Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94

Bundesverwaltungsgericht, 5 July 1994

Leitsätze (amtlich):

1.         Die unmittelbar staatliche Gruppenverfolgung setzt - ebenso wie die mittelbare - grundsätzlich eine bestimmte »Verfolgungsdichte« voraus, der Feststellung dicht und eng gestreuter Verfolgungsschläge bedarf es jedoch nicht, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht.

2.         Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung entbindet das Tatsachengericht nicht von der richtigen und vollständigen Erfassung der entscheidungserheblichen Tatsachengrundlage. Auch die innere Überzeugungsbildung muß nachvollziehbar begründet sein.

3.         Bei der Prüfung einer Gruppenverfolgung kommt der Auseinandersetzung mit abweichenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen anderer Oberverwaltungsgerichte eine besondere Bedeutung zu.

Aus den Gründen:

I.

Der 1963 geborene Kl. zu 1 und die 1959 geborene Klin. zu 2 sind die Eltern der zwischen 1980 und 1986 geborenen Kläger zu 3 bis 7. Sie stammen nach ihren Angaben vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) aus der früher autonomen Provinz Kosovo in Jugoslawien, sind albanische Volkszugehörige und bekennen sich zum Islam.

Ende November 1986 reisten die Kl. in das Bundesgebiet ein und beantragten im Dezember 1986 Asyl. Hierzu ließen sie vortragen, der Kl. zu 1 habe als Separatist an Demonstrationen teilgenommen, sei festgenommen worden und im Gefängnis gewesen. Bei der Anhörung vor dem Bundesamt gab die Klin. zu 2 an, als sie das erste Mal nach Deutschland gekommen sei, habe sie ihren Mann kennengelernt. Sie hätten in Deutschland geheiratet und seien 1982 zusammen nach P./Jugoslawien zurückgegangen. In den folgenden Jahren sei ihr Mann mit kurzen Unterbrechungen im Gefängnis gewesen. Der Kl. zu 1 sagte, im Mai, Juni oder Juli 1985 sei er inhaftiert worden und bis zum 18. 11. 1986 im Gefängnis gewesen, die letzten Monate in D. Nur ausnahmsweise habe er in Begleitung von Polizeibeamten nach Hause gehen können. Die Polizisten hätten dann Tag und Nacht das Haus bewacht und ihn nach zwei bis drei Tagen wieder festgenommen und ins Gefängnis zurückgebracht. Er sei auch aus dem Gefängnis geflohen (im Juli 1986 und 1984). Er habe einer politischen Gruppe angehört, mit der er Aktivitäten (Demonstrationen) unternommen habe. Er sei (nach der Flucht aus dem Gefängnis 1984) zu Hause in seinem Dorf B./Kreis P. gewesen. Er habe sich versteckt. Sie hätten sich nur noch nachts getroffen und eine Demonstration organisiert, die am 5. 5. 1985 mit der ganzen Gruppe (etwa 50 Teilnehmer) stattgefunden habe. Während der Demonstration sei er festgenommen worden und dann nicht mehr aus dem Gefängnis gekommen, bis er Jugoslawien verlassen habe. Er sei stets arbeitslos gewesen, auch nach der Rückkehr 1982 bis zur erneuten Ausreise 1986. Es gebe zwar viele Fabriken, aber kein Albaner bekomme Arbeit. Sein Großvater habe etwas Land gehabt; das hätten sie bewirtschaftet und die Ernte verkauft. Davon habe die ganze Familie gelebt. Im November 1986 habe ihn seine Frau im Gefängnis in D. besucht und gesagt, daß sie einen Sohn geboren habe. Er habe drei Tage Hafturlaub bekommen und zu seiner Frau gesagt, sie solle nach Deutschland ausreisen. Seine Frau sei dann zwei Tage vor ihm abgereist.

Das Bundesamt lehnte die Asylanträge der Kl. als offensichtlich unbegründet ab und führte aus, die Angaben der Kl. zu 1 und zu 2 seien derart widersprüchlich, daß ihnen auch nicht ansatzweise Glauben geschenkt werden könne.

Das VG hat die von den Kl. erhobene Klage abgewiesen. Auf dig Berufung der Kl. hat das OVG das erstinstanzliche Urteil geändert, den Bescheid des Bundesamts aufgehoben und das Bundesamt verpflichtet, die Kl. als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AusIG vorliegen.

Mit seiner gegen diese Entscheidung vom Senat zugelassenen Revision rügt der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten die Verletzung materiellen Rechts. Die Kl. verteidigen das angefochtene Urteil

II.

Die Revision des Beteiligten ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Kl. auf Anerkennung als Asylberechtigte und Gewährung von Abschiebungsschutz ausschließlich daraus hergeleitet, daß den Kl. bei einer Rückkehr nach Rest-Jugoslawien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbar staatliche Gruppenverfolgung drohe, die sich gegen alle ethnischen Albaner im Kosovo richte. Dabei hat es zum einen den rechtlichen Maßstab für eine drohende ethnische Gruppenverfolgung fehlerhaft angewendet und zum anderen eine rechtlich fehlerhafte Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) vorgenommen.

Das Berufungsgericht hat eine individuelle Vorverfolgung der Kl. ausgeschlossen, da der Verfolgungsvortrag des Kl. zu 1 unglaubhaft ist. Das ist nicht zu beanstanden. Ob die Kl. wegen einer ethnischen Gruppenverfolgung als albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo vorverfolgt ausgereist sind, hat das Berufungsgericht offengelassen. Nach den mitgeteilten Tatsachen zur historischen Entwicklung des Konflikts im Kosovo und im Hinblick auf die vom Berufungsgericht festgestellte nachhaltige Verschlechterung der Situation seit Anfang 1992 besteht hierfür allerdings kein Anhaltspunkt. Im Zeitpunkt der Ausreise der Kl. Ende November 1986 existierte noch die frühere Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (SFRJ), und die Provinz Kosovo hatte noch den Status einer autonomen Provinz. Die Anfang der achtziger Jahre (nach dem Tode Titos) ausgebrochenen Unruhen ebbten zwar nie ganz ab, eskalierten aber erst wieder nach der Ausreise der KI., vor allem etwa ab Ende 1988/Anfang 1989 im Zusammenhang mit der beabsichtigten Aufhebung der Autonomie der Provinz Kosovo und später mit der beginnenden Auflösung des jugoslawischen Vielvölkerstaats.

