Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 27. Februar 1990-14 VG A 1986/89

Verwaltungsgericht Hamburg

Urteil

Im Namen des Volkes

In der Verwaltunasrechtssache

X gegen

1.         Bundesreppublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister des Innern, dieser vertreten durch den Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Rothenburger Straße 29, 8502 Zirndorf, 263-00166-88,

2.         Freie und Hansestadt Hamburg, vertreten durch die Behörde für Inneres - Einwohner-Zentralamt -,E 760,

Beklagte,

beteiligt gemäß § 5 AsylVfG:

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten Rothenburger Straße 29, 8502 Zirndorf, 263-00166-88, hat das Verwaltungsgericht Hamburg, Kammer 14, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. Februar 1990 durch den Richter am Verwaltungsgericht Feuchte als Einzelrichter

Für Recht erkannt:

Die Beklagte zu 1) wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 12. Juli 1989 verpflichtet, den Kläger als asylberechtigt anzuerkennen.

Der Bescheid der Beklagten zu 2) vom 30. August 1989 wird aufgehoben.

Die Beklagte zu 1) trägt 2/3, die Beklagte zu 2) trägt 1/3 der Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der jeweils gegen sie festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Die Nichtzulassung der Berufung kann durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils angefochten werden.

Die Beschwerde ist schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Hamburg, Nagelsweg 37, 2000 Hamburg 1, einzulegen. Sie muß das angefochtene Urteil bezeichnen. Die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, müssen innerhalb der Beschwerdefrist dargelegt werden.

Die Berufung in nur zuzulassen, wenn

1.         Die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder

2.         das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerfichts, des Bundesverwaftungsgerichts oder des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

3.         ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

Ein Verfahrensmangel nach § 138 der Verwaftungsgerichtsordnung liegt vor, wenn

1.         das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,

2.         bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,

3.         einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,

4.         ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,

5.         das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder

6.         die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

Der Beschwerde sowie allen Schriftsätzen sollen Abschriften für die Beteiligten beigefügt werden.

Tatbestand

Der Kläger erstrebt im Verfahren gegen die Beklagte zu 1) politisches Asyl und wendet sich gegen eine von der Beklagten zu 2) unter Fristsetzung ausgesprochene Ausreiseaufforderung nebst Abschiebungsandrohung.

Der am 21.März 1961 in Johannesburg geborene Kläger ist südafrikanischer Staatsangehöriger. Im April 1978 verließ er seine Heimat und lebte anschließend als Flüchtling in Botswana, wo er im November 1978 ein Reisedokument der Vereinten Nationen erhielt. Von November 1978 bis Dezember 1980 hielt sich der Kläger in Nigeria und von Mai 1982 bis ungefähr März 1983 zu Studienzwekken in Zypern auf und kehrte nach diesen Aufenthalten jeweils nach Botswana zurück. Im September 1983 kam der Kläger durch Vermittlung der Otto-Benecke-Stiftung nach Hamburg, um eine Ausbildung zum Zimmerer zu machen. Am 18. Januar 1985 wurde in Gaborone für den Kläger ein Reisedokument nach der Konvention vom 28. Juli 1951 mit Rückkehrberechtigung nach Botswana ausgestellt, welches samt Rückkehrberechtigung später bis zum 17. Januar 1989 verlängert wurde. Entsprechend einer Vereinbarung mit der Otto-Benecke-Stiftung kehrte der Kläger nach Abschluß seiner Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland im Dezember 1987 nach Botswana zurück, reiste aber bereits ungefähr einen Monat später wieder in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Mit Schreiben vom 30. März 1988 beantragte der Kläger politisches Asyl. Zur Begründung machte er geltend, er könne ohne Gefahr für Leib und Leben nicht in die Republik Südafrika zurückkehren. Er müsse bei einer Rückkehr mit politischer Verfolgung rechnen, da er bereits im Jahre 1978 nach Botswana geflüchtet sei und sich seitdem politisch gegen die Rassendiskriminierung in Südafrika einsetze. Auch eine Rückkehr nach Botswana sei nicht möglich, da südafrikanische Flüchtlinge in den Grenzbereichen zu Südafrika angesiedelt würden und dort ständigen bewaffneten Angriffen der südafrikanischen Armee oder südafrikanischer Polizeieinheiten ausgesetzt seien. Die Unterdrückungsmechanismen der südafrikanischen Regierung gegenüber Schwarzen und Farbigen seien bekannt. Sowohl die primitivsten Menschenrechte wie auch die Regeln einer ordentlichen Gerichtsbarkeit würden von der Republik Südafrika nicht eingehalten. Die Regierung schrecke auch nicht davor zurück, in Nachbarländern ehemalige Staatsangehörige zu kidnappen und in die Gefängnisse von Südafrika zu verschleppen.

