Bundesverwaltungsgericht 6 Aug. 1996

Leitsätze (nicht amtlich):

1.         Politische Verfolgung kann von einer quasi-staatlichen Gebietsgewalt ausgehen, die staatsähnlich organisiert, effektiv und stabilisiert ist.

2.         Ein Asylrecht besteht in diesem Fall nur, wenn der Heimatstaat keinen Schutz vor Verfolgungsmaßnahmen des staatsähnlich organisierten Bürgerkriegsgegners bietet oder der Fortfall des Schutzes beachtlich wahrscheinlich ist.

Aus den Gründen:

I.

Die Kl. sind muslimische Bosnier aus der Republik Bosnien-Herzegowina; die Kl. zu 1 und zu 2 sind die Eltern der Klin. zu 3. Sie stammen aus B. im Norden Bosnien-Herzegowinas, nahe der Grenze zur BR Jugoslawien (Serbien); im Juni 1992 kamen sie nach ihren Angaben über Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Ihre Asylanträge begründeten sie mit dem in ihrer Heimat ausgebrochenen Bürgerkrieg; die bosnischen Serben hätten alsbald in der Region B. die Macht übernommen und ihnen Benachteiligungen und Schikanen zugefügt.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte die Asylanträge mit Bescheid vom 1.7.1992 als offensichtlich unbegründet ab. Es stellte fest, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AusIG offensichtlich nicht vorliegen und Abschiebungshindernisse nach § 53 AusIG nicht bestehen. Die Kl. wurden unter Androhung der Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina aufgefordert, die BR Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen.

Die Kl. haben Klage erhoben mit dem Begehren, die Bekl. zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, daß die Abschiebungsvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 AusIG erfüllt seien und daß ein Abschiebungshindernis nach § 53 AusIG bestehe. Das VG hat die Bekl. unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtss zur Asylanerkennung und zur Feststellung nach § 51 Abs. 1 AusIG verpflichtet; zu § 53 AusIG hat es keine Ausführungen gemacht. Das OVG hat die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten zurückgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Bundesbeauftragte die vom Senat zugelassene Revision eingelegt.

II.

Die Revision des Bundesbeauftragten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht. Den Kl. stehen ein Anspruch auf Asyl nach Art. 16a GG und ein Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AusIG nicht zu, denn gegen die ihnen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von den bosnischen Serben drohende Verfolgung können sie den Schutz ihres Heimatstaats, der Republik Bosnien-Herzegowina, in Anspruch nehmen. Deshalb kommt es weder darauf an, ob die Verfolgung eine »politische« im Sinne des Asylrechts ist, noch darauf, ob die Kl. ihre Heimat verfolgt oder unverfolgt verlassen haben.

Den Ausführungen des OVG läßt sich nicht eindeutig entnehmen, ob es die Kl. als verfolgt Ausgereiste angesehen hat oder ob es eine erlittene (Gruppen-)Vorverfolgung hat offenlassen und nur hat darlegen wollen, die Kl. seien im Zeitpunkt der berufungsgerichtlichen Entscheidung von einer Gruppenverfolgung betroffen. Möglicherweise hat das OVG mit den Worten, daß »Muslime in ihrem Heimatland einer quasi-staatlichen Gruppenverfolgung durch die... Serben ausgesetzt waren und auch gegenwärtig ausgesetzt sind«, ausdrücken wollen, eine Gruppenverfolgung durch die bosnischen Serben habe es schon im Zeitpunkt der Ausreise der Kl. Anfang Juni 1992 gegeben. Der darauf folgende Satz, es könne dahinstehen, ob die Kl. ihre Heimat vorverfolgt verlassen haben, wäre dann wohl so zu verstehen, daß es offenbleiben könne, ob die Kl. damals zusätzlich in eigener Person Verfolgungsschläge erlitten haben. Die nach diesem Verständnis vom Berufungsgericht bejahte Vorverfolgung in der Form der Gruppenverfolgung wird indessen von den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht getragen.

