Bundesverfassungsgericht

Beschluß vom 19.7.1990 - 2 BvR 2005/89

Leitsätze der Redaktion:

1.         Zu den Voraussetzungen, unter denen nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstä ben eine Klage gegen eine nach 55 14 Abs. 1, 10 Abs. 2 Asylverfahrensgesetz verfügte Abschiebungsandro hung als offensichtlich unbegründet abgewiesen wer den darf.

2.         Die Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet im Sinne von 5 32 Abs. 6 Satz 1 Asylverfahrensgesetz setzt in einem besonders 6trengen Sinne voraus, daß alle Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung erschöpft sind.

3.         Zur Zulässigkeit einer lediglich im Wege des Freibeweises erfolgenden Feststellung de? Echtheit von Urkunden.

Sachverhalt: Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Auf seine Verfassungsbeschwerde hin wurde durch einstimmigen Beschluß der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts - in der Besetzung durch die Richter Böckenförde, Kruis und Franßen - das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 29.8.1989 - AN 2 K 89.32973 -wegen Verletzung des Grundrechts aus Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes aufgehoben. Die Sache wurde an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Dem Freistaat Bayern wurde auferlegt, dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Aus den Gründen:

»A.       Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Beurteilung einer Klage gegen eine auf einen Asylfolgeantrag hin ergangene ausländerbehördliche Abschiebungsandrohung als im Sinne von § 32 Abs. 6 Satz 1 AsylVfG offensichtlich unbegründet.

I.          Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Bereits im Jahre 1980 hatte er mit der Begründung, er sei in der Türkei als Kurde von der Polizei bedrängt worden, in der Bundesrepublik Deutschland um Asyl nachgesucht, seinen Asylantrag jedoch zurUckgenommen; 1981 war er in die Türkei zurückgekehrt.

1988 reiste der Beschwerdeführer mit Ehefrau und Kindern erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er beantragte wiederum Asyl, diesmal mit der Begründung, die Soldaten hätten gewollt, daß er Dorfschützer werde; dies habe er aus Angst vor Übergriffen der Terroristen abgelehnt. Die Soldaten hätten ihn wegen seiner Weigerung geschlagen und immer wieder gefoltert. Deswegen sei er mit seiner Familie geflohen. In dem um seine Asylanerkennung geführten Verwaltungsrechtsstreit machte der Beschwerdeführer u. a. geltend, er habe bis zu seiner Ausreise mit verschiedenen kurdischen Parteien, darunter der PKK, zu tun gehabt und an deren Veranstaltungen teilgenommen sowie Plakate geklebt. Dieses Asylverfahren wurde im Dezember 1988 ohne Erfolg für den Beschwerdeführer rechtskräftig abgeschlossen.

Im Februar 1989 stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag unter Hinweis auf den >Zusatz vom 21. Oktober 1988 zu einer Anklageschrift vom 25. April 1988, den er Ende Januar 1989 erhalten habe. In jener Urkunde wird dem Beschwerdeführer >Mitgliedschaft in der verfassungswidrigen PKK und aktive Tätigkeit, gefälschte Identität zur Last gelegt und ist davon die Rede, der Beschwerdeführer sei >mit der Verordnung und dem Parteiprogramm festgenommen worden, er werde wegen Verdacht immer noch gesucht, >an der in dem Art. 125 des Türkischen Strafgesetzbuches erwähnten Anklage (bestehe) kein Zweifel, >die Angeklagten (seien Räuberbanditen, >der Angeklagte B. A. (sei) gemäß... (es folgen Bestimmungen des Türkischen Strafgesetzbuchs, Art. 125 TStGB ist darunter nicht erneut aufgeführt) >zu bestrafen.