Er sei im März 1977 in Soweto dem Soweto Students Representative Council (SSRC) beigetreten und sei deswegen von der Polizei gesucht worden. Das SSRC habe sich nach Schülerprotesten und Demonstrationen gegen das südafrikanische Bildungssystem gebildet. Nachdem sein mütterliches Haus durchsucht worden sei, habe er sich in den Untergrund begeben und sei als Black-Power-Aktivist von verschieden Leuten unterstützt worden. Anläßlich einer Reise zu einem Treffen mit anderen Schülern in Transvaal sei er in Mafikeng, der Hauptstadt des Homelands Bophuthatswana, Ende 1977 verhaftet und dort drei Wochen lang in der zentralen Polizeistation festgehalten worden; anschließend habe man ihn in das Protea Polizeihauptquartier in Soweto überbracht, wo er freigelassen worden sei, nachdem er verschiedene Papiere unterschrieben habe. Er habe sich jedoch täglich bei der Polizei melden müssen. Nachdem das SSRC verboten und die Soweto Students League (SSL) ins Leben gerufen worden sei, auf deren Seite er sich geschlagen habe, habe er sich, um seine Kameraden zu schützen, nicht mehr bei der Polizei gemeldet. Dies habe seine Situation verschlechtert, es hätten Übergriffe auf sein Haus stattgefunden. Daher habe er Südafrika verlassen müssen und sei am 24. April 1978 nach Botswana gelangt. Im April 1979 sei das South African Youth Revolutionary Council (SAYRCO) als Zusammenfassung aller Black-Consciousness-Bewegungen ins Leben gerufen worden, und er sei Mitglied dieser Organisation geworden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die ausführliche schriftliche Darstellung des Klägers (Bl. 8 ff. der Asylakten) sowie auf seine Angeben bei der Anhörung im Rahmen der Verprüfung (Bl, 26 ff. der Asylakten) verwiesen.

Mit Bescheid vom 12. Juli 1989 lehnte die Beklagte zu 1) den Asylantrag des Klägers ab. In der Begründung heißt es, der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, Es könne dahingestellt bleiben, ob er seine Heimat Südafrika aus asylerheblichen Gründen verlassen habe bzw. aus solchen Gründen dorthin nicht zurückkehren könne, denn einer Anerkennung als asylberechtigt stünden die Bestimmungen des § 2 AsylVfG entgegen. Der Kläger sei bereits in Botswana sicher vor politischer Verfolgung gewesen. Ihm sei in Botswana durch die zuständige Behörde ein Reisepaß nach der Konvention vom 28. Juli 1951 ausgestellt worden. Nach Ablauf der Gültigkeit dieses Passes sei ein neuer Paß ausgestellt worden, welcher mit einer Rückkehrklausel versehen sei. Der Kläger habe im übrigen selbst durch mehrmalige Rückkehr nach Botswana gezeigt, daß er eine Gefährdung seiner Person durch den südafrikanischen Staat in Botswana nicht befürchte. Vielmehr sei ersichtlich, daß der botswanische Staat sogar tatsächlich gefährdete Flüchtlinge zum Schutz in das Lager Dukwe verbracht habe.