Das gewaltsame Vorgehen der bosnischen Serben in der von ihnen zu Beginn des Bürgerkriegs ausgerufenen »Serbischen Republik Bosna-Herzegowina« (später als »Republika Srpska« bezeichnet) gegen die Muslime erfüllt allerdings qualitativ und quantitativ nach Intensität und Dichte der Rechtsgutsverletzungen - die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung. Die tatsächlichen Feststellungen des OVG ergeben insbesondere die erforderliche Verfolgungsdichte, bei der die Regelvermutung eigener Verfolgung gerechtfertigt ist (vgl. BVerwGE 85, 139 = EZAR 202 Nr. 18; BVerwGE 96, 200 = EZAR 202 Nr. 25). Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß von der gewaltsamen »ethnischen Säuberung«, weiche die Serben flächendeckend durch Bedrohung, Mißhandlung und Tötung der Muslime betrieben haben, mehr oder weniger jeder Moslem in den serbisch besetzten Gebieten betroffen war. Die serbischen Gewaltmaßnahmen haben, wie ihre Urheber es wollten, bewirkt, daß fast alle überlebenden Muslime das Gebietder »Republika Srpska« verlassen haben. Nach den Feststellungen des OVG waren etwa neun Zehntel der mehreren hunderttausend Muslime, die 1991 im nunmehr serbisch beherrschten Gebiet Bosnien-Herzegowinas gelebt haben, den geschilderten Maßnahmen in eigener Person ausgesetzt; schätzungsweise 50 000 muslimische Frauen und Mädchen wurden brutal vergewaltigt, über 150 000 Menschen wurden getötet.

Diese und weitere detaillierte tatsächliche Feststellungen des OVG ergeben zugleich, daß die »Republika Srpska« von Anfang an die Verfolgung der muslimischen Bevölkerungsgruppe im Sinne eines Verfolgungsprogramms betrieben hat (vgl. zu dem die »enge und dichte Streuung« der tatsächlich geführten Verfolgungsschläge ersetzenden »Verfolgungsprogramm« BVerwGE 96, 200 = EZAR 202 Nr. 25). Die Führer der »Republika Srpska« streben, wie das OVG anhand ihrer im einzelnen wiedergegebenen Äußerungen und ihres, sonstigen Verhaltens festgestellt hat, an, daß die Bevölkerung ausschließlich aus serbischen Volkszugehörigen besteht und daß zur Erreichung dieses Ziels die muslimischen Einwohner durch physische Gewalt, durch Bedrohung mit Verletzungen an Leib, Leben oder Freiheit und notfalls auch durch Tötung aus dem Lande entfernt werden sollen. Keinem Zweifel unterliegt schließlich, daß die festgestellten, einer »ethnischen Säuberung« dienenden Verfolgungsmaßnahmen im asylrechtlichen Sinne ausgrenzenden Charakter haben, nämlich an unverfügbare Merkmale, an das »Anderssein« der rnuslimischen Bosnier anknüpfen und nicht etwa militärische Maßnahmen im Bürgerkrieg sind.

Obwohl danach feststeht, daß das Vorgehen der Serben gegen die muslimische Bevölkerung der »Republika Srpska« jedenfalls in der Zeit nach der Ausreise der Kl. das Ausmaß einer Gruppenverfolgung angenommen hat, sind die Kl. nicht asylberechtigt. Das Asylrecht gewährt nämlich Schutz nur vor »politischer« Verfolgung, und auch das nur im Falle einer sonst bestehenden Schutzlosigkeit. Unter politischer Verfolgung im Sinne des Asylrechts ist grundsätzlich staatliche Verfolgung zu verstehen (st. Rspr., vgl. BVerfGE 80, 315 = EZAR 201 Nr. 20; BVerwGE 95, 42 = EZAR 230 Nr. 3). Ihr steht die Verfolgung durch eine Organisation mit staatsähnlicher Herrschaftsgewalt gleich. Eine Verfolgung in Ausübung quasi-staatlicher Gebietsgewalt ist demnach politische Verfolgung iSd Art. 16a GG, § 51 Abs. 1 AusIG. Ob und gegebenenfalls ab wann die Verfolgungsmaßnahmen der Serben als »politische« Gruppenverfolgung einer mindestens staatsähnlichen Herrschaftsmacht zu qualifizieren sind, ist allerdings fraglich.

Träger von Herrschaftsmacht sind die Staaten. Die Herrschaftsmacht ist es, welche die Staaten befähigt, den Frieden im Inneren zu sichern und so dem Individuum ein menschenwürdiges Leben in Gemeinschaft mit anderen zu ermöglichen. Das zentrale Merkmal von Staaten ist danach sowohl nach den Kriterien der allgemeinen Staatslehre als auch nach denen des allgemeinen Völkerrechts eine organisierte Herrschaftsmacht mit einem prinzipiellen Gewaltmonopol, die auf einem begrenzten Territorium über eine sich als Schicksalgemeinschaft verstehende Bevölkerung effektiv und dauerhaft ausgeübt wird (vgl, Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., S. 820, 837 ff.; Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 102 ff.; ferner Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht - Theorie und Praxis, 3. Aufl. 1984, S. 201; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2. Aufl. 1994, S. 28).