Die Ausländerbehörde stufte den Folgeantrag als unbeachtlich ein und forderte den Beschwerdeführer unter Abschiebungsandrohung zur Ausreise auf: Das vorgelegte Beweismittel sei für den mit dem Folgeantrag beabsichtigten Zweck nicht geeignet, denn das Schriftstück vorn 21. Oktober 1988 sei lediglich ein Zusatz zu einer bereits vorher ergangenen Anklageschrift und enthalte keinerlei weitere asylrelevante Gründe, sondern beziehe sich auf den Tatbestand der abgeschlossenen Verfahren und deren Begründungen.

Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Klage vor dem Verwaltungsgericht; er legte das Original der angeblichen Anklageschrift vom 25. April 1988 vor, welches ihm erst Mitte Mai 1989 aus der Türkei zugesandt worden sei.

In der mündlichen Verhandlung lehnte das Verwaltungsgericht u. a. einen Antrag des Beschwerdeführers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens und einer amtlichen Auskunft zur Frage der Echtheit der vorgelegten Anklageschrift und des Zusatzes zu ihr ab, weil zum Gegenstand des Verfahrens bereits eine Sachverständigenauskunft gemacht worden sei, eine weitere Sachverständigenbekundung somit nicht mehr nötig und demgemäß >die im Errnessen stehende weitere Sachverständigeneinholung willkürfrei bgelehnt werde. Das Verwaltungsgericht wies nach Ablehnung von Beweisanträgen u. a. zur Frage der Echtheit der vorgelegten Anklageschrift nebst Zusatz die Klage durch Urteil vom 29. August 1989 als offensichtlich unbegründet ab. Dies ist im wesentlichen wie folgt begründet:

