Bayerischer Verfassungsgericht, Urteil vom 14.8.1989-12 B 87.1287

BayVGH

14.8.1989

12 B 87.1287

Leitsatz (nicht amtlich):

Wer von einem anderen Staat als ausländischer Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention anerkannt ist, unter Ausstellung eines Reiseausweises nach Art.28 GK und einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis in deutsche Obhut genommen wurde und sich gewöhnlich im Bundesgebiet aufhält, kann Ausbildungsförderung beanspruchen.

Aus den Gründen:

I

1.         Der am 17.9.1958 geborene KI.war ungarischer Staatsangehöriger. Er reiste am 17.12.1977 mit einem österreichischen Ausweis nach Art.28 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 (BGBl. 1953 II 559) - Genfer Konvention (GK) - in das Bundesgebiet ein. Nachdem Österreich den Reiseausweis des KI. letztmalig am 22.3.1982 verlängert hatte, übernahm die BR Deutschland den Kl. mit Zustimmung des Bayer. Staatministerium des Innern vom 31.1.1984 gemäß § 26 Abs.1 Nr. 1. AuslG in deutsche Obhut. Der KI. erhielt aufgrund dessen vom Kreisverwaltungsreferat der Landeshauptstadt M. am 9.4.1984 einen deutschen Internationalen Reiseausweis nach Art.28 GK mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis. Die Ausländerbehörde verlängerte die Gültigkeit des Reiseausweises alle zwei Jahre. Seit 28.7.1988 ist der KI. durch Einbürgerung deutscher Staatsangehöriger.

Nachdem der Antrag des KI. auf Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsföderungsgesetz zum Studium der Medizin für den Bewilligungszeitraum 1984/85 vom BekI. unter Berufung auf § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG bestandskräftig abgelehnt worden war, wiederholte der KI. seinen Förderungsantrag am 21.1.1986. Der BekI. lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 4.3.1986 für die Zeit von Januar 1986 bis März 1987 ab, weil der KI. nicht als Asylberechtigter nach dem AsylVfG anerkannt worden sei. Der KI. legte Widerspruch ein und berief sich darauf, vor Beginn seines Studiums fünf Jachre rechtmäßig erwerbstätig gewesen zu sein (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 BAföG). Der BekI. wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.7.1986 zurück, weil der KI. weder nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 noch nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BAföG Anspruch auf Ausbildungsförderung habe.

2.         Der KI. erhob daraulhin zum VG Regensburg Klage gegen den Bekl. mit dem Antrag, den Bescheid des Bekl. vom 4.3.1986 und dessen Widerspruchsbescheid vom 16.7.1986 aufzuheben und den Bekl. zur Gewährung der beantragten Ausbildungsförderung zu verpflichten. Das VG wies die Klage mit Urteil vom 9.12.1986 ab.

II.

Die zulässige Berufung its begründet, denn § 8 Abs.1 Nr. 3 BAföG ist auf den KI. anzuwenden.

