Verwaltungsgericht des Kantons Bem, Verwaltungsrechtliche Abteilung Verwaltungsgerichtspräsident Meyer, Verwaltungsrichterin Binz, Verwaltungsrichter Merkli, Urteil vom 14. Oktober 1994 i.s.

Verweigerung der Niederlassungsbewilligung für Flüchtlingte wegen Fürsorgeabhängigkeit (Art. 18 AsylG;Art. 10 Abs. 1 lit. d ANAG)

Zum Sachverhalt:

Ein türkisches Ehepaar reiste im Jahre 1988 in die Schweiz ein und erhielt mit ihren fünf Kindern am 17. Januar 1990 Asyl. Ende Dezember 1993 teilte ihnen die Fremdenpolizei des Kantons Bem mit, aufgrund von Art. 28 AsylG stünde ihnen zwar nach fünfjähriger Anwesenheit in der Schweiz die Niederlassungsbewilligung zu. Da die Familie indes seit ihrer Einreise von der Fürsorge abhängig sei, liege ein Ausweisungsgrund im Sinne von Art. 10 Abs. 1 lit. d ANAG vor. Deshalb werde die Niederlassungsbewilligung verweigert. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde von der Polizei-und Militärdirektion am 10. Mäz 1994 abgewiesen. Gegen diesen Entscheid rekurrierten die Beschwerdeführer an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Mit Verfügung wurde das BFF ersucht, zur umschrittenen Frage einen Amtsbericht einzureichen.

Erwägungen

1.

a)Nach Art. 74 Abs. 1 des Gesetzes vom 23. Mai 1989 über die Ver-waltungsrechtspflege (VRPG; BSG 155.21) beurteilt des Verwaltungsgericht als letzte kantonale instanz Beschwereden gegen Verfügungen und Entscheide, die sich auf öffentilches Recht stützen, sofern die Streitsache nicht unter die Ausschlussgründe gemäss Art. 75 ff. VRPG fällt. Laut Art. 77 Abs. 1 Bst. g. VRPG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde namentlich unzulässig gegen Verfügungen und Entscheide betreffend Bewilligungen und Konzessionen, wenn kein Rechtsanspruch auf deren Erteilung, Verleihung oder Übertragung besteht. Dem liegt der allgemeine Gedanke zugrunde, dass Verwlatungsgerichte Recht zu sprechen, jedoch nicht Fragen der Zweckmässigkeit und Angemessenheit (Aufgabe der Verwaltung) zu entscheiden haben (BVR 1993 S. 237 E. la mit Hinweisen).

b)Gemäss Art, 4 ANAG entscheidet die Behörde-im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und Verträge mit dem Ausland-nach freiem Ermessen über die Bewilligung von Aufenthalt oder Niederlassung. Ausländerinnen und Ausläder haben demnach grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf Aufenthalt in der Schweiz. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerede ist deshalb ausgeschlossen, soweit sich die betroffene Person nicht auf eine sonstige Sondernorm des Bundesrechts oder eines Staatsvertrags berufen kann, die einen Anspruch auf eine solche Bewilligung einräumt (BVR 1993 S. 246 E. 1 B). Eine solche Sondernorm stellt Art. 28 AsylG dar. Danach hat der Flüchtling, dem die Schweiz Asyl gewährt hat und sich seit mindestens fünf Jahren ordnungsgemäss in der Schweiz aufhält, Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung, wenn gegen ihn kein Ausweisungsgrund vorliegt. Angesichts dieses dem Grundsatze nach vorgesehenen (formellen) Rechtsanspruchs kann die Verweigerung der Niederlassungsbewilligung letztinstanzlich beim Verwaltungsgericht angefochten wereden. Ob der Anspruch im konkreten Fall tatsächlich die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung vermittelt oder ob er wegen Vorliegens eines Ausweisungsgrunds im Sinne von Art. 28 AsylG untergegangen ist, hat das Verwaltungsgericht im Rahmen der materiellen Prüfung der Beschwerde zu untersuchen (vgl. Die ähnlich gelagerten, Art. 17 Abs. 2 ANAG betreffenden VGE 18738 vom 18. Apil 1994 i.S. D. und 18981 vom 29. Oktober 1993 i.S. A. ).

c)Die Beschwerdeführenden sind im vorinstanzlichen Verfahren mit ihren Anträgen nicht durchgedrungen. Sie sind daher beschwert und zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde befugt (Art. 79 Bst. a VRPG). Auf die form- und fristgerecht eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist einnzutreten.

Des Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Entscheid gemäss Art. 80 Bst. a und b VRPG auf seine Rechtmässigkeit zu überprüfen (Rechtskontrolle).

