Verwaltungsgericht, Beschluss vom 7. November 1990-Z1. 90/01/0061

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde 1.) der N und 2.) der SG gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Jänner 1990, Zl. 245.523/3-III/13/89, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.350,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Beschwerdeführer, Mutter und Kind äthiopischer Staatsangehörigkeit aus Eritrea, reisten am 12. Mai 1988 in das Bundesgebiet ein und stellten am 13. Mai 1988 Asylanträge.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland stellte mit Bescheid vom 29. Dezember 1988 fest, daß die Beschwerdeführer nicht Flüchtlinge im Sinn des Asylgesetzes sind.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerinnen gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ab und führte im wesentlichen aus, die Erstbeschwerdeführerin habe angegeben, sie werde als Angehörige der eritreischen Volksgruppe in Äthiopien verfolgt. Seit mehreren Jahren befinde sich das eritreische Volk im Kriegszustand mit dem äthiopischen Volk. Ziel der eritreischen Volksgruppe sei es, die Loslösung Eritreas von Äthiopien zu erreichen. Im Jahre 1987 sei der Mann der Erstbeschwerdeführerin zur "EPLF - Eritreische Volksbefreiungsfront" eingerückt und kämpfe gegen das äthiopische Militär. Seit diesem Zeitpunkt habe die Erstbeschwerdeführerin ihren Mann nicht mehr gesehen und könne nicht angeben, ob er noch am Leben sei. Danach seien Soldaten der äthiopischen Armee gekommen, um sich nach dem Aufenthaltsort des Gatten der Erstbeschwerdeführerin zu erkundigen, den sie jedoch nicht habe nennen können. Als die Beschwerdeführerin im Jahre 1988 neuerlich von äthiopischen Soldaten nach dem Aufenthaltsort ihres Gatten befragt worden sei und noch immer keine Auskunft habe geben können, habe man der Erstbeschwerdeführerin eine 7-tägige Frist eingeräumt und ihr angedroht, sie danach zu verhaften, falls sie sich weiter weigere, den Aufenthaltsort ihres Gatten bekanntzugeben. Die Erstbeschwerdeführerin habe geglaubt, die angedrohte Haft sei mit einer Hinrichtung gleichzusetzen und sei deshalb aus Äthiopien geflüchtet. Zu ihrer Flucht habe beigetragen, daß der Onkel der Beschwerdeführerin und dessen ganze Familie 1975 vom äthiopischen Militär verhaftet und hingerichtet worden seien. Bei Kampfhandlungen zwischen Äthiopiern und Eritreern sei damals als Racheakt durch das äthiopische Militär eine ganze Ortschaft, in der auch der Onkel der Beschwerdeführerin mit seinen Angehörigen gewohnt habe, niedergebrannt worden. Die Leute seien erschossen worden. In ihrer Berufung hätten die Beschwerdeführerinnen neuerlich auf die Angaben vor der Behörde erster Instanz verwiesen und ergänzend ausgeführt, Hunderte von politischen Gefangenen würden ohne formelle Anklage oder Gerichtsverfahren festgehalten. Als Regierungsgegner Verdächtige würden während der Haft gefoltert. Zahlreiche politische Gegner des Regimes würden "verschwinden". In Eritrea würden Zivilpersonen unter dem Verdacht, mit der Opposition des EPLF zusammenzusarbeiten, verhaftet und mißhandelt, ohne daß es einen wirksamen Rechtsschutz gebe. Auf Grund der in ihrem Heimatland herrschenden Sippenhaftung hätten die Beschwerdeführerinnen wegen der Verdachtsmomente gegen den Gatten der Erstbeschwerdeführerin mit den schimmsten Folgen zu rechnen gehabt. In ihrem Heimatstaat würden ethnische Minderheiten, wie die Eritreer, systematisch unterdrückt.

Am 26. Juni 1989 hätten die Beschwerdeführerinnen - so fährt der angefochtene Bescheid fort - die ihnen zugewiesene Unterkunft der Bundesbetreuung in Rust ohne Abmeldung verlassen. Am 28. September 1989 habe der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerinnen Säumnisbeschwerde gemäß Art. 132 B-VG erhoben.