Politische Verfolgung ist gleichsam die Kehrseite hiervon, nämlich der Mißbrauch hoheitlicher Herrschaftsmacht durch Ausgrenzung einzelner aus der übergreifenden Friedensordnung wegen unverfügbarer persönlicher Merkmale wie Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung. Da der einzelne ohne den Schutz einer staatlichen Ordnung nicht menschenwürdig existieren kann, bietet ihm das Asylrecht im Falle seiner Verfolgung durch den Heimatstaat eine subsidiäre Zuflucht. Diese Sichtweise begrenzt zugleich den Schutzbereich des Asylgrundrechts aus Art. 16a Abs. 1 GG; sie gilt gleichermaßen für den asylrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 51 AusIG und für den Begriff des Flüchtlings im Sinne der Art. 1 A und 33 GK (vgl. BVerwGE 95, 42 = EZAR 230 Nr. 3). Dem steht nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats und des BVerfG allerdings nicht entgegen, daß dem Staat als politischem Verfolger - in Erweiterung des Anwendungsbereichs der Asylrechtsgarantie - solche staatsähnliche Organisationen gleichstehen, die, den jeweiligen Staat verdrängt haben oder denen dieser das Feld überlassen hat und die ihn daher insoweit ersetzen (vgl. BVerfGE 80, 315 = EZAR 201 Nr. 20 unter Hinweis auf BVerwG, EZAR 202 Nr. 5). Das kann - auch bei einem sezessionistischen Bürgerkrieg (vgl. dazu zweifelnd in bezug auf Sri Lanka OVG Lüneburg, U.v. 10.6.1996 - 12 L 1726/92 - ) - dann der Fall sein, wenn sich eine staatsähnliche Herrschaftsmacht auf einem abgegrenzten Gebiet effektiv durchgesetzt und etabliert hat mit der Folge, daß die dort lebende Bevölkerung nunmehr einen neuen quasi-staatlichen Hoheitsgewalt unterworfen ist. Ersetzt sie in ihrer »Friedensfunktion« den bisherigen Heimatstaat, dann kann sie auch politisch verfolgen und den Verfolgten in eine den Schutz des Asylrechts im Ausland erfordernde Zwangslage versetzen.

Quasi-staatlich ist eine Gebietsgewalt nur, wenn sie auf einer staatsähnlich organisierten, effektiven und stabilisierten Herrschaftsmacht beruht. Effektivität und Stabilität erfordern eine gewisse Stetigkeit und Dauerhaftigkeit der Herrschaft, verkörpert vorrangig in der Durchsetzungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit des geschaffenen Machtapparats. Eine nur kurze Zeit, etwa zur Erreichung eines bestimmten Erfolgs, ausgeübte Herrschaftsmacht ist keine Staatsgewalt (Herzog, aaO, S. 94; Krüger, aaO, S. 256; Verdross/Simma, aaO, S. 201) und auch keine staatsähnliche Gewalt im Sinne des Asylrechts.

Bei Anlegung dieser Kriterien spricht zwar vieles dafür, daß die von den bosnischen Serben auf dem Gebiet der Republik Bosnien-Herzegowina errichtete »Republika Srpska« bei der Ausreise der Kl. aus Bosnien-Herzegowina im Juni 1992 noch nicht über quasi-staatliche Gewalt verfügte; hingegen dürfte die »Republika Srpska« im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts im Mai 1995 eine staatsähnliche Hoheitsgewalt ausgeübt und deshalb die Fähigkeit zur politischen Verfolgung iSd Art. 16a GG besessen haben.