2.

a)Die Beschwerdeführenden machen geltend, die Vorinstanz habe die Art. 10 Abs. 1 Bst. d ANAG sowie 28 und 44 AsylG rechtsfehlerhaft ausgelegt. Zwar treffe es zu, dass allein Art. 10 ANAG-und nicht etwa Art. 44 AsylG, wie von den Beschwerdeführenden im Verfahren vor der POM behauptet-Rechtsgrundlage für die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings bilde. Art. 44 AsylG stelle demgegenüder nur Wegweisungsschranken auf. Die Vorinstanz verkenne jedoch, dass der Ausweisungsgrund von Art. 10 Abs. 1 Bst d ANAG (Fürsorgeabhängigkeit) nur gegeben sei, wenn der ausgewiesenen Person die Heimkehr in ihren Heimatstaat möglich und zumutbar sei (Art. 10 Abs. 2 ANAG). Dass dies bei einem anerkannten Flüchtling gerade nicht der Fall sei, liege auf der Hand. Besonders stossend sei im vorliegenden Fall, dass die Vorinstanz einen Ausweisungsgrund vorschiebe, obschon sie genau wisse-und mit der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung auch zum Ausdruck bringe-dass er im konkreten Fall gar nicht angewendet werden könne. Dass es nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein könne. Einem fürsorgeabhängigen Flüchtling die Niederlassungsbewilligung zu verweigern, ergebe sich auch aus der systematischen und der teleologischen Auslegung der einschlägigen Vorschriften. Mit Erlass des Bundesgesetzes vom 5. Oktober 1984 seien die Art. 31 und 40 a AsylG dahingehend revidiert worden, dass der Bund die fürsorgerische Betreuung der Flüchtlinge nur mehr bis zur Erteilung der Niederlassungsbewilligung übernehme. Von diesem Zeitpunkt an sei die Fürsorge durch die Kantone zu gewährleisten. Dieser bundesrechtlichen Aufgabenteilung könnten sich die Kantone nicht einfach dadurch entziehen, dass sie bedürftigen Flüchtlingen die Niederlassungsbewilligung verweigerten. Schliesslich sei die von der Vorinstanz an sich zu Recht erwähnte Güterabwägung nach Art. 11 Abs. 3 ANAG von vornherein rechtsfehlerhaft. Entgegen den ausführungen der POM dürften die Flüchtlinge von Anfang an jede selbständige und unselbständige Tätigkeit ausüben. Es gehe daher nicht an, bei der Güterabwägung Arbeitsplatzargumente ins Feld zu führen.

b)Das BFF hält in seinem Amtsgericht vom 30. Juni 1994 fest, Art. 44 AsylG stelle keinen Ausweisungsgrund, sondern lediglich eine Auswseisungsschranke dar. Da die Frage, ob einem anerkannten Flüchtling die Niederlassugsbewilligung zu gewähren sei, einen ganz anderen Themenkreis beschlage als die Ausweiung aus der Schweiz, dränge sich eine Ausweitung des in Art. 28 AsylG erwähnten Ausweisungsgrunds auf die qualifizierten Ausweisungstatbestände des Art. 44 AsylG nicht auf. Art. 28 AsylG stehe somit in keinem Ausammenhang zu Art. 44 AwylG. Bei der Auslegung von Art. 10 ANAG müsse berücksichtigt werden, dass Art. 28 AsylG die Integration von Flüchtlingen, welche-anders als die übrigen Ausländerinnen und Ausländer-die Schweiz gar nicht verlassen könnten, möglichst fördern wolle. Vor diesem hintergrund sei davon auszugehen, dass allein der Umstand, dass ein Flüchtling fürsorgeabhängig oder aber nicht fähig sei, sich in die geltende Ordnung der Schweiz einzufügen, nicht zur Verweigerung der Niderlassungsbewilligung führen könne. Dies bedeutet, dass der Ausweisungsgrund "Fürsorgeabhängigkeit" allein nicht ausreiche, einem anerkannten Flüchtling die Niederlassungsbewilligung abzusprechen. Dagegen könne ein qualifiziertes Verletzen der für ein geordnetes Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger notwendigen Regeln durchaus einen Grund für die Verweigerung der Niederlassungsbewilligung abgeben. In ihrer Kombination seien die Ausweisungsgründe von Art. 10 ANAG daher ohbe weiteres geeignet, die Verweigerung der Niederlassungbewilligung zu begründen.

Zur Frage, ob ein Ausweisungsgrund nach Art. 28 AsylG im Falle von Art. 10 Abs. 1 Bst. d ANAG (Fürsorgeabhängigkeit) nur bejaht werden kann, wenn die Voraussetzungen von Art.10 Abs. 2 ANAG erfüllt sind, äusserte sich das BFF nicht. Ebenso wenig liess es sich zur Problematik von Art. 11 Abs. 3 ANAG (Interessenabwägung) vernehmen.

3. Art. 28 AsylG lautet wie ffolgt:

"Der Flüchtling, dem die Schweiz Asyl gewährt hat und der sich seit mindestens fünf Jahren ordnungsgemäss in der Schweiz aufhält, hat Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung,wenn gegen ihn kein Ausweisungsgrund vorliegt."

Die Parteien stimmen-inzwischen-darin überein, dass mit dem in Art. 28 AsylG verwendeten Begriff "Auswerisungsgrund" nicht die Ausweisungsschranken des Art. 44 Abs. 1 AsylG gemeint sind, wonach anerkannte Flüchtlinge nur ausgewiesen werden dürfen, wenn sie die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährden oder die öffentliche Ordnung in schwerwiegender Weise verletzt haben. In der Tat würde Art. 28 AsylG wenig Sinn machen, wenn anerkannten Flüchtlingen die Niederlassungssbewilligung nur dann verweigert werden dürfte, wenn sie ohnehin ausgewiesen werden könnten. Art 28 AsylG, welcher vorsieht, das Flüchtlinge trotz fünfjähriger Anwesenheit in der Schweiz unter bestimmten Voraussetzungen keine Niederlassungsbewilligung-sondern nur eine Aufenhaltsbewilligung-erhalten sollen, kann vielmehr nur dann ein Sinn beigemessen werden, wenn die betroffenen Personen gerade nicht aus der Schweiz gewiesen werden können. Die Voraussetzung des Art. 28 AsylG muss mit anderen Worten schon erfüllt sein können, bevor eine Ausweisung nach Art 44 AsylG in Frage kommt. Insofern ist es entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführenden nicht stossend, wenn die Vorinstatnz das Vorliegen eines Ausweisungsgrunds im Sinne von Art. 28 AsylG bejaht, obschon an sich unbestritten ist, das eine Ausweisung im konkreten fall gar nicht möglich ist. Genau diese Fälle hat Art. 28 Asylg typischerweise im Auge, andernfalls die Bestimmung keine Sinn hätte.