Das Berufungsurteil beruht hiernach auf der Annahme, die Kl. seien als Angehörige der Volksgruppe der Albaner aus der serbischen Provinz Kosovo bei ihrer Rückkehr einer unmittelbar staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt. Diese Annahme hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand.

Auf das Individualgrundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG kann sich nur berufen, wer selbst - in seiner Person - politische Verfolgung erlitten oder zu befürchten hat. Wer - wie die Kl. nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts - sein Heimatland unverfolgt verlassen hat, hat deshalb nur dann einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, wenn ihm bei seiner Rückkehr politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Ergibt sich die Gefahr eigener politischer Verfolgung des Asylbewerbers - wie wiederum hier im Falle der Kl. nach der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen des Verfolgerstaats, so kann sie sich auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung; vgl. hierzu BVerfGE 83, 216 = EZAR 202 Nr. 10 sowie BVerwGE 85, 139 = EZAR 202 Nr. 18; BVerwGE 88, 367 = EZAR 202 Nr. 21; BVerwGE 89, 162 = EZAR 202 Nr. 22; ferner BVerwG, EZAR 202 Nr. 23 und U.v. 19. 4. 1994 - 9 C 462.93 -).

Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt eine bestimmte »Verfolgungsdichte« voraus, welche die »Regelverrnutung« eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwGE 85, 139 = EZAR 202 Nr. 18). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, daß es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende - individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, daß daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG, aaO).

Die Rechtsprechung zur Gruppenverfolgung hatte bisher vorwiegend Verfolgungen zum Gegenstand, die nicht unmittelbar vom Staat, sondern von Dritten ausgingen. Eine sogenannte mittelbare Gruppenverfolgung liegt danach typischerweise vor bei Massenausschreitungen (Pogromen), die das ganze Land oder große Teile desselben erfassen, aber etwa auch dann, wenn unbedeutende oder kleine Minderheiten mit solcher Härte, Ausdauer und Unnachsichtigkeit verfolgt werden, daß jeder Angehörige dieser Minderheit sich ständig der Gefährdung an Leib, Leben oder persönlicher Freiheit ausgesetzt sieht, wobei allerdings nicht ein ganzes Land gewissermaßen flächendeckend erfaßt sein muß (vgl. BVerfGE 83, 216 = EZAR 202 Nr. 10). Auch ohne Pogrome oder diesen vergleichbare Massenausschreitungen liegt eine mittelbare Gruppenverfolgung immer dann vor, wenn die Verfolgungsschläge, von denen die Angehörigen einer Gruppe getroffen werden, so dicht und eng gestreut fallen, daß für jedes Gruppenmitglied die Furcht begründet ist, in eigener Person Opfer der Übergriffe zu werden (BVerwG, EZAR 202 Nr. 23).

Die in der Rechtsprechung des BVerfG bisher offengelassene Frage nach den Voraussetzungen unmittelbar staatlicher Gruppenverfolgung (BVerfGE 83, 216 = EZAR 202 Nr. 10) kann hinsichtlich der erforderlichen »Verfolgungsdichte« im Grundsatz nicht anders als bei mittelbarer Gruppenverfolgung beantwortet werden (vgl. BVerwG, U.v. 19. 4. 1994, aaO; BVerfG-Kammer, InfAusIR 1993, 304, 306). Erhebliche Unterschiede können sich aber im Hinblick auf die prinzipielle Überlegenheit staatlicher Machtmittel sowie daraus ergeben, daß die Annahme einer unmittelbar staatlichen Gruppenverfolgung voraussetzt, daß mit ihr eigene staatliche Ziele durchgesetzt werden sollen und daß diese Ziele - offen oder verdeckt - von eigenen staatlichen Organen oder durch eigens vom Staat dazu berufene oder doch autorisierte Kräfte durchgesetzt werden können (vgl. BVerwGE 85, 139, 143 = EZAR 202 Nr. 18). Im Unterschied zur mittelbaren Gruppenverfolgung kann daher eine staatliche Gruppenverfolgung schon dann anzunehmen sein, wenn zwar »Referenz-« oder Vergleichsfälle durchgeführter Verfolgungsmaßnahmen zum Nachweis einer jedem Gruppenmitglied drohenden »Wiederholungsgefahr« nicht im erforderlichen Umfang oder überhaupt (noch) nicht festgestellt werden können, aber hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht. Das kann etwa der Fall sein, wenn festgestellt werden kann, daß der Heimatstaat ethnische oder religiöse Minderheiten physisch vernichten oder ausrotten oder - wie das Berufungsgericht hier annimmt - aus seinem Staatsgebiet vertreiben will. In derartigen extremen Situationen bedarf es nicht erst der Feststellung einzelner Vernichtungs - oder Vertreibungsschläge, um die beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgungsmaßnahmen darzutun. Die allgemeinen Anforderungen an eine hinreichend verläßliche Prognose müssen allerdings auch dann erfüllt sein. »Referenzfälle« politischer Verfolgung sowie ein »Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung« sind auch dabei gewichtige Indizien für eine gegenwärtige Gefahr politischer Verfolgung (vgl. BVerfGE 83, 216, 233 = EZAR 202 Nr. 10; BVerwGE 88, 367, 376ff. = EZAR 202 Nr. 2 1).

Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung - wie für jede politische Verfolgung - ist ferner, daß die festgestellten asyltelevanten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin »wegen« eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwGE 85, 139, 141f. = EZAR 202 Nr. 18 unter Hinweis auf BVerfGE 76, 143, 157, 166L = EZAR 200 Nr. 20; BVerfGE 80, 315, 335 = EZAR 201 Nr. 20). Die staatliche Verfolgung von Taten, die - wie separatistische Aktivitäten - aus sich heraus eine Umsetzung politischer Überzeugung darstellen, kann politische Verfolgung sein. Wenn ein Staat einer ganzen Bevölkerungsgruppe pauschal zumindest eine Nähe zu separatistischen Aktivitäten oder gar generell deren Unterstützung unterstellt, so stellt sich die Frage, ob die Verfolgungsmaßnahmen - objektiv gesehen - nicht auch auf die Volkszugehörigkeit gerichtet sind und an diese anknüpfen (vgl. etwa BVerfG-Kammer, InfAusIR 1994, 105, 108). Der pauschale Verdacht separatistischer Aktivitäten einer ganzen Volksgruppe kann mit anderen Worten - ebenso wie im Einzelfall der Verdacht der Trägerschaft eines asylerheblichen Merkmals - auf die ganze Volksgruppe durchschlagen und eine »Separatismus-Verfolgung« je nach den Umständen des Falles als »ethnische« Gruppenverfolgung erscheinen lassen.

Gemessen an diesen Kriterien tragen die Feststellungen des Berufungsgerichts die Annahme einer Gruppenverfolgung der ethnischen Albaner im Kosovo nicht. Die Auffassung des Gerichts, bei Auswertung des Erkenntnismaterials bestünden keine durchgreifenden Zweifel, daß es sich bei den ethnisch motivierten, asylerheblichen Übergriffen gegen Albaner »nicht um Einzelfälle« handele, wird im Ausgangspunkt dem Begriff der Gruppenverfolgung nicht gerecht. Auch der in diesem Zusammenhang gegebene Hinweis auf die - nicht bestimmte- »Zahl« der Verfolgungsfälle ist nicht ausreichend, um die tatsächliche und rechtliche Würdigung einer unmittelbar staatlichen Gruppenverfolgung quantitativ zu rechtfertigen. Der Bundesbeauftragte rügt insoweit zu Recht, daß das OVG eine unbestimmte Vielzahl von Eingriffen in Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person ausreichen läßt, um eine Verfolgungsgefahr für jeden Albaner im Kosovo zu bejahen. Wie zum Begriff der Gruppenverfolgung ausgeführt, bedarf es hierzu jedoch der Feststellung einer so großen Vielzahl von asylrelevanten Übergriffen, daß für jeden Angehörigen der Volksgruppe nicht nur potentiell und möglicherweise, sondern aktuell ein den Vergleichsfällen entsprechendes Verfolgungsschicksal droht.

Um zu beurteilen, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe der Gruppe in-Beziehung gesetzt werden. Die bloße Feststellung »zahlreicher« oder »häufiger« Eingriffe reicht nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, kann gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie - gemessen an der Zahl der Gruppenmitglieder - nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht als Bedrohung der Gruppe darstellt. Das Berufungsgericht hat diese Relation außer acht gelassen. Es hat zwar eine große Zahl von Berichten, Auskünften und Äußerungen verschiedener Stellen und Personen zusammengestellt, in denen von »zahlreichen Übergriffen«, »fast täglich« eingehenden Mitteilungen über Folterungen und Mißhandlungen, »häufigen Hausdurchsuchungen« mit Schlägen und Tritten sowie »zahlreichen Fällen« grundloser Angriffe durch die serbischen Sicherheitsbehörden die Rede ist. Hingegen fehlt es an jeglichen Ausführungen darüber, in welcher Dichte die albanische Bevölkerung des Kosovo von diesen Verfolgungsmaßnahmen heimgesucht wird. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht die Bevölkerung des Kosovo - etwa 2 Millionen Menschen - zu über 90 Prozent aus ethnischen Albanern. Daß bei einer derartigen Bevölkerungsgröße tatsächlich nahezu jeder Albaner aktuell von Verhaftung und Polizeigewahrsam bedroht sein soll, erscheint eher unwahrscheinlich. Da das Berufungsurteil über die Größenordnung, in der sich die Verfolgungshandlungen abspielen, keine Angaben enthält und sich die Verfolgungsdichte ohne sie nicht bestimmen läßt, fehlt der Annahme des Berufungsgerichts, die Verfolgungshandlungen stellten eine Gruppenverfolgung dar, die Grundlage.

Die vom Berufungsgericht angenommene Gruppenverfolgung läßt sich auch nicht darauf stützen, daß die Albaner im Kosovo ohne Rücksicht auf die Frage der Dichte der tatsächlich geführten Verfolgungsschläge als Zielgruppe eines staatlichen Verfolgungsprogramms gruppenverfolgt sind. Das Berufungsgericht hat zwar unter Hinweis auf eine Reihe von die Albaner diskriminierenden Gesetzen ausgeführt, die serbische Regierung verfolge mit den Maßnahmen der serbisch besetzten Administration und der Sicherheitsbehörden gegen ethnische Albaner im Kosovo ihr Programm zur Schaffung eines »ethnisch reinen Großserbien« unter Einschluß des Kosovo; ihr Ziel sei es, die Albaner aus dem Kosovo zu vertreiben oder einen Konflikt zu provozieren, um die Albaner »auszulöschen«. Die vom Berufungsgericht zu dem »Serbisierungs-Programm« getroffenen Feststellungen lassen aber weder den Schluß auf das Bestehen eines Verfolgungspogramms noch darauf zu, daß ein solches Programm bereits verwirklicht wird oder die Verwirklichung alsbald bevorsteht.

