OVG NRW, Urteil vom 6. Maerz 1990-18 A 10060/88

OVG NRW

6.3.1990

18 A 10060/88

Leitsatz (amtlich):

Schließt ein anerkannter Asylberechtigter vor den Behörden seines Heimatstaats die Ehe, obwohl er auch vor einem deutschen Standesamt hätte heiraten können, erlischt seine Anerkennung als Asylberechtigter gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG.

Aus den Gründen:

Die Anerkennung des Kl. als Asylberechtigter ist erloschen.

Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1. AsylVfG erlischt die Anerkennung (als Asylberechtigter), wenn der Ausländer sich freiwillig oder durch Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses erneut dem Schutz des Staats, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt. Die Vorschrift entspricht Art. 1 Abschn. C Nr. 1 GK, geht in ihrem Wortlaut allerdings insoweit über Art. 1 Abschn. C Nr. 1 GK hinaus, als die Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses ausdrücklich als Fall der Unterstellung unter den Schutz des Heimatstaats angenommen wird.

Die Unterstellung unter den Schutz des Heimatstaats des Ausländers geschieht dann freiwillig, wenn sie aufgrund eigener Willenserklärung vorgenommen wird, ohne daß Umstände dazu zwingen, die im konkreten Fall einer begründeten Furcht für Leben oder Freiheit vergleichbar sind (BGHZ, DVBI. 1966, 113, zu Art. 1 Abschn. C Nr. 1 GK unter Bezug auf Zink, Das Asylrecht in der BR Deutschland nach dem Abkommen v. 28.7.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung der VG, S. 162; so auch die Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der SPD und FDP zum AsylVfG vom 7.10.1981, BT-Drs. 9/875,S.18 zu § 10, vgl. auch GK-AsylVfG, § 15 Rn.3 f.). Unter den Schutz des Landes stellen bedeutet, sich von der Auslandsvertretung des Heimatlandes tatsächlich Vorteile gewähren zu lassen (vgl. BGH aaO). Hat sich der Ausländer freiwillig unter den Schutz seines Heimatstaats gestellt, ist das Erlöschen seiner Asylanerkennung gerechtfertigt, weil der Flüchtling hierdurch zu erkennen gegeben hat, daß er keine Verfolgungsfurcht vor seinem Heimatstaat mehr hat (vgl. BT-Drs. 9/875 aaO). Zwar ist die Anerkennung als Asylberechtigter nicht‚ - jedenfalls nicht allein - von der subjektiven Verfolgungsfurcht des Asylbewerbers abhängig; Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG geht grundsätzlich von einer objektiven Beurteilung der Verfolgungsgefahr aus (vgl. BverfGE 54, 341, 359 = EZAR 200 Nr. 1). Daher mag es Fälle geben, in denen allein aus der Tatsache der Erneuerung oder Verlängerung von Ausweispapieren durch den Heimatstaat nicht auf eine fehlende Verfolgungsgefahr bzw. auf eine Unterschutzstellung geschlossen werden kann (vgl. BVerwG, EZAR 112 Nr. 5; BVerwGE 78, 152, 156f. = EZAR 202 Nr. 11; BVerG, U.v. 28.4.1964 - 1C 31.61-). Ob dem Ausländer weiterhin tatsächlich politische Verfolgung droht, steht jedoch nicht zur Überprüfung, wenn sich der Asuländer freiwillig unter den Schutz seines Heimatstaats gestellt hat. Denn für diesen Fall sieht § 15 AsylVfG vor, daß die Asylanerkennung kraft Gesetzes erlischt, und zwar ohne das Erlöschen der Anerkennung davon abhängig zu machen, daß keine objektive Verfolgungslage mehr gegeben ist. Es fehlt darüber hinaus an einer Regelung, welche Behörde im Rahmen des § 15 AsylVfG die materielle Asylberechtigung erneut zu überprüfen hätte (insoweit verfehlt: GK-AsylVfG, § 15 Rn.13 f.).

§ 15 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG sit gegen seinen eindeutigen Wortlaut nicht dahin auszulegen, daß die Asylanerkennung nur dann erlöschen könne, wenn neben den Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 abs. 1 AsylVfG auch die objektive Verfolgungssituation des Ausländers nicht mehr bestehe, worauf der Kl. mit seinem Schriftsatz vom 30.9.1985 wohl auch abstellen will. Eine derartige Auslegung ist insbesondere nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Art. 16 Abs.2 Satz 2 GG sichert zwar nicht nur materiell das Asylrecht des politisch Verfolgten; der Bestimmung kommt auch verfahrensrechtliche Bedeutung zu. Das Verfahrensrecht muß grundrechtskonform angewendet werden, weil anders die materielle Asylrechtsverbürgung nicht in Anspruch genommen werden kann (vgl. BVerfGE 52, 391, 407 = EZAR 150 Nr. 1; BVerfGE 56, 216, 236 = EZAR 221 Nr. 4 ). Das Erlöschen der Asylberechtigung kraft Gesetzes genügt jedoch den Anforderungen einer wirksamen Asylrechtsverbürgung. Ein (neuerlicher) Asylantrag ist dem Ausländer auch nach Erlöschen seiner Asylanerkennung unbenommen, wenn er der Auffassung sein sollte, ihm stehe ein Asylanspruch zu. Dieser Antrag wäre wie ein erster Asylantrag zu behandeln, da die Beachtlichkeitsanforderungen an einen Aslyfolgeantrag gemäß § 14 AsylVfG nur gelten, wenn ein erneuter Asylantrag nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags gestellt wird; für einen erneuten Asylantrag nach Anerkennung als Asylberechtigter gilt § 14 AsylVfG nicht (vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 16 Abs. 2 Satz 2, Rn. 149 f. unter zutreffendem Hinweis darauf, daß § 15 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG das Erlöschen der Anerkennung, nicht aber das Ende des Asylrechts bewirkt). Es ist nicht unzumutbar, den Ausländer auf ein neurerliches Asylverfahren zu verweisen, denn er selbst hat durch die freiwillige Unterstellung unter den Schutz seines Heimatstaats zu erkennen gegeben, daß er keine Verfolgungsfurcht mehr hegt.

