Verwaltungsgericht Freiburg, Urteil vom 29. Mai 1990-5 K 904/90

Verwaltungsgericht Freiburg

BeschluB

In der Verwaltungsrechtssache

X gegen

Ortenaukreis - Kreissozialamt -, BadstraBe 20, 7600 Offenburg, Vertreten durch den Landrat

- Antragsgegner -

wegen

Übernahme von Reise-und Übernachtungskosten; hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat die 5.Kammer des Verwaltungsgerichts Freiburg unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Verwaltungsgericht Büchner, des Richters am Verwaltungsgericht Lernhart und der Richterin am Verwaltungsgericht Doetsch am 29.Mai 1990

Beschlossen:

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten einer Reise der Antragstellerin am 31. Mai/1.Juni 1990 von Kehl nach Zirndorf und zurück bis zur Höhe der Kosten einer Bahnfahrt 2.Klasse vorläufig zu übernehmen. Soweit die Antragstellerin vorläufige Übernahme von Reisekosten begehrt, wird ihr Prozeßkostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Gert Müller zu ihrer Vertretung beigeordnet. Im übrigen werden die Anträge der Antragstellerin abgelehnt.

Der Antragsgegner trägt zwei Drittel, die Antragstellerin ein Drittel der Kosten des gerichts-kostenfreien Verfahrens.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin, eine in Rheinau/Rheinbischofsheim/Ortenaukreis wohnende vietnamesische Asylbewerberin, erhält vom Beklagten laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Mit Schreiben des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 7.Mai 1990 wurde sie auf den 1. Juni 1990, 8.00 Uhr, zu ihrer persönlichen Anhörung im Rahmen des Asylverfahrens beim Bundesamt in Zirndorf geladen. In der Ladung wurde sie darauf hingewiesen, daß es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben Könne (Entscheidung ohne persön-Tiche Anhörung), wenn sie zu dem Termin nicht erscheine, ohne vorher rechtzeitig ihre Hinderungsgründe schriftlich dem Bundesamt mitgeteilt zu haben. Aufgrund eines weiteren Hinweises, wonach sie mit dieser Ladung bei örtlich zuständigen Sozialbehörde vorsprechen Könne, falls sie die für die Fahrt zum Termin und zurück erforderlichen Geldmittel nicht besitze, beantragte die Antragstellerin am 17. Mai 1990 beim Beklagten mündliche die Übernahme der durrch die Fahrt zur Anhörung entstehenden Kosten. Diesen Antrag lehnte das Kreissozialamt des Beklagten durch Bescheid vom 25. Mai 1990 mit der Begründung ab, die Fahrtkosten im Rahmen des Asylverfahrens stellten keinen sozialhilferechtlichen Bedarf dar. Gemäß § 12 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG- umfasse der sozialhilferechtliche Bedarf den zum Leben notwendigen Unterhalt. Fahrtkosten im Rahmen des Asylverfahrens stellten keinen zum Leben notwendigen Bedarf dar.

Am 23.Mai 1990 beantragte der Prozeßbevollmächtigte der Antragstellerin beim Gericht, den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, die Reisekosten der Antragstellerin für eine Fahrt von Kehl nach Zirndorf und zurück sowie die Kosten einer Übernachtung zur Verfügung zu stellen, der Antragstellerin Prozeßkostenhilfe zu gewähren und ihr den Prozeßbevollmächtigten zur Vertretung beizuordnen.