Die von den staatlichen Behörden des Heimatlandes der Beschwerdeführerinnen durchgeführten Ermittlungen zur Feststellung des Aufenthaltes des Gatten der Erstbeschwerdeführerin stellten keine Verfolgungshandlungen im Sinn der Konvention dar. Im übrigen stelle eine durch die Unterstützung des Kampfes der EPLF gegen die äthiopische Armee ausgelöste Fahndungstätigkeit keine Verfolgungshandlung dar. Auf Grund der im Heimatland der Beschwerdeführerinnen bestehenden Kriegssituation müsse der Regierung des Heimatstaates das Recht zugestanden werden, Maßnahmen zu setzen, die der Verteidigung ihrer Existenz gegen den militärischen bewaffneten Kampf der EPLF dienten. Die von der Erstbeschwerdeführerin als Fluchtgrund vorgebrachte Befürchtung, sie wäre auf Grund der Drohung der äthiopischen Soldaten, sie zu verhaften, falls ihr Gatte nicht stellig gemacht werde, ihres Lebens nicht mehr sicher, weil sie wegen der in ihrem Heimatland herrschenden Sippenhaftung mit den schlimmsten Folgen zu rechnen hätte, sei nicht glaubhaft. Sie habe selbst angegeben, 1987, zu einem Zeitpunkt, als ihr Gatte bereits innerhalb der EPLF im Kampf gegen die äthiopische Armee eingesetzt gewesen sei, und im Jahre 1988 zweimal von Soldaten der äthiopischen Armee aufgesucht und nach dem Aufenthaltsort ihres Gatten befragt worden zu sein. Sollten die äthiopischen Behörden tatsächlich beabsichtigt haben, die Erstbeschwerdeführerin wegen der Teilnahme ihres Gatten am Kampf gegen die Regierung zu verhaften und bestünde tatsächlich Sippenhaftung, so hätten "diese dazu wohl ausreichend Gelegenheit" gehabt. Bezüglich der von der Erstbeschwerdeführerin angeführten Ereignisse im Jahr 1975, die deren Onkel und dessen Angehörige betroffen hätten, wird ausgeführt, daß die Furcht vor Verfolgung sich auf Umstände beziehen müsse, die im zeitlichen Naheverhältnis zur Ausreise aus dem Heimatland lägen. Diese Ereignisse könnten somit nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führen. In rechtlicher Hinsicht wird ferner ausgeführt, daß, selbst wenn tatsächlich VerfolgungShandlungen im Sinne der Konvention vorgelegen wären, "diese Verfolgung" im gesamten Staatsgebiet gegeben sein müsse. Es wäre den Beschwerdeführerinnen daher auch in Gebieten, die von der EPLF kontrolliert würden, möglich gewesen, Schutz vor Verfolgung zu finden. Somit hätten sie eine wohlbegründete Furcht - im Sinne der Flüchtlingskonvention verfolgt zu werden - nicht glaubhaft machen können. Die von ihnen angeführten Beeinträchtigungen erfüllten den Tatbestand einer Verfolgung nicht. Sie gingen nicht über das hinaus, was die Bewohner ihres Heimatlandes auf Grund des herrschenden Systems allgemein hinzunehmen hätten, und stellten daher keine individuelle Verfolgung im Sinn der Flüchtlingskonvention dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Asylgesetz), in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach desen Bestimmungen festgestellt wird, daß er die Voraussetzung des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnit C oder F dieser Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne des Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem den Heimatstaat der Beschwerdeführerinnen betreffenden Erkenntnis vom 24. Jänner 1990, Zlen. 89/01/0356 bis 0359, ausgeführt hat, würde selbst die Teilnahme eines Asylwerbers an bewaffneten Kampfhandlungen gegen Regierungstruppen - soferne nicht das Vorliegen eines Ausschließungsgrundes gemäß Art. 1 Abschnitt F der Genfer Konvention festgestellt wird - von aus diesen Aktivitäten resultierende Verfolgung nicht ausschließen (vgl. auch Erkenntnis vom 29. November 1989, Zl. 89/01/0264). Die Rechtsausführungen der belangten Behörde, daß durch die Unterstützung des Kampfes der EPLF gegen die äthiopische Armee ausgelöste Fahndungstätigkeit keine Verfolgungshandlung im Sinne der Konvention darstelle, ist somit rechtsirrig. Ebensowenig kann der belangten Behörde darin gefolgt werden, daß wegen der im Heimatstaat der Beschwerdeführerinnen bestehenden Situation (Bürgerkrieg) Regierungsmaßnahmen, die der Verteidigung ihrer Existenz dienen keinesfalls als Fluchtgründe bewirken könnten.

Soweit die belangte Behörde aber die von den Beschwerdeführerinnen als Fluchtgrund vorgebrachte Befürchtung, sie müßten nach der Drohung äthiopischer Soldaten auf Grund der in ihrem Land herrschenden Sippenhaftung mit Verhaftung rechnen und allenfalls Bedrohung ihres Lebens befürchten, als unglaubhaft angesehen hat, ist diese Beweiswürdigung nicht schlüssig. Aus der Tatsache, daß äthiopische Soldaten bereits zweimal bei der Erstbeschwerdeführerin nach dem Verbleib ihres Gatten gefragt hätten, kann keineswegs erschlossen werden, daß dieselbe nicht in der von ihr dargestellten Art bedroht worden, sei. DeShalb war eine wohlbegründete Furcht der Beschwerdeführerinnen aus in der Konvention genannten Gründen, nämlich wegen ihrer Zugehörigkeit zur eritreischen Minderheit verfolgt zu werden, durchaus berechtigt.

Auch die Rechtsausführungen der belangten Behörde, wonach Verfolgungshandlungen im Sinn der Konvention das gesamte Staatsgebiet erfassen müßten, sodaß im Falle eines Bürgerkrieges die von der Regierung verfolgten Personen in dem von Aufständischen korrtrollierten Gebiet Schutz vor Verfolgung suchen müßten, ist irrig. Sie läßt sich weder aus der Flüchtlingskonvention noch aus dem Asylgesetz begründen. Sie widerspricht vielmehr den Zielen und dem Sinn der Konvention, weil Menschen, die eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus in der Konvention genannten Gründen bescheinigen können, nicht zugemutet werden darf, gerade in jene Zonen zu flüchten, in welchen Kriegshandlungen zwischen Regierungstruppen und Aufständischen stattfinden.

Die belangte Behörde hat somit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit in mehrfacher Hinsicht belastet, was zu dessen Aufhebung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG führen mußte.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Die Abweisung des Mehrbegehrens stützt sich darauf, daß gegen einen Bescheid der belangten Behörde betreffend die Beschwerdeführerinnen nur eine Beschwerde erhoben wurde, sodaß der Pauschalbetrag nur einfach zuerkannt werden konnte. Ein Kostenersatz für den Aufwand im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof kann vom Verwaltungsgerichtshof nicht zuerkannt werden.

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