Bei den meisten seiner Feststellungen zu der Art und Weise, in der die Serben auf dem vonihnen kontrollierten Gebiet die Macht ausüben, hat das OVG nicht ausdrücklich zwischen der Zeit unmittelbar nach dem Ausbruch des Kriegs und Inbesitznahme der ersten Territorien durch die Serben einerseits und der späteren Zeit, etwa dem Frühjahr 1995, unterschieden. Das OVG hat vielmehr allgemein festgestellt, daß »die bosnischen Serben in den von ihnen beherrschten Landesteilen eine... quasi-staatliche Herrschaftsgewalt« haben, daß sie diese Gebiete »faktisch unter ihre Verwaltung gestellt« haben, indem vorhandene Verwaltungseinheiten übernommen oder neue aufgebaut wurden, daß in der »Republika Srpska« eine Polizei und Feldjägereinheiten tätig sind, daß in Pale ein »Parlament« existiert und die üblichen Legislativfunktionen wahrnimmt, daß eine Exekutive mit einem »Präsidenten« und einer »Regierung« besteht sowie, daß ein Rundfunkund ein Fernsehprogramm ausgestrahlt werden. Diese Feststellungen enthalten, für sich genommen, zwar wichtige Merkmale einer effektiven Herrschaftsmacht auf dem von den Serben in Besitz genommenen Gebiet. Zusätzliche, für die Zeit bis zum Spätsommer 1992 getroffene Feststellungen des OVG weisen aber eindeutig darauf hin, daß die Herrschaftsmacht der Serben jedenfalls in der Zeit bis etwa August 1992 noch nicht, die erforderliche Effektivität und Stabilität besessen hat. Der Verlauf der Fronten, die auch die Grenze des der serbischen Kontrolle unterstehenden Gebiets bildeten, änderte sich erst ab August 1992 nicht mehr; bis dahin war mithin offen, wie lange die serbische Herrschaftsmacht in einem bestimmten Landstrich Bestand haben würde. Auch haben in den von den Serben beherrschten Landesteilen, solange jedenfalls an deren Grenzen noch Kämpfe stattfanden, neben der »regulären« Armee der bosnischen Serben paramilitärische Milizen operiert, die sich von der Führung der bosnischen Serben nicht kontrollieren ließen. Gegen eine Ausübung staatsähnlicher Gewalt durch die separatistische Führung der bosnischen Serben bereits bei Ausreise der Kl. spricht vor allem, daß die Serben damals die Macht erst zwei Monate innehatten. Eine derart kurze Zeit bestehende Herrschaft erfüllt nicht das Merkmal der Dauerhaftigkeit, sie ist - zumal bei Andauern des Bürgerkriegs - noch keine »stabilisierte« Herrschaft (vgl. Verdross/Simma, aaO, S. 212).

Sprechen somit zahlreiche Umstände gegen eine staatlicher Gebietshoheit vergleichbare Herrschaft der »Republika Srpska« schon in der ersten Jahreshälfte 1992 und damit gegen eine Ausreise der Kl. als Vorverfolgte, erscheint eine quasi-staatliche Gebietshoheit für die spätere Zeit und jedenfalls für Mai 1995, als das Berufungsgericht entschied, eher wahrscheinlich. Die serbische Herrschaft hatte sich nach innen stabilisiert und nach außen behauptet; auch hatten Vertreter der »Republika Srpska«, wie das OVG festgestellt hat, an Verhandlungen im Ausland teilgenommen (zu zwischenstaatlichem Verkehr mit anderen Staaten als Merkmal bei der Definitionen des Staates vgl. Verdross/Simma, aaO, S. 202). Diese im Mai 1995 fortgeschrittene Entwicklung der serbischen Herrschaft im Gebiet der »Republika Srpska« fand wenige Monate später mit dem am 14.12.1995 unterzeichneten Friedensvertrag von Dayton (sog. »Dayton-Abkommen«) einen gewissen Abschluß. In Annex 4 diese§ Abkommens wird die »Republika Srpska«, ohne daß deren seither ausgübte Personal - und Territorialhoheit grundsätzlich in Frage gestellt wird, als eine von zwei» Entitäten« mit zahlreichen staatlichen Funktionen im Verband der Republik Bosnien-Herzegowina anerkannt, gleichzeitig allerdings der Fortbestand des einheitlichen Gesamtstaats festgeschrieben.

Der Senat kann jedoch offenlassen, ob die Feststellungen des Berufungsgerichts ausreichen, um für die Zeit nach der Ausreise der Kl. oder zumindest im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung eine asylrechtlich erhebliche politische Gruppenverfolgung der bosnischen Muslime durch die »Republika Srpska« als einer staatsähnlichen Organisation anzunehmen, und ob deshalb ein objektiver Nachfluchtgrund zugunsten der Kl. in Betracht kommt. Einem Asylanspruch wegen eines objektiven Nachfluchttatbestands der politischen Verfolgung durch einen Quasi-Staat »Republika Srpska« steht nämlich entgegen, daß die Kl. - wenn sie denn Quasi-Staatsangehörige der »Republika Srpska« gewesen sind - jedenfalls zugleich auch Staatsangehörige der fortbestehenden Republik Bosnien-Herzegowina gewesen und geblieben sind und daß sie in diesem ihrem Heimatstaat Schutz vor Verfolgung finden können.