Entgegen der Annahme des VG ist bei wörtlicher Auslegung des § 15 Abs. 1 AsylVfG keine Vervielfältigung von Rechtsstreitigkeiten zu erwarten. Zwar mag es im Einzelfall neben einer etwa auf die Behauptung fehlender Freiwilligkeit iSd § 15 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG gestützten Feststellungsklage des Ausländers noch zu einem neuerlichen Verfahren auf Anerkennung als Asylberechtigter kommen. Demgegenüber dürfte in vielen anderen Fällen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG tatsächlich und auch nach Auffassung des Ausländers keine Verfolgungssituation (mehr) bestehen. Aufwendige Verfahren zur Prüfung der Verfolgungssituation erübrigen sich in diesen Fällen.

Nach diesen Grundsätzen ist die Asylanerkennung des Kl. erloschen. Es kann dahinstehen, ob sie bereits dadurch erloschen ist, daß er seinen Nationalpaß bie der türkischen Botschaft verlängern ließ. Sie ist jedenfalls erloschen, als er am 28,12,1984 vor dem türkischen Generalkonsulat in K. heiratete. Die Heirat vor dem türkischen Generalkonsulat in K. erfolgte freiwillig, ohne daß den Kl. Umstände dazu gezwungen hätten, die einer begründeten Furcht für Leben oder Freiheit vergleichbar waren. Der Kl. hat selbst keine Umstände vorgetragen, die auch nur im Ansatz einen Zwang zur Heirat vor dem türkischen Generalkonsulat in K. belegen würden. Der pauschale Hinweis darauf, daß »(die Ehefrau des Kl.) und ihre Familie nicht mehr länger mit der Eheschließung zuwarten wollten; (die Ehefrau) war nämlich bereits von ihrem Ehemann (dem Kl.) schwanger«, belegt keine Zwangslage, und zwar auch keine »moralischer Art«. Ob eine außereheliche Schwangerschaft und die erwartete voreheliche Geburt überhaupt eine Zwangslage begründen können, die mit einer Zwangslage vergleichbar ist, die aus einer Furcht für Leben oder Freiheit heraus entsteht, kann dahinstehen. Denn die Eheschließung des Kl. mit seiner Ehefrau selbst war ohnehin in keiner Weise gefährdet. Sie konnte vor einem deutschen Standesamt erfolgen (vgl. Art. 13 EGBGB, § 10 EheG), zumal der Kl. nach seinen Angaben die für die Ehe erforderlichen Papiere vom türkischen Generalkonsulat erhalten hatte. Da das Kind des Kl. und seiner Ehefrau zudem bereits im November 1984, also einen Monat vor der tatsächlich erfolgten Eheschließung geboren wurde, konnte der Kl. durch die Heirat auch nicht mehr bewirken, daß sein Kind bereits im Zeitpunkt der Geburt ehelich war. Es konnte demnach nicht wesentlich ins Gewicht fallen, die Zeit des nach § 12 Abs. 1 Satz 1 EheG vor Eheschließung vor einem deutschen Standesamt erforderlichen Aufgebots abzuwarten, zumal der Standesbeamte von dem Erfordernis des Aufgebots gemäß § 12 Abs. 3 EheG hätte Befreiung erteilen können. Nichts anderes gilt für die Zeit, die der Kl. nach seines Angaben in der mündlichen Verhandlung auf die Befreiung vom Erfordernis der Vorlage eines Ehefähigkeitszeugnisses (§ 10 Abs. 1, 2 EheG) hätte waten müssen. Denn eine Wartezeit von einigen Monaten war ihm zumutbar, zumal er den erforderlichen Berfreiungsantrag unmittelbar nach Bekanntwerden der Schwangerschaft hätte stellen können.

Mit der Heirat vor dem türkischen Generalkonsulat hat sich der Kl. dem Schutz seines Heimatstaas unterstllt, nämlich tatächlich einen Vorteil - die gewünschte - unter Umständen beschleunigte - Eheschließung - gewähren lassen. Der dem Ausländer zugewachsene Vorteil muß entgegen der Annahme des VG nicht»alle Nachteile entfallen lassen, für welche die Anerkennung als politischer Flüchtling einen Ausgleich schaffen soll. «Voraussetzung für die Anwendung des § 15 AsylVfG ist nicht die Erlangung eines Vorteilsausgleichs, sondern die tatsächlich gewünschte Schutzgewährung. Aus ihr läßt sich regelmäßig die Bereitschaft des Heimatstaats des Ausländers zu weiterer Schutzgewährung ableiten. Im übrigen spricht der Hinweis des Kl. darauf, er habe den Namen seines Schwiegervaters angenommen und deshalb sei ungewiß, ob das türkische Generalkonsulat Kenntinis von seiner wahren Identität habe, eher gegen eine anhaltende Verfolgungssituation als für eine weiterbestehende, begründete Verfolgungsfurcht.

Mit dem Erlöschen der Asylanerkennung erlosch gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2, Satz 1 Nr. 2 AuslG auch die dem Kl. erteilte Aufenthaltserlaubnis.

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