Wird ein Ausländer von einem ausländischen Staat als Flüchtling iSd GK anerkannt und reist der Flüchtling in einen anderen Vertragsstaat der Konvention, dann ist der Staat, der ihn als Flüchtling anerkannt hat, nach § 13 Nr. 1 des Anhangs zur GK und, soweit dessen Geltungsbereich reicht, nach Art. 5 des Europäichen Übereinkommens über die Aufhebung des Sichtvermerkzwangs für Flüchtlinge vom 20.4.1959 (BGBl. 1961 II 1097) verpflichtet, dem Flüchtling jederzeit die Rückkehr in sein Gebiet während der Geltungsdauer des ihm nach Art.28 GK ausgestellten Reiseausweises zu gestatten. Soll einem Flüchtling, der einen von einem anderen Staat ausgestellten Reiseausweis nach der GK besitzt, der Aufenthalt im Bundesgebiet über die Geltungsdauer dieses Reiseausweises hinaus gestattet werden, so hat ihm die zuständige deutsche Ausländerbehörde einen neuen Reiseausweis nach der GK auszustellen; diese Entscheidung setzt das Benehmen mit dem Bundesminister des Innern oder der von ihm bestimmten Stelle voraus (vgl. § 26 Abs. 1 Nr. 1, § 25 Abs. 1 Nr. 4 AuslG), weil mit dem Ungültigwerden des ausländischen Reiseausweises nach der GK die Rückkehrberechtigung des von einem anderen Staat anerkannten Flüchtlings erlischt (vgl. auch AuslVwV Nr. 1 zu § 26 AuslG und Nr. 16 zu § 44 AuslG aF). Mit der Ausstellung eines solchen Reiseausweises durch eine deutsche Ausländerbehörde nach Erlöschen des Rückkehrrechts in das Land, das die Anerkennung als Flüchtling ausgesprochen hat, übernimmt die BR Deutschland den Flüchtling in deutsche Obhut in dem Sinne, daß ihn die Bundesrepublik nunmehr so behandelt, als wäre er hier als Flüchtling anerkannt worden (ebenso Marx, Asylrecht, 4 Aufl., 1984, Bd. 1, Nr. 104 unter Hinweis auf ua VGHE n.F. 26, 17/20). Folge davon ist ua die einem solchen Flüchtling erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet, wie sie im übrigen gemäß § 29 Abs. 1 AsylVfG einem Asylberechtigten nach diesem Gesetz ebenfalls erteilt wird.

Nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG in der ursprünglichen Fassung hatten Anspruch auf Ausbildungsförderung Ausländer, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hatten und als Asylberechtigte nach § 28 AuslG anerkannt waren. § 28 AuslG, der durch das AsylVfG ab 1.8.1982 aufgehoben wurde, bestimmte, daß sowohl Flüchtlinge nach der GK als auch politisch Verfolgte iSd Art.16 Abs. 2 Satz GG auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt werden. Nach AuslVwV Nr. 7 zu § 28 stand die Anerkennung als ausländischer Flüchtling nach der - vor dem AuslG geltenden - Asylverordnung vom 6.1.1953 (BGBl.I 3) der Anerkennung nach § 28 Nr. 1 AuslG gleich. Blanke in Rothe/Blanke. BAföG. bemerkt in den Rn.13, 14 zu § 8 mit Recht, daß die nach § 28 AuslG oder nach der Asylverordnung als asylberechtigt Anerkannten förderungsberechtigt geblieben seien. Das AsylVfG vom 16.7.1982 (BGBI. 1946) bestimmt nunmehr in § 1 Abs. 1, es gelte für Ausländer, die Schutz als politisch Verfolgte nach Art.16 Abs. 2 Satz 2 GG beantragen, und in § 42, daß die Vorschriften dieses Gesetzes an die Stelle aufgehobener Vorschriften treten, soweit in Gesetzen auf solche durch das AsylVfG aufgehobene Vorschriften verwiesen wird. Das war bei der Neufassung des BAföG durch Bekanntmachung vom 6.6.1983 (BGBl. I 645) der Grund, warum § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG die jetzt maßgebende Fassung erhielt. Wie die Begründung zum Entwurf des AsylVfG (BT-Drs. 9/875 S.4) zeigt, ging der Gesetzgeber bei Fassung des § 1 Abs. 1 AsylVfG von folgenden Überlëgungen aus: Abs. 1 entspricht inhaltlich § 28 AuslG. Die Änderungen gegenüber dem Wortlaut des § 28 AuslG sind im wesentlichen redatkioneller Art, da der Begriff des »politisch Verfolgten nach Art.16 Abs. 2 Satz 2 GG« den »Flüchtling iSd Art. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge« einschließt und der Begriff »Schutz vor Verfolgung gefunden« auch die Fälle beinhaltet, in denen ein Ausländer »Anerkennung nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge gefunden« hat. Diese Annahme von der Identität der Schutzbereiche des GG und der GK entsprach der damaligen Rechtsprechung des BVerwG (vgl. BVerwGE 68, 171). Das BverfG hat dies schon immer anders gesehen (vgl. BVerfGE 9, 174, 181; 54, 341, 356 = EZAR 200 Nr. 1), und auch das BVerwG hält numehr hieran nicht mehr fest (vgl. BVerwGE 79, 143 = EZAR 201 Nr. 13 = JZ 1988, 713 m. Anm. Kimminich; OVG NRW, InfauslR 1988, 236, sowie Renner, NJW 1989, 1246, 1248). Auch die §§ 1 a und 2 AsylVfG zeigen, daß die Annahme des Gesetzgebers, der Kreis der Asylberechtigten nach dem GG und der GK sei identisch, unzutreffend war. Das BVerwG ist aufgrunddessen der Meinung, im Anerkennungsverfahren nach dem AsylVfG könne nicht geklärt werden, ob der Asylsuchende Flüchtling iSd GK sei (vgl. BVerwG, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 40 = NVwZ 1989, 378). In der Literatur wird demgemäß eine Gesetzesänderung iSd § 28 AuslG aF empfohlen (vgl. Köfner/Nicolaus, ZAR 1986, 11; Roth, ZAR 1986,164).