Daß ein staatliches Programm zur Vertreibung aller Albaner aus dem Kosovo und dem gesamten Staatsgebiet Rest-Jugoslawiens oder gar ein Plan zur Provokation eines Aufstandes mit dem Ziel der Ausrottung aller Albaner oder unabhängig hiervon ein genereller Befehl zum Völkermord an allen Albanern besteht, ist nicht belegt. Aus den Äußerungen einiger Politiker, die von einer Vertreibung oder Ausweisung der Albaner aus dem Kosovo sprechen, läßt sich die Annahme eines staatlichen Verfolgungsprogramms nicht herleiten. Mit der vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang mitgeteilten Bezeichnung des Vorgehens der serbischen Behörden im Kosovo als »stille ethnische Säuberung« werden schon nach dem Wortsinn keine gewaltsamen Vertreibungs - oder Ausrottungsaktionen umschrieben, sondern eher eine Politik der Repressionen und Einschüchterung mit der bewußt angestrebten oder billigend in Kauf genommenen Folge der Auswanderung eines Großteils der albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo. Auch die zur Charakterisierung der serbischen Politik im Kosovo angeführten serbischen Gesetze, die auf eine Diskriminierung der albanischen Bevölkerung im Kosovo und eine Verschiebung des Bevölkerungsanteils zugunsten der Serben und Montenegriner hinauslaufen, reichen nicht aus, um ein Verfolgungsprogramm des serbischen Staats anzunehmen, welches jeden ethnischen Albaner im Kosovo in seiner physischen Existenz, seiner körperlichen Unversehrtheit oder seiner persönlichen Freiheit aktuell bedroht. Diese Gesetze bedeuten zwar eine massive Benachteiligung der Albaner insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, im Staatsdienst, im Gesundheits - und Bildungswesen; sie stellen hinsichtlich der Eingriffsintensität aber noch keine asylerhebliche Verfolgung dar. Hinreichend sichere Anhaltspunkte dafür, daß der Staat über die zahlreichen Benachteiligungen der Albaner hinaus ein Vernichtungs - oder Vertreibungsprogramm ins Werk setzen will, das darauf abzielt, zumindest einen großen Teil der albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo zu vertreiben oder gar auszurotten, hat das Berufungsgericht mithin nicht festgestellt.

Nicht frei von Mängeln ist ferner die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Die Prüfung der ethnischen Gruppenverfolgung erfordert zunächst, daß das Verfolgungsgeschehen möglichst umfassend und erschöpfend festgestellt und darauf untersucht wird, welche asylrelevanten politischen Verfolgungsmaßnahmen - differenziert nach Eingriffen in bestimmte asylrechtlich geschützte Rechtsgüter wie Leben oder körperliche Unversehrtheit, nach Intensität und Schwere sowie jeweils nach Ort, Zeit und Häufigkeit der Eingriffe - vorliegen. Eine solche differenzierte Sichtung und Zusammenstellung des Tatsachenmaterials ist unerläßlich, um die Prüfung der Zielgerichtetheit der jeweils festgestellten Verfolgungsmaßnahmen -hier in bezug auf das asylerhebliche Merkmal der Ethnie - sachgerecht vornehmen und entscheiden zu können, ob die asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen insgesamt die notwendige Verfolgungsdichte aufweisen. Bei der im Rahmen einer »Gesamtschau« vorzunehmenden Bewertung hat das Gericht im Hinblick auf die Verfolgungsprognose auch weitere nicht unmittelbar zum Verfolgungsgeschehen gehörende Umstände - wie für sich betrachtet nicht asylrechtlich erhebliche weitere Übergriffe und Diskriminierungen, allgemeine politische Entwicklungen und sonstige Lageeinschätzungen - indiziell zu berücksichtigen und zu verarbeiten. Zu beachten bleibt aber, daß auch bei einer Gesamtschau nur asylrechtlich beachtliche Maßnahmen die Beurteilung der Verfolgungssituation als Gruppenverfolgung rechtfertigen können (vgl. BVerwG, Buchholz 402.25 § 1 AsyIVfG Nr. 10; BVerwGE 82, 171 = EZAR 200 Nr. 25).

Das Gebot der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verlangt, daß das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt. Das Gericht darf also nicht in der Weise verfahren, daß es einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse nicht zur Kenntnis nimmt oder nicht in Erwägung zieht. Danach liegt ein Verstoß gegen dieses Gebot vor, wenn ein Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, es insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen (BVerwGE 68, 338; BVerwG, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 68). In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts und zugleich für die Überprüfung seiner Entscheidung daraufhin, ob die Grenze einer objektiv willkürfreien, die Natur - und Denkgesetze sowie allgemeine Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschritten ist. Darin liegt eine Verletzung des sachlichen Rechts; ob damit (auch) ein Verfahrensfehler verbunden ist, kann der Senat weiterhin offenlassen (vgl. BVerwG, EZAR 630 Nr. 13 = DVBl. 1984, 1005; BVerfGE 83, 216, 228f. = EZAR 202 Nr. 10).

