Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 9.1.1991 - 2 BvR 935/90

Bundesverfassungsgericht

Beschluß vom 9.1.1991 - 2 BvR 935/90

Leitsätze der Redaktion:

1.         Eine unmenschliche Behandlung wie die Folter ist als solche nach Wortlaut und Sinn des Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz nicht asylerheblich. Wird sie jedoch wegen asylrelevanter Merkmale eingesetzt oder im Blick auf diese Merkmale in verschärfter Form angewendet, ist sie also nach ihrer erkennbaren Gerichtetheit auf die politische Komponente der den Betroffenen zur Last gelegten Taten bezogen, knüpft sie an die von ihm bestätigte politische Überzeugung an und ist demgemäß asylerheblich.

2.         Ist der Ausländer Opfer politischer Verfolgungsmaßnahmen in seinem Heimatland geworden und deswegen ausgereist, so bedarf er nur dann nicht des asylrechtlichen Schutzes, wenn er vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher ist oder in seinem Herkunftsstaat eine inländische Fluchtalternative bestand. Diese hinreichende Sicherheit setzt verläßliche Tatsachen voraus. Sie werden nicht in zulässiger Weise ersetzt durch die bloße Behauptung, eine Fortsetzung etwaiger Verfolgungen sei nicht ersichtlich.

Sachverhalt: Die Beschwerdeführer, eine fünfköpfige Familie, sind türkischer Staatsangehörigkeit und kurdischer Volkszugehörigkeit. Die gegen die Asylversagung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gerichteten Klagen wurden durch Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg (Einzelrichter) vom 5.12.1989 - 5 OS VG A5 594/88 - zurückgewiesen. Auf ihre Verfassungsbeschwerde hin wurde dieses Urteil durch die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgeriehts - in der Besetzung durch die Richter Böckenförde, Kruis und Franßen -wegen Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes aufgehoben. Die Sache wurde an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 13.6.1990 - 11 L 243/90 -wurde für gegenstandslos erklärt. Dem Land Niedersachsen wurde auferlegt, den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Aus den Gründen:

»I.         Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anforderungen an eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung eines Asylbegehrens, das mit erlittenen Mißhandlungen während einer Inhaftierung begründet ist.

1.         Die Beschwerdeführer, eine fünfköpfige Familie türkischer Staatsangehörigkeit und kurdischer Volkszugehörigkeit aus der Gegend um M., reisten im August 1987 aus der Türkei in die Bundesrepublik ein, um Asyl zu finden. Sie begründeten ihr Begehren ausweislich der Niederschrift über eine Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 16. Februar 1988 wie folgt:

Seit 1982 habe der Beschwerdeführer zu 1. verstanden, worum es den Freunden der PKK gehe. Er sympathisiere mit ihnen und habe sie unterstützt, indem er ihnen Lebensmittel und Kleidung gegeben und auch Nachrichten überbracht habe. An Aktionen der PKK sei er nicht beteiligt gewesen. Er wisse, daß die PKK ein eigenes Land verlange und nicht wolle, daß das Land unter der Herrschaft anderer sei. Dieses Ziel solle dadurch erreicht werden, daß das Volk (Arbeiter und Bauern) aufstehe und gemeinsam die Befreiung erreiche. Er wisse, daß die PKK >die Leute säubere, die sie verraten hätten, und sie >beseitige. Er billige aber nicht, daß man Kinder töte. Er könne nicht gut schreiben und lesen, er habe nur anderthalb Jahre die Schule besucht.

Wegen der Unterstützung der Freunde sei er erstmals im Juni 1983 für drei Monate in Haft genommen worden. Dabei sei er in der Weise gefoltert worden, daß er über Glasscherben und Salz habe gehen müssen. Nach drei Monaten hätten es die Freunde auf im einzelnen ihm nicht bekannte Art und Weise geschafft, daß er wieder freigekommen sei. Es seien Bestechungsgelder gezahlt worden und man habe seine Akten verschwinden lassen, weshalb kein gerichtliches Verfahren gegen ihn eröffnet worden sei. In der Folge habe er im wesentlichen in den Bergen gelebt. Er sei immer nur für allenfalls eine Nacht und vielleicht vierzigmal im Jahr nach Hause zurückgekehrt.