4.

a)Bevor durch Auslegung der Sinn von Art. 28 AsylG ermittelt werden soll, sind die zwei folgenden Vorbemerkungen anzubringen:

aa)Der vorliegende Rechtsstreit hat nicht nur Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Beschwerdeführenden; betroffen sind-indirekt-auch die Interessen des Bundes sowie diejenigen des Kantons Bern. Gemäss Art. 31 Abs. 1 AsylG gewährleistet der Bund die Fürgsorge für Flüchtlinge, denen die Schweiz Asyl gewährt hat, bis sie die Niederlassungsbewilligung erhalten habe. Von diesem Zeitpunkt an obliegt die fürsorgerische Betreuung den Kantonen (Art. 40a Abs. 1 AsylG). Dies bedeut, dass es vom Ausgang dieses Verfahrens abhängt, ob der Bund (weiterhin) zur Ausrichtung von Fürsorgeleistungen verpflichtet bleibt oder aber die Fürsorgezuständigkeit auf den Kanton Bern übergeht. Dieser Hintergrund ist im Auge zu behalten. Vor ihm erklärt sich auch, dass das vorliegende Verfahren offenbar auf eine Intervention der Einwohnergemeinde (EG) Pieterlen zurückgeht (vgl. das bei den Akten liegende Schreiben der EG Pieterlen vom 10. November 1993 sowie die Antwort der kantonalen Fremdenpolizei vom 25. November 1993, aus der hervorgeht, dass die Niederlassungsbewilligung zunächst erteilt, später jedoch wiedererwägungsweise verweigert worden ist).

bb)Anlässlich der Instruktionsverhandlung vom 23. August 1994 erhärtete sich, dass die Beschwerdeführenden den Tatbestand von Art. 10. Abs. 1 Bst. d ANAG erfüllen. Der Beschwerdeführer ist-abgesehen von einem dreimonatigen Unterbruch-seit seiner Anwesenheitin der Schweiz, d. h. seit ca. fünf Jahren, arbeitslos. Seine Ehefrau leidet an den physischen und psychischen Folgen der Folte-rungen, die sie in ihrem Heimatstaat habe erdulden müssen. Angesichts ihres angeschlagenen Gesundheitszustandes sowie der erheblichen familiären Verpflichtungen sei sie nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Beschwerdeführenden mussten daher während ihrer Anwesenheit in der Schweiz stets von der öffentlichen Hand unterstützt werden. Die ihnen vom CFD und vom Roten Kreuz ausgerichteten Leistungen belaufen sich auf ca. Fr.500.- pro Monat. Da eine Änderung dieses Zustands trotz der Bemühungen des Beschwerdeführers um eine Arbeitsstelle in nächster Zeit nicht ersichtlich ist, ist mit Blick auf die bundesgerichtliche Praxis zu Art. 10 Abs. 1 Bst. d ANAG davon auszugehen, dass die Beschwerdeführenden fortgesetzt und in erheblichem Masse von der öffentlichen Wohltätigkeit abhängig sein werden (vgl. BGE 119 Ib 6f., wo das Bundesgericht den Tatbestand von Art. 10 Abs. 1 Bst. d ANAG bei Fürsorgeleistungen von Fr. 80000.-, welche in der Zeit von 1985 bis 1991 ausgerichtet worden waren, als erfüllt erachtet hat).

b)Art. 10 ANAG lautet, soweit hier interessierend, wie folgt:

"1 Der Ausländer kann aus der Schweiz oder aus einem Kanton nur ausgewiesen werden:

a.wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft wurde;

bwenn sein Verhalten im allgemeinen und seine Handlungen darauf schliessen lassen, dass er nicht gewillt oder nicht fähig ist, sich in die im Gaststaat geltende Ordnung einzufügen;

c.wenn er infolge Geisteskrankheit die öffentliche Ordnung gefährdet;

d.wenn er oder eine Person, für die er zu sorgen hat, der öffentlichen Wohltätigkeit fortgesetzt und in erheblichem Masse zur Last fällt.

2 Die Ausweisung nach Abs. 1 lit. c oder d darf nur verfügt werden, wenn dem Ausgewiesenen die Heimkehr in seinen Heimatstaat möglich und zumutbar ist."