Außerdem verlangt § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO, daß im Urteil die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind. Dies dient einerseits der Selbstkontrolle der Tatsacheninstanz, andererseits aber auch der Überprüfbarkeit der tatrichterlichen Würdigung durch die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht. Der Begründungszwang ist damit zugleich ein rechtsstaatliches Korrelat zu der weitgehend freien Einschätzungsprärogative des Tatrichters. Wie umfangreich und detailliert die leitenden oder wesentlichen Gründe im Urteil niederzulegen sind, läßt sich allerdings nicht abstrakt umschreiben. Im allgemeinen genügt es, wenn der Begründung entnommen werden kann, daß das Gericht eine vernünftige und der jeweiligen Sache angemessene Gesamtwürdigung und Beurteilung vorgenommen hat. Nicht erforderlich ist danach insbesondere, daß sich das Gericht mit allen Einzelheiten das Vorbringens der Beteiligten und des festgestellten Sachverhalts in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich auseinandersetzt. Aus der Nichterwähnung einzelner Umstände kann daher regelmäßig auch nicht geschlossen werden, das Gericht habe diese bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, daß das Gericht seiner Pflicht aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügt und seiner Entscheidung das Vorbringen der Beteiligten sowie den festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde gelegt hat (BVerwG, Buchholz 3 10 § 108 VwGO Nr. 183 und 412.3 § 6 BVFG Nr. 68 jeweils unter Hinweis auf die Rspr. zu Art. 103 Abs. 1 GG). Wenn das Gericht in seiner Entscheidung jedoch gewichtige Tatsachen oder Tatsachenkomplexe, deren Entscheidungserheblichkeit sich aufdrängt, unerwähnt läßt, so spricht dies dafür, daß es den entsprechenden Tatsachenstoff entweder nicht zur Kenntnis genommen oder jedenfalls nicht in Erwägung gezogen hat. Der Überzeugungsbildung des Gerichts liegt dann nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zugrunde (BVerwG, Buchholz 412.3 § 6 BVFG).

Im Asylprozeß kommt der Tatsachenfeststellung und - würdigung darüber hinaus eine besondere Bedeutung zu, und zwar erst recht, wenn - wie im Ausgangsverfahren - über die Asylanerkennung und die Gewährung von Abschiebungsschutz für Angehörige einer Volksgruppe zu befinden ist, die aus ca. 1,8 Millionen Personen besteht und aus der sich bereits Zehntausende im Bundesgebiet als AsyIsuchende aufhalten. Die Gefahr einander widersprechender Verfolgungsprognosen aufgrund unterschiedlicher tatrichterlicher Würdigung desselben generellen Lebenssachverhalts im Herkunftsland ist hier besonders groß. Im Interesse der Rechtseinheit besteht daher eine besondere Verantwortung und Verpflichtung der OVG, einander widersprechende Gerichtsentscheidungen zur Annahme einer Gruppenverfolgung für alle Angehörigen der Volksgruppe zu vermeiden. Gerade weil die Unabhängigkeit der Gerichte und der Grundsatz der freien Beweiswürdigung sowie die Ausgestaltung des Instanzenzugs mit der Beschränkung des Revisionsgerichts auf eine eingeschränkte Rechtskontrolle eine unterschiedliche Tatsachenwürdigung nicht ausschließen, bedarf es intensiver Bemühungen der Berufungsgerichte um eine erschöpfende Tatsachenermittlung und Aufbereitung des Verfolgungsgeschehens im Herkunftsland. Dazu gehört auch, daß sich die OVG - in der für ein Urteil gebotenen Konzentration und Kürze - mit abweichenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen durch andere OVG auseinandersetzen und dies in der gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO geforderten Begründung nachprüfbar darstellen.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht in vollem Umfang gerecht. Im Ansatz zutreffend hat das Berufungsgericht in einem ersten Schritt Tatsachenfeststellungen zum Verfolgungsgeschehen im Kosovo aus den in die Verhandlung eingeführten Erkenntnismitteln getroffen, das Tatsachenmaterial zusammenfassend dargestellt und einer ersten Würdigung unterzogen. Dabei hat es jedoch das Erkenntnismaterial weder umfassend und vollständig ausgewertet noch hinreichend differenzierte Angaben dazu gemacht, auf welche Zeiträume mit welchen regionalen Schwerpunkten sich die Erkenntnisse beziehen und welche Rückschlüsse auf die Anzahl und Häufigkeit von Verfolgungsmaßnahmen sowie die Schwere der jeweiligen Rechtsguteingriffe sich daraus ziehen lassen. Die Aneinanderreihung einzelner Tatsachenmitteilungen und Lagebeurteilungen in Auskünften, Stellungnahmen und Zeitungsberichten gibt noch keine hinreichend verläßliche Tatsachengrundlage für die vorgenommene Beweiswürdigung ab. Hinzu kommt, daß der Aussagegehalt einzelner Quellen mißverständlich dargestellt ist. Beispielsweise werden die Angaben der Gefangenenhilfsorganisation amnesty international in deren Jahresberichten 1992 und 1993 lediglich dahingehend zitiert, daß »nahezu täglich Meldungen eingegangen seien, denen zufolge ethnische Albaner im Kosovo von der serbischen Polizei geschlagen oder in anderer Weise mißhandelt worden sind«. Hierdurch entsteht der Eindruck tausendfacher Übergriffe im Berichtszeitraum. Im Gegensatz dazu steht die - im Berufungsurteil nicht erwähnte - einleitende Feststellung im Jahresbericht 1993 von amnesty international (S. 275), daß sich in der Provinz Kosovo der Republik Serbien »Hunderte Angehörige der albanischen Bevölkerungsgruppe Schlägen und anderweitigen Mißhandlungen durch Polizeikräfte ausgesetzt« gesehen hätten. Auch die Auswertung des Berichts der französischen Kommission »Justiz und Gerechtigkeit«. vom 30. 1. 1993 über einen Besuch des Präsidenten und des Sekretärs der Kommission im Kosovo vom 30. 12. 1992 bis zum 5. Januar 1993 vermittelt ein unzutreffendes Bild, wenn daraus entnommen wird, »daß nahezu jeder ethnische Albaner im Kosovo der Verhaftungsgefahr ausgesetzt sei«, ohne daß mitgeteilt wird, daß nach Einschätzung der Kommission in den letzten 12 Jahren ein Drittel der albanischen Bevölkerung mit der Polizei »in Kontakt gekommen« ist. Das bedeutet, daß jährlich nur ein geringer Teil der Bevölkerung mit der Polizei - aus welchen Gründen und mit welchen Folgen auch immer- »Berührung« gehabt haben soll. Außerdem hätte sich das Berufungsgericht bei einer hinsichtlich der angeblichen Verhaftungsgefahr so weitgehendüber andere Erkenntnismittel hinausgehenden - Aussage damit befassen müssen, daß die Kommission nach den Angaben im Bericht ihre Einschätzung lediglich aus dem Besuch »verschiedener ziviler und religiöser Persönlichkeiten« in einem Zeitraum von wenigen Tagen im Kosovo erlangt hat. Erst eine solche vertiefte Betrachtung läßt es zu, Gehalt und Bedeutung dieser Quelle im Vergleich zu anderen Erkenntnismitteln - insbesondere den Lageberichten und Auskünften des Auswärtigen Amts, die auf einer wesentlich breiteren Erfahrungsgrundlage beruhen - abzuschätzen. Entsprechendes gilt hinsichtlich des an anderer Stelle verwerteten, vom »Kosova Information Center« herausgegebenen Informationsblatts vom 16. September 1993, wonach »ethnische Albaner zu Hunderttausenden von der serbischen Polizei malträtiert worden« seien. Das Berufungsgericht hat nicht offengelegt, daß es sich bei der dort wiedergegebenen Aussage nicht um eine eigene Aussage des »Kosova Information Center«, sondem lediglich um den Auszug aus einem Resolutionstext handelt, den die Delegiertenversammlung des Internationalen PEN-Kongresses vom 6. bis 11. September 1993 in Santiago de Compostela beschlossen haben soll. Außerdem hätte sich das Berufungsgericht mit dem inhaltlichen Aussagewert und der Überzeugungskraft einer derartigen pauschalen Mitteilung auseinandersetzen müssen (vgl. zu einer ähnlichen Rundfunkmeldung VGH BW, EZAR 043 Nr. 2). Im übrigen hätte es beispielsweise nahegelegen, den Bericht des Sonderberichterstatters der UN-Menschenrechtskommission vom 10. Februar 1993 (und die diesem vorausgegangenen Berichte) bei der Tatsachenermittlung und Beweiswürdigung nicht nur im Hinblick auf die dort mitgeteilten diskriminierenden Gesetzesmaßnahmen, sondem auch daraufhin zu untersuchen und auszuwerten, ob sich ihm sonstige Anhaltspunkte für eine ethnische Gruppenverfolgung entnehmen lassen. Die Tatsache, daß in diesem Bericht eine allgemeine ethnische Verfolgungssituation, die Leben, körperliche Unversehrtheit und persönliche Freiheit aller Albaner in Frage stellt, nicht erwähnt ist, hätte das Berufungsgericht bei einer so wichtigen und auf vergleichsweise breiten Ermittlungen beruhenden Erkenntnisquelle verarbeiten müssen.