Ein Jahr später, als er nicht zu Hause gewesen sei, hätten Soldaten sein Haue gewaltsam geöffnet und ihn gesucht. Sie hätten die Ehefrau, die Beschwerdeführerin zu 2., und ein damals acht Monate altes Kind mitgenommen, und zwar unter der Drrohung, sie so lange festzuhalten, bis der Eheniann sich stelle. Sie hätten das Kind von der Mutter getrennt und auf den Beton gelegt. Die Mutter habe versucht, zum Kind zu kommen, worauf man sie mit Gewehrkolben in den Rükken geschlagen habe. Erst als, der Dorfvorsteher, ein Onkel der Beschwerdeführerin zu 2., sich für sie eingesetzt und erwähnt habe, daß der Beschwerdeführrer zu 1. in den Bergen sei, habe man die Mutter und das Kind freigelassen. Aufgrund der herrschenden Kälte sei das Kind noch auf dem Rückweg gestorben.

Im November 1985 sei der Beschwerdeführer zu 1. - zusammen mit anderen in einem Kaffeehaus - verhaftet, fünf Tage lang festgehalten und schlimm gefoltert worden. Eine Aufforderung, zum Militärdienst zu gehen, habe er damals noch nicht gehabt. Da er aber zu den einzuziehenden Jahrgängen gehört habe, habe man ihn nach der Haft zum Militärdienst geschickt. Dort habe man ihn geschlagen und ständig beobachtet. Nach seiner Entlassung im Juli 1987 sei er auf den Rat des Dorfvorstehers hin alsbald mit Hilfe eines gekauften Passes über Istanbul ausgereist. Schon vier bis fünf Tage nach, seiner Entlassung aus dem Militärdienst habe man bei ihm zu Hause nach ihm gefragt.

a)         Das Asylbegehren der Beschwerdeführer blieb beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erfolglos. Mit Bescheid vom 12. September 1988 wurden die Anträge abgelehnt. Dabei stellte das Bundesamt u. a. darauf ab, daß der türkische Staat angesichts der Terroranschläge von kurdischen Extremisten in zulässiger Weise die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrecht erhalte, ohne dabei weitergehende politische Absichten zu verfolgen. Was speziell die Verfolgungsabsicht gegenüber dem Beschwerdeführer zu 1. anlange, so spreche gegen ihre Nachhaltigkeit die Tatsache, daß er bereits drei Monate nach seiner Inhaftierung wieder freigelassen worden sei. Daß dies möglich gewesen sei, weil man seine Akte habe verschwinden lassen, sei wenig glaubhaft. Vielmehr liege die Vermutung nahe, daß der türkische Staat in dem Beschwerdeführer zu 1. keinen ernstzunehmenden politischen Gegner gesehen habe, was auch seine äußerst oberflächliche Tätigkeit für die PKK bestätige. Die zweite Inhaftierung habe offensichtlich der Einziehung zum Militärdienst gedient.

Die Maßnahmen gegen die Beschwerdeführerin zu 2. und ihr verstorbenes Kind seien ebenfalls nicht als gezielte politische Verfolgung zu werten. Die Militärrazzien im Grenzbereich der Türkei dienten der Erhaltung der Integrität des Staatsgebietes und der Abwehr der Schwerkriminalität. Übergriffe des Militärs erfolgten nicht mit Billigung der Regierung.

Selbst wenn es während der vorgetragenen Inhaftierungen der Beschwerdeführer zu 1. und 2. zu Schlägen und Folterungen gekommen sei, führe dies nicht zu ihrer Asylberechtigung. Insoweit handele es sich um menschenrechtswidrige Willkürmaßnahmen Einzelner. Amtsmißbrauch und Körperverletzung im Amt seien in der Türkei von Strafe bedroht. Es sei auch bekannt, daß in der Türkei viele Verfahren mit Bestrafungen von Folterern endeten. Die Beschwerdeführer hätten daher jederzeit die Möglichkeit gehabt, gegen ihre Mißhandlungen gerichtlich vorzugehen. Sie hätten aber nicht um Schutz nachgesucht.

Für die minderjährigen Beschwerdeführer zu 3. bis 5. seien keine eigenen Asylgründe vorgetragen worden.

b)         Das Verwaltungsgericht (Einzelrichter) gab zwar der Klage der Beschwerdeführer zu 3. bis 5. gegen entsprechende Ausreisebescheide der Ausländerbehörde statt, wies aber die aufenthaltsbezogenen Klagen der Beschwerdeführer zu 1. und 2. sowie die gegen die Asylversagung gerichteten Klagen sämtlicher Beschwerdeführer ab: Die Beschwerdeführer hätten eine politische Verfolgung vor ihrer Ausreise aus der Türkei nicht glaubhaft gemacht. Ihr Vorbringen sei teils wegen fehlender Substantiiertheit und Widersprüchlichkeit als unglaubwürdig zu betrachten, teils widersprächen die Angaben den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen.