Aus dem Wortlaut des wiedergegebenen Art. 10 ANAG ergibt sich zunächst, dass der Gesetzgeber vier Ausweisungsgründe vorgesehen hat. Einer dieser vier Ausweisungsgründe ist die in Abs. 1 Bst. d erwähnte erhebliche und fortgesetzte Abhängigkeit von der öffentlichen Wohltätigkeit. Da Art. 28 AsylG die Verweigerung der Niederlassungsbewilligung bereits dann vorschreibt, wenn "ein" Ausweisungsgrund vorliegt, und da nach dem oben Gesagten nit "Ausweisungsgrund" die in Art. 10 ANAG umschriebenen Tatbestände gemeint sind, erhellt, dass nach der grammatikalischen Auslegungsmethode die erhebliche und fortgesetzte Fürsorgeabhängigkeit Grund genug sein muss, einem anerkannten Flüchtling auch nach fünfjähriger Anwesenheit die Niederlassungsbewilligung zu verweigern. Die vom BFF vertretene Auslegung, wonach die Niederlassungsbewilligung nur verweigert werden könne, wenn der Ausweisungsgrund "Fürsorgeabhängigkeit" in Kombination mit einem anderen Ausweisungsgrund-beispielsweise jenem des fehlenden Willen, sich in die im Gaststaat geltende Ordnung einzufügen (Art. 10 Abs. 1 Bst. b ANAG)-gegeben sei, findet demgegenüber im Wortlaut des Art. 10 ANAG keine Stütze.

c)Art. 10 Abs. 2 ANAG sieht nun allerdings vor, dass die Ausweisung nach Abs. 1 Bst. d (Fürsorgeabhängigkeit) nur verfügt werden kann, wenn der ausgewiesenen Person die Heimkehr in ihren Heimatstaat möglich und zumutbar ist. Es stellt sich somit die Frage, ob der hier interessierende Ausweisungsgrund "Fürsorgeabhängigkeit" nur gegeben ist, wenn zugleich die in Art. 10 Abs. 2 ANAG erwähnten Voraussetzungen erfüllt sind (Zumutbarkeit und Möglichkeit der Heimkehr in den Heimatstaat). Der Wortlaut schliesst eine solche Auslegung nicht aus. Denkbar sind vielmehr beide Lösungen: die Systematik von Art. 10 ANAG legt an sich eher den Schluss nahe, dass die Ausweisungsgründe enumerativ und abschliessend in Abs. 1 aufgezählt sind, wohingegen Abs. 2 Ausweisungsschranken enthält. Die letzteren sollen-so verstanden-sicherstellen, dass Ausländerinnen und Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen trotz Vorliegens eines Ausweisungsgrundes in der Schweiz bleiben Können (vgl. hierzu auch die Botschaft des Bundesrates zur Änderung des ANAG vom 25. März 1948, in BBI 1948 I S. 1293 ''., wonach mit der Einführung von Art. 10 Abs. 2 ANAG verhindert werden sollte, dass armengenössige Personen, die von keinem anderen Staat als Staatsangehörige aufgenommen würden, über die Schweizergrenze abgeschoben und ihrem Schicksal überlassen werden Könnten). Art. 10 ANAG kann indes auch so verstanden werden, dass im Falle von Geisteskrankheit (Abs. 1 Bst. c) und Fürsorgeabhängigkeit (Abs. 1 Bst. d) erst dann ein "Ausweisungsgrund" vorliegt, wenn der betroffenen Person die heimkehr in den Heimatstaat möglich und zumutbar ist. Der Grund für die vielleicht etwas ungewöhnliche Systematik, welche dieser Lösung anhaften würde, läge möglicherweise darin, dass der Gesetzgeber die in mehreren Ausweisungsgründen enthaltenen Elemente der Einfachheit halber, d.h. zum Vermeiden unnötiger Wiederholungen, in einem separaten Absatz 2 verankert hat. Je nachdem, welche dieser zwei Auslegungsmöglichkeiten die zutreffende ist, präsentiert sich die Rechtslage für die Beschwerdeführenden so oder anders. Sollte Art. 10 Abs. 2 ANAG eine blosse Ausweisungsschranke sein, so Würde die erhebliche und fortgesetzte Fürsorgeabhängigkeit für eine Verweigerung der Niederlassungsbewilligung genügen, da das Nichtberücksichtigen von blossen Ausweisungsschranken nach dem oben Gesagten dem Sinn von Art. 28 AsylG besser gerecht wird als eine weite Auslegung des dort verwendeten Begriffs "Ausweisungsgrund". Sollte Art. 10 Abs. 2 ANAG dagegen Teil des Ausweisungsgrunds von Abs. 1 Bst. d sein, so könnte die Niederlassungsbewilligung nur verweigert werden, wenn den Beschwerdeführenden die heimkehr in ihr Heimatland möglich und zumutbar wäre. Dies ist angesichts ihrer Flüchtlingseigenschaft nicht der Fall.Dar der Wortlaut der Diskussion stehenden Bestimmungen demnach keine eindeutige Antwort auf die sich hier stellenden Fragen liefert, wird im folgenden anhand der Entstehungsgeschichte sowie der teleologischen Auslegungsmethode zu prüfen sein, welche der beiden dargestellten Ergebnisse dem Sinn von Art. 28 AsylG besser gerecht wird.

5.

a)Die vom Bundesrat vorgeschlagene Fassung des heutigen Art.28 AsylG lautete ursprünglich wie folgt (vgl. Botschaft des Bundesrates zum Asylgesetz und zu einem Bundesbeschluss betreffend den Rückzug des Vorbehaltes zu Art. 24 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Flüchtilinge im folgenden kurz: Botschaft zum Assylgesetz, in BBI 1977 III 105 ''.):

"Art. 27 Niiederlassung

Der Flüchtling, der sich während mindestens fünf Jahren rechtmässig ununterbrochen in der Schweiz aufgehalten hat, hat Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung, sofern er nicht schwer gegen die öffentliche Ordnung oder die Sittlichkeit verstossen hat."