Die Schutzlosigkeit des Asylsuchenden ist Voraussetzung eines Anspruchs nach Art. 16a Abs. 1 GG (Subsidiarität des Asylrechts; st. Rspr.); sie ist ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Art. 16a GG. Dies galt nach der Rechtsprechung des BverwG bereits für Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG aF (vgl. BVerwG, EZAR 202 Nr. 2; BVerwGE 79, 347 = EZAR 205 Nr. 9; BVerwGE 81, 164 = EZAR 205 Nr. 14). Die Schaffung des Art. 16a Abs. 2 GG, in dem der Sache nach bestimmt ist, daß die Schutzbedürftigkeit des Asylsuchenden auch dadurch beseitigt und dieser vom Asylgrundrecht ausgeschlossen wird, daß er aus einem sichere Drittstaat einreist (vgl. dazu BVerfG, EZAR 208 Nr. 7 sowie BVerwG, EZAR 208 Nr. 5), hat dies bestätigt.

Schutzlos ist ein politisch Verfolgter aber nur, solange er anderweitig keinen wirksamen Schutz genießt. Ist sein Heimatstaat der Verfolger, beseitigt die Schutzgewährung durch einen Drittstaat die Schutzlosigkeit (vgl. § 27 AsylVfG). Verfolgt ihn sein - mit dem Staat seiner Staatsangehörigkeit nicht identischer - Aufenthaltsstaat, beseitigt die Schutzgewährung durch den Heimatstaat seine Schutzlosigkeit; dasselbe gilt bei der Verfolgung durch einen Quasi-Staat. Ein Asylanspruch besteht deshalb nicht, wenn der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Asylsuchende besitzt, bereit und fähig ist, diesen gegen Verfolgungsmaßnahmen einer auf seinem Territorium entstandenen staatsähnlichen Gewalt zu schützen. Dieser für das Asylrecht nach dem Grundgesetz geltende Grundsatz der Subsidiarität liegt auch Art. 1 A Nr. 2 Abs. 1 GK zugrunde. Danach sind Personen, die eine Staatsangehörigkeit besitzen, nur dann Flüchtlinge, wenn sie des Schutzes desjenigen Staats entbehren, dem sie angehören (vgl. BVerwG, EZAR 202 Nr. 2).

Die Kl. können den Schutz des Staats erhalten, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Sie sind, wie vom OVG festgestellt, Staatsangehörige der Republik Bosnien-Herzegowina, die als Staat fortbesteht. Die Republik Bosnien-Herzegowina verfolgt die Kl. nicht, sie ist insbesondere kein Verfolgerstaat, der die Muslime regional verfolgt. Vielmehr bietet die Republik Bosnien-Herzegowina Schutz vor Verfolgung durch die »Republika Srpska«. Nur hierauf kommt es an, selbst wenn man den Kl. zugleich eine Quasi-Staatsangehörigkeit zur »Republika Srpska« zusprechen würde. Auch nach der GK sind Personen, die zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten besitzen, von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn sie den Schutz eines der Staaten in Anspruch nehmen können (vgl. Art. 1 A Nr. 2 Abs. 2 GK; hierzu Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, hrsg. vom UNHCR, 1979, S. 28).

Der von politischer Verfolgung eines anderen Staats oder Quasi-Staats Bedrohte kann auf den Schutz seines Heimatstaats allerdings nicht verwiesen werden, wenn ihm auch dort wegen des Verlusts der Herrschaftsmacht seines Heimatstaats Verfolgung durch den anderen Staat oder Quasi-Staat droht. Das kann der Fall sein, wenn der Heimatstaat im Krieg oder Bürgerkrieg seine Herrschaftsmacht verloren hat, etwa wenn er unmittelbar vor dem Zusammenbruch steht. Davon kann nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hier indessen keine Rede sein. Bosnien-Herzegowina hat zu keiner Zeit während des Bürgerkriegs seine - Verfolgungsschutz vermittelnde - Gebietshoheit auf seinem gesamten Territorium eingebüßt. Nach den Feststellungen des OVG haben die bosnischeu Serben nie mehr als 70% des Staatsgebiets der Republik Bosnien-Herzegowina kontrolliert; sie haben auch zu keinem Zeitpunkt die Herrschaft über das gesamte Staatsgebiet unter Ausschluß der bosnischen Muslime und Kroaten beansprucht. Teilbereiche Zentral - und Nordbosniens waren immer unter der Herrschaft der Regierung, auch der Südwesten des Landes gelangte aufgrund des Friedensschlusses zwischen Muslimen und Kroaten, die sich zeitweise untereinander bekämpft hatten, »wieder unter die muslimische Einflußsphäre«.