Die einseitige Auswertung wichtiger Erkenntnisquellen verstößt gegen das Gebot der erschöpfenden Aufarbeitung des eingeführten Tatsachenmaterials und damit gegen die Pflicht zur vollständigen Sachverhaltserfassung aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Ähnlich verhält es sich mit dem vom Bundesbeauftragten zu Recht vermißten Eingehen auf die - wenn auch pauschale - Einschätzung des Auswärtigen Amtes in seiner die vorangegangenen Lageberichte ergänzenden Auskunft vom 5. 7. 1993 an den VGH BW, wonach dem Auswärtigen Amt von einer ethnischen Gruppenverfolgung aller Albaner im ler Kosovo nichts bekannt sei. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts beruht mithin auf einer nicht tragfäbigen - zu undifferenzierten und deshalb unvollständigen - Tatsachengrundlage; das verletzt § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Soweit das OVG im Rahmen seiner Feststellungen zur Verfolgungsdichte von der Annahme ausgeht, daß die Zahl der tatsächlich erfolgten Übergriffe auf Albaner im Kosovo noch höher sei als die Zahl der berichteten Vorfälle, beruht auch diese auf einem Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO. Zwar wird das volle Ausmaß der Verfolgung in einem Land oft erst im nachhinein bekannt; die Annahme, daß es trotz der Beobachtung der Menschenrechtslage im Kosovo durch zahlreiche Organisationen eine erhebliche »Dunkelziffer« bisher nicht bekannter Übergriffe gäbe, hätte aber gleichwohl in nachvollziehbarer und nachprüfbarer Weise begründet werden müssen, was nicht geschehen ist.