Die Beschwerdeführer hätten selbst vorgebracht, daß sie nach ihren Verhaftungen jeweils freigelassen worden seien. Es sei nicht ersichtlich, daß der türkische Staat etwaige Verfolgungen fortsetzen wolle. Daß die Beschwerdeführer bei ihren Verhaftungen >möglicherweise gefoltert worden sind, rechtfertige nicht die Anerkennung als Asylberechtigte. Derartige Folterungen, deren Ziel es sei, den Sachverhalt strafbarer Handlungen aufzuklären, stellten zwar eine schwere Verletzung der Menschenrechte dar. Sie erfolgten >aber gleichermaßen bei politischen und nicht-politischen Delikten, wobei der türkische Staat die Folter bekämpft. Ebensowenig rechtfertige das schwere persönliche Schicksal, daß das Kleinkind zu Tode gekommen sei, eine Anerkennung. Auch insoweit habe es sich zwar um eine schwere Verletzung der Menschenrechte, aber um keine politische Verfolgung gehandelt. Das Vorbringen, der Beschwerdeführer zu 1. habe durch die Zahlung eines Bestechungsgeldes erreicht, daß die gegen ihn geführten Strafakten verschwanden, sei nicht glaubwürdig.

Die Beschwerdeführer brauchten auch nicht allein deshalb mit Verfolgung zu rechnen, weil sie Kurden seien. Die Kurden würden zwar diskriminiert, nicht aber politisch verfolgt. Auf die Gründe des Bescheides des Bundesamtes werde ergänzend Bezug genommen. Das Verwaltungsgericht ließ die Berufung nicht zu.

c)

aa)        Mit einer Nichtzulassungsbeschwerde versuchten die Beschwerdeführer, die Zulassung der Berufung zu erreichen. Zum einen sei das Gericht im Hinblick auf die vorgetragenen Foltermaßnahmen von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 81, 142 = InfAuslR 1990, 122) abgewichen. Die Beschwerrdeführer seien zum Teil mehrfach wegen der Unterstützung des Beschwerdeführers zu 1. für die PKK inhaftiert und in der Haft gefoltert worden. Ein Kind derr Besch werdeführer sei an den Folgen dieser unmenschlichen Behandlung gestorben. Die Asylerheblichkeit hätte nur verneint werden können, wenn die Inhaftierungen und Folterungen zum Zwecke der Verfolgung kiminellen Unrechts erfolgt wären, was vorliegend gerade nicht der Fall gewesen sei. Aus den erlittenen und asylerheblichen Folterungen und aus dem Umstand der Tötung des Kindes sei die Befürchtung abzuleiten, daß den Beschwerdeführern eine ähnliche Behandlung im Falle der Rückkehr in die Türkei drohe. Den Beschwerdeführern zu 3. bis 5. sei es nicht zuzumuten, der gleichen Gefhr wie der gestorbene Bruder ausgesetzt zu werden.

Zum anderen widerspreche die Auffassung des Verwaltungsgerichts zum Charakter der Maßnahmen genenüber (separstistischen) Kurden ebenfalls der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 80, 315 = InfAusIR 1990, 21). Sollte die Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mit einer Abweichungsrüge bekämpft werden können, so müsse jedenfalls Grundsatzbedeutung angenommen werden.

Soweit das Verwaltungsgericht von Widersprüchen in den Aussagen der Beschwerdeführer spreche, sei an keiner Stelle des Urteils dargelegt, worin diese liegen sollten.

bb)        Mit Beschluß vom 13. Juni 1990 wies das Oberverwaltungsgericht die Beschwerde zurück:

Die Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei kein unter § 32 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG fallender Zulassungsgrund. Auch Grundsatzbedeutung komme der Sache nicht zu. Der ständigen Senatsrechtsprechung entspreche es, daß Kurden allein wegen ihres Volkstums in der Türkei keiner Verfolgung ausgesetzt seien. Auch die Frage, ob die früheren Festnahmen der Beschwerdeführer zu 1. und 2. und die ihnen zugefügten Mißhandlungen als politische Verfolgung einzuordnen seien, bedürfe keiner weiteren grundsätzlichen Klärung. Gerade in der herangezogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 80, 315 = InfAusIR 1990, 21) sei bereits eine Abgrenzung der politischen Verfolgung von Aktionen in bestimmten Krisensituationen eines Guerilla-Bürgerkriegs vorgenommen worden. Es sei danach keine politische Verfolgung, wenn die Maßnahme dem aktiven Terroristen, dem Teilnehmer im strafrechtlichen Sinne oder demjenigen gelte, der im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten terroristischer Aktivitäten vornehme, ohne sich an diesen Aktivitäten zu beteiligen. Diese Rechtsprechung habe das Bundesverfassungsgericht bestätigt (BVerfGE 81, 142 = InfAusIR 1990, 122). Die Beschwerdeführer zu 1. und 2. unterfielen ihr, da sie selbst eingeräumt hätten, die in den Grenzgebieten der Türkei agierende terroristische PKK mit Lebensmitteln, Kleidung und Übermittlung von Nachrichten unterstützt zu haben. Der Aufklärung allein dieser Vorwürfe hätten die gegen die Beschwerdeführer getroffenen Maßnahmen gedient, die überdies nicht einmal zur Einleitung eines Strafverfahrens geführt hätten.

2.         Die Beschwerdeführer haben gegen die beiden gerichtlichen Entscheidungen Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der sie vor allem die Verletzung des Asylgrundrechts rügen.

Was die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf die vorgetragene Folter angehe, so sei bereits in der Nichtzulassungsbeschwerde darauf hingewiesen worden, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Frage der asylrechtlichen Relevanz der Folter allein der Umstand maßgeblich sei, ob sie wegen asylrelevanter Merkmale eingesetzt worden sei oder nicht, und nicht, ob mit ihr politische und nicht-politische Delikte gleichermaßen bekämpft werden sollten.

Soweit das Oberverwaltungsgericht auf den Gesichtspunkt der Unterstützung der PKK abstelle, werde dies ebenfalls den verfassungsgerichtlichen Maßstäben nicht gerecht. Das Bundesverfassungsgericht habe ausdrücklich unterschieden zwischen dem terroristischen Gewalttäter und dem insoweit Beihilfe Leistenden einerseits sowie andererseits demjenigen, der lediglich allein den politischen Kampf gegen die Staatsmacht unterstütze, ohne jedoch terroristischer Gewalttäter oder Beihelfer zu sein. Letzteres sei im Falle des Beschwerdeführers zu 1. der Fall.

3.         Der Niedersächsische Justizminister hat von einer Stellungnahme ebenso abgesehen wie das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten.

II.          Die Verfassungsbeschwerden, die sich im Hinblick auf das Urteil des Verwaltungsgerichts nur gegen dessen asylrechtlichen Teil richten, sind zulässig und im Sinne des § 93 b Abs. 2 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet.

1.         Die Beschwerdeführer haben hinreichend deutlich die Möglichkeit einer Verletzung ihrer Grundrechte vorgetragen (vgl. BVerfGE 6, 132 134>). Dies gilt auch für die Beschwerdeführer zu 3. bis 5. Zwar enthält die Verfassungsbeschwerde keine auf sie bezogenen Ausführungen. Sie bezieht sich aber ergänzend auf die Gründe der Nichtzulassungsbeschwerde. In dieser ist ausgeführt, daß es den Beschwerdeführern nicht zuzumuten sei, der gleichen Gefahr wie der gestorbene Bruder ausgesetzt zu werden. Dies läßt die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung aller Beschwerdeführer hinreichend deutlich hervortreten, zumal die angegriffenen Entscheidungen nicht oder nur ungenau die Begehren der Beschwerdeführer auseinanderhalten. So ist im angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts davon die Rede, daß die Beschwer deführer selbst vorgebracht hätten, nach ihren Verhaftungen jeweils wieder freigelassen worden zu sein, und daß sie bei ihren Verhaftungen möglicherweise gefoltert worden seien.

2.         Die verfassungsgerichtliche Überprüfung des Urteils des Verwaltungsgerichts ergibt, daß seine tatsächlichen und rechtlichen Wertungen den Anforderungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nicht gerecht werden (vgl. BVertGE 76, 143 162> = InfAusIR 1988, 87 ff.).

a)         Nach seinen Entscheidungsgründen rechtfertigt der Umstand, daß die Beschwerdeführer (wobei offenbar nur die Eltern gemeint sind, nicht aber die minderjährigen Kinder, die keine Verhaftung behaupteten) >bei ihren Verhaftungen möglicherweise gefoltert sind, nicht ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Derartige Folterungen, deren Ziel es sei, den Sachverhalt strafbarer Handlungen aufzuklären, stellten zwar eine schwere Verletzung der Menschenrechte dar. Sie erfolgten >aber gleichermaßen bei politischen und nichtpolitischen Delikten, wobei der türkische Staat die Folter bekämpft. Diese Wertung wird den Anforderungen des Asylgrundrechts nicht gerecht.

