtgründen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht so gezogen werden, daß ein Religionswechsel erst nach Verlassen des Heimatstaates nur dann zur Asylgewährung führen könne, wenn dieser Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstelle bzw. wenn der Betroffene wegen einer insoweit latenten Gefährdungslage sein Heimatland verlassen habe, sondern sie müsse an der Ernsthaftigkeit des Religionsübertritts ausgerichtet werden. Ein solcher Religionswechsel müsse ohne weitere Voraussetzung zur Anerkennung als Asylberechtigter führen, wenn der Übertritt einer ernsthaften Gewissensentscheidung entspreche. Es handle sich dann um einen erheblichen subjektiven Nachfluchtgrund. Angemerkt sei, daß der zwingende Anruf des Gewissens eine solche Entscheidung im übrigen in die Nähe eines objektiven Nachfluchtgrundes rücke.

Aufgrund der vorgelegten Unterlagen und der Angaben des Klägers, vor allem derjenigen in der mündlichen Verhandlung, sei die Kammer davon überzeugt, daß dieser Mitglied der Persischen Freien Christengemeinde - Weg und Wahrheit - in Heidelberg sei. Das Verwaltungsgericht sei auch davon überzeugt, daß die Zuwendung und der Übertritt des Klägers zur genannter christlicher Gemeinschaft Ausfluß einer ernsten Gewissensentscheidung sei. Daß dieser Übertritt den iranischen Behörden bekannt würde, könne aufgrund des öffentlichen Auftretens des Klägers und seiner Tätigkeit unter iranischen Landsleuten bei der bekannten Überwachung durch den iranischen Geheimedienst nicht zweifelhaft sein. Im überigen könnte der Kläger bei einer Rückkehr auch nicht, ohne seine Überzeugung aufzugeben, seinen Glauben im Iran unerkannt leben.

Der Kläger sei daher als Asylberechtigter anzuerkennen.

Auch die Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Landratsamtes vom 27. Oktober 1988 (vgl. insoweit BVerwG in NVwZ 89, 862), sei begründet. Hierzu wird auf die Ausführungen im insoweit rechtskräftigen Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses urteil legte der Beteiligte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung zum Bayer. Verwaltungsgerichtshof ein mit dem Antrag, das Urteil (soweit es die Beklagte zu 1) betreffe) abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen.

Zur Begründung wird vorgetragen:

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts enthalte die Taufbescheinigung der Freien Christengemeinde Frankfurt e.V. vom 7. Oktober 1989, ausgestellt in Speyer, keinen für das Asylbegehren des iranischen Klägers relevanten Verfolgungsgrund. Das Verwaltungsgerichts weise in Abweichungen vom Urteil des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Mai 1990 - 19 B 89. 30473 darauf hin, daß die Zuwendung und der Übertritt des Klägers vom Islam zur genannten Christlichen Gemeinchaft in der Bundesrepublik Deutschland Ausfluß einer ernsten Gewissenentscheidung sei. Demgegenüber habe das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluß vom 19. November 1990 - 9 B 225.90 das o.g. Urteil des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs bestätigt, der in diesem Urteil (S. 23 UA) ausführe:

"Es ist seine ihm (dem Kläger) selbst zuzurechnende Entscheidung, wenn er "Zeuge Jehovas" wird, unabhängig davon, ob der Wechsel der Religionszugehörigkeit von ihm als schicksalhaft empfunden wird oder nicht. Ausdrücklich ist dies zwar nur für den Wechsel der Religionszugehörigkeit "im Gastland" geklärt (vgl. BVerwG, Beschluß vom 29.6.1989 – 9 B 149.89 – und das diesem Beschluß vorausgehenden Urteil des Senates vom 15.12.1988 – 19 BZ 87.30408 -; sowie BVerwG, Urt. vom 31.1.1989 – 9 C 54.88). Es besteht aber kein Anlaß den hier vorliegenden Fall, wenn der Asylbewerber nach dem Verlassen seines Heimatlandes in einem Drittland einer anderen Glaubensgemeinschaft beitritt, anders zu beurteilen. Auch ein solcher Schritt kann Asyl nur begründen, wenn er sich als Ausdruck und Fortführung einer schon im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar bestätigten festen Überzeugung darstellt und sich als notwendige Konsequenz einer dauernden, die eigene Identität prägenden Lebenshaltung erweist. So liegt der Fall hier aber nicht, was keiner weiteren Ausfühurung mehr bedarf."

Dieser Fall betreffe auch den des Klägers. Eine Verfolgung wegen seiner Konversion sei deshalb asylrechtlich unbeachtlich. Überdies sei hinsichtlich einer tatsächlichen Verfolgung von zum Christentum konvertierten Moslems im Iran nichts bekannt (Auswärtiges Amt an VGH München vom 2.7.1986; Auswärtiges Amt an VG Köln vom 11.7.1989).