Mit Formularbescheid vom 30. August 1989 forderte die Beklagte zu 2) den Kläger gemäß § 28 AsylVfG zur Ausreise auf, setzte ihm eine Ausreisefrist von einem Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides der Beklagten zu 1) und drohte ihm die Abschiebung an.

Beide Bescheide wurden dem Kläger am 1. September 1989 zugestellt. Am 5. September 1989 hat er die vorliegende Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.

Der Kläger trägt vor, er sei aufgrund seiner politischen Aktivitäten in seiner südafrikanischen Heimat gezwungen gewesen zunächst nach Botswana zu fliehen. Dort wäre er den ständigen bewaffneten Angriffen der südafrikanischen Armee und Polizei ausgesetzt. Es bestünde die Gefahr, daß er im Rahmen eines solchen Überfalls gefangen genommen und nach Südafrika verschleppt werden würde. Die Flüchtlingslager unterlägen der Bombardierung der südafrikanischen Luftwaffe. Er könnte sich in Botswana nicht frei bewegen, sondern unterläge einer Kasernierung. Er sei daher in Botswana nicht sicher im Sinne von § 2 AsylVfG gewesen.

Der Kläger beantragt,

1.         unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Juli 1989 die Beklagte zu 1) zu verpflichten, ihn als asylberechtigt anzuerkennen,

2.         den Bescheid der Beklagten zu 2) vom 30. August 1989 aufzuheben.

Die Beklagten beantragen jeweils Klagabweisung.

Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich nicht geäußert.

Die Beklagten verteidigen ihre angegriffenen Bescheide.

Das Gericht hat den Kläger zu den Gründen seines Asylbegehrens als Partei vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 27. Februar 1990 verwiesen.

Die den Kläger betreffenden Asyl - und Ausländerakten sowie die Akten des Verfahrens 14 VG A 755/89 waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf sie sowie auf den Inhalt der Prozeßakten wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 30 AsylVfG zulässige Verbundklage hat vollen Umfanges Erfolg. Die Beklagte zu 1) war zu verpflichten, den Kläger als asylberechtigt anzuerkennen, und der angefochtene Bescheid der Beklagten zu 2) (Ausreiseaufforderung nebst Abschiebungsandrohung) war aufzuheben.

I.

Der Kläger hat Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG.

Die Anerkennung als asylberechtigt setzt voraus, daß der Bewerber bei einer Rückkehr in seine Heimat für seine Person die aus Tatsachen begründete Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen aus politischen Gründen hegen muß. Für deren inhaltliche Bestimmung ist maßgeblich, daß dem Asylgrundrecht die von der Achtung der Unverletzlichkeit der Menschenwürde bestimmte Überzeugung zugrunde liegt, daß kein Staat das Recht hat, Leib, Leben oder die persönliche Freiheit des einzelnen aus Gründen zu gefährden oder zu verletzen, die allein in seiner politischen Überzeugung, seiner religiösen Grundentscheidung oder in für ihn unverfügbaren Merkmalen liegen, die sein Anderssein prägen (asylerhebliche Merkmale). Für die Beurteilung der Verfolgungsgefahr ist maßgeblich, ob der Asylbewerber aufgrund der gegenwärtigen in seinem Heimatstaat herrschenden politischen Verhältnisse jetzt und in absehbarer Zeit ernsthaft mit gegen ihn gerichteten asylerheblichen Maßnahmen rechnen muß. So verhält es sich nach Auffassung des Gerichts im Falle des Klägers.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Kläger unter den bisher in Südafrika herrschenden Verhältnissen im Falle einer Rückkehr dorthin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit asylerhebliche politische Verfolgung zu befürchten gehabt hätte, weil er als Oppositioneller schwarzer Hautfarbe, Beteiligter an den Schülerunruheu in Soweto 1976/77 sowie als Mitglied und Sympathisant des SSRC bzw. der SSL sowie später des Sayrco politisch gegen das südafrikanische Apartheidregime gearbeitet hat, was von diesem, wie allgemein bekannt ist, jedenfalls bisher nicht sanktionslos hingenommen wurde. Auch die Beklagte zu 1) stellt dies in ihrem angefochtenen Bescheid vom 12. Juli 1989 nicht ausdrücklich in Abrede. Daß der Kläger die genannten und die sonst von ihm beschriebenen politischen Tätigkeiten tatsächlich ausgeübt hat, ist ohne weiteres glaubhaft. Sein Vorbringen zeugt von einer ungewöhnlichen Detailkenntnis und steht mit dem Inhalt der dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen in Einklang. Das Gericht ist von der Glaubwürdigkeit des Klägers auch aufgrund des persönlichen Eindrucks überzeugt, welchen er im Rahmen seiner Parteivernehmung vermittelt hat.