>Die Ablehnung des Asylantrages sei >evident rechtäßig, der Beschwerdeführer besitze >keinen streitgegenständlichen Verpflichtungsanspruchc, dieses Ergebnis dränge sich. der Kammer geradezu auf. Wennder Asylsuchende bereits ein oder mehrere Asylver fahren erfolglos abgeschlossen habe, könne >ein erneu ter Asylantrag als Asylfolgeantrag nur unter den Vor aussetzungen des § 14 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1-3 VwVfG Erfolg haben; nach diesen Grund sätzen habe der Beschwerdeführer >keinen Asylan spruch. Er könne keine neuen Vor- und Nachflucht gründe geltend machen, ihm sei die Rückkehr in sein Heimatland zuzumuten. Der Asylfolgeantrag könne>eindeutig keinen Erfolg habew; insbesondere habe der Beschwerdeführer weder neue Tatsachen schlüssig vorgetragen noch neue Beweismittel vorgelegt, die eine für ihn günstigere Entscheidung hätten herbei führen können. Die in Gestalt der angeblichen Ankla geschrift und des Zusatzes zu ihr vorgelegten Beweis mittel seien >eindeutig gefälscht. Zweifel hinsichtlich der Echtheit der überreichten SchriftstUcke ergäben sich dabei allein schon aus dem zeitlichen Zusammen hang zwischen Erstellung der Anklageschrift angeb lich am 25. April 1988 unmittelbar nach der Ausreise des Beschwerdeführers, obwohl die Tatzeit laut dem Schriftstück bereits der 23. Juni 1986 gewesen sein solle. Hinzu komme, daß zunächst der Zusatz vom 21. Oktober 1988 vorgelegt worden sei; erst nachdem die Ausländerbehörde in ihrem Bescheid gerügt habe, daß es sich nur um den Zusatz zu einer bereits früher ergangenen Anklageschrift handele, sei die angebliche Anklageschrift vorgelegt worden. Weitere erhebliche Zweifel ergäben sich daraus, daß der Beschwerdefüh rer einen Paß erhalten habe und-ihm die legale Aus reise über den Flughafen möglich gewesen sei, obwohl er angeblich seit Jahren Aktivitäten für die PKK öf fentlich entfaltet habe und deswegen auch die Ankla geschrift ergangen sein solle. Gegen die Richtigkeit seiner Angaben spreche weiter, daß der Beschwerde führer im Folgeverfahren abweichende Angaben hin sichtlich der Art und des Umfanges der unterstützten Organisation gemacht habe und seinen Vortrag inso fern auch erheblich gesteigert habe. Gegen tatsächliche Aktivitäten des Beschwerdeführers für die PKK und andere kurdischen Organisationen spreche weiter die Tatsache, daß der Beschwerdeführer behauptet habe, er sei sogar aufgefordert worden, Dorfschützer zu werden, was zeige, daß der türkische Staat zumindest damals von der absoluten Loyalität des Beschwerde führers ausgegangen sei. Dieser Hintergrund spreche nun ebenfalls gegen die Echtheit der vorgelegten An klageschrift und des angeblichen Zusatzes hierzu, ins besondere aber zeige der sowohl im Zusatz als auch in der Anklageschrift enthaltene Vortrag, der Beschwer deführer sei bereits verhaftet, bei der Verhaftung habe er das Parteiprogramm der PKK mit sich geführt, daß es sich eindeutig um eine Fälschung handele. Abgese hen davon, daß höchst zweifelhaft sei, ob die gewalttä tige und kriminelle Untergrundorganisation PKK über ein schriftliches Parteiprogramm verfüge, wel ches Sympathisanten wie der Beschwerdeführer dann bei sich führen könnten, zeige doch dieser Passus in der angeblichen Anklageschrift, daß sie und der Zu satz zu ihr auf Bestellung und allein für das Asylverfahren des Beschwerdeführers angefertigt worden seien. Hierfür spreche auch die Tatsache, daß zwischen angeblicher Anklageschrift und Zusatz Diskrepanzen hinsichtlich des vom Beschwerdeführer besonders hervorgehobenen Art. 125 TStGB bestünden, da dieser Paragraph in der Liste der anzuwendenden Strafvorschriften z. B. gar nicht aufgeführt, im Text dagegen erwähnt werde. Ein weiteres gewichtiges Argument gegen die Echtheit der Anklageschrift sei die Tatsache, daß derartige interne und nur im Behördenverkehr benutzte Schriftstücke auch in der Türkei nicht an Verwandte, Bekannte oder Freunde des Verfolgten übergeben würden. Dies werde bestätigt durch die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11. August 1989 an das Verwaltungsgericht Koblenz, wo ebenfalls festgestellt werde, daß auch in der Türkei die Übergabe von Haftbefehlen an Verwandte Gesuchter nicht üblich sei, so daß daraus auf ein entsprechendes Verfahren für die Anklageschriften in der Türkei geschlossen werden könne. Die letzten Zweifel daran, daß es sich bei beiden Urkunden nur um Fälschungen handeln könne, würden aber durch das Verhalten des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau im Zusammenhang mit der Vorlage der Urkunden beseitigt. So habe der Vertreter des Beschwerdeführers beide Schriftstücke im Original übersandt (den Zusatz an die Ausländerbehörde und die eigentliche Anklageschrift selbst an das Gericht), gleichwohl habe die Ehefrau des Beschwerdeführers bei ihrer Anhörung vor dem Bündesamt behauptet, das von ihr dort vorgelegte Schriftstück sei das Original der Anklageschrift, wie sie es aus der Türkei bekommen habe; schließlich habe der Beschwerdeführer selbst in der mündlichen Verhandlung erklärt, er habe überhaupt keine Originale, sondern nur eine Ablichtung der Originalanklageschrift erhalten, was aber im Hinblick auf die von seinen Prozeßbevollmächtigten im Original vorgelegten Schriftstücke ersichtlich nicht der Fall sei. Aus alledem ergebe sich nach Überzeugung der Kammer eindeutig, daß es sich bei den- vorgelegten Schriftstücken keinesfalls um eine echte Anklageschrift einer türkischen Staatsanwaltschaft gegen den Beschwerdeführer handele, sondern daß sowohl die angebliche Anklageschrift als auch der entsprechende Zusatz Fälschungen bzw. Gefälligkeitsschreiben darstellten, die keinen Beweiswert entfalten könnten. Im übrigen würde eine Verwendung der entsprechenden Urkunden als Beweismittel auch daran scheitern, daß die darin aufgestellten Tatsachen vorher vom Beschwerdeführer nie behauptet worden seien.