Die Kosten einer so weiten Fahrt zur Anhörung nach § 12 des Asylverfahrensgesetzes gehörten nicht zu den Kosten der Lebensunterhaltung und seien deshalb auch mit der der Antragstellerin gewährten Hilfe zum Lebensuriterhalt nicht abgegolten. Es handele sich vielmehr um Hilfe in besonderen Lebenslagen. Da die Antragstellerin nach der genannten Bestimmung des Asylverfahrensgesetzes verpflichtet sei, sich einer Anhörung durch das Bundesamt zu stellen, wenn sie nicht riskieren wolle, daß ihr Asylgesuch abgelehnt werde, sie aber zur Aufbringung der Reisekosten nach Zirndorf einschließlich der Übernachtungskosten nicht in der Lage sei, bedürfe sie der Hilfe durch die Sozialbehörde.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Er trägt im wesentlichen vor: Die Gewährung der begehrten Leistung sei gemäß § 120 i.V.m. § 27 Abs.2 BSHG in das pflichtgemäße Ermessen des Sozialhilfeträgers gestellt, wobei das Ermessen dahingehend eingeschränkt sei, daß die Hilfe den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen müsse. Daraus folge, daß auch im Rahmen von § 27 Abs.2 BSHG nur solche Leistungen bewilligt werden könnten, die sich in das System der Sozialhilfe einordnen ließen. Entsprechend dem zentralen Grundsatz der Subsidiarität (§ 2 BSHG) sei keine Hilfegewährung möglich, da auf die vorrangige Zuständigkeit des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verwiesen werden müsse. Diese Stelle habe zwar im Rahmen des Asylverfahrensgesetzes keine ausdrückliche rechtliche Handhabe zur Erstattung von Fahrtkosten, die im Rahmen einer Ladung zur Anhörung entstehen könnten, Es handele sich hierbei jedoch um reine Verfahrenskosten, deren Übernahme in die Zuständigkeit der einbestellenden Behörde falle. Diese könne durrchaus zusammen mit der Ladung einen Fahrgutschein verschicken und müsse nicht auf die Sozialhilfe verweisen.

II.

Der Antrag hat Erfolg, soweit die Antragstellerin die Übernahme von Reisekosten begehrt. Insoweit war ihr auch Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.

Nach der hier allein in Betracht kommenden Regelung des § 123 Abs.1 Satz 2 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der zu sichernde Anspruch und der Grund, weshalb es des Erlasses einer einstweiligen Anordnung bedarf, sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Besteht der zu sichernde Anspruch in einem Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung, kann das Gericht eine einstweilige Anordnung bereits dann erlassen, wenn der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, daß bei fehlerfreier Ermessensausübung die von ihm begehrte Entscheidung voraussichtlich ergangen wäre (vgl. VGH Bad. -Württ., Beschl.v.30.4.1982 - 4 S 409/82 -, Beschl.v.24.8.1988 - 6 S 2270/88 -). Nach Auffassung der kammer war hiernach die beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen, soweit die Antragstellerin die Übernahme von Reisekosten begehrt. Die Antragstellerin hat insoweit das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht.