Die vorstehende Beurteilung kann nach Auffassung des Gerichts für den nach der heutigen Situation zu entscheidenden Fall des Klägers auch im Lichte der gegenwärtigen Entwicklung in Südafrika übernommen werden. Zwar hat die südafrikanische Regierung den schwarzen Oppositionsführer Nelson Mandela vor kurzem freigelassen, und über 30 Oppositionsgruppen, darunter der ANC, der PAC, die UDF, die Kommunistische Partei und die Gewerksbewegung Cosatu wurden legalisiert (Frankfurter Rundschau vom 3. Februar 1990). Dies kann jedoch nicht zu einer Ablehnung des klägerischen Asylbegehrens führen. Da der Kläger nämlieh bereits vor seiner Ausreise aus Südafrika politisch verfolgt war, kann ihm eine Rückkehr in die Heimat nicht zugemutet werden, solange nicht eine Wiederholung der erlittenen politischen Verfolgung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist. Daß aber eine politische Verfolgung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen wäre, läßt sich gegenwärtig, ohne daß es einer Beweiserhebung darüber bedürfte, nicht feststellen. Es mag zwar eine gewisse Entspannung der Lage in Südafrika eingetreten sein, nichtsdestoweniger gibt es noch zahlreiche politische Gefangene, und ob sich die Regierung de Klerks mit ihrem Liberalisierungskurs wird durchsetzen können, ist insbesondere wegen vehementen Widerstandes von rechtsgerichteten Gruppierungen ungewiß. Vorverfolgt ist der Kläger deswegen, weil er, wie er glaubhaft geschildert hat, Ende 1977 in der Hauptstadt Bophuthatswenas Mafikeng von südafrikanischen Sicherheitskräften verhaftet und mehrere Wochen festgehalten wurde. Ob darüber hinaus die Angriffe auf sein Haus und die Pflicht, sich ständig bei der Polizei zu melden, eine politische Verfolgung darstellen, kann danach offenbleiben.

Die Asylerheblichkeit der vom Kläger erlittenen bzw. im Falle einer Rückkehr zu erleidendenden staatlichen Maßnahmen steht nicht deswegen in Frage, weil es sich bei ihnen lediglich um die Ahndung kriminellen Unrechts handeln würde. Der Kläger hat zwar eingeräumt, er habe sich an Brandschatzung beteiligt (In-Brand-stecken eines staatlichen Alkoholwarengeschäfts) und sei als "Terrorist" gesucht worden. Das diesbezügliche kriminelle Unrecht tritt aber jedenfalls aus der Sicht aus der südafrikanisehen Sicherheitsbehörden gegenüber der politischen Relevanz dieser und anderer Aktionen des Klägers eindeutig zurück, so daß die gegen ihn zu verhängenden Maßnahmen überwiegend politischen Charakter hätten. Dies zeigt gerade auch die Verhaftung in Mafikeng, anläßlich derer der Kläger gegenüber den Behörden einen anderen Namen angegeben hatte als denjenigen, unter welchem er in Soweto gesucht wurde. Die Behörden in Mafikeng kannten daher seine Verwicklung in eine Brandstiftung nicht und haben ihn trotzdem als "Terroristen" festgehalten, nur weil ihnen seine Tagebuchaufzeichnungen und seine Herkunft aus Soweto bekannt waren.