Das angefochtene Urteil ist ferner nicht frei von Rechtsfehlern, soweit es die Zielgerichtetheit der Verfolgungsmaßnahmen in Anknüpfung an die Ethnie der albanischen Volkszugehörigkeit im Kosovo untersucht. Es mangelt an einer tragfähigen Grundlage für die Annahme, daß ethnische Albaner »in der Regel allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit Opfer von Angriffen auf ihre körperliche Integrität« würden. Den hierzu herangezogenen Lageberichten des Auswärtigen Amts läßt sich dies nach dem vom Berufungsgericht mitgeteilten Inhalt nicht entnehmen. Für die anschließend vom Berufungsgericht vorgenommene Würdigung, aus dem vorliegenden Erkenntnismaterial ergebe sich, daß die serbischen Sicherheitsbehörden gegenwärtig ethnische Albaner in erster Linie wegen ihrer Volkszugehörigkeit auf den pauschalen vorgeblichen Verdacht der separatistischen Betätigung hin malträtierten und verfolgten, fehlt es an hinreichenden Tatsachenfeststellungen und einer nachvollziehbaren Begründung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Bezugnahme auf den. bereits erwähnten Bericht der französischen Kommission »Justiz und Gerechtigkeit« ist ohne nähere Auseinandersetzung für eine solche Würdigung ebensowenig ausreichend wie der Hinweis auf weitere Auskünfte des Auswärtigen Amts. Weder das nach diesen Auskünften bestehende »Klima der Rechtsunsicherheit und Oppression für alle ethnischen Albaner« noch die Auskunft, daß »albanische Volkszugehörige auch auf Verdacht hin als Separatisten« verfolgt würden, soweit sie sich politisch betätigten, und daß dabei »so gut wie jeder Handlung ein politischer Bezug unterstellt« werde, erlauben die gezogene Schlußfolgerung, zumal eine Auseinandersetzung mit den weiteren Aussagen in den Lageberichten des Auswärtigen Amts sowie mit der bereits erwähnten, unverwertet gebliebenen Auskunft vom 5. Juli 1993 an den VGH BW unterblieben ist. Inwiefern den weiter - wiederholend - zitierten Berichten über Mißhandlungen bei Hausdurchsuchungen und Polizeiverhören eine Aussage über die Anknüpfung an die albanische Volkszugehörigkeit zu entnehmen sein soll, wird nicht dargelegt und ausgeführt. Es genügt auch nicht, wenn dem Berich von amnesty international vom Juni 1992 lediglich entnommen wird, daß »polizeiliche Mißhandlungen an ethnischen Albanern mit rohesten Formen rassistischer verbaler Beleidigungen einhergehen«, ohne mitzuteilen und zu bewerten, ob sich diese Aussage nur auf die in diesem Bericht -behandelten Einzelfälle von Folterungen erstreckt oder eine gängige Praxis der Polizei darstellt und woraus sich das ergeben soll.

Die vom Berufungsgericht schließlich konstatierte »Überlagerung praktisch jeder - auch unpolitischen - Handlung eines Albaners durch den ethnischen Aspekt« ist weder durch entsprechendes Tatsachenmaterial belegt noch sonst nachvollziehbar aus den angeführten Erkenntnismaterialien abgeleitet. Insofern hätte es auch der Darstellung zumindest der wesentlichen Gesichtspunkte dafür bedurft, weshalb das Berufungsgericht eine dem Urteil des VGH BW (EZAR 043 Nr. 2) vorn 2. September 1993 entgegenstehende Beweiswürdigung vorgenommen hat. Der VGH BW hat in diesem Urteil nämlich ausführlich dargelegt und belegt, daß in den - auch im Ausgangsverfahren herangezogenen -Quellen nur vereinzelt von Übergriffen berichtet wird, die den Schluß zulassen könnten, sie richteten sich allein gegen die albanische Volkszugehörigkeit der Betroffenen (unter Hinweis auf zwei solcher Fälle in einem Bericht von amnesty international vom 2. Februar 1993 und elf Fälle nach einem Zeitungsbericht vom April 1992). Die Ausführungen des Berufungsgerichts zu seiner abweichenden Beweiswürdigung genügen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Frage für die Annahme einer ethnischen Gruppenverfolgung nicht dem Begründungserfordernis des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

Das Berufungsurteil muß hiernach aufgehoben werden; die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO). Bei der erneut vorzunehmenden Prüfung, ob für alle ethnischen Albaner im Kosovo die Gefahr einer Gruppenverfolgung besteht, wird das OVG zusätzlich die inzwischen vorliegenden Erkenntnismittel berücksichtigen und dabei die nunmehr auch in zahlenmäßiger Hinsicht detaillierteren Berichte über das Verfolgungsgeschehen im Kosovo verwerten können. Die im Berufungsurteil erwähnten »ungeklärten Vorfälle« und »serbischen Überfallaktionen« könnten ferner Anlaß geben, auch die Gefahr einer mittelbaren Gruppenverfolgung durch mittlerweile wohl verstärkt auftretende paramilitärische serbische Einheiten und Banden zu prüfen (vgl. hierzu etwa VGH BW, EZAR 043 Nr. 2 und HessVGH, U.v. 25. 3. 1994 - 13 UE 2185/91 -). Außerdem wird sich das Berufungsgericht mit der zwischenzeitlich vorliegenden Rspr. anderer OVG auseinandersetzen müssen (vgl. eine Gruppenverfolgung bejahend: HessVGH, U.v. 25. 3. 1994; Schleswig-Holsteinisches OVG, U.v. 18. 2. 1994 - 3 L 84/91 -; verneinend: VGH BW, U.v. 21. 1. 1994 - A 14 S 1959/93 -, v. 25. 3. 1994 - A 14 S 2105/93 - u. v. 20. 5. 1994 - A 14 S 91/94 -; OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 8. 11. 1993 - 13 A 2486/92.A -, v. 13. 12. 1993 - 13 A 2982/92.A -, v. 8. 3. 1994 - 13 A 3796/93.A -, v. 25. 5. 1994 - 13 A 3684/93.A - u. v. 21. 6. 1994 - 13 A 4205/93.A - u. - 13 A 4265/93.A -; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 8. 3. 1994 -7 A 11535/91 -).