Die Überzeugung, daß der Beschwerdeführer nicht vor einem türkischen Gericht bzw. durch eine türkische Staatsanwaltschaft wegen Verdachts der Mitgliedschaft in oder der Tätigkeit für die PKK angeklagt sei, habe sich aus der Inaugenscheinnahme der Schriftstücke, mit denen dies habe dokumentiert werden sollen, aus der Würdigung ihres Inhalts sowie aus der Verwertung der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Auskünfte und Gutachten ergeben. Eine weitere Einholung von Gutachten sei insofern nach Überzeugung der Kammer eindeutig nicht notwendig gewesen, da kein Zweifel an dem gefundenen Ergebnis bestanden habe und nicht ersichtlich wäre, inwiefern weitere Stellen zusätzliche Erkenntnisse hinsichtlich der Frage der Echtheit der Urkunden liefern sollten.

Eine Asylberechtigung bestehe auch nicht aufgrund kurdischer Volkszugehörigkeit.

Auch die Klage gegen die Ausreiseverfügung und Abschiebungsandrohung sei >eindeutig offensichtlich unbegründet, da dem Beschwerdeführer keinerlei Maßnahmen von seiten des türkischen Staates drohten.

II.          Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Be schwerdeführer die Verletzung von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG: Das Verwaltungsgericht habe unter Verstoß gegen die ver fassungsrechtlich garantierte Verfahrensweise bei der Behandlung von Folgeanträgen nach dem Asylverfah rensgesetz nicht über die Anfechtung des ausländerbe hördlichen- Bescheides, sondern über den Asylan spruch des Beschwerdeführers entschieden. In seinen Ausführungen zur Echtheit der vorgelegten Urkun den stütze sich das Verwaltungsgericht ausschließlich auf Indizien, die zudem teilweise auf unzutreffenden Tatsachenfeststellungen beruhten: Das Verwaltungs gericht lege nicht dar, warum der zeitliche Zusammen hang zwischen Erstellung der Anklageschrift, Aus reise und Tatzeit gegen die Echtheit der Urkunden sprechen solle. Warum die Anklageschrift erst nach deren Zusatz vorgelegt worden sei, habe er schriftsätz lich dargelegt. Die Ausführungen des Verwaltungsge richts zu dem - mit den Worten des Verwaltungsge richts - >in der Anklageschrift enthaltenen Vortrag, der (Beschwerdeführer) sei bereits verhaftet, bei der Verhaftung habe er das Parteiprogramm der PKK mit sich geführt, beruhe auf unzutreffenden Tatsachen, da in der Anklageschrift zwischen Angeklagten, die sich bereits in Haft befänden, und solchen unterschieden sei, die - wie der Beschwerdeführer - noch gesucht würden. Völlig unverständlich sei, wie das Verwal tungsgericht zu der Feststellung habe kommen kön nen, Art. 125 TStGB sei in der Liste der anzuwenden den Strafvorschriften in Anklageschrift und Zusatz nicht erwähnt; das Gegenteil sei der Fall. Bei der Erör terung in der mündlichen Verhandlung, ob es sich bei den aus der Türkei übersandten Urkunden um >Origi nale handele, seien der Beschwerdeführer und seine Ehefrau überfordert gewesen. Unzutreffend sei auch die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Be schwerdeführer habe die in den Urkunden genannten Tatsachen nie behauptet. Vielmehr habe er u. a. aus weislich des Tatbestandes des angegriffenen Urteils im Erstverfahren seine Aktivitäten für die PKK vorgetra gen und im übrigen auch dargelegt, daß nicht alle in der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe zuträfen und er sich insbesondere nie an bewaffneten Aktionen der PKK beteiligt habe.