Anlässlich der Beratung im Ständerat führte Berichterstatter Dillier, soweit hier interessierend, folgendes aus (vgl. Amtl. Bull. SR 1978 S. 84):

"In Artikel 27 schlägt die Kommission eine neue Formulierung vor, aber nicht aus materielen Grüden, sondern aus Gründen der bessern Unschreibung dessen, was gemeint ist."

Dem von Ständerat Dilier erwähnten Kommissionantrag entspricht die heutighe Fassung von Art. 28 AsylG. Der Ständerat genehmigte den Antrag diskussionslos. Der Nationalrat, welcher das Asylgesetz als Zweitrat behandelte, schloss sich dem Beschluss des Ständerats an, ohne über die hier interessierende Abweichung zum Vorschlag des Bundesrats zu diskutieren (vgl. Amtl. Bull. NR 1978 S. 1872 ''.). das wiedergegebene (einzige) Votum zur. Änderung der bundesrätlichen Fassung des heutigen Art. 28 AsylG deutet darauf hin, das der Gesetzgeber die rigorosen Voraussetzungen zur Verweigerung der Niederlassungsbewilligung (schwerer Verstoss gegen die öffentliche Ordung oder Sttlichkeit) nicht aufweichen wollte. Angestrebt wurde "keine materiele Anderung", sondern lediglich eine "bessere Umschreibung dessen, was gemeint ist" Was den gesetzgeber allerdings letztlich dazu bewogen hat, die jetzige Fassung zu wählen, welche, beim Wort genommen, eine Ausweitung der Verweigerungsvoraussetzungen bedeuten kann und damit alles andere als eine "bessere Umschreibung" des bundesrätlichen Vorschlags darstellt, ist aus den Materialien nicht ersichtlich. Die Beschweredeführenden liefern hierfür folgende Erkläung: Zur Zeit, als der Ständerat die fragliche Änderung verabschiedete, sei bereits die Botschaft zu einem neuen Ausländergesetz (Botschaft des Bunhdesrate zum Ausländergesetz vom 19. Juni 1978, in BBI 1978 II 169 ff''.) bekannt gewesen. Darin seien die Ausweiungsgründe erheblich eingeschränkt worden. Möglicherweise habe man das Asylgesetz bereits auf dieses neue Ausländergesetz abstimmeèn wollen. Diesfalls würde die Umschreibung "wenn kein Ausweisungsgrund vorliegt" mit der bundesrätlichen Fassung "sofern er nicht schwer gegern ide öffentliche Ordnung oder die Sittlichkeit verstossen hat" übereinstimmen. Was die Beschwerdeführenden zum Inhalt des damals diskutierten Entwurfs zu einem neuen Ausländergesetz vorbringen, trifft grundsätzlich zu. In Art. 53 Abs. 2 dieses Entwurfs wurden die Ausweisungsgründe auf die Gefährdung der inneren Sicherheit des Kantons (Bst. a ), die Verurteilung zu Zuchthaus oder Gefängnis (Bst. b) sowie den schweren und wiederholten Verstoss gegen die gesetzlichen Vorschriften (Bst. c) eingeschränkt. Geisteskrankheit und Bedürftigkeit (Art. 10 Abs. 1 Bst. c und d ANAG) hätten nach diesem Vorschlag nicht mehr als Ausweisungsgründe gelten sollen. Ob die vorberatende Kommission des Ständerats bei ihrer Änderug tatsächlich die Ausweisungsgründe des neuen Ausländergesetzes-und nicht diejenigen des darmals und heute geltenden ANAG-im Auge hatte, ist fragilch. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführenden erging die Botschaft zum Ausländergesetz (Juni 1978) nach der massgebenden Debatte im Ständerat vom März 1978. Immerhin könnte das Abstimmen auf das neue Ausländergesetz eine Erklärung für die Änderung des heutigen Art. 28 AsylG sein. Eine andere Erklärung könnte darin bestehen, bass der Berichterstatter im Ständerat die Ausweisungsgründe von Art. 10 Abs. 1 Bst. c und d ANAG nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit Abs. 2 der Vorschrift betrachtet hat (vgl. hierzu oben E. 4 c). Die neu vorgeschlagene Fassung Fassung vn Art. 28 AsylG entspricht zwar auch bei einer solchen, die zusätzlichen Einschränkungen von Art. 10 Abs. 2 ANAG mitberücksichtigenden Interpretation noch nicht der ursprünglichen Version des Bsundesrats. Sie kommt ihr im Ergebnis jedoch erheblich näher, als dies bei einer isolierten Betrachtung der in Art. 10 Abs. 1 ANAG genannten Ausweisungsgründe der Fall wäre.

Als Zwischenergebnis kann demnach festgehalten werden, das nach dem Willen des Gesetzgebers-d.h, nach dem Willen des Berichterstatters, dem sich die Räte kommentatrlos angescholossen haben-die heutige Fassung von Art. 28 AsylG offenbar materiell der bundesrätlichen Formulierung in Art. 27 des Entwurfs zum Asylgesetz entsprechen sollte. Dieser Entwurf sah vor, dass die Niederlassungsbewilligung nur bei einem "schweren Verstoss gegen die öffentliche Ordnung oder Sittlichkeit" zu verweigern sei. Weiteres kommt hinzu.