Allerdings ist eine unmenschliche Behandlung wie die Folter als solche nach Wortlaut und Sinn des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nicht asylerheblich. Wird sie jedoch wegen asylrelevanter Merkmale eingesetzt oder im Blick auf diese Merkmale in verschärfter Form angewendet, ist sie also nach ihrer erkennbaren Gerichtetheit auf die politische Komponente der dem Betroffenen zur Last gelegten Taten bezogen, knüpft sie an die von ihm bestätigte politische Überzeugung an und ist demgemäß asylerheblich (vgl. BVerfGE 81, 142 (151) = InfAusIR 1990, 122 ff.).

Die Beschwerdeführer zu 1. und 2. haben sich ausweislich des Tatbestands der angegriffenen Entscheidung darauf berufen, wegen der (vermuteten) PKK - Mitgliedschaft des Beschwerdeführers zu 1. und ihres Kurdentums mehrfach unmenschliche Behandlungen erlitten zu haben. Mithin haben sie sinngemäß die auf Asylmerkmale bezogene Gerichtetheit der Folter oder doch jedenfalls deren Verschärfung behauptet. Das Verwaltungsgericht hat nicht weiter aufgeklärt, ob die behaupteten Mißhandlungen im Zusammenhang mit einer staatlichen Verfolgung kriminellen Unrechts (Rechtsgüterschutz; vgl. BVerfGE, a.a.O., 150>) erfolgten. Es hat vielmehr angenommen, daß die Folter in türkischen Gefängnissen die >politischen wie die >nicht-politischen Straftäter treffe, und daraus ihre Asylirrelevanz ableitet. Ohne die Frage der Gerichtetheit der vorgetragenen Foltermaßnahmen abschließend zu klären, hätte das Verwaltungsgericht die Asylberechtigung mit der gegebenen Begründung aber allenfalls verneinen dürfen, wenn seine Annahme, der Staat bekämpfe die Folter, auf einer hinreichenden Tatsachenbasis beruhte.

Belegte Feststellungen fehlen aber sowohl für die Annahme, die Folter werde gleichermaßen gegenüber politischer wie nicht-politischer Delikte verdächtigen Inhaftierten angewendet, als auch für diejenige, der Staat bekämpfe die Folter. Wie das Gericht zu ihnen gekommen ist und worauf sie gründen, ist in den Urteilsgründen nicht ausgeführt. Die allgemeine Bezugnahme auf Gründe des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ersetzt entsprechende Feststellungen nicht, weil dieser gerade hierfür, soweit er ähnliche Feststellungen enthält, keine Belege anführt. Das Gericht hat auch nicht eine Allgemein- bzw. Gerichtskundigkeit (Offenkundigkeit, vgl. § 291 ZPO) der Tatsachen behauptet; sie wäre auch schwerlich begründbar gewesen.

Entsprechende Feststellungen waren auch nicht aus Erwägungen etwa des Inhalts heraus entbehrlich, das Gericht habe im Zusammenhang mit den behaupteten Mißhandlungen einschränkende Formulierungen (>möglicherweise) verwendet, aus denen hervorgehe, daß in Wahrheit von der Ungläubigkeit des Vorbringens auszugehen sei. Zwar hat das Verwaltungsgericht einleitend ausgeführt, daß die Beschwerdeführer ihre Verfolgung nicht glaubhaft gemacht hätten. Wie ein Vergleich mit Urteilsgründen erweist, die eine andere Behauptung (der Beschwerdeführer zu 1. habe erreicht, daß gegen ihn geführte Strafakten verschwanden) ausdrücklch als nicht glaubwürdig einstufen, können die auf den Vortrag der Mißhandlung bezogenen Urteilsgründe nur so verstanden werden, daß das Gericht die Angaben der Beschwerdeführer, vor allem diejenigen über die Motive der staatlichen Kräfte bei ihren Handlungen, als den dem Gericht vorliegenden (aber nicht aufgeführten) Erkenntnissen widersprechend beurteilt hat.

b)         Durfte mithin das Gericht den Beschwerdeführern zu 1. und 2. mit ihrem als wahr zu unterstellenden Vorbringen die Asylberechtigung mit der gegebenen Begründung nicht absprechen, so stellt sich die Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen in eindeutiger Weise als richtig dar (vgl. BVerfGE 35, 324 344>).