Auch soweit das Urteil sich mit Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung befasse, genüge es den an eine Klageabweisung als offensichtlich unbegründet zu stellenden Anforderungen nicht.' Das Verwaltungsgericht gehe nicht auf die unter Beweis gestellte Tatsache ein, daß einer der ebenfalls in der Anklageschrift genannten Angeklagten gefoltert worden und schließlich zu Tode gekommen sei.

Den die Echtheit der vorgelegten Urkunden betreffenden Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, einer gutachterlichen Stellungnahme von amnesty international und einer Auskunft des Auswärtigen Amtes habe das Verwaltungsgericht abgelehnt, weil - mit den Worten des Verwaltungsgerichts - >zum Gegenstand des Verfahrens bereits eine Sachverständigenauskunft gemacht worden, eine Sachverständigenbekundung nicht mehr nötig sei, somit die im Ermessen stehende weitere Sachverständigeneinholung willkürfrei abgelehnt werden (könne). In Wirklichkeit habe das Verwaltungsgericht aber kein einziges Gutachten herangezogen und in der Entscheidung verwertet, das die Echtheit der vorgelegten Urkunden zum Gegenstand gehabt hätte. Das Gericht habe im sofortigen Anschluß an die Verkündung der Ablehnung dieses Beweisantrags - wie auch anderer Beweisanträge - >in einem Atemzug sein Urteil verkündet; hierdurch sei ihm - dem Beschwerdeführer - verwehrt worden, dazu Stellung zu nehmen, daß ein Sachverständigengutachten zur Frage der Echtheit der vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden gerade nicht vorgelegen habe.

III.         Der Bayerische Staatsminister des Innern hat zu der Verfassungsbeschwerde dahingehend Stellung genommen, die Rüge, daß das Verwaltungsgericht nicht über die Beachtlichkeit des Folgeantrags, sondern über den Asylanspruch als solchen entschieden habe, führe zu keiner Rechtsverletzung zum Nachteil des Beschwerdeführers. Indem es das Asylbegehren materiellrechtlich prüfe, gewähre das Verwaltungsgericht dem Beschwerdeführer ein Mehr an Rechtsschutz, als er ihm aufgrund der Einstufung seines Folgeantrags als unbeachtlich zustehen würde. Überdies behalte diese Prüfung Gewicht für die rechtliche Überprüfung der Ausreiseaufforderung unter dem Gesichtspunkt, ob dem Ausländer ungeachtet der Entscheidung über den Asylantrag der Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen sei.

B.         Die - zulässige - Verfassungsbeschwerde ist im Sinne von 5 93b Abs. 2 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet.

1.         Das angegriffene Urteil wird den Anforderungen nicht gerecht, die zur Gewährleistung des Asylgrundrechts an die Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet zu stellen sind. Da eine solche Abweisung gemäß 5 32 Abs. 6 und 8 AsylVfG die Unanfechtbarkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils

zur Folge hat, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG aber geeignete Vorkehrungen gegen die Gefahr unanfechtbarer erstinstanzlicher Fehlurteile fordert (vgl. BVerfGE 65, 76 (95) = InfAuslR 1984, 58), hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff der Offensichtlichkeit einer Asylklage in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin ausgelegt, daß im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des VerwaltUngsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vemünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (BVerfGE 65, 76 (95 f.); 71, 276 (293) = InfAusIR 1986, 159).