Die Übernahme eines in einem anderen Vertragsstaat der GK als Flüchtling Anerkannten in deutsche Obhut in Form der Ausstellung eines deutschen Reiseausweises nach Art.28 GK unter Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis stellt, wie erwähnt, einen solchen Flüchtling ohne Einschränkung rechtlich so, als wäre er in der BR Deutschland als Flüchtling anerkannt worden. Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach dem AsylVfG hat ein solcher Flüchtling nicht mecr (§ 2 Abs. 1 AsylVfG). Es gibt aber, wie die Entstehungsgeschichte von § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG idF der Bekanntmachung vom 6. 7. 1983 (BGBl. I 645) und jene von § 1 Abs. 1 AsylVfG zeigen, keinen Grund, einen von einer deutschen Ausländerbehörde als Flüchtling anerkannten vom Recht auf Ausbildungsförderung auszuschließen. Ebenso wie nach § 28 AuslG aF, der bis zum 31.7.1982 in Kraft war, oder nach der Asylverordnung anerkannte Asylberechtigte Anspruch auf Ausbildungsförderung haben, muß § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG schon aus Gründen der Gleichbehandlung gleichliegender Fälle so verstanden werden, daß auch auf diese Weise in deutsche Obhut übernommene Flüchtlinge förderungsberechtigt sind. Es mag asylrechtlich zutreffen, daß das AsylVfG kein Verwaltungsverfahren zur Anerkennung von Flüchtlingen nach der GK mehr bereitstellt, wenngleich eine solche Betrachtungsweise weder der völkerrechtlichen Verpflichtung der BR Deutschland aus der GK noch der Entstehungsgeschichte von § 1 Abs. 1 AsylVfG gerecht wird. Jedenfalls kann ein asylrechtlich eng verstandener § 1 Abs. 1 AsylVfG nicht in gleicher Weise ausgelegt werden, wenn es darum geht, ob ein durch eine deutsche Behörde anerkannter oder in deutsche Obhut übernomener Flüchtling nach der GK Ausbildungsförderung beantragt. Der Gesetzgeber des AsylVfG war der Meinung, der Begriff des politisch Verfolgten iSd Art.16 Abs. 2 Satz 2 GG schließe den - in der BR Deutschland anerkannten - Flüchtling iSd GK ein. Dem ist auch bei Auslegung von § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG Rechnung zu tragen, zumal das Gesetz Personen in die Förderung einbezieht, die keine Asylberechtigten nach dem GG oder der GK sind, die aber aufgrund des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommener Flüchtlinge vom 22.7.1980 (BFBl. I 1057) aufenthaltsberechtigt sind. Soweit der Kommentar zum BaföG von Rothe/Blanke (Rn. 15 zu § 8) eine andere Auffassung vertritt, stimmt dem der Senat nur für den Fall zu, daß sich ein in einem anderen Vertragsstaat anerkannter Flüchtling mit Rückkehrberechtigung in der BR Deutschland aufhält, also nicht in deutsche Obhut im vorgenannten Sinne übernommen worden ist.

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