6. Die gleiche Formulierung, wie sie in Art. 28 AsylG enthalten ist, findet sich in Art. 7 Abs. 1 ANAG (in der Fassung vom 23. März 19990, in Kaft seit dem 1. Januar 1992). Diese Bestimmung lautet wie folgt:

"Der ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers hat Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochene Aufenthalt von fünf Jahren hat er Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung. Der Anspruch erlischt, wenn ein Ausweisungsgrund vorliegt."

Die vom Bundesrat vorgschlagene ursprüngliche Fassung von Art. 7 ANAG-es handelte sich dabei um Art. 5 a ANAG, welcher im Verlauf der parlamentarischen Debatte zum heutigen Art. 7 ANAG wurde -, ist, was den hier allein interessierenden letzten Satz anbelangt, mit der heutigen Fassung identisch (vgl. Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Bürgerrechtsgesetzes (im folgenden kurz: Botschaft zum Bürgerrechtsgesetz), in BBI 1987 III 293 ''.). In seinen Erläuterungen zu Art. 5 a ANAG hielt der Bundersrat folgendes fest (vgl. Botschaft zum Bürgerrechtsgesetz S. 321):

"Der Anspruch des ausländischen Ehegatten eines Schweizers oder einer Schweizerin fällt dahin, wenn ein Ausweisungsgrund vorliegt. Es kann sich dabei um einen Ausweisungsgrund im Sinne von Art. 70 BV (Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz), Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a (gerichtliche Bestrafung wegen eines Verbrechens ) oder Buchstabe b ANAG (Verhalten, das eindeutig darauf schliessen lässt, dass sich de Ausländer nicht in die schweizerische Ordung einfügen will) oder Art. 55 StGB (Landesverweisung) handeln. Selbstverständlich ist in diesen Fällen die Familienschutzbestimmung von Art. 8 der EMRK (SR 0.101) zu beachten."

Weitere Bemerkungen zum heutigen Art. 7 ANAG enthält die Botschaft zum Bürgerrechtsgesetz nicht. Im Parlament wurde Artikel zwar heftig diskutiert. Über die hier interessierende Auslegung des Begriffs "Ausweisungsgrund" wurde indes nicht gesprochen (vgl. Amtl. Bull. NR 1989 S. 1456 ff.; Amt. Bull. SR 1988 S. 207 ''.). Die wiedergebenen Erläuterungen des Bundesrats machen deutlich, dass der in Art. 7 Abs. 1 ANAG verankerte Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung bzw. der Niederlassungsbewilligung nach dem Willen des historischen Gesetzgebers nur untergehen sollte, wenn ein Auweisungsgrund nach Art. 10 Abs. 1 Bst. a oder b ANAG vorliegt. Die Ausweisungsgründe Geisteskrankheit (Abs. 1 Bst. c) und Fürsorgeabhängigkeit (Abs. 1 Bst. d) sollen dagegen nicht zum Erlöschen des Anspruchs auf Erteilung einer fremednpolizeilichen Bewilligung führen. Diese erkenntnisse sind auch im vorliegenden Fall zu beachten. Zwar beziehen sich die zitierten Materialien auf Art. 7 ANAG und nicht auf den hier interessierenden Art. 28 AsylG. Da der Wortlaut der beiden Bestimmungen jedoch identisch ist-ganz offensichtlich lehnte sich die gesetzgebende Behörde bei der Formulirung von Art. 7 ANAG bewusst an die Bestimmung von Art. 28 AsylG an -, kann davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber den Begriff "Ausweisungsgrund" bei Art. 7 ANAG nicht anders verstanden haben wollte als bei Art. 28 AsylG. Diese Vermutung drängt sich um so mehr auf, als die vom Bundesrat bei der Erläuterung des heutigne Art. 7 ANAG erwähnten Ausweisungsgründe der sache nach genau jenem Verweigerungsgrund entsprechenm, der in der ursprünglichen Fassug von Art. 28 AsylG vorgesehen war ("sofern er nicht schwer gegen die öffentliche Ordnung oder die Sittlichkit verstossen hat"). Dass die ursprüngliche Fassung inhaltlich keine Änderung mehr erfahren sollte, wurde bereis ausgeführt.

Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass aufgrund der Materialien zum Asylgesetz sowie der Materialien zum ANAG davon ausgegangen werden muss, die blosse Fürsorgeabhängigkeit allein-diese stellt unbestrittenermassen keinen Verstoss gegen die öffentilche Ordnung dar-genüge nicht zur Verweigerung der Niederlassungsbewilligung. Dieses Ergebnis deckt sich mit der Auffassung des BFF, wonach die Fürsogeabhängigkeit allein nur dann zu einer Verweigerung der Niederlassungsbewilligung führen könnte, wenn zugleich eine anderer Ausweisungsgrund wie beispielsweise der fehlende Wille, sich in die im Gaststaat geltende Ordnung einzufügen (Art. 10 Abs. 1 Bst. b ANAG), vorliege. Die historische Auslegung ergibt demnach ein anderes Bild als jene allein im Wortlatu orientierte grammatikalische Auslegung, nach welcher als "Ausweisungsgrund" nur die Tatbestände von Art. 10 Abs. 1 ANAG anzusehen sind (vgl. oben E. 4 c) . Zu prüfen bleibe, wie es sich mit dem Sinn von Art. 28 AsylG (teleologisches Element) verhält.