Diese Rechtsprechung gilt nicht nur für den Fall, daß Streitgegenstand des Klageverfahrens der vom Asylbewerber geltend gemachte Anspruch auf Asyl ist. Sie trifft in gleicher Weise zu, wenn ein Asylbewerber eine gemäß § 10 Abs. 2 AsylVfG erlassene Abschiebungsandrohung anficht, die deshalb ergangen ist, weil die Ausländerbehörde einen Asylfolgeantrag gemäß S 14 AsylVfG als unbeachtlich angesehen hat. Hat eine solche Klage Erfolg, weil das Verwaltungsgericht den Folgeantrag als beachtlich ansieht, so hat dies zur Konsequenz, daß eine sachliche Prüfung des § durch das hierfür zuständige Bundesamt erfolgen muß; wird dagegen die Klage abgewiesen, so kommt dies in der Sache einer Asylablehnung gleich (vgl. BVerfGE 56, 216 (241) = InfAusIR 1981, 152 für die seinerzeit zu beurteilende ausländerbehördliche Mißbrauchsprüfung).

2.         Die Voraussetzungen, unter denen nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben eine Klage gegen eine nach 5 14 Abs. 1, § 10 Abs. 2 AsylVfG verfügte Abschiebungsandrohung als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden darf, sind hier nicht erfüllt.

a)         Die Offensichtlichkeitsfeststellung des Verwaltungsgerichts genügt schon in formaler Hinsicht nicht verfassungsrechtlichen Anforderungen. Für die erforderliche besondere Begründung dafür, weswegen die Klage als offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, genügt nicht schon ein bloß formelhafter Hinweis auf dieses Ergebnis im Tenor oder in den Entscheidungsgründen (BVerfGE 65, 76 (96); 71, 276 (293)). Das Verwaltuneseericht hat sich zur Begründung der OffensichtliAeit auf die Feststellung beschränkt, ihm >dränge sich... geradezu auf, daß der Beschwerdeführer >keinen streitgegenständlichen Verpflichtungsanspruch (besitze>, und sich im übrigen mit dem Hinweis begnügt, daß bestimmte, von ihm gewonnene rechtliche oder tatsächliche Erkenntnisse >eindeutig oder >evident seien; dies geht nicht über eine mit anderen Worten ausgedrückte Wiederholung des Merkmals >offensichtlich als gesetzlicher Voraussetzung für eine zum Rechtsmittelausschluß nach S 32 Abs. 6 Satz 1 AsylVfG führende Entscheidung hinaus, ist allenfalls eine Andeutung der hierzu von der Rechtsprechung entwickelten abstrakten Kriterien und stellt also insbesondere nicht die erforderliche detaillierte Auseinandersetzung mit den materiellen Kriterien des Offensichtlichkeitsbegriffs anhand der Umstände des konkreten Falles dar.

b)         Auch inhaltlich hält die Offensichtlichkeitsfeststellung verfassungsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht es als einen möglichen Fall offensichtlicher Unbegründetheit einer Asylklage im Sinne des S 32 Abs. 6 Satz 1 AsylVfG anerkannt, wenn sich die behauptete Verfolgungsge fahr allein aus nachweislich gefälschten oder wider sprüchlichen Beweismitteln ergibt (BVerfGE 65, 76 (97)). Vorliegend ging es jedoch nicht um die Beurtei lung einer Asylklage, sondern einer Klage gegen eine auf Folgeantragstellung hin ergangene aufenthaltsbe endende Maßnahme, deren Rechtmäßigkeit von der Unbeachtlichkeit des Folgeantrags im Sinne der % 14 Abs. 1 AsylVfG, 51 Abs. 1-3 VwVfG abhängt. Aller dings kann nach der verwaltungsgerichtlichen Recht sprechung auch in diesem rechtlichen Zusammenhang die Frage eine Rolle spielen, ob ein - zur Begründung des Folgeantrags vorgelegtes neues - Beweismittel ge fälscht ist (s. dazu GK-AsylVfG, S 14 Rdnr. 141) - was das Verwaltungsgericht bei den vom Beschwerde führer vorgelegten Schriftstücken für >eindeutig hält. Es kann dahinstehen, ob es allgemein anerkannter, die Annahme von Offensichtlichkeit in dem dargestellten Sinne tragender Rechtsauffassung entspricht oder so gar als völlig unproblematisch gelten kann, daß zu ei ner solchen Feststellung immer auch schon die Aus länderbehörden im Folgeantragsverfahren zuständig sind und die Prüfung der Echtheit vorgelegter Urkun den dementsprechend stets auch in den Prüfungsrah men eines Anfechtungsrechtsstreits gegen eine nach §§ 14, 10 AsylVfG ergangene ausländerbehördliche Verfügung fällt. Die Offensichtlichkeitsfeststellung des Verwaltungsgerichts ist hier jedenfalls deshalb ver fassungsrechtlich zu beanstanden, weil die Wertung, daß die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden >eindeutig gefälscht seien, nicht die für Tatsachenfest stellungen im Asylbereich erforderliche Verläßlichkeit besitzt; insbesondere haben die vom Verwaltungsge richt hierzu angestellten Ermittlungen nicht den von Verfassungs wegen erforderlichen Umfang.