Eine Anerkennung des Klägers als asylberechtigt scheitert nicht an der hier in ihrer heutigen Fassung anzuwendenden (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.12.1987, E 78 S. 332, 342 f.) Regelung des § 2 AsylVfG. Gemäß § 2 Abs. 1 AsylVfG wird ein Ausländer nicht als asylberechtigt anerkannt, der bereits in einem anderen Staat vor politischer Verfolgung sicher war. So aber verhält es sich im Falle des Klägers nicht, obwohl er nach seiner Ausreise aus Südafrika lange Zeit in Botswana gelebt hat und ihm dort Reiseausweise mit Rückkehrberechtigung nach Botswana ausgestellt wurden, zuletzt verlängert bis 17. Januar 1989. Gegen den Kläger streitet weder die Vermutung des 7 Abs. 3 AsylVfG noch die Vermutung des § 2 Abs. 2 AsylVfG. Es steht zur Überzeugung des Gerichts nämlich fest, daß der Kläger jedenfalls zum Zeitpunkt seines letzten Aufenthalts in Botswana (1987/1988) dort vor politischer Verfolgung nicht (mehr) sicher war. Auf diesen Zeitpunkt aber kommt es an, da der Aufenthalt des Klägers in Botswana rechtlich gesehen bis dahin andauerte; die zwischenzeitlichen Aufenthalte in Nigeria und Zypern waren - wie auch sein Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland - von ihrem Zweck her gesehen zeitlich begrenzt und auf eine spätere Rückkehr nach Botswana angelegt, und entsprechend ist der Kläger auch gemäß seiner Verpflichtung der Otto-Benecke-Stiftung gegenüber nach Abschluß der von ihr finanzierten Ausbildung nach Botswana zurückgekehrt. Jedenfalls 1987/1988 fand der Kläger in Botswans indes keine sichere Lage mehr vor, so daß er nicht auf eine anderweitige Sicherheit vor Verfolgung im Sinne von § 2 AsylVfG verwiesen werden kann.