Gemäß § 120 Abs.1 BSHG ist Personen, die nicht Deutsche im Sinne des Artikel 116 Abs. 1 des Grundgesetzes sind und die sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Krankenhilfe, Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen und Hilfe zur Pflege nach diesem Gesetz zu gewähren (Satz 1, 1.Halbsatz). Im übrigen kann Sozialhilfe gewährt werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist (Satz 2). Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu gewähren ist oder gewährt werden soll, bleiben unberührt (Satz 3). Nach § 120 Abs.2 Nr. 1 BSHG beschränkt sich u. a. bei asylsuchenden Ausländern, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist und die keine Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung besitzen, abweichend von Absatz 1 Satz 1 der Anspruch auf die Hilfe zum Lebensunterhalt. Sonstige Sozialhilfe kann gewährt werden (§ 120 Abs. 2 Satz 2 BSHG). Hierzu zählt auch die Hilfe in (anderen) besonderen Lebenslagen, welche gemäß § 27 Abs. 2 Satz 1 BSHG gewährt werden kann, wenn diese den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Die Hilfe in besonderen Lebenslagen kann u. a. in der Übernahme von Reisekosten für einen bestimmten Zweck bestehen (vgl. Schel lhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum Bundessozialhilfegesetz, 13.Aufl. 1988, RdNr.14 zu § 27). Bei der Entscheidung über die von der Antragstellerin begehrte Übernahme von Reisekosten hat der Antragsgegner von dem ihm gesetzlich eingeräumten Ermessen einen fehlerhaften Gebrauch gemacht, in dem er davon ausging, daß die Fahrtkosten keinen zum Leben notwendigen Bedarf darstellten, die Reisekosten Kosten des Asylverfahrens seien, deren Übernahme in die Zuständigkeit der einbestellenden Behörde falle und eine Hilfegewährung im Rahmen der Sozialhilfe im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität (§ 2 BSHG) nicht möglich sei. Der Antrragsgegner hat insbesondere verkannt, daß eine Regelung, welche einen anderen Kostenträger verpflichten würde, die fraglichen Reisekosten zu übernehmen, nicht besteht, weshalb der Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 Abs.1 BSHG) nicht eingreift. Hätte der Antragsgegner dies erkannt, hätte er in dem Antrag auf Übernahme der Reisekosten voraussichtlich stattgeben müssen. Nach § 12 Abs.1 Satz 2 des Asylverfahrensgesetzes - AsylVFG - hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylbewerber persönlich anzuhören. Von der persönlichen Anhörung kann nur in Ausnahmefällen abgesehen werden (§ 12 Abs.4 Asy IVFG). Die persönliche Anhörung ist danach das vom Gesetzgeber für den Regelfall vorgesehene Verfahren zur Aufklärung des Sachverhalts, in welchem der Bewerber seine Asylgründe glaubhaft zu machen hat. Ein Asylbewerber, welcher der Ladung zur persönlichen Anhörung ohne genügende Entschuldigung fernbleibt, muß mit nachteiligen Folgen für die Entscheidung über seinen Antrag rechnen (vgl. § 12 Abs.4 S.3 AsylVFG). Unter diesen Umständen liegt es auf der Hand, daß es einem Asylbewerber nicht zugemute werden kann, einem Termin zur persönlichen Anhörung, welche für ihn von existenzieller Bedeutung sein kann, fernzubleiben, weil ihm die zur Bestreitung der Reisekosten erforderlichen finanziellen Mittel fehlen. Ein sachlicher Grund, aus denen der zuständige Sozialhilfeträger diese Mittel vorenthalten könnte, ist auch im Fall der Antragstellerin nicht ersichtlich.

Dem Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts war, soweit die Antragstellerin Übernahme der Reisekosten begehrt, ebenfalls zu entsprechen, weil, wie dargelegt, für die Antragstellung insoweit hinreichende Erfolgsaussicht bestand, die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint und die mangelnde Fähigkeit der Antragstellerin, die Prozeßkosten selbst aufzubringen, bereits dadurch dargetan ist, daß die Antragstellerin auf Sozialhilfeleistungen angewiesen ist (§ 166 VwGO i. V. m. §§ 114, 121 Abs. 2 VwGO).

Soweit die Antragstellerin auch die Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme von Übernachtungskosten begehrt, liegen die genannten Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht vor, nachdem eine telefonische Anfrage des Vorsitzenden beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 29. Mai 1990 ergeben hat, daß für die Antragstellerin die Möglichkeit besteht, am Tag vor dem festgesetzten Anhörungstermin anzureisen und nach Vorlage der Terminaladung in dem Lager beim Bundesamt in Zirndorf kostenlos zu übernachten. Insoweit war deshalb auch der Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs.1 Satz 1 VwGO. Gemäß § 188 Satz 2 VwGO werden Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluß ist die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gegeben. Die Beschwerde ist beim Verwaltungsgericht in 7800 Freiburg, Dreisamstraße 9a, binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in 6800 Mannhe 1, Schubertstraße 11 - Postfach 10 32 64 -, eingeht.

Richter am Verwaltungsgericht Lernhart, der an dem Beschluß mitgewirkt hat, ist wegen Urlaubs
an der Unterschrift gehindert.

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