In Anbetracht des mit dem Merkmal der Offensichtlichkeit zusammenhängenden Gebotes größtmöglicher Richtigkeitsgewähr (vgl. BVerfGE 65, 76 (96)) durfte das Verwaltungsgericht die vom Beschwerdeführer beantragte Einholung gutachterlicher Stellungnahmen zur Frage der Echtheit der vorgelegten Urkunden nicht unter Inanspruchnahme gerichtlichen Ermessens mit der Begründung ablehnen, eine sachverständige Begutachtung sei nicht mehr nötig. Die Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet im Sinne von 5 32 Abs. 6 Satz 1 AsylVfG setzt in einem besonders strengen Sinne voraus, daß alle Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung erschöpft sind. Das Verwaltungsgericht hatte zur Frage der Echtheit der Urkunden kein Gutachten eingeholt, es hatte lediglich -im Wege des Freibeweises - eine zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachte, von einem anderen Gericht eingeholte amtliche Auskunft verwertet, wonach auch in der Türkei die Übergabe von Haftbefehlen an Verwandte Gesuchter nicht üblich sei, und hieraus auf ein entsprechendes Verfahren für die Angklageschriften in der Türkei geschlossen. Schon aus diesem Grunde lagen die Voraussetzungen nicht vor, unter denen die Einholung von >weiteren Gutachten nach der Prozeßordnung in das Ermessen des Gerichts gestellt ist (vgl. 5 98 VwGO, S 412 Abs. 1 ZPO, 5 244 Abs. 4 Satz 2 StPO). Die Ablehnung des Beweisantrags des Beschwerdeführers unterlag daher den allgemeinen Anforderungen an die Zulässigkeit der Ablehnung von Beweisanträgen.