Was den Grad der nach § 2 AsylVfG zu fordernden Sicherheit betrifft, ist davon auszugehen, daß kein Zufluchtsland einen lükkenlosen Schutz vor Übergriffen des Heimatstaats des politisch Verfolgten bieten kann und es deshalb ausreichend ist, wenn der Schutz der im Bereich des Drittstaats befindlichen Flüchtlinge aufs Ganze gesehen gewährleistet ist (BVerwG, Beschluß vom 25. 7.1989, 9 B 98.89). Danach war die Sicherheitslage südafrikanischer Flüchtlinge in Botswana jedenfalls vor dem Zeitpunkt der Aufnahme des Klägers in das Förderungsprogramm der Otto-Benocke-Stiftung im Jahre 1983 allgemein als gut einzuschätzen (vgl. BVerwG, a.a.O.). Zwar soll es vereinzelt Fälle von Abschiebungen aus Botswana nach Südafrika gegeben haben (vgl. Memorandum des UNHCR vom 15. Dezember 1983). Auch haben nach dem Gericht vorliegenden Auskünften (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 5. Dezember 1986 sowie vom 5. April 1988; Stellungnahme des UNHCR vom 3. April 1987; Stellungnahme des Instituts für Afrika-Kunde vom 13. März 1987; Stellungnahme der Otto-Benecke-Stiftung vom 14. April 1988) in der Vergangenheit zahlreiche Übergriffe Südafrikas auf seine Nachbarstaaten stattgefunden. Soweit Angriffe gegen botswanisches Territorium erfolgten, waren sie tatsächlich oder vorgeblich gegen Angehörige bzw. Einrichtungen des in Südafrika oppositionellen ANC gerichtet. Aufgrund der mangelnden "Zielgenauigkeit" derartiger Angriffe sind nicht nur ANC-Angehörige, sondern auch andere südafrikanisehe Flüchtlinge und botswanische Bürger betroffen worden (VG Köln, Urteil vom 28.4.1988, 6 K 11 787/83). Auch ist Botswana aufgrund der geographischen Verhältnisse und aufgrund seiner Infrastruktur sowie der nur eingeschränkten militärischen Verteidigungsfähigkeit nicht zu einer Abwehr derartiger südafrikanischer Aktionen in der Lage. Gleichwohl war der Kläger vor seinem Deutschlandaufenthalt wohl in Botswana vor politischer Verfolgung sicher. Der erste offene militärische Angriff Südafrikas auf Botswana, der die Lage nachhaltig veränderte, fand nämlich erst in der Nacht vom 13. auf den 14. Juni 1985 statt (Botswana: Entwicklung am Rande der Apartheid, Publikation des Instituts für Afrika-Kunde, Hrsg. Hasse/Zeil-Fahlbusch, Hamburg 1989, S. 319, 354), also beinahe zwei Jahre nach Beginn des Deutschlandaufenthalts des Klägers. Zwar sollen auch zuvor bereits Flüchtlinge aus Südafrika in Botswana durch südafrikanische Sicherheitsorgane aufgespürt und wieder in südafrikanische Gewalt gebracht worden sein (VG Ansbach, Urteil vom 25.9.1979, AN 3115-II/78). Für den früheren Aufenthalt des Klägers in Botswana (bis 1983) ist freilich nur ein Fall, nämlich der eines gewissen Peter Lengene dokumentiert, der von der südafrikanischen Polizei aus Gaborone verschleppt und gewaltsam nach Südafrika zurückgebracht wurde (Publikation des IDAF Nr. 18 vom September 1985). Jedenfalls durfte der Kläger während seines damaligen Aufenthalts im Flüchtlingslager Dukwe vor politischer Verfolgung sicher gewesen sein. Südafrikanische Angriffe auf das im Jahre 1976 eingerichtete Lager Dukwe fanden tatsächlich nie statt (Stellungnahme des UNHCR vom 3. April 1987). Daß der Klägar seine Sicherheitslage entsprechend einschätzte, zeigt seine Erklärung, er werde nach Abschluß seiner Ausbildung in Deutschland nach Botswana freiwillig zurückkehren (vgl. zu Vorstehendem mit weiteren Nachweisen das Urteil des Gerichts vom 10. Januar 1990 in der den Beteiligten bekannten und beigezogenen Verwaltungsrechtssache 14 VG A 755/89). All dies hindert indes eine Anerkennung des Klägers als asylberechtigt nicht, denn die Sicherheitslage sücafrikanischer Flüchtlinge in Botswane hat sich bis 1988, dem Zeitpunkt seiner letztmaligen Ausreise, in einer Weise verschlechtert, daß eine Anwendung des § 2 AsylVfG nicht mehr in Betracht kommt und die Vermutungen der § 7 Abs.3 AsylVfG und § 2 Abs. 2 AsylVfG als widerlegt gelten können. Während des Aufenthalts des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland fanden mit zunehmender Häufigkeit bewaffnete südafrikanische Angriffe auf das Staatsgebiet Botswanas statt. Flüchtlinge, die verdächtig waren, wie der Kläger nationalen Befreiungsbewegungen anzugehören, wurden