In der mündlichen Verhandlung beantragte der Kläger die Berufung des Bundesbeauftragten zurückzuweisen und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, daß beim Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorligen.

Der Vertreter des Bundesamtes beantragte, des Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. November 1990 abzuändern und die Asylklage abzuweisen.

Der Klageerweiterung stimme er zu; das Bundesamt werde über den Antrag nach § 51 Abs. 1 AuslG nich mehr entscheiden.

Hinsichtlich der Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift, im übrigen auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Bundesbeagftragten (§ 5 Abs. 2, § 32 Abs. 1 AsylVfG, § 124 VwGO) ist begründet.

Dem Kläger steht das Grundrecht als politisch Verfolgter nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nicht zu.

Asylrechtlichen Schutz als politisch Verfolgter nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genießt derjenige Ausländer, der für seine Person die aus Tatsachen hergeleitete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zueiner bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung hegen muß. Dabei setzt das Asylgrundrecht grundsätzlich den kausalen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht aus dem Heimatland voraus. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, beurteilt sich nach den gesamten Umständen des Einzefalles. Asyl ist zu gewähren, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.

Maßgeblich für die Beurteilung der politischen Lage im Heimatstaat ist der Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung (vgl. BVerfGE 54, 341/395).

Im vorliegenden Fall ist Hauptpunkt die Frage, ob dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht, weil er nach seiner Ausreise aus dem Iran Christ geworden ist und damit nach Auffassung der Machthaber in seiner Heimat vom Islam abgefallen ist.

Dabei handelt es sich jedoch um einen sogenannten "subjektiven Nachfluchtgrund", der dem Asylbegehren nicht zum Erfolg verhelfen kann. Bei Asylgründen, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatstaatees aus eigenem Entschluß geschaffen hat, kann eine Asylberechtigung in aller Regel nur dann in Betracht gezogen werden, wenn sie sich als Ausdruck und Fortführug einer schon während des Aufenthaltes im heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellen (BVerfG, Beschluß vom 26.11.1986 - 2 BvR 1058 /85 - BVerfGE 74, 51 = DVBl 1987, 130; BVerwG, Urteil vom 30.8.1988 - 9 C 80.87 - BVerwGE 80, 131, DVBl 1989, 248).

Der genannte geltend gemachte Asylgrund ist ein Nachfluchtgrund. Entgegen dem Wortlaut ist ein solcher Grund nicht nur dann gegeben, wenn er zeitlich nach einer Flucht entsteht, sondern, wie es häufig und auch hier der Fall ist, auch dann, wenn überhaupt keine Flucht im eigentlichen Sinne des Wortes vorliegt. Im vorliegenden Fall hat der Kläger sein Heimatland verlassen, ohne im Iran irgendwie verfolgt oder gefährdet gewesen zu sein. Erst sein Religionswechsel hat ihn in eine Situation gebracht, die ihn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung bei seiner Rückkehr in sein Heimatland aussetzen Würde. Ein "Nachfluchtgrund" ist jeder eine Verfolgung auslösende Umstand, der zeitlich nach dem Verlassen des Heimatstaates eintritt (BVerfGE 74, 51 ff.; BVerwG, Urteil vom 30.8.1988 a.a.O., BverwG, Urteil vom 8.11.1983 - 9 C 93.83 - BVerwG 68, 171 = DVBl 1984, 566).

Bei dem geltend gemachten Nachfluchtgrund handelt es sich ferner um einen subjektiven Nachfluchtgrund. Es handelt sich um einen Grund, der ohne das Zutun des Klägers nicht entstanden wäre. Es war seine ihm selbst zuzurechnende Entscheidung, daß er Christ wurde, unabhängig davon, ob der Wechsel der Religionszugehörigkeit von ihm als schicksalhaft empfunden wird oder nicht. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluß Vom 29. Juni 1989 - 9 B 149.89 - ausdrücklich zu dem voraüsIehenden Urteil des Senates vom 15. Dezember 1988 - 19 BZ 87.30408 - bestätigt (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.1.1989 - 9 C 54.88). Ein solcher Schritt kann Asyl nur begründen, wenn er sich als Ausdruck und Fortführung einer schon im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellt und sich als notwendige Konsequenz einer dauernden, die eigene Identität prägenden Lebenshaltung erweist. So liegt der Fall hier aber nicht, da der Kläger erklärtermaßen erst in der Bundesrepublik Deutschland Kontakt zu christlichem Gedankengut fand, was schließlich zum Religionswechsel geführt hat. Entsprechendes gilt für die vom Kläger ebenfalls geltend gemachten exilpolitischen Tätigkeiten im Zusammenhang mit der nationalen Widerstandsgruppe des Irans in Deutdschland, da der Kläger im Heimatland eine entsprechende Überzeugung weder hatte noch erkennbar betätigt hatte.