Zwar scheint der Hinweis des Verwaltungsgerichts, es habe an dem gefundenen Ergebnis kein Zweifel bestanden und es sei nicht ersichtlich, inwiefern weitere Stellen zusätzliche Erkenntnisse hinsichtlich der Frage der Echtheit der Urkunden liefern sollten, auf die Annahme hinzudeuten, der zu dieser Frage gestellte Beweisantrag des Beschwerdeführers habe abgelehnt werden dürfen, weil unter Berücksichtigung der bereits durchgeführten Beweisaufnahme jede Möglichkeit ausgeschlossen sei, daß eine weitere Beweisaufnahme noch Sachdienliches ergeben und die bereits gewonnene gegenteilige ÜberzAgung des Gerichts erschüttern könnte (vgl. dazu Kopp, VwGO, 8. Aufl., Rdnr. 6 zu § 86). Auf die Vereinbarkeit eines solchen Standpunktes mit dem Verbot der Vorwegnahme einer Beweiswürdigung und auf die verfassungsrechtliche Bedeutung dieses Verbotes ist hier nicht einzugehen. Denn das Vorliegen einer in diesem Sinne unerschütterlichen Überzeugung hat das Verwaltungsgericht nicht dargetan; es hätte sich, ausgehend von den im Urteil bezeichneten Gründen für die Überzeugungsbildung des Gerichts, auch nicht in verfassungsrechtlich beanstandungsfreier Weise darlegen lassen: Zu Recht macht der Beschwerdeführer geltend, das Verwaltungsgericht habe die Annahme, die vorgelegten Urkunden seien gefälscht, lediglich auf Indizien wie z. B. den Hintergrund der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Asylgründe, dessen und seiner Ehefrau Verhalten im Prozeß sowie inhaltliche Ungereimtheiten wie etwa den Umstand gestützt, daß der Beschwerdeführer in beiden Urkunden als festgenommen bezeichnet werde. Abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer zutreffend vorträgt, er werde in der Anklageschrift ausdrücklich als >gesucht und damit nicht als festgenommen bezeichnet, besitzen die vom Verwaltüngsgericht angezogenen Indizien keine Eindeutigkeit in dem Sinne, daß sie im Rahmen verfassungsgerichtlicher Überprüfung als Grundlage einer richterlichen Überzeugung gelten könnten, die selbst durch eine unmittelbare sachverständige Begutachtung der ausländischen Urkunden auf ihre Echtheit hin nicht erschüttert werden könnte. Die Ablehnung des Beweisantrags läßt sich auch nicht auf die - in anderem Zusammenhang stehende - Hilfserwägung des angegriffenen Urteils stützen, eine Verwendung der Urkunden als Beweismittel würde >im übrigen auch daran scheitern, daß die darin aufgestellten Tatsachen vorher vom (Beschwerdeführer) im Erstverfahren oder auch im Folgeverfahren nie behauptet wurdem. Aktivitäten für die PKK (Teilnahme an deren Veranstaltungen, Kleben von Plakaten) hatte der Beschwerdeführer schon in dem 1988 abgeschlossenen Asylverfahren behauptet. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern es den Wahrheitsgehalt des Asylvorbringens oder die Eignung der zum Beweis für dieses Vorbringen vorgelegten Urkunden in Frage stellen könnte, daß dem Beschwerdeführer nach dem Inhalt der Urkunden (auch in der Anklageschrift ist verbotenes Anbringen von Transparenten erwähnt) Mitgliedschaft in der PKK vorgeworfen wird. Soweit dieser Vorwurf auf einen bestimmten detailliert angegebenen Sachverhalt gestützt ist (vgl. Nr. 12 der >Anklageschrift sowie die Angaben zur >juristischen und tatsächlichen Lage des Angeklagten in dem >Zusatz, zur >Anklageschrift), legt das angegriffene Urteil nicht dar, daß sich diese Angaben mit dem Asylvorbringen nicht vereinbaren ließen.

c)         Nach alledem kann offenbleiben, ob die Wertung des Verwaltungsgerichts, die Anfechtungsklage gegen die auf % 14, 10 AsylVfG gestützte Abschiebungsandrohung sei offensichtlich unbegründet, auch deshalb verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, weil das VerwaltUngsgericht statt über die Beachtlichkeit des gestellten Folgeantrags über den Asylanspruch des Beschwerdeführers befunden hat, wie dies die Verfassungsbeschwerde geltend macht und auch Ausführungen in dem angegriffenen Urteil zu einem >streitgegenstäridlichen Verpflichtungsanspruch (S. 11 des Urteils) und >Asylanspruch (des Klägers) (S. 13 des Urteils) sowie beispielsweise die Prüfung einer >Asylberechtigung... aufgrund kurdischer Volkszugehörigkeit (S. 20 des Urteils) nahezulegen scheinen.

C.         Da das Urteil des Verwaltungsgerichts das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt, war es aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BVerfGG).

Der Ausspruch über die Auslagenerstattung beruht auf S 34a Abs. 2 BVerfGG.«

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