7.

a)Mit dem Gewähren der Niederlassungsbewilligung nach fänf Jahren soll bei anerkannten Flüchtlingen, welche-anders als die übrigen in der Schweiz lebenden Auslnderinnen und Ausländer-ohnehin nicht mehr in ihren Heimatstaat zurückkehren können, die rasche Eingliederung gefördert wereden (Botschaf zum Asylgesetz, S. 129; vgl. hierzu auch die Debatte im Natioalrat, wo eingehend diskutiert wrde, ob anerkannte Flüchtlinge die Niederlassungsbewilligung sofort, nach zwei Jahren oder nach fülnf Jahren erhalten sollen (Amtl. Bull NR 1978 S. 1872 ff.). ein Verzicht auf die angestrebte Förderung der raschen Eingliederung macht in jenen Fällen ohne weiteres Sinn, wo die betroffene Perosn durch ihr Verhalten zum Ausdruck bringt, dass sie ohnehin nicht gewillt ist, sich in die in der Schweiz geltende Ordnug einzufügen. Dies dürfte in den Fällen von Art. 10 Abs. 1 Bst. a und b ANAG reglmässig der Fall sein. Im Falle der Geisteskrankheit (Abs. 1 Bst. c$) sowie der Fürsorgeabhängigkeit (Abs. 1 bst. d) kann nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht mehr gesagt werden, die bertoffene Person widersetze sich bewusst der Eingliederung in ihr Gastland. Diese zwei Ausweisungsgründe treten vielmehr in aller Regel ohne Zutun des Flüchtlings ein. Ein Verzicht auf die Förderung der Eingliederung erscheint daher in den Fällen von Abs. 1 Bst. c und Abs. 1 Bst. d nicht gerechtfertigt. Dies bedeutet, dass dem Sinn von Art. 28 AsylG allein eine Auslegung von Art. 10 ANAG gerecht werden kann, nach der "nur gerade Geisteskrankeit" bzw. "nur gerade Fürsorgeabhängigkeit" keinen Ausweisungsgrund abgegen.

b)Zu berücksichtigen ist ferner, dass mit der Änderung von Art. 31 Abs. 1 ANAG sowie der gleichzeitigen Einführung von Art. 40 a ANAG durch das Bundesgesetz vom 5. Oktober 1984 eine gesetzliche Grundlage für den Übergang der Fürsorgezuständigkeit vom Bund auf die Kantone geschaffen werden sollte. Als Zeitpunkt für diesen Übergang wurde die Erteilung der Niederlassungsbewilligung gewählt, da man davon ausging, nach fünf Jahren sei der Integrationsprozess abgeschlossen, was einen Überagang der Unterstützungszuständigkeit auf die Kantone rechtfertigte (vgl. Botschaft des Bundersrates über erste Massnahmen zur Neuverteilung der Aufegaben zwischen Bund und Kantonen, in BBI 1981 III 737 ''., insbes. S. 807). Wolte man die blosse Fürsorgeabhängigkeit als Ausweisungsgrund im Sinne vo Art. 28 AsylG anerkennen, so hätte dies zur Folge, dass die Fürsorgezuständigkeit ausgerechnet in jenen Fällen nicht auf die Kantone übergehen würde, da der Bund schon seit Jahren erhebliche Fürsorgeleistungen erbracht hat. Die mit dem Bundesgesetz vom 5. October 1984 bezweckte Neubverteilug der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen würde diesfals im Bereich der Unterstützung von Flüchtlingen in einem der wichtigsten Anwendungsfälle nicht verwirklicht werden. Auch diese Konsequenz macht deutlich, dass dem Sinn von Art. 28 AsylG allein jene Auslegung gerecht wird, welche die Ausweisungsgründe von Art. 10 Abs. 1 Bst. c und d ANAG unberücksichtigt lässt, soweit diese isoliert betrachtet werden.

Damit steht fest, dass die erhebliche und fortgesetzte Abhängigkeit von der öfffentlichen Wohltötigkeit noch keinen hinreichenden grund f'ür die Verweigerung der Niederlassungsbewilligung nach Art. 28 AsylG abgibt. Aus der Entstehungsgeschichte der Art. 7 ANAG, 10 ANAG und 28 Asylg sowie aufgrund des mit Art. 28 AsylG verfolgten Zwecks muss vielmehr geschlossen werden, dass ein Ausweisungsgrund im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Bst. d ANAG nur gegeben ist, wen der betroffenen Person die Heimkehr in den Heimatstaast möglich und zumutbar ist. Dass dies bei anerkanten Flüchtlingen nicht der Fall ist, wurde bereits ausgeführt.

c)Bei diesem Ergebnis braucht nicht weiter abgeklärt zu werden, ob die von der Vorinstatnz (recte: Beschwerdeführenden) vertretene Auffassung zutrifft, wonach ein Ausweisungsgrund nur dann gegeben ist, wenn auch die Angemessenheit der Ausweisung nach Art. 11 Abs. 3 ANAG zu bejahen ist.

Kommentar

Mit diesem sorgfältig begründeten und überzeugenden Urteil ist das Verwaltungsgericht des Kantons Bern der fremdenpolizeilichen Auffassung entschieden entgegengetreten, Flüchtlingen allein aus dem Grund, dass sie fürsorgeabhängig sind, die Niederlassungsbewilligung zu verwegern, eine Sichtweise, die mit dem Geist des Asylgesetzes unvereinbar ist. Eine Abweisung der Beschwerde und eine Bestätigung der Praxis der Fremdenpolizei hätte nicht nur für den Bund finanzielle Konsequenzen, sondern auch für die Hilfswerke zur Folge gehabt, dass sie-eventuellel über Jahrezehnte hinweg-Flüchtlinge hätten weiterbetreuen müssen.