wiederholt Opfer von Mordversuchen, von denen einige gelangen. Neben Opfern aus dem Kreis der Flüchtlinge waren auch botswanische Staatsangehörige betroffen. In allen Fällen wurden Heimstätten und Eigentum ganz oder teilweise zerstört (Stellungnahme des UNHCR vom 3. April 1987). Einschneidend war in diesem Zusammenhang der Vorfall vom 13./14. Juni 1985 (siehe oben), bei dem südafrikanische Kommandoeinheiten nach Gaborone eindrangen, in verschiedenen Teilen der Stadt zehn Häuser überfielen und in wenigen Minuten zwölf Menschen ermordeten (Botswana: Entwicklung am Rande der Apartheid, a.a.O. S. 319). Im Mai 1986 griff Südafrika Botswana erneut an, diesmal aus der Luft, und tötete dabei drei Menschen (a.a.O. S. 340; Stellungnahme des Instituts für Afrika-Kunde vom 13. März 1987; Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 5. Dezember 1986 und 5. April 1988). Im März 1988 schlug Südafrika abermals in Botswana zu und tötete in einem Kommandaunternehmen, das einer vermeintlichen ANC-Unter-kunft galt, vier Menschen, darunter zwei (nach anderen Informationen drei) botswanische Staatsangehörige (Botswana: Entwicklung am Rande der Apartheid, a.a.O. S. 341; Frankfurter Rundschau, Frankfurter Allgemeine Zeitung und Tageszeitung vom 29. März 1988). Auch im Jahre 1987 und im Dezember 1988 gab es in Botswana verschiedene Anschläge (vgl. die Auflistung in The Star vom 22. November 1989). Schließlich trifft es, wie der Kläger angibt, zu, daß während seines letzten Aufenthalts in Botswana ein südafrikanischer Flüchtling namens Jacob Molokwane ungefähr 40 km nördlich von Francistown erschossen wurde (Bl. 39 und 41 der Asylakten; Guardian vom 22. Januar 1988). Das Flüchtlingsproblem Botswanas war seinerzeit durch die ständigen Drohungen der südafrikanischen Regierung gekennzeichnet, Botswana militärisch zu überfallen und dafür zu bestrafen, daß es dem ANC erlaube, von Botswana aus die Rebublik Südafrika zu bedrohen. Wie ernst diese Drohungen gemeint waren, war seit den beschriebenen Vorfällen klar. Da Südafrika Botswana offensichtlich aus innenpolitischen Gründen als Vorwand benötigte, war die tatsächliche Zahl der Flüchtlinge aus Südafrika nicht entscheidend. In diesem Sinne war auch der im Jahre 1986 in Botswana erlassene "National Security Act" ein außenpolitisches Mittel der Regierung in Geborene, klarzustellen, daß sie Guerillaaktionen von ihrem Territorium aus nicht dulde. Unter den wenigen in Gabarone verbliebenen Flüchtlingen hatte die Unsicherheit ihrer Situation zugenommen. Zum einen hatten sie Angst vor Attentaten, zum anderen befürchteten sie, daß die Regierung sie als Bedrohung ansehe und loszuwerden versuche, indem sie ihnen nahelegteg im Interesse ihrer eigenen Sicherheit das Land zu verlassen, was tatsächlich in mehreren Fällen geschehen ist. Entsprechend zog im Mai 1986 der ANC nach Gesprächen mit der Regierung Botswanas seinen Vertreter aus Geborene ab, da dessen Sicherheit nicht mehr gewährleistet sei, und der PAC tat das gleiche (Botswana: Entwicklung am Rande der Apartheid, a.a.O. S. 364, 339 f.). Unsicherheit und Mißtrauen unter den Flüchtlingen gingen hin bis zum Verdacht der Korruption und Kollabaration offizieller Stellen mit der südafrikanischen Polizei (a.a.O. S. 365). Dem entspricht die Darstellung der Zeugin Friederich im beigezogenen Verfahren 14 VG A 755/89, die selbst erlebt hat, wie Personen, bei denen es sich augenscheinlich um südafrikanische Spitzel handelte, Informationen über geflüchtete Oppositionelle sammeln wollten. Wie gut das südafrikanische Spitzelsystem funktionierte, erhellt die Tatsache, daß der Aufenthalt der Zeugin Friederich in Botswana den südafrikanischen Stellen offensichtlich bekanntgeworden war, obwohl die Zeugin südafrikanisches Territorium nie betreten hatte: Frau Friederich bekam nach ihrer Rückkehr aus Botswana unter Bezugnahme auf ihre Reise Post von der südafrikanischen Vertretung in Hamburg. Schließlich war auch der UNHCR der Auffassung, daß südafrikanische Flüchtlinge, welche Gefahr liefen, der Mitgliedschaft oder Zugehörigkeit zu nationalen Befreiungsbewegungen verdächtigt zu werden, nicht als sicher in Botswana hätten betrachtet werden können (Stellungnahme vom 3. April 1987).