Das OVG hat seine Auffassung, die Kl. könnten nicht auf den Schutz ihres Heimatstaats verwiesen werden, damit begründet, daß sie in den von der bosnischen Regierung kontrollierten Gebieten nach dem sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab vor serbischer Verfolgung nicht hinreichend sicher seien und daß sie dort wegen der katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse auch keine Lebensgrundlage hätten. Das OVG hat damit die Grundsätze angewendet, nach denen die Frage zu prüfen ist, ob bei einer von einem »mehrgesichtigen« Staat betriebenen regionalen Verfolgung im Verfolgerstaat eine inländische Fluchtalternative besteht. Dies verstößt gegen Bundesrecht. Um einen »mehrgesichtigen« Staat, der in einem Teil seines Staatsgebiets verfolgt und zugleich in einem anderen Teil seines Staatsgebiets Schutz bietet, geht es hier nicht. Die Republik Bosnien-Herzegowina ist kein die Muslime regional verfolgender Verfolgerstaat. Es geht hier vielmehr um die Frage des Schutzes im Heimatstaat vor der Verfolgung eines anderen Verfolgers. Die Frage, ob der von politischer Verfolgung eines anderen Staats oder Quasi-Staats Bedrohte in seinem Heimatstaat Schutz findet, ist jedoch nach dem allgemeinen Prognosemaßstab zu beurteilen (so zutreffend auch OVG Lüneburg, U.v. 10.6.1996, aaO). Danach kann die Schutzlosigkeit nur festgestellt werden, wenn politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

Die Anwendung des herabgestuften Prognosemaßstabs rechtfertigt sich vorrangig durch die Gefahr der Wiederholung, die durch eine bereits geschehene Verfolgung indiziert ist (BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Die Erwartung, verfolgt zu werden,ist mit anderen Worten - größer, wenn der Staat bereits verfolgt hat. Dementsprechend kann die Rückkehr in einen solchen Staat nur zugemutet werden, wenn vor erneuter Verfolgung hinreichende Sicherheit besteht. In dieser Eignung der Verfolgung zu einer indiziellen Aussage für eine künftige Verfolgung besteht in erster Linie der sachliche Zusammenhang zwischen Erst - und Zweitverfolgung, dessen Fehlen nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG den herabgestuften Maßstab unanwendbar macht (vgl. BVerwG, EZAR 200 Nr. 7; BVerwG, Buchholz 402.24 § 28 AsylVfG Nr. 43). Weil dieser Zusammenhang besteht, ist ein auf einem Teil des Staatsgebiets des Verfolgerstaats 1 verfolgter Asylbewerber (regional Verfolgter) bereits dann asylberechtigt, wenn er in anderen Landesteilen (am Ort der sog. inländischen Fluchtalternative) nicht hinreichend sicher ist (BVerfG, aaO; st. Rspr., vgl. BVerwG, EZAR 203 Nr. 8). Denn ein Staat, der auf einem Teil seines Territoriums verfolgt, erweist sich als Verfolgerstaat, sein Verhalten indiziert Wiederholung.