Dies gilt zunächst für in ihr selbst enthaltene Gründe. Soweit das Gericht bemerkt, die Beschwerdeführer seien nach ihren Verhaftungen jeweils freigelassen worden und es sei nicht ersichtlich, daß der Staat >etwaige Verfolgungen fortsetzen wolle, reicht dies allein für die Prognose zukünftiger Verfolgungsfreiheit nicht aus. Ist -wie es nach den vorstehenden Darlegungen geboten ist -zugunsten zumindest der Beschwerdeführer zu 1. und 2. zu unterstellen, sie hätten politische Verfolgungsmaßnahmen erlitten und seien deswegen ausgereist, so bedürfen sie nur dann nicht des asylrechtlichen Schutzes, wenn sie vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher sind (oder - worauf das Gericht nicht abgehoben hat - in ihrem Herkunftsstaat eine inländische Fluchtalternative bestand; vgl. BVerfGE 80, 315 350> = InfAusIR 1990, 21 ff.; st. Rspr.). Diese hinreichende Sicherheit setzt verläßliche Tatsachen voraus. Sie werden nicht in zulässiger Weise ersetzt durch die bloße Behauptung, eine Fortsetzung etwaiger Verfolgungen sei nicht ersichtlich, zumal das Gericht die von den Beschwerdeführern behaupteten erlittenen Mißhandlungen - zu Unrecht, wie dargelegt - als aus Rechtsgründen unbeachtlich behandelt hat.

Die Entscheidung stellt sich aber auch nicht aus rechtlichen Gesichtspunkten, die außerhalb ihrer tragende Entscheidungsgründe liegen, als offensichtlich richtig dar. Namentlich gilt dies für die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Beschwerdeführer seien nach den Maßstäben zu beurteilen, die das Bundesverfassungsgericht zum Asylanspruch derjenigen entwickelt hat, die ihre politische Überzeugung mit terroristischen Mitteln durchzusetzen versuchen oder solch Handlungen unterstützen. Allerdings sind Maßnahmen des Staates zur Abwehr des Terrorismus keime politische Verfolgung, wenn sie dem aktiven Terroristen, dem Teilnehmer im strafrechtlichen Sinne oder demjenigen gelten, der im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten terroristischer Aktivitäten vornimmt, ohne sich an diesen Aktivitäten zu beteiligen (vgl. BVerfGE 81, 142, 152> = InfAusIR 1990, 122ff.). Insoweit fehlt es an hinreichenden Feststellungen sowohl im Urteil des Verwaltungsgerichts als auch im Beschluß des Beschwerdegerichts; unter diesen Umständen kann auch offenbleiben, ob das Beschwerdegericht seinen Beschluß überhaupt auf diesen Gesichtspunkt stützen durfte (vgl. Beschluß der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Mai 1988 2 BvR 1048/87>).

c)         Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt damit nach allem das Asylgrundrecht der Beschwerdeführer zu 1. und 2. Es ist aufzuheben; die Sache ist an das Verwaltungsgericht zprückzuverweisen (§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BVerfGG). Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die angegriffene Entscheidung auch aus anderen Gründen nicht mit der Verfassung vereinbar ist, wie die Beschwerdeführer meinen. Die Aufhebung erfaßt die Entscheidung auch insoweit, als es die Begehren der Beschwerdeführer zu 3. und 5. abweist. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Verwaltungsgericht zugunsten dieser Beschwerdeführer entschieden hätte (oder entscheiden wird; vgl. auch die Neuregelung in § 7a Abs. 3 Satz 2 AsylVfG, BGBl. 1990 I S 1354 1381>), sofern es bei verfassungsgemäßer Behandlung der Asylklagen der Beschwerdeführer zu 1. und 2. zu deren Anerkennung gekommen wäre (vgl. zur denkbaren Vermutungswirkung einer Asylanerkennung eines Familienmitglieds: BVerfG, Beschluß gemäß § 93a BVerfGG a.F. vom 19. Dezember 1984 - 2 BvR 1517/84 -, NVwZ 1985, § 260; BVerwGE 75, 304 310ff.> = InfAusIR 1987, 168 m.w.N.).

Mit der Aufhebung des angegriffenen Urteils wird der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts gegenstandslos.«

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