Ebensowenig vermag die Asylantragstellung dem Begehren des Klägers zum Erfolg zu verhelfen. Die bloße Asylantragstellung führt im Iran nicht zu politischer Verfolgung (vgl. etwa Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 16.9.1988).

Nach alledem war das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. November 1990 bezüglich der Asyklage abzuändern und diese abzuweisen.

Erfolg hat dagegen der Antrag des Klägers, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (i.d.F. vom 9.7.1990 - BGBl 1990 I S. 1354) in seiner Person vorliegen.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG, § 51 Abs. 2 Satz 2 AuslG (in Kraft seit 1.1.1991) hat das Bundesamt festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nich in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehüorigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.

Soweit in dieser zusätzlichen Antragstellung eine Klageerweiterung und damit eine Klageänderung im Sinne des § 91 VwGO zu sehen ist, ist diese nach § 91 Abs. 1 und 2 VwGO bereits deshalb zulässig, weil die überigen Beteiligten insoweit einer Sachentscheidung nicht widersprochen bzw. ihr sogar zugestimmt haben. Im übrigen wäre sie auch vom Gericht als sachdienlich zugelassen worden.

Das mit der Klageerweiterung gestellte Klagebegehren ist auch zulässig und einer sachlichen Prüfung durch den Senat zugänglich.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in der seit 1. Januar 1991 geltenden Fassung (BGBl I S. 869) liegt ein Asylantrag vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen läßt, daß er im Geltungsbereich dieses Gesetzes Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder daß er aus den in § 51 Abs. 1 AuslG bezeichneten Gründen Schutz vor Abschiebung sucht. Nach Satz 2 der Regelung wird mit jedem Asylantrag sowohl die Festellung, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, als auch, wenn der Ausländer dies nicht ausdrücklich ablehnt, die Anerkennung als Asylberechtigter beantragt. Aufgrund der Neufassung des § 7 Abs. 1 AsylVfG ist der Asylantrag des Klägers mangels einschlägiger Übergangsvorschriften somit ab 1. Januar 1991 dahin auszulegen, daß et nicht nur die Asylanerkennung, sondern auch die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG durch das Bundesamt begehrt (vgl. auch HessVGH, Urteil vom 25.2.1991, Az. 12 UE 2106/87). Seit dem 1. Januar 1991 ist somit das Bundesamt verpflichtet, auch über diesen Teil des Asylantrages zu entscheiden. Das Bundesamt kann hiergegen nicht einwenden, der Asylantrag sei bei ihm nicht mehr anhängig und bereits verbeschieden. Denn seine Entscheidung ist nicht bestandskräftig geworden. Auf Grund der Befugnis der Parteien, über den Streitgegenstand im anhängigen Verwältungsprozeß zu verfügen (Dispositionsmaxime), ist es nicht gehindert, den Antrag auf Feststellung gemäß § 51 Abs. 1 AuslG zu verbescheiden. Da seit dem 1. Januar 1991 mehr als drei Monate verstrichen sind, konnte der Kläger sein Begehren insoweit auch zur sachlichen Prüfung des Gerichtes gemäß § 75 Satz 2 VwGO stellen. Ob das Bundesamt mit zureichendem Grund im Sinne des § 75 Satz 3 VwGO insoweit über den Asylantrag noch nicht entschieden hat und das Verfahren gemäß dieser Vorschrift auszusetzen wäre, bedarf keiner Prüfung. Denn eine solche Aussetzung erübrigt sich bereits deshalb, weil der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung zu erkennen gegeben hat, daß in Fällen vorliegender Art das Bundesamt bezüglich der Frage des § 51 AusIG keine Entscheidung mehr trifft.

Angesichts der vom Verwaltungsgericht in seinem Urteil (vgl. S. 6 und 7) geschilderten religiösen Situation im Iran, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen ausdrücklich Bezugnimmt, kann kein Zweifel bestehen, daß insoweit setzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in der Person des Klägers gegeben sind. Bei dem vom Kläger dargelegten religiösien Engagement ist nicht nur davon auszugehen, daß die Heimatbehörden des Klägers und sonstige interessierte Kreise im Iran vom "Abfall des Klägers vom Islam" erfahren haben, sondern auch, daß im Falle einer Rückkehr in den Iran sein Leben und seine Freiheit wegen seiner (jetzigen) Religion bedroht wären. Daß dem Auswärtigen Amt entsprechende Fälle nicht bekannt geworden sind, kann daran nichts ändern. Denn einmal wird - eben wegen der insoweit vorliegenden Situation im Iran - niemand einen "Abfall" vom Islam verlauten lassen und zum anderen ist nicht unbedingt zu erwarten, daß in einem solchen Fall von den dortigen Machthabern zugegeben würde, daß Maßnahmen gegen einen derartigen "Abtrünnigen" deswegen erfolgt sind.

Die Beklagte war sonach antragsgemäß zu verpflichten festzustellen, daß beim Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

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