Sollte das Berufungsgericht wiederum zu dem Ergebnis kommen, daß die Albaner im Kosovo gruppenverfolgt sind, so wird es die Frage der inländischen Fluchtalternative erneut prüfen müssen. Zu ihrer Beantwortung reicht die »bündige« -nicht näher begründete - Verneinung in mehreren Lageberichten des Auswärtigen Amts ebensowenig aus wie die darin enthaltene Feststellung von Diskriminierungen für »Kreise mit starkem albanischen Bevölkerungsanteil außerhalb des Kosovo«. Damit ist weder eine asylrelevante Verfolgungsgefahr außerhalb des Kosovo noch eine solche im gesamten restlichen Staatsgebiet nachvollziehbar dargetan. Nicht nachvollziehbar ist ferner, wieso sich aus den Zielen der serbischen Regierung eine Zugriffsgefahr für ethnische Albaner außerhalb des Kosovo ergeben soll. Dies würde voraussetzen, daß die serbische Regierung tatsächlich entweder die Ausrottung aller Albaner oder ihre Vertreibung aus dem gesamten Staatsgebiet betreiben würde; hierzu fehlt es indessen an entsprechenden Feststellungen. Im übrigen spricht die Tatsache, daß nach den verwerteten Lageberichten des Auswärtigen Amts die Albaner außerhalb des Kosovo relativ unbehelligt leben können - und lediglich in Kreisen mit größerem albanischen Bevölkerungsanteil Diskriminierungen ausgesetzt sind., gerade gegen solche Gefahren. Im Ansatz zu Recht rügt der Bundesbeauftragte ferner, daß bei der Prognose künftiger Verfolgungssicherheit jedenfalls nicht ohne weiteres ein »Massenexodus« von Albanern aus dem Kosovo in andere Landesteile mit der Folge sich »verschärfender Verhältnisse« unterstellt werden darf. Ob im Einzelfall mit einer geringeren oder stärkeren »Abwanderung« zu rechnen ist, entzieht sich einer verallgemeinernden Betrachtung. Ohne besondere Anhaltspunkte jedenfalls kann dies nicht unterstellt und zur Grundlage einer realitätsgerechten Prognose gemacht werden. Auch soweit das Berufungsgericht angenommen hat, den Kl. drohe außerhalb des Kosovo bei generalisierender Betrachtung auf unabsehbare Zeit nur ein Leben unter dem Existenzminimum, fehlt es hierfür an hinreichenden Tatsachenfeststellungen. Allein unter Hinweis auf die in ganz Rest-Jugoslawien bestehende Massenarbeitslosigkeit und die regelmäßige Verknüpfung von Arbeitsplatz und Wohnung kann dies nicht begründet werden. Es müßte vielmehr festgestellt werden, daß der serbische Staat generell nicht in der Lage oder willens ist, Albaner aus dem Kosovo in anderen Landesteilen aufzunehmen und mit dem für das Leben Notwendigen zu versorgen. Nur wenn sich bei einem Vergleich der Lebensverhältnisse im Kosovo und in anderen Landesteilen Rest-Jugoslawiens ergeben sollte, daß die Kl. im gesamten Land gleichermaßen ein Leben unter dem Existenzminimum zu erwarten hätten, käme es auf die hierzu vom Bundesbeauftragten weiter aufgeworfene Rechtsfrage an, ob unter solchen Umständen eine inländische Fluchtaltemative ausscheidet. Dagegen sprechen könnte, daß nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 80, 315 = EZAR 201 Nr. 20) eine inländische Fluchtaltemative wegen existentieller Gefährdung wohl nur dann ausscheidet, wenn diese am Herkunftsort so nicht bestünde. Für das weitere Verfahren weist der Senat ferner auf folgendes hin: Das Berufungsgericht hat bisher den Vortrag der Kl. vor dem Bundesamt als richtig behandelt, sie seien ethnische Albaner aus dem Kosovo und gehörten deshalb zu dem nach seiner Auffassung von Gruppenverfolgung bedrohten Personenkreis. Nach dem Inhalt der vorliegenden Akten ist aber zweifelhaft, ob die Kl. tatsächlich vor ihrer erneuten Einreise in das Bundesgebiet im Kosovo gelebt haben; vielmehr spricht einiges dafür, daß sie sich bis zu ihrer Ausreise 1986 in T., der Hauptstadt Montenegros, aufgehalten haben. Das ergibt sich vor allem aus den Ausweispapieren der KI., den Angaben zur letzten Heimatanschrift im Asylantrag vom Dezember 1986 und den -202 Nr. 25 Verfolgungsmaßnahmen Angaben vor der Ausländerbehörde zum Geburtsor T. für alle Kinder (Kl. zu 3 bis 7). Der bei der Einreise in das Bundesgebiet Ende November 1986 von der Klin. zu 2 benutzte Paß ist im April 1985 in T. ausgestellt und gibt als Wohnsitz T. an. Diesen Paß hatte die Klin. zu 2 bereits bei ihrer Einreise und Asylantragstellung im Oktober 1985 vorgelegt. Nur der von der Klin. zu 2 vor ihrer Heirat benutzte Reisepaß von 1980 war in P./Kosovo ausgestellt. Auch der Personalausweis des Kl. zu 1, den dieser im zugrundeliegenden Asylverfahren vorgelegt hat, ist am 10. Oktober 1986 in T. mit dortigem Wohnsitz ausgestellt. Da der Kl. zu 1 diesen Ausweis erst kurze Zeit vor seiner Ausreise im November 1986 hat ausstellen lassen, erscheint es wenig wahrscheinlich, daß er damals in P. oder B./Kreis P. im Kosovo seinen Wohnsitz und ständigen Aufenthalt gehabt haben soll. Hinzu kommt, daß sämtliche Kinder der Kl. zu 1 und 2 nach ihren Angaben zwischen 1980 und 1986 - der Kl. zu 7 am 13. Oktober 1986 - in T. geboren sein sollen. Das Berufungsgericht wird deshalb die Angaben der Kl. vor dem Bundesamt, sie hätten sich nach ihrer Ausreise aug dem Bundesgebiet 1982 in P. (so die Klin. zu 2) oder B. (so der Kl. zu 1) aufgehalten, überprüfen müssen.

Sollte das Berufungsgericht im Ergebnis einen Asylanspruch der Kl. nach Art. 16a Abs. 1 GG verneinen, so wird es die bisher - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - unterlassene Prüfung nachzuholen haben, ob dem Kl. zu 1 wegen seines Vortrags über eine exilpolitische Betätigung als Mitglied der »Liga der albanischen Treue« Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AusIG zu gewähren ist.

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