Nach alledem war die Beklagte zu 1) zu verpflichten, den Kläger als asylberechtigt anzuerkennen.

II

Auch die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Anfechtungsklage hat in der Sache Erfolg. Die Ausreiseaufforderung nebst Fristsetzung und Abschiebungsandrohung von 30. August 1989 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; sie ist aufzuheben.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausreiseaufforderung nach § 28 AsylVfG ist der Zeitpunkt der Behördenentscheidung. Entscheidungsgrundlage der Behörde sind die ihr vorliegenden Akten, die Ausführungen im ablehnenden Bescheid des Bundesamtes und ihre allgemeinen Kenntnisse über die Verhältnisse im Heimatland des Asylbewerbers. Danach ist zu beanstanden, daß der angegriffene Bescheid der Beklagten zu 2) vom 30. August 1989 ohne nähere Begründung und ohne sich mit seinem Vorbringen im Asylverfahren auseinanderzusetzen, eine Abschiebung des Klägers nach Südafrika und nach Botswana ermöglicht.

Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehorigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Aus Gründen des Rechtsschutzes hat der Gesetzgeber bestimmt, daß die Ausländerbehörde zur Sicherung des Abschiebungsverbots sich bereits bei der Androhung über diese Beschränkung der Abschiebung schlüssig werden muß.

Vorliegend wäre sicherzustellen gewesen, daß eine Abschiebung des schwarzen Klägers in den südafrikanischen Machtbereich verboten ist. Nach der Rechtsprechung der Kammer (zuletzt Urteil vom 10. Januar 1990, a.a.O.) erschien es jedenfalls im Jahre 1989 noch nicht vertretbar, Schwarze oder Farbige dorthin abzuschieben, da die Republik Südafrika eine Rassepolitik der Apartheid verfolgt, die in ihrer Menschenverachtung nur mit dem Kolonialismus und der Rassenhybris des Nationalsozialismus verglichen werden kann (vgl. dazu Manfred Nowack, Die Menschenrechtssituation in Südafrika, in: Aus Politik und Zeitgeschichte vom 19. Juli 1986, S. 16). Im Falle des Klägers wäre die Möglichkeit einer Abschiebung nach Südafrika aber insbesondere auch deswegen besonders zu prüfen und gegebenenfalls zu begründen gewesen, weil die Beklagte zu 1) in ihrem Bescheid vom 12. Juli 1989 eine asylerhebliche politische Verfolgung des Klägers in Südafrika nicht für ausgeschlossen gehalten hatte. Dieser Bescheid war der Beklagten zu 2) bekannt.

Auch eine Abschiebung des Klägers nach Botswana hätte in dem angegriffenen Bescheid der Beklagten zu 2) ausdrücklich ausgenommen werden müssen. Dies ergibt sich aus der oben ausführlich dargestellten unzureichenden Sicherheitslage südafrikanischer Flüchtlinge in Botswana ab Sommer 1985.

Da eine Abschiebung des Klägers in ein sonstiges Land nach Lage der Dinge nicht in Betracht kommt, war der Bescheid der Beklagten zu 2) vom 30. August 1989 insgesamt aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO. Die Entscheidung betreffend die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung war nicht gemäß § 32 Abs. 2 AsylVfG zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juli 1989 (9 B 98.89) abweicht. Soweit das Bundesverwaltungsgericht darin eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster bestätigt, nach welcher die Sicherheitslage südafrikanischer Flüchtlinge in Botswana allgemein als gut einzuschätzen sei, ist dem das erkennende Gericht für die Anwendung des § 2 AsylVfG betreffend den Zeitraum vor 1983 gefolgt. Mit der Sicherheitslage im Jahre 1988 bzw. 1989, auf welche es im Falle des Klägers entscheidend ankam, hatte sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung nicht zu beschäftigen.

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