Mario Gattiker

ARK, IV. Kammer, Richter Telenbach (Vorsitz), Richterin Leu, Richter Netzer. Urteil vom 25. Mai 1994, N 204 167

Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs gemäss Art. 14a Abs. 4 ANAG, posttraumatisches Syndrom, inländische fluchtalternative in der Türkei.

Aus dem Sachverhalt

Die Gesuchstellerin, eine Kurdin aus der Türkei, macht Verfolgung dirch die türkischen Sicherheitskräfte geltend. Sie sei verdächtigt worden, kurdische Revolutionäre unterstützt zu haven. Sie leidet noch heute an den Folgen eines posttraumtischen Syndroms, was auch in einem von der ARK in Auftrag gegebenen psychiatrischen Gutachten der Universitätspoliklinik bestätigt wurde. Die ARK weist die Beschwerde gegen die verweigerung des Asyls ab. Das Bundesamt für Flüchtlinge wird aber angewiesen, die Gesuchstellerin vorläufig aufzunehmen.

Aus den Erwägungen

"Glaubhaft gemacht ist aufgrund der gutachterlichen Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung einig, dass die Beschwerdeführerin ein traumatisierendes Ereignis erlebt haben muss. Die genauen Umstände dieses Erlebnisses-was für die Frage der Asylrelevanz von entscheidender Bedeutung wäre-bleiben indessen unklar. Da im Asylverfahren für den Nachweis der Flüchtlingseigenschaft-trotz des herabgesetzten Beweismassstabs und des dabei geltenden Untersuchungsgrundsatzes-der/die Asylgesuchsteller/in die Beweisalst (d. h. die Folgen des misslungenen Nachweises) trägt, kann aus diesem Grund der Beschwerdeführerin die Flüchtlingseigenshchaft nicht zuerkannt werden. Das BFF hat somit das Asylgesuch zu recht abgelehnt. Inwiefern das festgestllte posttraumatische Syndrom für den Ausgang des Verfahrens von Bedeutung ist, ist bei der Frage der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs zu prüfen."

"Gemäss Artikel 14a Absatz 4 ANAG kann der Vollzug der Wegweisung insbesondere dann nicht zumutbar sein, wenn er für den Ausländer eine konkrete Gefährdung darstllt. Die "Kann"-Formulierung deutet auf den der Behörde bezüglich der Beurteilung der Zumutbarkeit zustehenden Ermessensspielarum hin (vgl. W. Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, Basel/Frankfurt a. M. 1990, S. 203). Die entscheidende Behörde hat dabei eine Abwägung zwische den auf dem Spiel stehende privaten und öffentlichen Interessen vorzunehmen (vgl. BBI 1990 II 668f.)."

"Somit bleibt die Frage zu beantworten, ob der Vollzug der Wegweisung aufgrund der offensichtlich vorhandenen Symptome sllenfals unzumutbar ist."

"Die Beschwerdeführerin kommt aus Ciftlik (Provinz Elbistan), einem kurdisch-alevitischen Dorf. Seit der Aufhebung des einseitigen Waffenstllstandes Ende Mai 1993 und der Wiederaufnahme der bewaffineten Aktionen durch die PKK in dieser Region haben sich die Auseinandersetzungen zwischen den kurdischen Guerillas und den türkischen Sicherheitskräften verschärft. Neben der PKK sind in dieser Region auch andere Gruppierungen, beispielssweise die Devrimci Sol, aktiv. Nach Erkenntnissen der Schweizerischen Asylrekurskommission wurden Einohner dieses Dorfes auch im sommer 1993 verschiedene Male auf dem Dorfplatz durch türkische Sicherheitskräfte verprügelt oder in Haft genomen. Wie aus diversen Quelen hervorgeht, wird die Zivilvölkderung in stetig ansteigendem Masse in Mitleidenschaft gezogen (vgl. Gutachten von H. Oberdiek zu verschiedenen Fragen bezüglich der Türkei z. Hd. Der ARK vom 11, Auzgust 1993)."

"Zudem ist-wie bereits dargelegt-davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin aufgrund eines nicht näher konkretisierbaren Ereignisses an einer post-traumatischen Belastungsstörung leidet."

"Dieser Umstand führt, zusammen mit der Situation in der Heimatprovinz der Beschwerdeführerin, dazu dass eine Wegweisung in dieses Gebiet als unzumutbar erachtet wird. Aufgrund der persönlichen Situation der Beschwerdefuhrerin ist auch ausszuschliessen, dass ihr eine Fluchtalternative in einem anderen Teil der Türkei zugemutet Die Beschwerdeführerin hat lediglich die Grundschule in Ciftlik besucht. Danach sei sie bis zu ihrer Ausreise ohne Arbeit ausser Haus zu Hause bei ihren Eltern gewesen. Die Annahme, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage ist, sich in ihrem Heimatstaat eine Existenz aufzubauen erscheint zudem auch aufgrund ihres psychischen Zustandes berechtigt; zumal die Beschwerdeführerin im Westen der Türkei über kein soziales oder ökonomisches Netz verfügt."

"In Anbetracht dieser Umstände rechtfertigt es sich im vorliegenden Fall in Anwendung von Arkikel 14a Absatz 4 ANAG auf den Vollzug der Wegweisung wegen Unzumutbakeit zu verzichten."

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