Ein sachlicher Zusammenhang in diesem Sinne zwischen einer früheren und der befürchteten künftigen Verfolgung besteht indessen nicht, wenn nicht der eigene Staat, auf dessen Schutz der Asylbewerber verwiesen wird, sondern ein anderer Staat oder Quasi-Staat der Verfolger ist. Denn dann wäre eine Verfolgung erst möglich, wenn der Verfolger die Gebietsgewalt des Heimatstaats beseitigt und dort seine eigene Herrschaft errichtet hätte, Die Situation, daß der Asylsuchende von dem Staat, dessen Staatsangehöriger er ist, nicht verfolgt wird. verfolger vielmehr ein Quasi-Staat ist, der sich auf einem Teil des Staatsgebiets des Heimatstaats gebildet hat, entspricht im System der asylrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen der Konstellation, daß der AsyIsuchende nicht vom Staat seiner Staatsangehörigkeit, sondern von einem dritten Staat, etwa seinem Aufenthaltsstaat, verfolgt wird. Denn in beiden Fällen verfolgt der Staat, dessen Staatsangehöriger der AsyIsuchende ist, diesen nicht, hält seine Herrschaftsmacht vielmehr zu seinem Schutz bereit. Die Verfolgung ist - anders als bei der regionalen Verfolgung durch einen »mehrgesichtigen« Staat - Ausfluß einer Herrschaftsmacht, die in dein schutzbietenden Territorium nicht wirkt-, hier kann es zur Verfolgung nur unter der Voraussetzung kommen, daß der Verfolger seine Gebietsgewalt oder Quasi-Gebietsgewalt in den legalen Herrschaftsbereich des Heimatstaats hinein ausdehnt. Dies aber setzt eine Okkupation, Annexion oder einen vergleichbaren Akt voraus. Wenn aber derartige einschneidende Veränderungen eintreten müssen, damit eine Verfolgung wie die frühere überhaupt nochmals - stattfinden kann, kommt dieser früheren Verfolgung keine Indizwirkung für eine Wiederholung zu; die befürchtete künftige Verfolgung steht außerhalb eines sachlichen Zusammenhangs mit der früheren. Hinsichtlich der künftigen Verfolgung durch den fremden Staat oder die separatistische staatsähnliche Organisation gilt deshalb, wie allgemein im Asylrecht, der normale Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.

Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, daß die bosnischen Serben eine etwaige staatsähnliche Herrschaftsgewalt auf das gesamte Staatsgebiet der Republik Bosnien - Herzegowina ausdehnen und die bosnischen Muslime gleichsam landesweit verfolgen könnten, besteht nach den tatsächlichen Feststellungen des OVG nicht. Das Gebiet, das im Zeitpunkt der Entscheidung des OVG unter der Gebietsgewalt der bosnischen Regierung stand, wird bereits seit dem Sommer 1992 von dieser beherrscht; eine wesentliche Änderung der Grenzen des jeweiligen Machtbereichs hat es zwischen August 1992 und Mai 1995 nicht gegeben. Zudem haben die bosnischen Serben - wie bereits erwähnt - nach den Feststellungen des OVG zu keinem Zeitpunkt das gesamte Territorium der Republik Bosnien-Herzegowina beansprucht, wenngleich sie nur etwa ein Viertel des Staatsgebiets den bosnischen Muslimen und bosnischen Kroaten überlassen wollten. Dementsprechend haben die bosnischen Serben allerdings, wie das OVG festgestellt hat, aber auch allgemeinkundig ist, zwischen Frühjahr 1993 und Sommer 1995 mehrere muslimische, zum Teil von Regierungstruppen verteidigte und unter dem Schutz der Vereinten Nationen stehende Enklaven innerhalb ihres Machtbereichs erobert und von jeglicher Versorgung abgeschnitten. Auch wenn sie außerdem über die »Frontlinien« hinaus das bosnische Kemland beschossen haben, kann dies als Teil des Bürgerkriegsgeschehens nicht belegen, daß eine Eroberung des gesamten restlichen Staatsgebiets beabsichtigt war oder bevorstand. Aufgrund der allgemeinkundigen Ereignisse seit dem Spätsommer 1995 kann davon erst recht nicht mehr ausgegangen werden.

Die - auch vom Berufungsgericht erwähnte - Beendigung des »Krieges im Kriege« zwischen den bosnischen Muslimen und den bosnischen Kroaten und der Abschluß des Föderationsvertrags zwischen ihnen im Frühjahr 1994 haben zudem die bosnische Armee nicht unwesentlich entlastet. Anfang August 1995 haben dann Truppen der Republik Kroatien die mit den bosnischen Serben verbündeten sog. Krajina-Serben besiegt, die zuvor in Nordost-Bosnien ebenfalls gegen die bosnischen Regierungstruppen gekämpft haben. Außerdem löste sich die gleichfalls gegen die bosnischen Regierungstruppen kämpfende, mehrere tausend Bewaffnete umfassende »Privatarmee« des Geschäftsmanns Abdic auf. Die Teile der bosnischen Armee, die mehrere Jahre in der Enklave Bihac eingeschlossen waren, durchbrachen die Einkesselung und stießen flach Norden und Osten vor, eroberten zusammen mit Truppen der bosnischen Kroaten große Teile Nord - und Westbosniens und verdrängten die Serben aus ca. 20% des bosnischen Staatsgebiets. Im sog. Dayton-Vertrag, der unter maßgebender Beteiligung der USA zustande kam, wurde schließlich von allen am Krieg beteiligten Parteien der Fortbestand der Republik Bosnien-Herzegowina, bestehend aus der »Föderation Bosnien und Herzegowina« mit 51% des Staatsgebiets und der »Republika Srpska« mit 49% des Staatsgebiets vereinbart. Zur Absicherung des Waffenstillstands und des Aufbaus der beschlossenen neuen staatsrechtlichen Strukturen wurden über 50 000 Soldaten der NATO in Bosnien stationiert.

Der erkennende Senat kann diese Tatsachen bei seiner Entscheidung berücksichtigen (BVerwG, EZAR 630 Nr. 29; BVerwG, EZAR 231 Nr. 5). Die genannten Ereignisse sind allgemeinkundige Tatsachen (§ 291 ZPO). Sie wirken sich auf die Einschätzung der Verfolgungsgefährdung der Kl. auf dem Gebiet der »Föderation Bosnien« in der Republik Bosnien-Herzegowina offenkundig dahin aus, daß eine Verfolgung von seiten der bosnischen Serben auch aus heutiger Sicht nicht beachtlich wahrscheinlich zu befürchten ist.

Ebenfalls anders als bei regionaler Verfolgung durch den eigenen Staat kommt es bei einer Verfolgung durch einen fremden Staat auch nicht auf die weiteren Voraussetzungen einer inländischen Fluchtaltemative an. Für die Frage der Asylgewährung ist nicht entscheidend, ob dem Asylsuchenden auf dem verfolgungsfreien Territorium seines Heimatstaats das wirtschaftliche Existenzminimum gesichert ist. Denn das Asylrecht nach Art. 16a GG dient nicht dazu, Ausländer davor zu schützen, daß sie in dem Staat, dessen Staatsangehörige sie sind, in wirtschaftlicher Not leben müssen. Schutz vor Abschiebung in eine wirtschaftliche Notlage, weil im Heimatstaat - wie hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts - infolge von Bürgerkrieg keine Existenzgrundlagen bestehen, kann den betroffenen Bürgerkriegsflüchtlingen nur durch ausländerrechtliche Regelungen, insbesondere nach § 53 Abs. 6 Satz 2 iVm § 54 AusIG oder nach den §§ 32, 32a AusIG gewährt werden.

Den Kl. steht hiernach ein Anspruch auf Asyl gemäß Art. 16a Abs. 1 GG nicht zu. Ebenso haben sie auch keinen Anspruch aus § 51 Abs. 1 AusIG auf Unterlassung einer Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina, wobei zur Zeit allerdings nur eine Abschiebung in den nicht von der »Republika Srpska« beherrschten Teil der Republik Bosnien-Herzegowina in Frage kommt. Über die Frage der Abschiebung war im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Gegenstand der Berufung - und damit auch der Revision - war nämlich, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausdrücklich klargestellt worden ist, nur der asylrechtliche Verfahrensteil (Art. 16a GG und § 51 Abs. 1 AusIG), nicht dagegen die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AusIG und die Abschiebungsandrohung. Die Aufhebung der Abschiebungsandrohung und der Feststellung zu § 53 AusIG durch das VG ist demnach nicht angefochten worden. Das Bundesamt hat nunmehr über die Abschiebung der KI, erneut zu entscheiden. Hierbei wird auch zu prüfen sein, ob die Kl. eine Aufenthaltsgenehmigung (Aufenthaltsbefugnis, § 32 AusIG) besitzen. Sollten sie lediglich eine Duldung (§ 54 AusIG) erhalten haben, so wird die Ausländerbehörde über deren Dauer zu entscheiden haben sowie darüber, ob die Kl. dem Erlaß des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 29.3.1996,über die aufenthaltsrechtliche Behandlung der Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina unterfallen. Soweit der Erlaß die Asylbewerber von seinen Regelungen ausnimmt, die ihren Asylantrag bzw. ihre Klage nicht bis zum 30.4.1996 zurückgenommen haben, hält es der Senat für zumindest zweifelhaft, ob diese Bestimmung auf solche Asylbewerber anzuwenden ist, die zu diesem Zeitpunkt bereits - wie die Kl. - mit ihrer Asylklage vor dem VG und dem OVG erfolgreich waren.

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